Seite 1.841, Armenwesen (die Armenpflege im Mittelalter) | eLexikon
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- ️Sun Apr 28 1748
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im Krieg Verstümmelten, später alle, die weniger als 3 Minen (ungefähr gleich 240 Mark) hatten und arbeitsunfähig waren, erhielten Anspruch auf Staatsunterstützung, welche nach vorgängiger Untersuchung durch die Fünfhundert von der Volksversammlung im höchsten Betrag von 2 Obolen (täglich 20 Pfennig) zuerkannt wurde. Außerdem half man sich auch durch genossenschaftliche Verbände (eranoi), welche auf Gegenseitigkeit gegründet waren. Die daraus erhaltenen Unterstützungen mußten nach wiedererlangten bessern Vermögensumständen rückvergütet werden. In Rom [* 2] findet sich ebenfalls lange Zeit weder eine staatliche noch eine religiöse Vorschrift, welche die Unterstützung der Armen zur Pflicht gemacht hätte.
Athen
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Athen.Nicht einmal die Bestimmung, daß der Vater den Sohn und umgekehrt zu ernähren habe, kennt das ältere römische Recht. Allerdings flossen auch schon früher reichliche Spenden an die Armen, aber nicht unter dem Titel des Almosens, sondern als Mittel der Bestechung bei den Wahlen und Abstimmungen. Die wachsende Volksmenge führte zwar später auch zu staatlichen Einrichtungen, welche die Austeilung von Unterstützungen an die Armen zum Gegenstand hatten. Immer aber blieb dabei diesen Spenden wie ähnlichen, die früher in Athen [* 3] vorkamen, der Charakter des allgemeinen Bürgerrechts, von dem die Reichen keinen Gebrauch machten. So erhielt jeder Bürger monatlich nach der lex Terentia 5 modii Getreide [* 4] unter dem Marktpreis, später unter Clodius sogar unentgeltlich.
Auch die Licinischen und Gracchischen Gesetzvorschläge (leges agrariae), welche die Verteilung der Staatsländereien unter die armen Bürger zum Gegenstand hatten, gehören hierher. Erst Cäsar hob den Charakter der Armenpflege bei den Getreidespenden mehr hervor, indem er die Zahl der Empfangsberechtigten auf 150,000 festsetzte und dabei bestimmte, daß nur die Armen diese Spenden unentgeltlich empfangen sollten. Eine Bestimmung darüber, wer als arm zu betrachten sei, wurde indes nie getroffen, auch dann nicht, als unter den ersten Kaisern nicht mehr Getreide, sondern Brot [* 5] in der Art verteilt wurde, daß jede Tribus eine Anzahl Anweisungen (tesserae) erhielt, die sie unter ihre Angehörigen zu verteilen hatte.
Diese tesserae wurden in den Tribus wieder nicht nach Bedürfnis verteilt, sondern man konnte sie kaufen, wieder veräußern, unter Aurelian sogar vererben. Erst unter Nero und Hadrian kamen neben diesen Verabreichungen aus dem Staatsvermögen noch wirkliche Wohlthätigkeitsanstalten insbesondere für Kinder vor, Alimentationen genannt, die sich dann auch auf die Provinzen erstreckten. Sie wurden aus dem Privatvermögen der Kaiser gestiftet. Auch in Rom findet sich übrigens neben dieser Fürsorge des Staates für die Armen unter den Zünften eine Privatwohlthätigkeit für die Kranken, Witwen und Waisen der Zunftmitglieder.
Mit dem Christentum erhielt die Wohlthätigkeit wieder einen religiösen Charakter. Dieselbe wurde dabei lange Zeit, ähnlich der Auffassung des Islam, als Gott wohlgefälliges Werk, mithin als Selbstzweck angesehen, so daß es wenig darauf ankam, wem und wie man gab, sondern nur darauf, was man gab. Erregte doch selbst das Betteln so wenig Anstoß, daß es durch die Bettelorden eine Art religiöser Weihe erhalten konnte. Die Verwaltung der größern für die Armen bestimmten Stiftungen wurde, vielfach veranlaßt durch die Geistlichkeit, der Kirche überwiesen und so von letzterer mit der Zeit als ihr Recht in Anspruch genommen.
Die Kirche selbst ging dabei mit gutem Beispiel voran, indem sie aus ihrem reichen Einkommen oft den vierten und dritten Teil für die Armen bestimmte. Diese kirchlichen Gaben reichten sehr bald nicht mehr hin, da sie bei mangelnder Organisation der Armenpflege und bei unrichtiger Verteilung die Armut förderten, statt sie zu mindern. So kam die Kirche dahin, ihre politische Macht zu gebrauchen und zur Armenunterstützung zu zwingen, und als die natürliche Grundlage hierbei erschien ihr die christliche Gemeinde.
Tournantöle - Tours
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Tours.Der Beschluß eines Konzils zu Tours [* 6] (567) führt geradezu die Verpflichtung der Gemeinde zur Erhaltung ihrer Armen ein. Aber auch die weltliche Gewalt befaßte sich schon frühzeitig mit dem Armenwesen, wie denn ein Kapitulare Karls d. Gr. von 806 gleichfalls die Verpflichtung der Gemeinde zur Erhaltung ihrer Armen enthält. Daneben war die in den Gefolgschaften vielfach vertragsmäßig vom Grundherrn (Senior) übernommene Verpflichtung, für den Homo im Notfall Kleidung, Nahrung etc. zu beschaffen, von großer Wichtigkeit, da dieselbe oft zur gesetzlichen wurde.
Nicht weniger erheblich ward die genossenschaftliche Armenunterstützung, die von Gilden und Zünften im spätern Mittelalter ausging. Dieselbe erstreckte sich zwar nur auf Gildeangehörige, hatte jedoch dadurch eine große Bedeutung, daß das Gildenwesen das ganze bürgerliche Leben des Mittelalters umfaßte. Einen Schritt weiter ging man in England. In Deutschland [* 7] fand sich im Mittelalter keine Bestimmung darüber, wer überhaupt Anspruch auf Unterstützung habe. In England bestimmte wenigstens König Egbert, daß nur derjenige Unterstützung erhalten solle, welcher nicht im stande sei, mit seiner Hände Arbeit sich zu ernähren.
Schweden und Norwegen
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Schweden.Dagegen weist das angelsächsische Recht keine Spur davon auf, daß die Gemeinde zur Unterhaltung ihrer Armen verpflichtet sei. Nur in den skandinavischen Staaten, in Schweden, [* 8] Norwegen, vor allem aber in Island [* 9] (die Graugans), hat sich schon im Mittelalter ein vollständig ausgebildetes System der Armenpflege entwickelt. Wer vier Wochen ohne festen Sitz im Land umherzieht, wer einen solchen Bettler unterstützt, ist friedlos. Für die wahrhaft Armen hat zunächst der Verwandte je nach der Erbberechtigung zu sorgen. Jeder hat außerdem einen Armenzehnten zu entrichten für diejenigen Armen, welche auf diesem Weg keine Unterstützung erhalten. Die Versammlung der Freien entscheidet über die Dürftigkeit.
Die Zahl der Armen und das die öffentliche Ordnung gefährdende Bettelwesen nahmen in den nichtskandinavischen Reichen Europas mit der Zeit dergestalt überhand, daß der Staat gezwungen wurde, dem Armenwesen seine Aufmerksamkeit zu widmen. Anfangs geschah dies nur durch Bettelverordnungen und die allgemeine Bestimmung, wer und von wem die Unterstützung zu beanspruchen sei. Mit der Zeit entwickelte sich jedoch ein vollständigeres System der Armenpflege und zwar zunächst in England.
Armenwesen (die Armenp
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Seite 1.842.Die vielen Kriege, von welchen dieses Land heimgesucht wurde, und welche häufige Entlassungen von der Arbeit entwöhnten Söldnern zur Folge hatten, sowie die allmähliche Auflösung des Lehnswesens und der Leibeigenschaft förderten die Entstehung einer auf Bettel und Raub angewiesenen zahlreichen Menschenklasse, während es gleichzeitig an Arbeitern zur Bebauung des Landes fehlte. Infolgedessen setzte sich die englische Gesetzgebung eine doppelte Aufgabe: einmal die direkte Beseitigung der Landstreicherei durch Strafgesetze, sodann die Sorge, ländliche Arbeiter für den Ackerbau zu gewinnen. Für alle Arten ¶
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Arbeit wurden Taxen gesetzlich festgestellt, die ländliche Bevölkerung [* 11] an ihre Heimat und dort an die Feldarbeit gebunden; der Übergang von der Feldarbeit zur Manufaktur wurde verboten oder doch sehr eingeschränkt etc. Erst 1662 wurde den Arbeitern gestattet, ohne vorherige spezielle Erlaubnis sich außerhalb ihres Kirchspiels nach Arbeit umzusehen. In den Gesetzen Eduards III. und Richards II. bis herab zu Heinrich VIII. wird der Übergang zur Arbeit bloß von der Strenge der Strafgesetze gegen Landstreicherei und Bettelei (Auspeitschen gesunder Bettler, im Rückfall Abschneiden des rechten Ohrs und Einkerkerung etc.) gehofft.
Für die Arbeitsunfähigen traf die englische Gesetzgebung durch ein Statut Richards II. von 1338 Fürsorge. Sie durften betteln, jedoch nur da, wo sie sich zur Zeit des Gesetzes befinden und, will sie die betreffende Gemeinde nicht behalten, in ihrem Heimatskirchspiel. Das Heimatskirchspiel hat sie im übrigen aus dem Gemeindevermögen zu erhalten. Reicht letzteres nicht aus, so konnte seit 1530 der Friedensrichter Bettelbriefe für andre Gemeinden ausstellen. Die Unzulänglichkeit der Gemeindearmenkasse trat jedoch damals überall hervor.
Die Gesetzgebung wendet sich deshalb zunächst bittend und ermahnend an die Mildthätigkeit der vermögendern Gemeindemitglieder. Es soll bei Kindtaufen und Hochzeiten für die Armen gesammelt, Almosenstöcke sollen aufgestellt werden. Später erhält der Geistliche und, wenn dessen Zureden nichts hilft, der Bischof den Auftrag, die sich der Zahlung von Almosen weigernden Vermögenden »freundlich und artig« zur Zahlung zu überreden. Auch dies verfing nicht.
Frankenwald - Frankfur
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Frankfurt.Einen Wendepunkt in der Geschichte des Armenwesens bezeichnet das Reformationszeitalter. Die Grundlagen der kirchlichen Armenpflege erwiesen sich als unzulänglich, daher bereits im 15. Jahrh. einzelne deutsche Reichsstädte, wie beispielsweise Frankfurt [* 12] a. M. und Nürnberg, [* 13] die Fürsorge für Bedürftige in die Hand [* 14] nahmen. Dazu kam in protestantischen Ländern die die Reformation begleitende Einziehung von Kirchengütern und Aufhebung der Klöster.
Überall erstarkte auf Kosten des Grundadels die landesherrliche Gewalt, die sich ihrer Verpflichtung zur Handhabung der Armenpolizei bewußt wurde. Von besonderer Wichtigkeit ward für die Folgezeit der Entwickelungsgang der englischen Gesetzgebung seit dem Zeitalter der Königin Elisabeth. Ihren vorläufigen Abschluß erhielt dieselbe für die nächstfolgenden Jahrhunderte durch die berühmt gewordene Gesetzgebung von 1601. Die wichtigsten Bestimmungen dieser Akte sind folgende:
1) Arbeitsfähige Arme können zur Arbeit für einen obrigkeitlich festgesetzten Lohn gezwungen werden.
2) Die Armenpflege wird zu Lasten des Kirchspiels (parish) geübt.
3) Die Heimatsberechtigung im Kirchspiel wird durch Geburt oder dreijährigen Wohnsitz erlangt.
4) Die Armenpflege wird durch Kirchenvorsteher und mehrere von den Friedensrichtern ernannte Armenaufseher geübt.
5) Die Mittel werden durch eine im Kirchspiel zu erhebende Poor tax oder Armensteuer (s. d.) aufgebracht, die unter Genehmigung der Friedensrichter von der Armenaufsichtsbehörde ausgeschrieben wird.
6) Arbeitsfähige, die sich der Arbeit weigern, können in ein Arbeitshaus geschickt oder mit Gefängnis bestraft werden. Die Bedeutung dieser Gesetzgebung liegt in der positiven Organisation eines der Armenpflege dienenden, im Selfgovernment fungierenden Apparats. Nachmals ward dann durch ein Niederlassungsgesetz von 1682 die Freizügigkeit durch Ausweisungsbefugnisse gegen neuanziehende Personen erheblich beschränkt. Im übrigen erhielt sich das Gesetz von 1601 ziemlich unverändert bis 1834.
Paris
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Paris.Auch in Frankreich ergriff das Königtum im 16. Jahrh. die Aufgabe, die Armenpflege zu ordnen. Franz I. verordnete 1536, daß die Gemeinde ihre Ortsarmen versorgen solle, ein Armenverzeichnis anzulegen habe und dem Pfarrer in Verbindung mit dem Gemeindevorstand die Armenpflege obliege. Die Ordonnanz von Moulins (1561) dehnt die bereits früher in Paris [* 15] eingeführte Armensteuer auf das Land aus, ohne daß es übrigens gelungen wäre, der königlichen Verordnung in der Praxis Geltung zu verschaffen.
Ebensowenig vermochte man durch harte Strafgesetze gegen Wanderbettelei irgend etwas auszurichten. Die Zahl der gens sans aveu (Bettler und Landstreicher) blieb während des 17. und 18. Jahrh. im beständigen Wachstum. Im J. 1640 zählte man deren 40,000. Auch die Edikte Ludwigs XIV. (1656, 1693, 1695 und 1705), durch welche unter anderm die kirchlichen Wohlthätigkeitsanstalten und die Stiftungen der staatlichen Aussicht oder Einwirkung unterstellt und die Armensachen den Gerichten zum Zweck der Übertragung an den Staatsrat entzogen wurden, änderten an diesen Zuständen nichts. Was die königlichen Verordnungen bessern sollten, verdarben die Mißwirtschaft und Verschwendung des Hofes. Die Armut der Landbevölkerung wuchs bis zur Revolution in erschreckendem Maße.
In Deutschland hatten die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548, 1577 die Bettelei im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt und Sicherheit mit Strafen bedroht, nachdem man die Gefährlichkeit des Vagantenwesens zu erkennen hinreichende Gelegenheit gefunden hatte. Von einer positiven Ordnung der Armenpflege durch das bereits verfallende Reich konnte nach der Natur der politischen Verhältnisse nicht die Rede sein. Auch den Landesherren fehlten im 16. Jahrh. Handhabe und Mittel zu einer durchgreifenden Gestaltung des Armenwesens.
Witteboom - Wittenberg
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Wittenberg.Dagegen versuchten es die protestantischen Kirchenordnungen des Reformationszeitalters, die von ihnen anerkannte und der weltlichen Gemeinde zugewiesene Unterstützungspflicht unter gleichzeitiger Untersagung des Bettelns im Zusammenhang mit den kirchlichen Organen und im Anschluß an einen sogen. »gemein Kasten« (Armenkasse) zu ordnen. In dieser Richtung verfügen die Kirchenordnungen von Wittenberg [* 16] (1522), Braunschweig [* 17] (1528), Hamburg [* 18] (1529), Lübeck [* 19] (1531), Soest [* 20] (1533); den weltlichen Schatzkastenherren traten vielfach Armendiakonen zur Seite.
Die ungünstigen Erfahrungen der mittelalterlichen kirchlichen Armenpflege verwertete man, indem man die Armenkassen vom Kirchenvermögen äußerlich trennte. Über die deutschen Verhältnisse vgl. Mone, Über die Armenpflege vom 13. bis 16. Jahrhundert (»Zeitschr. für Geschichte des Oberrheins«, Bd. 1, 1851); Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter (Frankf. 1868). Während des 17. Jahrh. und zumal nach dem Dreißigjährigen Krieg, der das Massenelend erheblich steigerte, begnügten sich die Landesherrschaften mit präventiven Vorschriften gegen den Bettel, dessen Bekämpfung eine der Aufgaben für die neugegründeten Zuchthäuser wurde. Erst die Aufklärungsperiode erinnerte wieder an die dem Staat gestellten Probleme der Humanität. Neue Armenordnungen ergingen unter anderm in Österreich [* 21] (1754), Kurmainz (1778) Mecklenburg [* 22] (1783) und Oldenburg [* 23] (1787). Was Preußen [* 24] anbelangt, so folgte auf die Armen- und Bettlerordnungen von 1701 und 1708 das Edikt vom 28. April 1748, das den Zweck hatte, eine ¶
Fortsetzung Armenwesen:
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