Neutralität | eLexikon | Rechtswissenschaft - Völkerrecht - Friede
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Neutral - Neutralität
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3 Artikel | Textanfang / Anzahl Wörter |
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Neutralität | (neulat.), das Verhältnis desjenigen, welcher an dem Streit andrer nicht teilnimmt; insbesondere / 1065 |
Neutralität _2 | Haltung eines Staates, der nicht an einem Kriege zwischen zwei oder mehreren Mächten teilnehmen / 64 |
Neutralität _3 | das völkerrechtliche Verhältnis derjenigen Staaten, welche an einem ausgebrochenen Kriege / 664 |
Neutralität
2 Seiten, 1'793 Wörter, 13'537 Zeichen
Rechtswissenschaft — Völkerrecht — Friede
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Titel
Elemente zu Neutralität:1) Der Neutrale darf keinen Kriegführenden unterstützen. 2) Der neutrale Staat hat den Kriegführenden sein Gebiet
3) Der neutrale Staat darf den Kriegführenden keine Gelddarlehen machen oder gar Geldunterstützungen
4) Er darf den Kriegführenden keine unmittelbaren Kriegsbedürfnisse zuführen
5) Er hat sich dem rechtmäßig geübten Durchsuchungsrecht
6) Er darf den kriegführenden Mächten auf neutralem Gebiet keine Ausübung des Prisenrechts gestatten
1) Bei Beobachtung ihrer Pflichten können die Neutralen von den Kriegführenden beanspruchen
2) Störungen des Handels und des Verkehrs sind den Neutralen gegenüber möglichst zu vermeiden.
3) Die neutralen Unterthanen gelten
4) Das neutrale Staats- und Privateigentum bleibt unangetastet. Kriegsschiffe und Handelsschiffe
Neutralität
(neulat.), das Verhältnis desjenigen, welcher an dem Streit andrer nicht teilnimmt; insbesondere im völkerrechtlichen Verkehr das Verhältnis eines Staats zu kriegführenden Mächten, vermöge dessen er zu denselben in friedlichen Beziehungen (neutral) verbleibt, ohne sich irgendwie in den Krieg einzumischen. An und für sich liegt es in der freien Entschließung eines jeden selbständigen Staatswesens, ob dasselbe in einen Krieg mit eintreten oder ob es sich in demselben neutral verhalten will.
Allerdings können Schutz- und Trutzbündnisse vorliegen, welche einer Staatsregierung die Teilnahme an einem Krieg zur Pflicht und somit die Einhaltung der Neutralität unmöglich machen; anderseits kann sich ein Staat vor Ausbruch des Kriegs dem einen Teil oder auch beiden kriegführenden Mächten gegenüber ausdrücklich zur Neutralität verpflichtet haben, und endlich sind manche Staaten durch völkerrechtliche Abmachungen dauernd für neutral erklärt. Die Völkerrechtslehre kennt verschiedene Einteilungen der Neutralität. So wird zwischen allgemeiner oder natürlicher (Neutralité naturelle) einerseits und besonderer oder vertragsmäßiger (Neutralität conventionelle) anderseits unterschieden, je nachdem die Neutralität auf natürlicher oder vertragsmäßiger Grundlage beruht.
Man unterscheidet ferner zwischen allgemeiner und partieller (teilweiser) Neutralität, welch letztere nur für gewisse Gebietsteile oder Gegenstände Platz greift, zwischen vollkommener und unvollkommener, bedingter und unbedingter, beschränkter und unbeschränkter Neutralität Gegenstandslos ist dagegen die übliche Einteilung in bewaffnete und unbewaffnete Neutralität, da einem jeden Staate das Recht der Bewaffnung zusteht. Indessen ist der Ausdruck bewaffnete Neutralität von historischer Wichtigkeit, indem wiederholt verschiedene Mächte ihre Neutralität ausdrücklich für eine bewaffnete erklärten, um damit ihre Absicht kundzugeben, dieselbe nötigen Falls mit Waffengewalt zu schützen und so unter Umständen selbst zur Kriegführung überzugehen.
Preußen
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* 2
Preußen.Bekannt ist in dieser Hinsicht die bewaffnete Neutralität von 1780, zu welcher sich Rußland, Preußen, [* 2] Dänemark, [* 3] Schweden [* 4] und Portugal [* 5] in dem nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg England gegenüber vereinigt hatten. Eine dauernde Neutralität ist für manche Staaten dadurch herbeigeführt, daß dieselben ausdrücklich für neutral erklärt sind (Neutralisation). Für den neutralisierte Staat erwächst hierdurch die Verpflichtung eines friedlichen, an keinem Streit andrer Staaten sich mittelbar oder unmittelbar beteiligenden Verhaltens. In diesem Sinn ist der Schweiz [* 6] durch die Pariser Akte der Alliierten vom 20. Nov. 1815 die Neutralität (Neutralité perpétuelle et inviolabilité de son territoire) gewährleistet, ebenso Belgien [* 7] (Londoner Vertrag vom 15. Nov. 1831, Art. 7), den Ionischen Inseln bei ihrer Vereinigung mit Griechenland [* 8] (Vertrag vom 14. Nov. 1863), Luxemburg (Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867) und dem Congostaat (Berliner [* 9] Akte vom 26. Febr. 1885, § 3). Das moderne Völkerrecht kennt aber auch eine teilweise (partielle) Neutralisation. In dieser Hinsicht ist namentlich die Genfer Konvention (s. d.) vom 22. Aug. 1864 nebst Zusatzartikeln vom 20. Okt. 1868 von Wichtigkeit, welche nicht nur die Ambulanzen und Militärspitäler neutralisiert, sondern auch dem Personal der Spitäler und Ambulanzen für die Aufsicht und für den Gesundheits-, Verwaltungs- und Krankentransportdienst sowie den Feldpredigern, solange sie ihren Verrichtungen obliegen und Verwundete aufzuheben oder zu verpflegen sind, Teil »an der Wohlthat der Neutralität« gewährt. Auch Evakuationen und das sie leitende Personal werden durch »unbedingte Neutralität« gedeckt; Landesbewohner, welche Verwundeten zu Hilfe kommen, sollen geschont werden, und den Ambulanzen soll ihr Material verbleiben. Dagegen sind die Anregungen, welche zur Neutralisation von submarinen Telegraphenkabeln gegeben wurden, bisher ohne Erfolg gewesen; hingegen ist der Suezkanal neutralisiert.
1) Der Neutrale darf keinen Kriegführenden unterstützen.
Neutralsalze - Neuwede
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* 10
Seite 12.106.2) Der neutrale Staat hat den Kriegführenden sein Gebiet zum Zweck der Kriegführung zu verschließen. Das in neutrales Gebiet vertriebene feindliche Kriegsschiff muß abrüsten und darf nicht auf den Kriegsschauplatz zurückkehren. Truppen der kriegführenden Mächte, welche auf neutrales Gebiet übertreten, sind zu entwaffnen. Es gilt als eine Verletzung der Neutralität, wenn die Ausrüstung von Kriegsschiffen in neutralen Häfen gestattet wird. Truppen der Kriegführenden dürfen nicht durch neutrales Gebiet hindurchmarschieren. Truppen für eine kriegführende Macht dürfen auf neutralem Gebiet nicht angeworben werden. Jede ¶
mehr
Verletzung der Neutralität in dieser Hinsicht verpflichtet zur Genugthuung, wie dies durch das Genfer Schiedsgericht in der Alabamafrage (s. d.) ausgesprochen wurde.
3) Der neutrale Staat darf den Kriegführenden keine Gelddarlehen machen oder gar Geldunterstützungen (Subsidien) gewähren.
4) Er darf den Kriegführenden keine unmittelbaren Kriegsbedürfnisse zuführen (s. Konterbande).
5) Er hat sich dem rechtmäßig geübten Durchsuchungsrecht (s. d.) zu unterwerfen und muß eine effektive Blockade (s. d.) respektieren.
6) Er darf den kriegführenden Mächten auf neutralem Gebiet keine Ausübung des Prisenrechts gestatten (s. Prise).
1) Bei Beobachtung ihrer Pflichten können die Neutralen von den Kriegführenden beanspruchen, daß diese die Neutralität der erstern und insbesondere das Gebiet des neutralen Staats als solches achten. Sie dürfen daher keine Truppen aus demselben anwerben, in neutralen Gewässern keine Prise und auf neutralem Gebiet keine Beute machen; überhaupt dürfen sie das Gebiet des neutralen Staats in die kriegerische Operation in keiner Weise mit hineinziehen.
2) Störungen des Handels und des Verkehrs sind den Neutralen gegenüber möglichst zu vermeiden.
3) Die neutralen Unterthanen gelten, solange sie sich nicht an den Feindseligkeiten beteiligen, als unverletzlich. Die durch besondere Abmachungen einzelnen Personen und gewissen Kategorien von Personen gewährte Neutralität, insbesondere nach Maßgabe der Genfer Konvention (s. oben), ist zu respektieren, auch wenn dieselben Angehörige der kriegführenden Macht sind, und selbst wenn sie zu der mobilen Armee mit gehören.
4) Das neutrale Staats- und Privateigentum bleibt unangetastet. Kriegsschiffe und Handelsschiffe, welche unter dem Geleit (Konvoi) von neutralen Kriegsschiffen segeln, sind dem Durchsuchungsrecht nicht unterworfen. Nach dem Grundsatz »Frei Schiff, [* 11] frei Gut« deckt die neutrale Flagge auch feindliches Gut mit Ausnahme der Kriegskonterbande. Auf feindlichen Schiffen ist neutrales Gut gleichfalls zu respektieren (»Unfrei Schiff, frei Gut«).
Verletzungen der Neutralität durch die Neutralen haben die Nichtanerkennung ihrer Neutralität durch die Kriegführenden zur Folge. Sie berechtigen dieselben zu Repressalien und können zur Kriegserklärung, jedenfalls aber zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen führen. Insbesondere treten bei Verletzung der Blockade, Zuführung von Kriegskonterbande, Beförderung feindlicher Mannschaften oder bei sonstigem Transportdienst für die Kriegführenden Beschlagnahme und Wegnahme von Schiff und Ladung ein (s. Prise).
Auf der andern Seite sind die Neutralen bei Verletzung ihrer Neutralität durch die Kriegführenden durch ihre Neutralität nicht so weit gebunden, daß sie nicht auch ihrerseits zu Repressalien und nötigen Falls selbst zur kriegerischen Selbsthilfe schreiten könnten.
Vgl. außer den Lehrbüchern des Völkerrechts (Heffter, Holtzendorff, Bulmerincq u. a.) Geßner, Das Recht des neutralen Seehandels (Brem. 1855);
Derselbe, Droit des neutres sur mer (2. Aufl., Berl. 1876);
Hautefeuille, Des droits et des de voirs des nations neutres (3. Aufl., Par. 1869, 3 Bde.);
Schiattarella, Diritto della neutralità (2. Aufl., Flor. 1881);
di Marco, La neutralità nelle guerre marittime (Palermo [* 12] 1882);
den Beer Poortugael, Oorlogsrecht te land en ter zee, rechten en plichten der neutralen (2. Aufl., Breda 1882);
Bergbohm, Die bewaffnete Neutralität 1780-83 (Berl. 1884).
Im Das Lexikon des Zeitungslesers, 1951
Nazimuddin - Notenbank
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* 13
Seite 48.43.Neutralität.
Haltung eines Staates, der nicht an einem Kriege zwischen zwei oder mehreren Mächten teilnehmen will. Rechte: Belieferung der Kriegführenden mit kriegswichtigen Gütern, Internierung von Truppen der Kriegführenden bei Grenzübertritt usw.;
dem steht das Verbot gegenüber, auf neutralem Boden Truppen anzuwerben. Gewöhnlich bezieht sich Neutralität nur auf einen bestimmten Krieg;
dagegen ist die schweizerische Neutralität besonderer Natur, indem sie prinzipiell alle kriegerischen Verwicklungen ablehnt.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Neutralität,
Grenzen der Hörbarkeit
![Bild 58.307: Grenzen der Hörbarkeit - Grenzfälschung [unkorrigiert] Bild 58.307: Grenzen der Hörbarkeit - Grenzfälschung [unkorrigiert]](http://peter-hug.ch/meyers/thumb/58/58_0307.jpeg)
* 14
Grenzen.das völkerrechtliche Verhältnis derjenigen Staaten, welche an einem ausgebrochenen Kriege auf keiner von beiden Seiten teilnehmen (lat. qui neutrarum partium sunt, daher Neutrale), zu den kriegführenden. Im heutigen Europäischen Völkerrecht (s. d.) bedeutet die Neutralität die Fortdauer der friedlichen Staatengemeinschaft auch während des unter einzelnen Staaten geführten Krieges (s. d.) als eines Ausnahmezustandes, deren Bestrebungen daher notwendig dahin gerichtet sind, den unvermeidlich gewordenen Krieg zu lokalisieren, d. h. in möglichst enge örtliche Grenzen [* 14] zu schließen.
Diesem Zweck entsprechend sind im heutigen Völkerrecht die Pflichten der Neutralität mit einer Schärfe ausgeprägt, welche für die ältere, unklare Vorstellung einer unvollkommenen oder beschränkten Neutralität keinen Raum mehr läßt. Insbesondere sind mit der Pflicht des Neutralen, nicht zu gestatten, daß einer der Kriegführenden das neutrale Gebiet zum Schauplatz, Ausgangs- oder Stützpunkt von Operationen gegen den andern Teil mache, die sog. Staatsservituten (s. d.) eines Besatzungs- oder Durchzugsrechts auf neutralem Boden schlechthin unvereinbar. Es kann dem Kriegführenden nicht verwehrt sein, den von seinem Feinde besetzten Platz anzugreifen und dem Anrücken feindlicher Streitkräfte über neutralen Boden auf diesem zuvorzukommen, und er macht sich damit zu seinem Teile keines Neutralitätsbruches schuldig.
Geschichtskarten von D
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* 15
Deutschland.Auch das umgekehrte Verhältnis der sog. Neutralisierung einzelner Gebietsteile für den Fall, daß sich der Territorialstaat im Kriegszustande befinden werde, wie es der Wiener Kongreß für den an die Schweiz grenzenden Teil von Savoyen vorgesehen hat, wird sich in Wirklichkeit ohne fortdauerndes Einverständnis aller beteiligten Kriegführenden und Neutralen kaum durchführen lassen. Daß die weitere Pflicht der Neutralität, keinem der Kriegführenden Angriffs- oder Verteidigungsmittel zuzuführen, nach dem geltenden Völkerrechte die Unterthanen des neutralen Staates nicht bindet, hat allerdings England in der Auseinandersetzung mit Deutschland [* 15] während des Krieges von 1870 durch gefochten.
Der Kriegführende ist gegen solche Unterstützung seines Gegners auf den Selbstschutz angewiesen, den im Seekriege die Behandlung der Konterbande (s. d.) ausreichend ermöglicht, während im Landkriege, wie jenes Beispiel zeigt, auch eine große militär. Überlegenheit sich in dieser Richtung unzulänglich erweisen kann. Die Neutralität liegt, wie der Eintritt in den Krieg an sich, in der freien Entschließung jedes völkerrechtlich selbständigen Staates, kann jedoch für einen voraus-
gesehenen Fall vertragsmäßig zugesichert werden. Die von den sog. neutralisierten Staaten (Schweiz, Belgien, Luxemburg) ein für allemal übernommene Verpflichtung, in jedem Kriege neutral zu bleiben, wird mit der völkerrechtlichen Selbständigkeit dieser Staaten nur dadurch vereinbar, daß sie nicht einem Staate, sondern allen Großmächten gegenüber eingegangen worden, und daß sie unter denselben Voraussetzungen wie jeder völkerrechtliche Vertrag als kündbar anzusehen ist.
Sedan (Schlacht)
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* 16
Sedan.Wie hart gerade auf diesen Staaten die Pflicht der Neutralität lastet, hat sich erst im Deutsch-Französischen Kriege von 1870 bis 1871 gezeigt. Um die Zeit der Schlacht von Sedan [* 16] schwebte Belgien, welches keine Veranstaltung getroffen hatte, um Truppenteile der Kriegführenden vom Überschreiten seiner Grenzen abzuhalten oder nach erfolgtem Übertritt zu entwaffnen und zu internieren, in der Gefahr, daß die etwa übergetretenen franz. Heeresteile von deutschen Truppen auf belg. Gebiet würden verfolgt werden, wozu die Anweisung mit vollem Grunde schon gegeben war.
Vereinigte Staaten von
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* 17
Vereinigten.Und nach der Niederlage der Armee Bourbakis im Jan. 1871 bedürfte die Schweiz eines beträchtlichen Truppenaufgebots, um das in ihr Gebiet sich zurückziehende Heer zu entwaffnen und zu internieren. Der Ausdruck neutralisieren ist übrigens im Pariser Vertrage vom 30. März 1856 auf das Schwarze Meer in dem Sinne angewendet worden, daß die Uferstaaten daselbst keine Kriegsflotte unterhalten durften, welche Beschränkung durch den Londoner Vertrag vom 13. März 1871 aufgehoben wurde; ferner in mehrern Vereinbarungen auf die Werke und Anlagen der Donauschiffahrt und der Kongokommission (s. Kongokonferenz) und in der Genfer Konvention (s. d.) auf die Lazarette und das Sanitätspersonal der Kriegführenden, dort in dem Sinne, daß die Anlagen nicht zum Stützpunkt militär. Operationen gemacht und damit einem Angriff ausgesetzt werden dürfen, hier in der Bedeutung, daß jede feindselige Behandlung der zur Pflege der Verwundeten bestimmten Anstalten und Personen ausgeschlossen ist. Die Pflichten der Neutralität im Seekriege haben eine scharfe Fassung erhalten in den drei Regeln des zwischen England und den Vereinigten Staaten [* 17] 8. Mai 1871 geschlossenen Vertrags über die Regelung der sog. Alabamafrage (s. d.) durch das Genfer Schiedsgericht, über die entsprechenden Rechte der Neutralen s. Seekriegsrecht und Seebeute.