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Absperrung | eLexikon | Rechtswissenschaft - Verwaltung - 3) Polizei

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Abspänen - Abspliß und

Bild 1.63: Abspänen - Abspliß und Absprünge
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Absperrungdie Verhinderung des freien Verkehrs zwischen einem an sich zugänglichen Ort und den übrigen / 584
Absperrung _2In früherer Zeit wurde es als ein selbstverständliches Recht jedes souveränen Staates betrachtet, / 523

Seite 1.63

Absperrung

1'107 Wörter, 7'858 Zeichen

Rechtswissenschaft — Verwaltung — 3) Polizei

Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888

Absperrung,

die Verhinderung des freien Verkehrs zwischen einem an sich zugänglichen Ort und den übrigen Ortschaften des betreffenden Staats oder Distrikts. Am häufigsten tritt sie ein bei ansteckenden Krankheiten sowohl der Menschen als der Tiere. Sie erstreckt sich alsdann entweder auf ganze Länder, Gegenden, Ortschaften oder nur auf einzelne Häuser und Familien, je nach der Verschiedenheit der Krankheit und der Intensität ihres Ansteckungsvermögens. So z. B. kann eine unbedingte und vollkommene Absperrung bei der Rinderpest notwendig werden.

Karte zur Geschichte d

Bild 15.924a: Karte zur Geschichte der europäischen Türkei
* 2 Türkei.

Dagegen tritt eine bedingte Sperre bei Cholera, Pocken etc. ein. Man unterwirft die Menschen und andre Gegenstände einer Quarantäne oder Kontumaz, d. h. man sperrt sie so lange ab, bis man durch dazu geeignete Mittel den Ansteckungsstoff zerstört hat. Permanente Absperrung ganzer Länder fand z. B. bei der Pest statt zwischen der Türkei [* 2] und den österreichisch-ungarischen Staaten, jedoch gleichfalls nur auf die oben angegebene bedingte Weise; Absperrung einzelner Häuser und Familien bei den Pocken, bei Syphilis etc. Die Krankheiten, welche die Absperrung vorzugsweise nötig machen, sind: Pest, gelbes Fieber, Typhus, Pocken, Syphilis, Wutkrankheit;

bei Tieren: Rinderpest, Tollwut, Lungenseuche des Rindviehs, Milzbrand, Rotz, Schafpocken.

Geschichtskarten von D

Bild 4.772a: Geschichtskarten von Deutschland V
* 4 Deutschland.

Bei jeder Absperrung muß eine doppelte Rücksicht genommen werden; auf der einen Seite darf sich die Verhinderung des Verkehrs nicht unnötig ausdehnen, auf der andern muß Sorge getragen werden, daß die einmal für nötig befundenem auch wirklich vollständig durchgeführt werde. Kein Gegenstand ist zu unbedeutend zur Beachtung, keinen Augenblick darf die Aufsicht nachlassen. Die Provence ist 1721 durch ein einziges Stück Seidenband, Serbien [* 3] 1795 durch einen Weiberrock der Pest überliefert worden. Es ist also die Veranstaltung zu treffen, daß teils nie und nirgends eine unbemerkte Verbindung stattfinden kann, teils der Versuch einer gewaltsamen Verletzung der Sperre an den überlegenen Mitteln der Bewachung scheitern muß. In Deutschland [* 4] hat die in neuerer Zeit wiederholt aufgetretene Rinderpest die Absperrung gewisser Gegenden veranlaßt, und ein infolge davon ergangenes norddeutsches Bundesgesetz, jetzt Reichsgesetz, vom 7. April 1869, Maßregeln gegen die Rinderpest betreffend, nebst Instruktion vom 26. Mai 1869 hat namentlich über die dabei vorzunehmende Absperrung ausführliche Vorschriften gegeben.

Dazu kommt das Reichsgesetz vom 23. Juni 1880, betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen, welches genau vorschreibt, wann und bei welchen Viehseuchen die Absperrung des Stalles oder sonstigen Standorts seuchenkranker oder verdächtiger Tiere, des Gehöfts, des Orts, der Weide [* 5] oder der Feldmark gegen den Verkehr mit Tieren und mit solchen Gegenständen, welche Träger [* 6] des Ansteckungsstoffs sein können, Platz greifen soll. Auch können Schlachtviehhöfe oder öffentliche Schlachthäuser für die Dauer der Seuchengefahr gegen den Abtrieb der für die Seuche empfänglichen Tiere abgesperrt werden.

Grenzen der Hörbarkeit

Bild 58.307: Grenzen der Hörbarkeit - Grenzfälschung [unkorrigiert]
* 7 Grenzen.

Das deutsche Reichsstrafgesetzbuch (§§ 327 f.) aber bedroht die wissentliche Verletzung der von der zuständigen Behörde getroffenen Absperrungsmaßregeln zum Zweck der Verhütung des Einführens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit oder einer Viehseuche mit Gefängnisstrafen. Völkerrechtlich gestattet zwar jeder Staat unverdächtigen Fremden den Eintritt in seine Grenzen [* 7] und den Aufenthalt innerhalb derselben, ebenso ist, allerdings unter Beobachtung der Zoll- und Handelsgesetze, Verkehr mit Gütern aus fremden Ländern und in dieselben gestattet; allein anderseits ist nicht nur die Zulassung Fremder und ihrer Waren Sache des freien Willens eines jeden Staats, sondern in einzelnen Fällen wird auch die Absperrung vom Völkerrecht gebilligt. Im Krieg namentlich wird jeder Verkehr zwischen feindlichen Völkern aufgehoben, teils damit dem Feind nicht so leicht Nachrichten zukommen können, teils um demselben nicht unmittelbaren Vorschub durch Fortsetzung des Handels zu leisten. Den ausgedehntesten Gebrauch von dem Rechte der Absperrung hat in alten Zeiten Ägypten, [* 8] dann China, [* 9] Japan und in neuerer Zeit Paraguay [* 10] unter Francia gemacht. Über die aus Rücksicht auf den eignen Handel und die eigne Industrie angeordnete Absperrung vgl. Prohibitivsystem.

Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910

Absperrung.

In früherer Zeit wurde es als ein selbstverständliches Recht jedes souveränen Staates betrachtet, zur Verfolgung von Staatszwecken sein Gebiet allen fremden Personen und Gütern zu verschließen, oder denselben den Eingang nur unter ihm genehmen Bedingungen zu verstatten. Von diesem Rechte ist teilweise bis in neuere Zeiten Gebrauch gemacht worden, bald aus polit. oder religiösen Gründen (so in den alten theokratischen Staaten der Ägypter, der Juden, der Hindu, in China, in neuerer Zeit in Paraguay unter der Regierung des Diktators Francia), bald aus Rücksichten auf die eigene Industrie.

Jetzt kommt eine vollständige Absperrung nur in Ausnahmefällen, z. B. bei Kriegen, ansteckenden Krankheiten u. s. w., vor. In sanitätspolizeilicher Hinsicht ist die Absperrung eine höchst wichtige Maßregel der sog. Prophylaxe, d. h. der Bemühung, Krankheiten zu verhüten. Sie besteht in der teilweisen oder völligen Verhinderung des Verkehrs mit Orten, an denen eine ansteckende Krankheit herrscht, sei es, daß dieselbe nur einzelne Individuen befallen oder sich über eine Ortschaft oder ein ganzes Land verbreitet hat.

Deutsche Altertümer -

Bild 54.996: Deutsche Altertümer - Deutsche Buchdrucker-Berufsgenossenschaft
* 11 Deutsche.

Die Absperrung hat sich, nach der Art der Krankheit, nicht bloß auf Menschen und Tiere, sondern auf alles zu beziehen, was Träger des Ansteckungsstoffs sein kann, wie z. B. die Felle der an gewissen Viehseuchen gefallenen Tiere. Als eine Maßregel der Sanitätspolizei ist die Absperrung jedoch nur bei einigen wenigen Krankheiten von entschiedenem Nutzen, und zwar im kleinen bei Pocken und Wasserscheu, im großen bei Pest und gewissen Viehseuchen (Reichsgesetz, betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen, vom 1. Mai 1894), namentlich bei der Rinderpest, gegen welche das 1871 auf das ganze Deutsche Reich [* 11] ausgedehnte norddeutsche Bundesgesetz vom 7. April 1809 nebst Instruktion vom 20. Mai 1869 Maßregeln trifft.

Das Deutsche Strafgesetzbuch bedroht in §. 327 die wissentliche Verletzung der Absperrungsmaßregeln zur Verhütung des Einführens einer ansteckenden Krankheit mit Gefängnis bis zu zwei Jahren, in §. 328 beziehentlich der Viehseuche mit Gefängnis bis zu einem Jahre. Von der Absperrung bei Typhus und Cholera ist man fast ganz zurückgekommen, und es wäre dieselbe höchstens in außerordentlichen Fällen anzuraten. Denn durch die Hemmung des Verkehrs wird den Erkrankten leicht auch die Zufuhr reichlicher und frischer Nahrungsmittel [* 12] u. s. w. abgeschnitten, der Erwerb der Gesunden beeinträchtigt und das allgemeine Elend nur gefördert. (S. Ansteckung.)

Wenn eine Ortschaft oder auch nur eine Straße oder ein Gebäude wegen einer Krankheit, welche dort herrscht, abgesperrt sind, so gewährt das geltende Recht eine erleichterte Form für die Errichtung letztwilliger Verfügungen. Das Gemeine Recht stellt die Voraussetzung nicht gerade auf die Absperrung, wenn es für das Testament tempore pestis Formerleichterungen gewährt, und ihm folgen das Sächs. Bürgerl. Gesetzb. §. 2113, sowie das Österr. Bürgerl. Gesetzb. §. 597, wohl aber stellen schon das Bayrische Landr.

III, 4, §. 6, das Preuß. Allg. Landr. I, 12, §§. 198-204, der Code civil Art. 985-987, und zahlreiche andere, insbesondere wegen der Cholera erlassene Gesetze das Erfordernis der Absperrung auf. Der Grund dafür liegt offenbar darin, daß die Beschränkung des Verkehrs es dem Erblasser nicht unmöglich machen soll, für den Fall seines Todes letztwillig zu verfügen. Dies tritt um so deutlicher hervor, als die Wirksamkeit solcher letztwilligen Verfügungen regelmäßig an kurze Fristen gebunden ist. Der Deutsche Entwurf hat im §. 1927 (Motive V, 283 fg.) einen Ersatz zu geben versucht.