Homotopie – Wikipedia

In der Topologie ist eine Homotopie (von griechisch ὁμός homos ‚gleich‘ und τόπος tópos ‚Ort‘, ‚Platz‘) eine stetige Deformation zwischen zwei Abbildungen von einem topologischen Raum in einen anderen, beispielsweise die Deformation einer Kurve in eine andere Kurve. Eine Anwendung von Homotopie ist die Definition der Homotopiegruppen, welche wichtige Invarianten in der algebraischen Topologie sind.
Der Begriff „Homotopie“ bezeichnet sowohl die Eigenschaft zweier Abbildungen, zueinander homotop (präferiert) zu sein, als auch die Abbildung („stetige Deformation“), die diese Eigenschaft vermittelt.
Eine Homotopie zwischen zwei stetigen Abbildungen ist eine stetige Abbildung
mit der Eigenschaft für alle gilt
und
wobei das Einheitsintervall ist.
Der erste Parameter entspricht also dem der ursprünglichen Abbildungen und der zweite gibt den Grad der Deformation an. Eine Homotopie definiert eine ein-parametrige Familie mit
, so dass
und
. Besonders anschaulich wird die Definition, wenn man sich den zweiten Parameter als „Zeit“ vorstellt (vgl. Bild).
Äquivalent kann man eine Homotopie definieren als einen (stetigen) Weg von nach
im Raum der stetigen Funktionen
mit der kompakt-offenen Topologie.
Man sagt, sei homotop zu
und schreibt
. Homotopie ist eine Äquivalenzrelation auf der Menge der stetigen Abbildungen
, die zugehörigen Äquivalenzklassen heißen Homotopieklassen, die Menge dieser Äquivalenzklassen wird häufig mit
bezeichnet.
Eine stetige Abbildung heißt nullhomotop, wenn sie homotop zu einer konstanten Abbildung ist.
- gilt, dann gilt auch

Sei der Einheitskreis in der Ebene und
die ganze Ebene. Die Abbildung
sei die Einbettung von
in
, und
sei die Abbildung, die ganz
auf den Ursprung abbildet, also
,
und
,
.
Dann sind und
zueinander homotop. Denn
mit
ist stetig und erfüllt und
.
Ist eine Teilmenge von
, und stimmen zwei stetige Abbildungen
auf
überein, so heißen
und
homotop relativ zu
, wenn es eine Homotopie
gibt, für die
für jedes
unabhängig von
ist.


Ein wichtiger Spezialfall ist die Homotopie von Wegen relativ der Endpunkte:
Ein Weg ist eine stetige Abbildung ; dabei ist
das Einheitsintervall. Zwei Wege heißen homotop relativ der Endpunkte, wenn sie homotop relativ
sind, d. h. wenn die Homotopie die Anfangs- und Endpunkte festhält.
(Sonst wären Wege in der gleichen Wegzusammenhangskomponente immer homotop.) Sind also
und
zwei Wege in
mit
und
, so ist eine Homotopie relativ der Endpunkte zwischen ihnen eine stetige Abbildung
mit ,
,
und
.
Ein Weg heißt nullhomotop genau dann, wenn er homotop zum konstanten Weg ist.
Der andere häufig auftretende Fall ist die Homotopie von Abbildungen zwischen punktierten Räumen. Sind und
punktierte Räume, so sind zwei stetige Abbildungen
homotop als Abbildungen von punktierten Räumen, wenn sie relativ
homotop sind.
Die Menge der Homotopieklassen von Abbildungen punktierter Räume von nach
ist die Fundamentalgruppe von
zum Basispunkt
.
Ist zum Beispiel ein Kreis mit einem beliebigen ausgewählten Punkt
, dann ist der Weg, der durch einmaliges Umrunden des Kreises beschrieben wird, nicht homotop zum Weg, den man durch Stillstehen am Ausgangspunkt
erhält.
Seien und
zwei topologische Räume und sind
und
stetige Abbildungen. Dann sind die Verknüpfungen
und
jeweils stetige Abbildungen von
bzw.
auf sich selbst, und man kann versuchen, diese zur Identität auf X bzw. Y zu homotopieren.
Falls es solche und
gibt, dass
homotop zu
und
homotop zu
ist, so nennt man
und
homotopieäquivalent oder vom gleichen Homotopietyp. Die Abbildungen
und
heißen dann Homotopieäquivalenzen.
Homotopieäquivalente Räume haben die meisten topologischen Eigenschaften gemeinsam. Falls und
homotopieäquivalent sind, so gilt
Wenn zwei gegebene homotope Abbildungen und
zu einer bestimmten Regularitätsklasse gehören oder andere zusätzliche Eigenschaften besitzen, kann man sich fragen, ob die beiden innerhalb dieser Klasse durch einen Weg miteinander verbunden werden können. Dies führt zum Konzept der Isotopie. Eine Isotopie ist eine Homotopie
wie oben, wobei alle Zwischenabbildungen (für festes t) ebenfalls die geforderten Zusatzeigenschaften besitzen sollen. Die zugehörigen Äquivalenzklassen heißen Isotopieklassen.
Zwei Homöomorphismen sind also isotop, wenn eine Homotopie existiert, so dass alle Homöomorphismen sind. Zwei Diffeomorphismen sind isotop, wenn alle
selbst Diffeomorphismen sind. (Man bezeichnet sie dann auch als diffeotop.) Zwei Einbettungen sind isotop, wenn alle
Einbettungen sind.
Zu verlangen, dass zwei Abbildungen isotop sind, kann tatsächlich eine stärkere Anforderung sein, als zu verlangen, dass sie homotop sind. Zum Beispiel ist der Homöomorphismus der Einheitskreisscheibe in , der durch
definiert ist, dasselbe wie eine 180-Grad-Drehung um den Nullpunkt, darum sind die Identitätsabbildung und
isotop, denn sie können durch Drehungen miteinander verbunden werden. Im Gegensatz dazu ist die Abbildung auf dem Intervall
in
, definiert durch
nicht isotop zur Identität. Das liegt daran, dass jede Homotopie der beiden Abbildungen zu einem bestimmten Zeitpunkt die beiden Endpunkte miteinander vertauschen muss; zu diesem Zeitpunkt werden sie auf denselben Punkt abgebildet und die entsprechende Abbildung ist kein Homöomorphismus. Hingegen ist
homotop zur Identität, zum Beispiel durch die Homotopie
, gegeben durch
.
In der Geometrischen Topologie werden Isotopien benutzt, um Äquivalenzrelationen herzustellen.
Zum Beispiel in der Knotentheorie – wann sind zwei Knoten und
als gleich zu betrachten? Die intuitive Idee, den einen Knoten in den anderen zu deformieren, führt dazu, dass man einen Weg von Homöomorphismen verlangt: Eine Isotopie, die mit der Identität des dreidimensionalen Raumes beginnt und bei einem Homöomorphismus h endet, so dass h den Knoten
in den Knoten
überführt. Eine solche Isotopie des umgebenden Raumes wird ambiente Isotopie[2] oder Umgebungsisotopie genannt.
Eine andere wichtige Anwendung ist die Definition der Abbildungsklassengruppe Mod(M) einer Mannigfaltigkeit M. Man betrachtet Diffeomorphismen von M „bis auf Isotopie“, das heißt, dass Mod(M) die (diskrete) Gruppe der Diffeomorphismen von M ist, modulo der Gruppe der Diffeomorphismen, die isotop zur Identität sind.
Homotopie kann in der numerischen Mathematik für eine robuste Initialisierung zur Lösung von differential-algebraischen Gleichungen eingesetzt werden (siehe Homotopieverfahren).
Zwei Kettenhomomorphismen
zwischen Kettenkomplexen und
heißen kettenhomotop, wenn es einen Homomorphismus
mit
gibt.
Wenn homotope Abbildungen zwischen topologischen Räumen sind, dann sind die induzierten Abbildungen der singulären Kettenkomplexe
kettenhomotop.
Zwei punktierte Abbildungen
heißen homotop, wenn es eine stetige Abbildung mit
und
für alle
für alle
gibt. Die Menge der Homotopieklassen punktierter Abbildungen wird mit bezeichnet.
- Brayton Gray: Homotopy theory. An introduction to algebraic topology (= Pure and Applied Mathematics. Nr. 64). Academic Press, New York u. a. 1975, ISBN 0-12-296050-5.
- Allen Hatcher: Algebraic Topology. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 0-521-79540-0 (cornell.edu).
- John McCleary (Hrsg.): Higher Homotopy Structures in Topology and Mathematical Physics. Proceedings of an international Conference, June 13 – 15, 1996 at Vassar College, Poughkeepsie, New York, to Honor the sixtieth Birthday of Jim Stasheff (= Contemporary Mathematics. Band 227). American Mathematical Society, Providence RI 1999, ISBN 0-8218-0913-X.
- George W. Whitehead: Elements of Homotopy Theory. Corrected 3rd Printing (= Graduate Texts in Mathematics. Band 61). Springer, New York u. a. 1995, ISBN 0-387-90336-4.
- M. Sielemann, F. Casella, M. Otter, C. Claus, J. Eborn, S. E. Mattsson, H. Olsson: Robust Initialization of Differential-Algebraic Equations Using Homotopy. International Modelica Conference, Dresden 2011, ISBN 978-91-7393-096-3.
- ↑ John M. Lee: Introduction to Smooth Manifolds. Hrsg.: Springer. 2. Auflage. S. 74–75.
- ↑ Tammo tom Dieck: Topologie. 2. Auflage. de Gruyter, Berlin 2000, ISBN 3-11-016236-9, S. 277.