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Kirchbach - Kirche

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Kirchebezeichnet im Gegensatz zu den Tempeln der Alten, den Moscheen der Mohammedaner und den Synago / 8430
KIRCHE(HINTER DER) (Kt. Bern, Amtsbez. Interlaken, Gem. Grindelwald). 1057 m. 6 Häuser ö. der Kirche; / 40
KircheDas mit dem Christentum fast zu allen german. Völkern (mit Ausnahme der Goten) gekommene Wort / 1465

Seite 9.747

Kirche

3 Seiten, 9'937 Wörter, 73'501 Zeichen

Theologie — Allgemeines

Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888

Titel
Elemente zu Kirche:

I. Lehre von der Kirche.

II. Geschichtliche Entwickelung der christlichen Kirche.

Erste Periode: bis auf Konstantin den Großen.

Zweite Periode: bis auf Karl den Großen.

Dritte Periode: bis auf Innocenz III.

Vierte Periode: bis zur Reformation.

Fünfte Periode: bis zum Westfälischen Frieden.

Sechste Periode: bis zur Gegenwart.

[9.616] Katholische Kirche eigentlich die "allgemeine" christliche

[9.756] Kirche der Wüste heißt nach Offenb. 12

Kirche



Kirche (Lehre von der

Bild 9.748: Kirche (Lehre von der K.)
* 3 Seite 9.748.

bezeichnet im Gegensatz zu den Tempeln der Alten, den Moscheen der Mohammedaner und den Synagogen der Juden das der christlichen Gottesverehrung geweihte Gebäude (s. Kirchenbaukunst), dann bald die Gemeinschaft der christlichen Gläubigen im Gegensatz zu andern Religionsgenossenschaften, bald den äußerlichen Organismus derselben, wie er sich in bestimmten Gesellschaftsformen, Kultus und Verfassung darstellt, bald ganz allgemein die ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform selbst, in welchem Sinn auch von einer jüdischen, mohammedanischen etc. Kirche gesprochen werden kann, bald auch wieder die zum Christentum sich bekennende Bevölkerung [* 2] eines einzelnen Landes oder Staats (Landeskirche) in Hinsicht auf ihre besondere Verfassung etc., bald endlich eine einzelne Partei der Christen, sofern sie als eine besondere, durch Glaubenssymbole und Rechte, auch wohl Zeremonien von andern sich unterscheidende größere Religionsgesellschaft angesehen wird, so römisch-katholische, griechisch-katholische, lutherische, reformierte Kirche im Gegensatz zu Sekte. Auch die Etymologie des Wortes ist streitig, wenngleich jetzt die meisten Gelehrten den Ursprung desselben auf das griechische Kyriakón (Herrenhaus, Haus), in welchem sich die Gemeinde des Herrn zu seinem Dienst versammelt, zurückführen. Da sonach weder Sprachgebrauch noch Etymologie zu einem irgend sichern Resultat verhelfen, so hilft nur eine teils

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begriffliche, teils historische Ableitung zur Orientierung in dem Gewirr von Ansichten und Meinungen, den das schon nach Luthers Urteil »blinde, undeutliche« Wort veranlaßt hat.

I. Lehre von der Kirche.

Wenn die Religion ein wesentliches Moment in dem geistigen Gesamtleben der Menschheit ist, wie sie sich denn in dem bisherigen Verlauf der Geschichte als umfassendstes Thema derselben erwiesen hat: so wird es auch als eine dem Menschengeist innewohnende allgemeine Notwendigkeit bezeichnet werden müssen, daß er sich behufs Lösung dieses Teils seiner Aufgabe eine eigne, also ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform schafft, im Unterschied zu politischen, sozialen, wissenschaftlichen, künstlerischen Gemeinschaftsformen. In diesem rein idealen Sinn ist die Kirche der Organismus des religiösen Lebens der Menschheit überhaupt.

Wirklich vorhanden ist diese Ecclesia (s. d.) immer nur in einer Gemeinde, wie Staat und Volk immer nur in einer Nationalität mit bestimmter Staatsform. Während aber in der vorchristlichen Zeit das religiöse und das politische Leben der Menschheit ununterscheidbar zusammenfallen und ineinander aufgehen, hat das Christentum eine über die nationalen Gegensätze übergreifende, auf geistigen Zusammenschluß der Menschheit abzweckende, rein religiöse Gemeinschaft eingeführt, und es ist daher kein Zufall, daß dem Wort Kirche trotz seiner allgemeinen Bedeutung doch eine spezifische Beziehung auf die christliche Religion anhaftet (s. Christentum).

Himation - Himmel

Bild 8.544: Himation - Himmel
* 4 Himmel.

Der leitende Gedanke bei der theoretischen Durchbildung des Begriffs der Kirche ist der eines gesellschaftlichen Wunders, welches dem Wunder der Person Christi als des menschgewordenen Gottessohns entspricht und seine Fortsetzung darstellt. In diesem Sinn führen die Briefe an die Epheser und Kolosser das sonst von Paulus gebrauchte Bild vom Leib, darin Christus der Geist ist, dahin weiter, daß die als eine die irdische und überirdische Welt umfassende Gemeinschaft der Geister erscheint, wovon der im Himmel [* 4] erhöhte Christus das Haupt ist.

Damit war die Vorstellung eines sinnlich-übersinnlichen Organismus gegeben, welcher sein eigentliches Wesen in der überirdischen Welt, seine irdische Erscheinung aber in den einzelnen Gemeinden und in der Gesamtheit aller dieser einzelnen Gemeinden hat. Dies das wesentliche und stehende Schema, in welches dann alle christlichen Religionsgenossenschaften und Lehrbegriffe ihre eigentümlichen Auffassungen vom Wesen der Kirche hineingezeichnet haben, indem sie bald mehr das eine, bald mehr das andre Moment hervorheben oder ihre Sonderstellung durch die Eigentümlichkeit der Verbindung beider Momente bezeichnen.

Dieselbe als ein Verhältnis fast durchgängiger Einerleiheit aufzufassen, ist von jeher der hervorstechende Charakterzug des Katholizismus (s. d.) gewesen. Dieser versteht unter Kirche unmittelbar die irdische Erscheinung selbst, die mit wunderbaren Kräften aus der übersinnlichen Welt ausgestattete, angeblich von Christus selbst gestiftete Heilsanstalt, deren wesentliche Organe die Bischöfe als Nachfolger der Apostel sind. Die Kirche ist ihm die christliche Gesellschaft schlechthin.

Lehrbegriff - Lehrerin

Bild 61.37: Lehrbegriff - Lehrerinnen [unkorrigiert]
* 5 Lehre.

Daß außer ihr, die am liebsten unter dem Bild einer Mutter oder einer Arche Noah, eines Schiffleins Christi gedacht wurde, keine Rettung zu finden, in ihr aber die Fülle des Heils sei, wurde sowohl den Heiden als den Häretikern gegenüber einstimmig behauptet. Cyprian und Augustin sind die Hauptschöpfer dieses Kirchenbegriffs, auf dessen Ausbildung namentlich das Aufblühen der Kirche unter dem Schutz des Staats sowie der Sieg des Augustinismus über die Lehre [* 5] der Pelagianer, Manichäer und Donatisten einwirkten. Im Streit mit den letztern erkannte Augustin in der Kirche die Gesamtheit aller Getauften und beförderte durch kecke Vereinerleiung des in der Wirklichkeit gegebenen Organismus mit dem Reiche Gottes die katholische Weltanschauung, welche, von der Theologie der römischen Bischöfe auf den dortigen Primat ausgedehnt, die Hierarchie des Mittelalters vorbereiten und vollenden half.

Das geschichtliche Gewächs des den Weltstaat sich dienstbar machenden und die Nationen erziehenden Katholizismus wurde hier gleichsam mit Haut [* 6] und Haaren zum Glaubensgegenstand erhoben. Dem Katholizismus ist die Kirche die unmittelbar gegenwärtige Erscheinung der überirdischen Ordnung Gottes, begabt mit sichtbarem Oberhaupt, unfehlbarer Lehre, wunderbaren Gnadenmitteln, über alle sonstigen Ordnungen des Menschenlebens so erhaben wie der Geist über das Fleisch, aus himmlischen Regionen herabgesenkt auf die Erde, um möglichst viele Menschen auf Erden kraft der Sakramente zu retten und in die übersinnliche Welt emporzuheben. In diesem vom römischen Katechismus aufgenommenen Unterschied von streitender und triumphierender Kirche begegnet uns die letzte schwache Spur einer Unterscheidung von Wirklichkeit und Ideal.

Aus der notwendigen Unterscheidung im Gegenteil eine Trennung zu machen, die ideale Gemeinschaft loszureißen von der empirischen Kirche, war der gemeinsame Gedanke aller reformatorischen, aber auch aller schwärmerisch aufgeregten Sekten des Mittelalters. Der Gegensatz zwischen äußerlicher und innerlicher Auffassung des Begriffs der Kirche trat in dem Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus in der Weise hervor, daß nach römisch-katholischer Ansicht die in der sichtbaren, unter dem Papst als ihrem Oberhaupt vereinigten Gemeinschaft der auf ein äußerliches Bekenntnis und auf einen und denselben Gebrauch der Sakramente hin Getauften, also in der empirischen rechtlichen Abgrenzung der Glaubensgemeinschaft, nach protestantischer Ansicht aber vornehmlich in der »Gemeinschaft der Heiligen« (s. d.) besteht, an die, als an die der Erlösung durch Christus entsprechende Gesamtwirkung, man glaubt, die man aber nicht sieht.



Kirche (geschichtliche

Bild 9.749: Kirche (geschichtliche Entwickelung der christlichen K.: 1.-3. Jahrhundert)
* 7 Seite 9.749.

Nach der einen Ansicht gelangt der einzelne durch die Kirche zu Christus, nach der andern durch Christus zur Kirche. Doch lenkt auch die protestantische Dogmatik vom absoluten Idealismus ein, indem sie unsichtbare und sichtbare Kirche unterscheidet und beide im Zusammenhang miteinander hält durch die Lehre von den Merkmalen der wahren Kirche. Als solche gelten, zumal dem Luthertum, reine Lehre und stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung. Da immer wird »Gemeinschaft der Heiligen« stetig erzeugt und die unsichtbare Kirche am meisten gefördert, wo in einer sichtbaren das Wort Gottes unverfälscht gelehrt, die Sakramente einsetzungsgemäß verwaltet werden, d. h. die lutherische Kirche erschien als der verhältnismäßig adäquateste Ausdruck der Idee der Kirche. Die reformierte Lehre unterscheidet sich davon nur durch Ausnahme ethischer Merkmale und disziplinarer Bestimmungen. Gegen die Anknüpfungspunkte, welche dieser protestantische Kirchenbegriff im katholischen fand, bildeten zunächst wieder die Mystiker und Enthusiasten in ähnlicher Weise wie die mittelalterlichen Sekten eine fortwährende Opposition. Anderseits offenbarte allmählich der Protestantismus eine grundsatzmäßig auf Umsetzung des Christentums aus der

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kirchlichen in die weltlichen Form gerichtete Tendenz; die Religion selbst fing an, sich von der Theologie zu emanzipieren, und es fiel der Kirche immer schwerer, ein sicheres und klares Bewußtsein von ihrer Existenz in sich zu tragen. Die Periode der Aufklärung sah geradezu in jeder Selbständigkeit des kirchlichen Lebens dem Staat gegenüber etwas Hierarchisches. Dieser Mangel an allgemein kirchlichem Leben aber bewirkte, daß in den einzelnen der Gemeinschaftstrieb sich um so stärker regte, und so entstanden Kirchlein in der Kirche, z. B. die Brüdergemeinde, während andre, z. B. Swedenborg, an der Gegenwart verzweifelnd, die Kirche eines neuen Jerusalem [* 8] in ihre idealvisionäre Welt hineinbauten.

Die Reaktion des 19. Jahrh. aber belebte sofort auch wieder den Kirchenbegriff in allen christlichen Denominationen, und so hat namentlich auch die neuere protestantische Theologie seit Schleiermacher das Dogma von der Kirche zu bearbeiten und es selbst über die noch unvollkommenen Anfänge im Reformationszeitalter hinauszuführen versucht. Mit der Ausbildung des Dogmas hält auch die Ausbildung des Kirchenrechts und der Kirchenverfassung gleichen Schritt.

II. Geschichtliche Entwickelung der christlichen Kirche.

(Vgl. hierzu die Beilage »Zeittafel der Kirchengeschichte«)

Erste Periode: bis auf Konstantin den Großen.

Eine richtige Würdigung des kirchengeschichtlichen Prozesses setzt vor allem Einsicht in die religionsgeschichtlichen Thatsachen voraus, daß die Wirkungen der schöpferischen Persönlichkeiten, nach welchen die großen Epochen der religiösen Entwickelung benannt zu werden pflegen, nur sehr teilweise zusammenfallen mit dem, was auf ihren Namen hin gethan und gewirkt, gesprochen und gedacht wird. Auch die christliche Kirchengeschichte stellt nichts weniger als geradlinige Entwickelung von Jesus oder von Paulus aus dar, sondern einen der kompliziertesten Prozesse, welche wir kennen.

Die christliche Kirche ist im eminenten Sinn des Wortes »das Ding mit den vielen Ursachen«, davon die Philosophie weiß, und es bedarf einer nicht eben alltäglichen Vorurteilslosigkeit und Unbefangenheit, um jedem der hier mitwirkenden Faktoren das Seine zu geben. Das Evangelium Jesu und die gemeinsame apostolische Verkündigung kommt hier allerdings in erster Linie, darum aber nichts weniger als in einziger Weise in Betracht. Denn mit dieser Predigt vom Reiche Gottes (s. d.) ist noch lange nicht dasjenige gemeint gewesen oder gar ins Leben gerufen worden, was man Kirche nennt. Im Gegenteil war es der Grundirrtum einer dogmatisch bedingten Geschichtsdarstellung und zwar ebenso auf protestantischer wie auf katholischer Seite, daß die Entstehung der Kirche mit der Entstehung des Christentums (s. d.) gegeben gewesen sei.

Die christlichen Gemeinden waren vielmehr ursprünglich lediglich Verbände zu einem heiligen Leben auf Grund einer gemeinsamen Hoffnung und Sehnsucht nach demnächstiger Weltvollendung durch den wiederkehrenden Messias. Von seinen Sprüchen, die zu kühnem Gottvertrauen und alles aufopfernder Bruderliebe mahnten, von seinen Gleichnissen, die das leise Nahen einer göttlichen Lebensordnung, eines »Himmelreichs«, abbildeten, von seinen Weissagungen, welche demselben Reich ein »Kommen mit Macht« noch innerhalb der Lebzeiten der Zuhörer in Aussicht stellten, zehrten diese Gemeinschaften.

Die eigne Produktionskraft aber that sich Genüge und wirkte sich aus in einem kräftig pulsierenden Leben des Enthusiasmus, der Inspiration, der Prophetie, welches sich auch durch die grundsatzmäßige Gebundenheit an die Autorität des Alten Testaments nicht sehr beengt fühlte. Die ersten Christengemeinden waren Gemeinschaften von Inspirierten mit beweglichen, mannigfaltig nüancierten Verfassungsformen, die bald mehr an die jüdischen Synagogenverbände, bald mehr an die griechischen Kultvereine und römischen Kollegien erinnerten. Das Gemeindeleben selbst trug ein hervorstechend sozialistisches, aber durch und durch religiös bedingtes Gepräge; der heidnischen Kulturwelt stand es in Erwartung eines baldigen Weltendes durchaus ablehnend gegenüber.

Erst etwa seit Mitte des 2. Jahrh. sehen wir die zielbewußtern, von praktischen Trieben beseelten und allmählich vom Bewußtsein einer Weltmission durchdrungenen unter diesen Gemeinden im römischen Weltreich allmählich sich zusammenfinden in jener nach außen immer weiter reichenden, nach innen immer fester gefügten Konföderation, welche sich die »Großkirche«, die »allgemeine«, die »katholische Kirche« (s. d.) nannte. In der Mitte des 3. Jahrh. steht dieselbe wesentlich ausgewachsen und fertig vor uns.

Aber wie ganz andre Züge weist das Christentum nunmehr in dieser neuen Gestalt auf, in welcher die ursprüngliche Abgeschlossenheit gegen die Welt, wenn nicht in der Theorie, so doch faktisch bereits aufgegeben war! Was uns hier entgegentritt, das ist ein mit festen, hierarchisch gegliederten Verfassungsformen ausgestattetes Gemeinwesen, eine Kultusanstalt mit Opfer und Priestertum, neben der alttestamentlichen jetzt auch eine neutestamentliche Offenbarungsurkunde, ein nicht bloß von Propheten, sondern auch von Aposteln geschriebener Kanon (s. d.), ein bereits in Taufbekenntnis und Glaubensregel formulierter Glaube, eine eigentliche Theologie (s. d.), und in dem allen ist zumeist griechisch-römischer Geist spürbar, nicht etwa jüdischer.

Palmen

Bild 12.637: Palmen
* 9 Palme.

Der hellenische Geist ist in der Abwandlung, die er damals erfahren hatte, zu allen Poren des neuen Gemeinwesens eingeströmt, der ursprüngliche Enthusiasmus, die aus eigner Fülle schöpfende apokalyptische Begeisterung ist verduftet. Eine Kirche ist geworden, welche nicht mehr lediglich eine Gemeinschaft der Hoffnung und der Zucht, des Glaubens und Liebens, sondern vor allem einen Staat im Staate darstellt, nominell gegründet auf das Evangelium Jesu, thatsächlich eine ganz eigentümliche Organisation religiös empfindender, von gemeinsamen Idealen zehrender Massen, die sich berufen wußten, in der großen Konkurrenz der verschiedensten Religionsweisen, Kulte, Mysterien und Schulen, welche sich um den geistigen Besitz des römisch-griechischen Weltreichs stritten, die Palme [* 9] davonzutragen.

Demnach repräsentierte die »Großkirche« eine hierarchische Heilvermittelungsanstalt für die Massen, und die sittlichen Anforderungen an ihre einzelnen Mitglieder erlitten notwendigerweise eine immer größere Einbuße an Idealität. Aus den Gemeinden des Urchristentums schloß eine Todsünde aus; nur Aspiranten des Himmelreichs kamen in Betracht, nicht Weltbürger, Staatsdiener, Gelehrte, Industrielle, Künstler, Soldaten etc. In der Gemeinschaft der katholischen Kirche dagegen konnte jeder seine Stelle finden, sofern er nur sich gewissen Ordnungen und Regeln unterwarf, gewisse Bekenntnisse anerkannte, gewisse Übungen praktizierte. Individuelle Inspiration, Prophetie auf eigne Hand [* 10] war nunmehr verboten, wie auch Kundgebungen einer allzu unbedingten Hingebung dem Mißtrauen verfielen, ohne daß darum die höchsten Güter des Christentums geradezu unzugänglich geblieben wären. Die Kirche ist das für eine Rolle in

Fortsetzung Kirche: → Seite 9.750 || der Weltgeschichte eingerichtete und insofern das säkularisierte, das mit dem Instinkt der

Im Geographisches Lexikon der SCHWEIZ, 1902



Kaubad - Kirchenœrte

Bild 47.1068: Kaubad - Kirchenœrte
* 11 Seite 47.1068.

Kirche

(Hinter der) (Kt. Bern, Amtsbez. Interlaken, Gem. Grindelwald).

1057 m. 6 Häuser ö. der Kirche;

1,2 km ö. vom Bahnhof Grindelwald.

Alpwirtschaft. Hier stand ehemals das Gemeindehaus von Grindelwald, an dem Platze, wo man 1889 das Schulhaus erstellt hat.

Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910

Kirche.

Das mit dem Christentum fast zu allen german. Völkern (mit Ausnahme der Goten) gekommene Wort Kirche (althochdeutsch chirihhâ, auch chilihhâ; alamann. noch jetzt chilche) scheint ursprünglich aus dem Griechischen (kyriakē [oikía], «Herrenhaus») herübergenommen zu sein, hat aber in jeder Beziehung die Bedeutung des aus dem Griechischen ins Lateinische übergegangenen ecclesia (s. d.; daher ital. chiesa; franz. église; span. iglesia) gewonnen: gottesdienstliches Gebäude, religiöse Gemeinde;

organisierte Gesamtheit der Christenheit überhaupt oder in einem Volke oder Lande;

endlich diese Organisation selbst als Institution betrachtet.

Mit dem Aufkommen der beiden letztern Bedeutungen beginnt die belangreiche Geschichte des dogmatischen Begriffs der Kirche Jesus selbst wollte keine Kirche gründen, sondern nur die Ankunft des «göttlichen Reichs», worunter er das zu einer umfassenden sittlich-religiösen Menschengemeinschaft vergeistigte Messiasreich verstand, und die Bedingungen zum Eintritt in dasselbe verkündigen. Erst der Verfasser des Kolosserbriefs bezeichnet mit dem Worte einen die überirdische und irdische Geisteswelt umfassenden Organismus, der in Christus sein Haupt hat.

Dieser ideale Kirchenbegriff aber wurde alsbald direkt auf die irdische christl. Gesamtheit bezogen, woraus sich der kath. Begriff von Kirche ergab. (S. Katholische Kirche.) Die Kirche wird hier als äußere, von Christus selbst gestiftete, von den Aposteln und ihren Nachfolgern, den Bischöfen, regierte, mit wunderbaren Kräften aus der übersinnlichen Welt, mit dem Schatze der reinen und unfehlbaren Lehrüberlieferung und allerlei richterlichen Befugnissen über ihre Angehörigen ausgestattete Heilsanstalt gefaßt und ist bestimmt, diejenigen, die sich ihren Ordnungen gläubig unterwerfen, aus dem «Reiche der Welt» ins Himmelreich hinüberzuretten. Daher: «außer der Kirche ist kein Heil», womit aber nur den absichtlich der Kirche Fernbleibenden das Heil abgesprochen wird.

Glieder, künstliche

Bild 7.430: Glieder, künstliche
* 12 Glieder.

Diese Idee der «katholischen» Kirche war schon gegen Ende des 2. Jahrh. durch die Streitigkeiten über die echt apostolische Lehrüberlieferung ins Leben gerufen und im wesentlichen abgeschlossen. Das, was die Kirche zusammenhielt, war hiernach nicht der persönliche Glaube oder die subjektive Frömmigkeit ihrer einzelnen Glieder, [* 12] sondern ihre übernatürlich gestifteten Ordnungen, denen die einzelnen unbedingt sich unterwerfen sollten und in diesem Sinne wurde die Kirche Glaubensgegenstand. Im sog. Apostolischen Symbolum (s. d.) heißt es: «Ich glaube an eine heilige katholische (allgemeine);

in dem konstantinopolitanischen: «an eine heilige katholische und apostolische Kirche».

Seine vollkommene Ausbildung hat dieser Kirchenbegriff dann im Mittelalter erhalten. Die Kirche sollte jetzt direkt als die überirdische Ordnung Gottes auf Erden erscheinen, die in Gestalt der hierarchisch organisierten päpstl. Universalmonarchie bestimmt sei, das irdische Menschenleben nach allen seinen Beziehungen hin ebenso zu beherrschen, wie dem Geiste die Herrschaft über das Fleisch gebührt. Aber freilich zeigte sich immer mehr, daß diese irdische Erscheinung der Kirche ihrer Idee sehr wenig entsprach.

Wie die Kirche thatsächlich sich darstellte, war sie eine menschliche Gemeinschaft neben andern, denselben Gesetzen des Werdens und der Entwicklung, dem Irrtume und der Verderbnis gerade so unterworfen wie alles Menschliche überhaupt. Die auf die Kirche übertragenen idealen Prädikate der Einheit, Allgemeinheit (oder Katholicität), Apostolicität und Heiligkeit trafen auf ihre geschichtliche Erscheinung nicht zu, teils wegen ihrer innern Spaltung in mehrere Teilkirchen, teils wegen der immer deutlicher hervorgetretenen Abweichungen von der apostolischen Urgestalt im Laufe der Jahrhunderte, teils und vornehmlich aber wegen des immer greller sich geltend machenden Widerspruchs der eingetretenen Entartung mit dem religiösen Zweck.

So führte die Reformation des 16. Jahrh. zu einer wesentlichen Umgestaltung des bisherigen Kirchenbegriffs. Diese unterschied den religiösen Begriff der Kirche als «Gemeinschaft der Heiligen» aufs schärfste von der Kirche als äußerer, juridisch-polit. Institution. Luther hob an der Kirche eine äußere und eine innere Seite hervor, eine leibliche, äußerliche und eine geistliche, innerliche Christenheit. Letztere ist ihm die durch das Walten des Geistes Gottes in Wort und Sakrament gesammelte Gemeinde der Gläubigen. Demgemäß bestimmte die Augsburgische Konfession (Art. 7) den religiösen Begriff der Kirche als «die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangelii gereicht werden».

Zwingli brachte für den Unterschied jener äußern und innern Kirche den Ausdruck sichtbare und unsichtbare auf; jene ist die Gesamtheit aller Getauften, diese die Gesamtheit aller Gläubigen, was auf reform. Seite durch die Lehre von der Prädestination, wonach die wahrhaft Gläubigen nur Gott bekannt sind, erleichtert wurde. Diese Unterscheidung ward allmählich in der prot. Theologie herrschend. Diese machte daher den subjektiven Glauben der Einzelnen oder ihre persönliche Zugehörigkeit zu Christus als das alleinige Merkmal ihrer Zugehörigkeit zur wahren Kirche geltend, die nunmehr als eine rein geistige, keineswegs an diese oder jene äußere Kirchengestalt, sondern nur überhaupt an das Evangelium von Christus gebundene Gemeinschaft beschrieben wurde.

Ihr gegenüber erschien die sichtbare Kirche als die unvollkommene, menschliche Verwirklichung der wahren unsichtbaren Kirche als eine irrtumsfähige, Verderbnissen aller Art ausgesetzte äußere Gemeinschaft und Institution, in der wahrhaft Gläubige oder Glieder der unsichtbaren und Ungläubige oder «Heuchler» durcheinander gemischt seien. Andererseits fuhr man aber doch fort, die Zugehörigkeit der Einzelnen zur unsichtbaren Kirche von der Zugehörigkeit zur äußern auf Christi Wort und Sakrament gegründeten Gemeinschaft abhängig zu machen; daher der konfessionelle Protestantismus in seinem Kirchenbegriffe ein kath. Element noch bewahrt.

Inzwischen hatte der Rationalismus begonnen, nicht bloß an der geschichtlichen Entwicklung, sondern auch schon an der Entstehung der Kirche die menschliche Seite hervorzuheben. Während er aber gegen die kath. und altprot. Vorstellungen von der Kirche eine vielfach zutreffende Kritik richtete, betrachtete er die Kirche seinerseits nur als eine zu rein moralischen Zwecken gegründete Lehr- und Besserungsanstalt, an der daher alles, was nicht rein moralische Bedeutung hatte, als nur vorübergehend notwendige Zuthat immer mehr zu beseitigen sei. Die Beziehung auf «jene Welt» hielt jedoch auch der Ra-



Kirchenaccente - Kirch

Bild 60.357: Kirchenaccente - Kirchenbann
* 13 Seite 60.357.

Artitel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.

mehr

tionalismus fest, indem er die moralischen Zwecke der Kirche erst im Jenseits wirklich erreicht werden ließ. Dem gegenüber fand Schleiermacher in der Kirche die Gemeinschaft des von dem urbildlichen Christus ausgehenden vollkommenen religiösen Lebens, in welcher die geistigen Wirkungen dieser Lebensmacht das Unsichtbare, die äußere Erscheinung derselben dagegen das Sichtbare seien. Infolgedessen ward es in der neuern Theologie vielfach herkömmlich, im direkten Gegensatze zu den Neulutheranern, welche die Kirche einfach als Gesamtheit der Getauften fassen, die Kirche wieder als Gemeinschaft der Gläubigen, d. h. als Gemeinde zu betrachten, wobei aber Hegels Schule besonders betonte, daß sie keine «Gesellschaft», sondern «Gemeinschaft» sei, d. h. nicht durch zufälliges Zusammentreten gleichgestimmter Individuen, sondern durch die organisierende Macht einer objektiven «Idee», des «Reiches Gottes», begründet sei.

Klarer wird die Sache durch die Unterscheidung eines religiösen und eines ethisch-socialen Kirchenbegriffs. Nach dem erstern ist die Kirche allerdings ein objektiver, geistiger Organismus vermöge des in ihr sich wirksam erweisenden Geistes Christi, d. h. des geschichtlich durch Christus und durch das Evangelium von Christus bestimmten christl. Gemeingeistes, der sich als ein Gemeinschaft stiftendes und Gemeinschaft erhaltendes Princip erweist, das über den einzelnen Personen steht und sie zu einem geistigen Ganzen zusammenhält. Im ethisch-socialen Sinne dagegen ist die Kirche eine sittliche Gemeinschaftsform, wie «das Volk», «die Familie», «der Staat», die sämtlich nicht willkürlich von dem Menschen gemacht sind, sondern vermöge einer dem Menschenwesen innewohnenden allgemeinen Notwendigkeit sich verwirklichen. Im Unterschiede vom Staate als der Organisation des sittlichen Lebens eines bestimmten Volks ist die Kirche die Organisation des religiösen Gesamtlebens, das der Pflege und Fortpflanzung des christl. Glaubens dient.

Nach diesem ihrem allgemeingültigen Zwecke auf keinen bestimmten Staat und auf keine bestimmte Nationalität beschränkt, ist sie doch als äußere gesellschaftliche Organisation auf die jedesmal vorgefundenen Verhältnisse als ihre Existenzbedingungen angewiesen. Als geschichtlich-sittliche Gemeinschaft ist daher die Kirche niemals etwas fertig Vollendetes und unfehlbar Vollkommenes, sondern sie unterliegt dem Gesetze geschichtlicher Entwicklung vom Unvollkommenern zum Vollkommenern, und zwar in allen ihren Lebensbeziehungen und äußern Ordnungen. Die Entstehung einzelner Teilkirchen, wie der römisch-katholischen, der griechisch-orientalischen, der evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformierten, ist durch die innern Gegensätze veranlaßt gewesen, in die das christl.-religiöse Leben geschichtlich auseinanderging.

Was die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche betrifft, so wurde die Kirche anfangs von der Staatsgewalt bald verfolgt, bald nicht beachtet, seit Konstantin d. Gr. aber erst geduldet (Mailänder Edikt) und bald nachher durch Konstantins Nachfolger im «christl. Staate» selbst zur Staatsanstalt erhoben. Wie die äußere kirchliche Ordnung seitdem von der weltlichen Gewalt unter Zuziehung der Bischöfe als geistlicher Obern geregelt wurde, so handhabte man auch die kirchlichen Dogmen als Staatsgesetze. Im Mittelalter bildete sich allmählich ein Übergewicht der geistlichen über die weltliche Gewalt, und die Kirche stellte sich selbst als Universalmonarchie dar, der alle weltliche Staatsordnung nur dienstbar sei, wie dies in der Bulle Unam Sanctam Bonifacius’ VIII. von 1302 am schärfsten und stärksten ausgesprochen ist.

Geschichtskarten von D

Bild 4.772a: Geschichtskarten von Deutschland V
* 14 Deutschland.

Als danach im 16. Jahrh. die polit. Interessen sich von den kirchlichen emancipiert hatten, geriet im Protestantismus die Kirche wieder in strenge Abhängigkeit von der Staatsgewalt, wogegen die katholische Kirche vermöge ihrer festen äußern Organisation sich der staatlichen Eingriffe zu erwehren suchte. In Deutschland [* 14] hat der moderne Staat das Verhältnis zur katholischen Kirche bis jetzt noch nie anders zu gestalten vermocht als im Sinne eines mehr oder minder günstigen modus vivendi. Leichter ist das Verhältnis des Staates zur evangelischen Kirche, die niemals als eine über die staatlichen Grenzen [* 15] hinausgehende jurist.-polit. Organisation existiert hat, zu regeln.