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Seite 64.907, Shakespeare | eLexikon

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Dramendichter Rowe erwarb sich (1709) das Verdienst, zuerst wieder das größere Publikum auf S. hingewiesen zu haben, indem er ihn in einer kritisch verbesserten Ausgabe darbot. Von diesem Zeitpunkt an begann S.s Einfluß auf weitere Kreise [* 2] zu steigen; eine Reihe gelehrter Männer (Pope, Theobald, Steevens, Johnson) bemühte sich, den ursprünglichen Text zu reinigen und ihn durch Kommentare zu erläutern; endlich brachte Garrick (s. d.) die hauptsächlichsten Stücke, «Hamlet», «Lear», «Macbeth» u. s. w., wieder auf die Bühne und feierte in ihnen seine höchsten Erfolge.

Geschichtskarten von D

Bild 4.772a: Geschichtskarten von Deutschland V
* 4 Deutschland.

Von dieser Zeit an wurden S.s Werke wieder ein Gemeingut der Nation; 1769 war es schon möglich, in Stratford eine Jubelfeier zu veranstalten. Auch auf den Kontinent drang die Kunde von dem großen Briten; Voltaire, der in London [* 3] einigen Aufführungen S.scher Stücke beigewohnt hatte, erzählte seinen Landsleuten von den Wundern dieses «betrunkenen Genies», und in Deutschland [* 4] veranlaßte von Borcks zopfige Bearbeitung des «Julius Cäsar» (1741) in Alexandrinern alsbald J. E. Schlegel zu beachtenswerter Würdigung S.s.

Die Anerkennung war aber noch sehr bedingt. Die erstaunliche Schöpferkraft, die sich in diesen gleichsam neuentdeckten Dichtungen offenbarte, erzwang sich zwar die Bewunderung eines Geschlechts, das von dem Geschmack und der Naivetät des 16. Jahrh. nichts mehr wußte. Es war aber durchaus natürlich, daß man lange Zeit hindurch die Größe des Dichters nur unter entschiedenem Protest gegen seine vermeintliche Roheit und Formlosigkeit anerkannte. Die Nacktheit in der Darstellung der Leidenschaften, die freie Wahl der Bilder aus allen Lebensgebieten, die Vermischung des Tragischen und des Komischen, der Mangel an akademischer Korrektheit, die Verletzung der drei dramat. Einheiten, alles dies betrachtete man als Zeichen einer Barbarei, der es an der Kenntnis klassischer Muster gefehlt habe.

Auge des Menschen

Bild 2.74a: Auge des Menschen
* 5 Auge.

Selbst Garrick hielt es für erforderlich, die Stücke nicht nur durch starkes Beschneiden, sondern durch völlige Abänderung allzu erschütternder Katastrophen dem Zeitgeschmack anzupassen. Allmählich wuchs aber ein neues Geschlecht heran, das mit unverwöhntem Auge [* 5] die Werke S.s in unverstümmelter Gestalt las und sich ohne Voreingenommenheit dem gewaltigen Eindruck hingab. Diesem ging in S. eine ganz neue Welt der Poesie auf, die ihresgleichen weder bei den Alten noch bei den Neuern hatte, und für die alle Gesetze und Maßstäbe der Schule unbrauchbar erschienen.

Dies zuerst deutlich erkannt und siegreich nachgewiesen zu haben, ist Lessings Verdienst. Er führte zumal in der «Hamburgischen Dramaturgie» den Beweis, daß die Schulregeln, deren Verletzung man S. zum Vorwurf machte, mit dem Wesen des Dramas nichts zu schaffen hätten, und daß der vermeintliche Barbar die höchsten Aufgaben der Kunst gelöst habe. Die Stürmer und Dränger bekannten sich begeistert zu ihm, und Goethe vor allem folgte in «Götz» den Spuren S.s mit einem Erfolg, der einer litterar.

Umgebung von Hamburg

Bild 8.38a: Umgebung von Hamburg
* 6 Hamburg.

Umwälzung gleichzuachten ist. Auf der deutschen Bühne bürgerte namentlich Friedr. Ludwig Schröder in Hamburg [* 6] die bedeutendsten Tragödien S.s ein. Alsdann gaben vorzüglich A. W. Schlegels elegante und leichtfaßliche Übertragungen den Anstoß zu einer ganz neuen Beurteilung S.s. Zuerst in England, dann auch in Frankreich und Italien [* 7] machte sich, außer in Deutschland, die Umwälzung des Geschmacks bemerklich, zum Teil allerdings in äußerlicher Nachäffung, vornehmlich aber in einer neuen Vertiefung der Poesie, in einer heilsamen Überwindung der akademischen Tradition, in gesteigerter Freiheit, Kühnheit und Wahrheit der dichterischen Behandlung, und diese Wirkungen beschränkten sich nicht auf die Bühne, sondern umfaßten allmählich die gesamte schöne Litteratur, sie berührten aufs tiefste auch diejenigen, die sich abwehrend verhielten (Schiller, Byron), und man kann unschwer den Einfluß des Shakespeare-Kultus selbst auf entlegenern Gebieten (Philosophie, bildende Kunst, histor. Stil) nachweisen.

Im 19. Jahrh. verbreiteten zahllose Ausgaben und Übersetzungen in alle Litteratursprachen seine Werke über die ganze civilisierte Welt. Forschungen, Kommentare, Abhandlungen häufen sich massenhaft und bekunden ein noch fortwährend steigendes Interesse an diesen Dichtungen. Deutschland und England wetteifern miteinander sowohl in dem philol. Studium als in der ästhetischen Würdigung. Die im ganzen höchst heilsame und fruchtbare Bewegung ist von einzelnen Verirrungen nicht frei geblieben, die aber einen nachhaltigen Schaden nicht anrichteten.

Sie bestehen vornehmlich in einer nicht so sehr übertriebenen als irrigen Verherrlichung des Dichters und in der Sucht, den Schöpfungen S.s verborgene Tendenzen anzudichten, die aller wahren Kunst und vollends der seinigen fremd sein müssen. Aus dem Ärger über derartige Überschwenglichkeiten und Spitzfindigkeiten ist in neuerer Zeit eine Reaktion entstanden, die die Bedeutung des Dichters herabdrücken will und im wesentlichen zu dem Standpunkt Samuel Johnsons im 18. Jahrh. zurückkehrt, wenn sie auch in anerkennenden Phrasen freigebiger ist, daß nämlich S. ein bewußtlos schaffendes Naturgenie, von vielen Gaben, aber ohne Schulung, der rohe Dichter einer rohen Zeit gewesen sei (Rümelin in den «Shakespeare-Studien», Stuttg. 1866; 2. Aufl. 1873, und Benedix in der «Shakespearomanie», ebd. 1873).

Die ihm angemessene Kunstform fand S. auf der altengl. Bühne vor; ihre Einrichtung und ihre Überlieferungen zogen der freiesten Bewegung seiner Phantasie keine andern Schranken als die, welche Raum, Zeit und Geldmittel ihm notwendig auferlegten. In allen äußerlichen Dingen, in Stil, Wahl der Mittel, Anstandsregeln u. s. w. hemmten ihn keinerlei konventionelle Gesetze; die Wahl und Behandlung der Stoffe standen ganz in seinem Belieben; niemand verlangte damals von einem Erzeugnis der Phantasie die Beachtung des Kostüms und der Lokalfarben.



Shakespeare

Bild 64.908: Shakespeare
* 8 Seite 64.908.

Von dieser Freiheit hat S. ohne Bedenken vollen Gebrauch gemacht. Aber das äußerliche berührt nicht das Wesen der Kunst, und wenn S. alle wesentlichen Ziele der letztern mit seiner Form erreicht hat, so ist es thöricht, zu sagen, diese sei keine Kunstform, anzunehmen, ein ohne Berechnung und Überlegung, lediglich mit instinktivem Feuer hingeworfenes Drama von fünf langen Akten sei im stande, Wirkungen zu erzielen, gegen die der Eindruck der berühmtesten Tragödien alter und neuer Zeit verblaßt. Ein genaues Studium der S.schen Stücke führt denn auch zur Einsicht, daß der künstlerische Verstand des Dichters in Anordnung, Aufbau, Abänderung des überlieferten, fast nie von ihm erfundenen Stoffs einen bedeutenden Teil an der Arbeit gehabt hat. Die Einfachheit seiner Bühne muß man freilich stets vor Augen haben, um die Technik seiner Stücke nicht

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schief zu beurteilen; sie gestaltete vieles leicht und natürlich, was uns schwerfällig und störend vorkommt. Betrachtet man aber den Inhalt, so überzeugt man sich bald, daß man keinem rohen Naturdichter, sondern einem Geist von hoher Weisheit und vielseitiger Bildung gegenübersteht, der mit großartigem feinem Blick die Welt in ihren tausendfältigen Beziehungen überschaut.

Das Hauptmoment, welches S. von allen ältern Dramatikern unterscheidet und über alle spätern erbebt, ist seine Fähigkeit, menschliche Charaktere zugleich in der größten Mannigfaltigkeit und in überzeugendster Lebenswahrheit so darzustellen, daß sie den Eindruck ganzer und wirklicher Persönlichkeiten machen. Annäherndes haben andere in einzelnen Fällen erreicht, keiner in solchem Umfange. Fast nie treten bei ihm die Leidenschaften als abstrakte Motive für sich auf, sondern beinahe durchgängig in unlöslicher Verbindung mit einem individuellen Charakter, der dem Leben selbst entlehnt scheint; in dieser Verbindung aber, die sie erst verständlich macht und als Äußerungen unserer eigenen Natur erscheinen läßt, offenbaren sie sich mit der höchsten Bestimmtheit des Ausdrucks, die sie als die eigentlichen bewegenden Kräfte der Geschichte und des Lebens begreiflich macht.

Trägerrecht - Tragisch

Bild 15.792: Trägerrecht - Tragisch
* 9 Träger.

Die menschlichen Affekte sind deshalb bei S. beinahe ausschließlich die Träger [* 9] der Handlung; außerirdische Einwirkungen und das Spiel des Zufalls verschwinden von der Bühne oder dienen höchstens zu symbolischer Illustration. Der Schwerpunkt [* 10] der Welt wird in den Menschen selbst verlegt, in sein Herz und sein Gewissen, und das Schicksal ist nur noch Resultat des Charakters. Diese Auffassung des Lebens wird nicht lehrhaft gepredigt, sondern an lebendigen Beispielen dargestellt. Der menschliche Standpunkt S.s und die Meisterschaft, mit der er ihn veranschaulicht, machen ihn zum Vater und zum größten Vertreter des neuern Dramas. (Vgl. Klaar, Geschichte des modernen Dramas, Lpz. und Prag [* 11] 1883; Wetz, S. im Lichte der vergleichenden Litteraturgeschichte, 2 Bde., Worms [* 12] 1890 fg.)

Presse (technisch)

Bild 13.330: Presse (technisch)
* 13 Presse.

Ausgaben. Die erste Gesamtausgabe von S.s Schauspielen in Folio veranstalteten 1623 zwei Mitglieder des Blackfriars-Theaters: Heminge und Condell, und zwar, wie Vorrede und Titelblatt behaupten, nach den Originalhandschriften, u. d. T. «Mr. William S.s Comedies, Histories and Tragedies. Published according to the true original copies». Indes sind nicht alle Dramen aus den im Besitze der Schauspielergesellschaft befindlichen Handschriften, sei es des Dichters oder eines Abschreibers, in diesem Foliobande gedruckt, sondern manchen ist die gedruckte Einzelausgabe eines Stücks zu Grunde gelegt, wie solche von der Hälfte der 36 Dramen S.s bereits vor der Folioausgabe in kleinem Quartformat mit sehr verschiedener Vollständigkeit und Genauigkeit erschienen waren. Da die Herausgeber der Folio sich begnügt zu haben scheinen, die Manuskripte und Einzeldrucke, ohne Rücksicht auf die Chronologie, nach den drei angegebenen Kategorien zusammenzustellen und nach flüchtiger Durchsicht in die Presse [* 13] zu schicken, ohne sich um die Korrektur der Druckbogen weiter zu kümmern, so erklärt sich daraus die große Verschiedenheit in der Zuverlässigkeit der einzelnen Texte, die sämtlich der bessernden Thätigkeit späterer Herausgeber in größerm oder geringerm Maße bedurft haben und noch bedürfen.

Dieser Aufgabe unterzog sich, nachdem die vier Folioausgaben (1623, 1632, 1664 und 1685) den Zustand des Textes nicht verbessert hatten, zuerst Rowe (1709 und 1714), dann Pope (1725), Tbeobald (1733), Hanmer (1744), Warburton (1747), Samuel Johnson (1765 und 1768), Capell (1768), Johnson und Steevens (1773), Malone (1790), Reed (1793). Durch die drei letztern wurde hauptsächlich die philol.-kritische Richtung in der Bearbeitung S.s begründet, von Malone insbesondere der zuerst von Rowe gemachte Versuch einer Shakespeare-Biographie zu einem vollständigen «Leben S.s» erweitert. Neben den den verschiedenen Ausgaben der S.schen Werke vorangesetzten biogr. Arbeiten ist zu nennen: K. Elze, William S. (Halle [* 14] 1876), als Überblick: M. Koch, Shakespeare (Stuttg. 1885),

ten Brink, Shakespeare (Straßb. 1893), Brandl, Shakespeare (Berl. 1894). Im 19. Jahrh. hat die Shakespeare-Litteratur einen kaum noch übersehbaren Umfang gewonnen. Lowndes im «Bibliographer's Manual» (neue Aufl. von Bohn, Tl. 8, Lond. 1863) verzeichnet bereits nicht weniger als 262 verschiedene Ausgaben der Werke des Dichters. In das erste Viertel des Jahrhunderts gehören die Ausgabe von Chalmers (9 Bde., Lond. 1805), die Überarbeitungen der Johnson-Steevensschen Ausgabe durch Reed (21 Bde., ebd. 1803) und die der Maloneschen durch Boswell (21 Bde., ebd. 1821), beide mit einer Fülle kritischen, histor. und litterar.

Materials versehen (die bekanntesten der sog. Variorum editions). Unter den neuern kritischen Ausgaben werden besonders geschätzt die von Ch. Knight (Pictorial edition, 8 Bde., 1838-43 u. ö.), Collier (8 Bde., 1842-44; 2. Aufl. 1853; auch in 1 Bd.), Hazlitt (4 Bde., 1851; 5 Bde., 1859 u. 1864); vor allem die von N. Delius (Elberf. 1854-60; 5. Aufl. 1882), von Dyce (6 Bde., 1857; 2. Aufl.. 9 Bde., 1864-67), von Grant White (12 Bde., Bost. 1857-63; 1865) und von Clark und Wright (9 Bde., Cambr. 1863-66); daneben die von Staunton (3 Bde., 1858-60), Mrs. Cowden Clarke (4 Bde., Lond. 1864), Clark und Wright (Globe edition, 1864 u. ö.), Keightley (6 Bde., ebd. 1866), H. H. Furneß' New Variorum edition (Philad., seit 1871), Wagner und Pröscholdt (Hamb. 1880-91). Eine Prachtausgabe (16 Foliobände) mit Kommentar veranstaltete Halliwell (Lond. 1852-65). Eine sorgfältige photolithogr. Nachbildung der für die Kritik wichtigen ersten Folio von 1623 gab Staunton heraus (Lond. 1864 fg.). Seit 1861 wurden von Ashbee und Griggs auch photogr. Nachbildungen der verschiedenen Quartos besorgt. Neuere Gesamtausgaben von S.s «Poet. Werken» besorgten Dyce (1832 u. ö.),

Brown (1838),

Knight (1847),

Valpy (1862) u. a., kritische Ausgaben der «Sonnets» veranstalteten Massey (1863) und Dowden (Lond. 1881).

An die Textausgaben reihen sich zahlreiche Schriften über das Leben des Dichters, die damaligen Kultur- und Theaterverhältnisse, unter denen besonders die Arbeiten Halliwells und Colliers hervorzuheben sind. Biographien S.s lieferten in neuerer Zeit noch Drake (2 Bde., Lond. 1817), Skottowe (1824), Knight (1842) u. s. w.; Lamb, Price, Birch, Coleridge, Halpin, Heraud u. a. erörterten S.s Stil, Geist und dichterischen Charakter, während Hazlitt (Characters of S.s plays, Lond. 1817 u. ö.) und Mrs. Jameson (S.s female characters, ebd. 1833 u. ö.) die zerstreuten Züge der dramat. Charaktere S.s in Gesamtbilder zu fassen suchten. Die Verskunst S.s wurde von S. Walker [* 15] (S.s versification, Lond. 1854), Abbott (A Shakespearian grammar,

Fortsetzung Shakespeare: → Seite 64.909 || 2. Aufl., ebd. 1871), Deutschbein (Shakespeare-Grammatik, Cöthen 1882), Elze (Notes on Elizabethan