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Atschin | eLexikon | Geschichte - Asien - Vorder- u. Hinterindien

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Atropin - Atschin

Bild 2.25: Atropin - Atschin
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Atschin(Atjin, Atjeh, engl. Acheen), ein bis 1873 selbständiges Reich, jetzt niederländisches Gouvernemen / 796
Atschin _2Atchin, richtiger Atjeh und Atjih, im Englischen Acheen, bis 1873 selbständiger Malaienstaat, / 918

Seite 2.25

Atschin

1'714 Wörter, 11'938 Zeichen

Geschichte — Asien — Vorder- u. Hinterindien

Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888

Atschin

(Atjin, Atjeh, engl. Acheen), ein bis 1873 selbständiges Reich, jetzt niederländisches Gouvernement auf der Insel Sumatra, 51,040 qkm (928 QM.) groß, umfaßt die nordwestliche Spitze derselben und wird von dem ganz Sumatra in eine östliche und eine westliche Hälfte teilenden Kettengebirge durchzogen, das hier unter 4° 17' nördl. Br. im Abong-Abong (wahrscheinlich Vulkan) zu 3350 m Höhe ansteigt (s. Karte »Hinterindien«). [* 3] Daneben enthält das Land ansehnliche Strecken wellenförmigen oder ganz flachen, tief gelegenen Bodens, der von zahlreichen schmalen und wenig tiefen Küstenflüssen bewässert wird und sich besonders für Reisbau sowie Baumzucht und Gartenbau eignet.

Bevölkerungsstatistisc

Bild 2.851a: Bevölkerungsstatistische Karten
* 4 Bevölkerung.

Flora wie Fauna stimmen im übrigen mit denen von Sumatra überein; eine besondere Rolle unter den Bodenerzeugnissen spielen Pfeffer und Arekanüsse. Die Bevölkerung [* 4] ward 1882 auf 479,419 Seelen berechnet, worunter 474,300 Eingeborne, 196 Europäer, 3165 Chinesen, 547 Araber u. a. Die einheimische Bevölkerung ist nach dem Äußern, Kleidertracht, Charakter und Sitten von den übrigen Bewohnern Sumatras deutlich unterschieden. Von mittlerer Größe und dunkler als jene, sind sie auch thätiger und betriebsamer, gute Seeleute und militärisch geschulte Krieger, doch auch wegen ihres schlechten Charakters verrufen, sittenlos, rach- und mordsüchtig und leidenschaftliche Opiumraucher.

Ihre ethnologische Stellung ist noch nicht sicher bestimmt; die Sprache [* 5] gehört (nach van den Berg) der polynesischen Familie an. Die Schriftzeichen sind malaiisch. Außer mit Landbau und Viehzucht [* 6] beschäftigt sich die Bevölkerung auch mit Industrie (Weberei, [* 7] Bearbeiten von Gold, [* 8] Silber, Eisen, [* 9] Fischerei) [* 10] und Handel. Seit 1881 wird das Gouvernement Atschin eingeteilt in Groß-Atjeh (die nordwestliche Spitze) mit dem Hauptort Kota Radja, Nord- und Ostküste mit dem Hauptort Tilok Semawe und Westküste mit dem Hauptort Malaboeh.

Holywood - Holz

Bild 8.668: Holywood - Holz
* 11 Holz.

Die beiden letzten Abteilungen bestehen nur aus Niederlassungen an der Küste. Hauptstadt des Gouvernements ist Kota Radja oder Atschin, das im nordwestlichen Ausläufer des Landes an dem für Boote befahrbaren Atschinfluß, 7 km von seinem Hafen Oleh-leh, liegt, mit dem es seit 1876 durch Eisenbahn verbunden ist. Diese Eisenbahn soll weiter ins Innere geführt werden. Die ehemals große und blühende Stadt wurde während des Kriegs (s. unten) fast ganz zerstört, aber wieder aufgebaut und zwar fast durchweg aus Holz; [* 11] sie ist Sitz des Gouverneurs, hat eine Besatzung (in dem alten Kraton, der Citadelle der Atschinesen) von 2000 Mann, schöne, von der holländischen Regierung erbaute Moschee u. a. Auch der Handel ist wieder aufgeblüht. Östlich von Atschin liegt die sogen. Pedirküste mit der Stadt Pedir, die einen bedeutenden Handel mit Arekanüssen treibt. - Zu Anfang des 17. Jahrh., als das Reich Atschin auf der Höhe seiner Macht stand, erstreckte sich sein Gebiet längs der Westküste Sumatras bis an Benkulen und längs der Ostküste bis Kampar, während ein Teil der angrenzenden Binnenländer sowie ein großes Gebiet der Halbinsel Malakka seine Oberherrschaft anerkannten und ihm Tribut zahlten.

Innere Unruhen führten später eine Trennung der Provinzen herbei. Durch den Londoner Vertrag vom 17. März 1824, welcher die Beziehungen der Engländer und Holländer zu Ostindien [* 12] regelte, wurde Sumatra den Holländern allein überlassen, dabei aber die Souveränität des Reichs Atschin gewährleistet mit der Bedingung, daß britischen Schiffen und Unterthanen der freie Aufenthalt in den Häfen von Atschin gestattet und vom Sultan Sicherheit gegen den herrschenden See- und Menschenraub garantiert werde.

Holland erneuerte noch 1857 einen Freundschafts- und Handelsvertrag mit dem Sultan zu dem gleichen Zweck und ging endlich 1870 England gegenüber die Verpflichtung ein, den Briten in jenen Gegenden die nämliche Sicherheit zu gewährleisten wie den eignen Staatsangehörigen, erlangte aber gegen Abtretung seiner Besitzungen in Guinea das Recht, gegen Atschin nach Gutdünken zu verfahren. Als daher trotz aller Verträge der Sultan sich mehrmals des Menschen- und Seeraubs schuldig machte, während er mit dem holländischen Generalgouverneur unterhandelte, fremde Mächte in die Sache zu verwickeln suchte und energische Rüstungen [* 13] veranstaltete, über welche er keine genügenden Aufklärungen gab, erklärte ihm der Generalgouverneur 25. März 1873 den Krieg und eröffnete denselben sofort, mußte aber infolge erlittener Verluste und insbesondere wegen der Heftigkeit des Monsuns, dessen Wüten die Verbindung zwischen dem Land und den Schiffen mehrere Wochen lang unterbrach, seine Truppen zurückziehen.



Atschinsk - Attalos

Bild 2.26: Atschinsk - Attalos
* 15 Seite 2.26.

Erst im Dezember langte General van Swieten mit einem stärkern Expeditionskorps von 12,000 Mann vor Atschin an. Die Landung wurde unter dem Feuer der holländischen Marine glücklich bewerkstelligt, Cattaperale, unterhalb der Festung [* 14] Nwesapi, mit geringen Verlusten eingenommen, nach dem obern Lauf des Atschinflusses vorgerückt, die Linie desselben und die festen Werke auf beiden Flußufern besetzt und der befestigte Palast (Kraton) des Sultans eingeschlossen. Derselbe wurde 24. Jan. 1874 erstürmt. Doch war die

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Behauptung des eroberten Landes wegen der verheerenden Krankheiten mit großen Schwierigkeiten und Verlusten verknüpft. Erst 1879 gelang dem General van der Heyden die völlige Unterwerfung des Landes, das nun einem Zivilgouverneur unterstellt wurde.

Vgl.   Veth, Atchin en zijne betrekkingen tot Nederland (Leiden [* 16] 1873);

Gerlach, Atjih en de Atjinezen (Arnh. 1873);

Melantjong, Atjeh à vol d'oiseau (Leid. 1880);

Kielstra, Beschrijving van den Atjehoorlog (2. Aufl., Haag [* 17] 1884);

»Die holländischen Expeditionen gegen Atschin« (Leipz. 1875).

Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910

Atschin,

Atchin, richtiger Atjeh und Atjih, im Englischen Acheen, bis 1873 selbständiger Malaienstaat, jetzt Gouvernement des niederländ. Ostindiens, nimmt mit etwa 53000 qkm den nördlichsten Teil der hinterind. Insel Sumatra ein und reicht von dem nördlichsten Vorgebirge derselben, der Atjehspitze (engl. Acheen head), im W. bis zu 2° 53', im O. nur bis 4° 25' nördl. Br. Atschin besteht aus einer westl. und einer östl. Hälfte; erstere nimmt das Küstengebirge ein, welches sich an der südöstl.

Seite der Insel entlang zieht und in dem sich hier unter 4° 17' nördl. Br. der Berg Abong bis zu 3139 m erhebt; der O. dagegen enthält bedeutende Strecken mehr wellenförmigen und selbst ganz flachen, niedrig gelegenen, für Gartenbau und Baumzucht sowie für Reisbau geeigneten Landes, die Fortsetzung der Alluvialebene Ostsumatras. Besonders wichtig ist die Pfefferkultur mit bedeutender Ausfuhr. Es giebt viele Küstenflüsse, die aber schmal, flach und nur mit leichten Prahmen auf kurze Strecken befahrbar sind. Über Fauna und Flora s. Sumatra; häufig kommt die Pfefferranke vor. Die Bevölkerung der Provinz wird auf 445.000 Seelen geschätzt, darunter 242 Europäer. Die Hauptstadt Atschin oder Kota Radscha, 7 km vom Meere, ist fast ganz neu und schön aufgebaut und von Festungswerken eingeschlossen, die durch eine Militärbahn verbunden sind. Seit der niederländ. Besetzung blüht der Handel wieder auf.

Geschichte. Es dürfte kaum zweifelhaft sein, daß die Bevölkerung ursprünglich mit dem malaiischen Volksstamme der Batak (s. d.) gleichartig war, wie denn auch noch bis zu Anfang des 17. Jahrh, der ganze nördlich von dem Flusse Singkel unter 2° 17' nördl. Br. gelegene Teil von Sumatra, mit Einschluß von Atschin, Tanna Batak, d. h. Land der Batak, genannt wurde. Aus den Batak aber in dem nördlichsten Teile dieses Landstrichs entwickelte sich zu Anfang des 13. Jahrh, durch ihre Vermengung mit fremden Volkselementen, durch den Handel und Verkehr mit andern Asiaten, namentlich auch Arabern, durch die Einführung des Islam und andere auf die ursprüngliche Lebensweise und den Volkscharakter verändernd einwirkende Verhältnisse die Bevölkerung des Reiches Atschin, das von seiner Gründung 1205 bis in die neueste Zeit seine Unabhängigkeit zu bewahren gewußt hat und wesentlich aus Atschinesen und Malaien besteht, deren Zahl nicht genau bekannt ist.

Die den Batak verwandten Mantir- und Gaju-Stämme sind ins Innere zurückgedrängt. Die gleichnamige Hauptstadt wurde eine der reichsten und blühendsten, von den Schiffen aller ostasiat. Handelsvölker viel besuchte Handelsstadt. Seit die Portugiesen unter Alvaro Talesso 1506 zuerst nach Sumatra kamen und 1509 daselbst an der Nordküste Niederlassungen gründeten, war der Beherrscher von Atschin, Radscha Ibrahim, ihr erbittertster Feind, der sie 1523 auch von Sumatra vertrieb.

Parallel - Parallele K

Bild 12.707: Parallel - Parallele Kräfte
* 18 Parallele.

Der Krieg gegen die Portugiesen dauerte fast ununterbrochen fort, bis diese 1641 von den Holländern mit Hilfe der Atschinesen aus Malaka vertrieben wurden. Durch den 1824 zwischen Holland und England geschlossenen Vertrag war Holland verpflichtet, auf Sumatra, nördlich von der Parallele [* 18] von Singapur [* 19] (1° 17' nördl. Br.), keine neuen Besitzungen zu gründen. Allein ein neuer Vertrag vom 24. Mai 1872 hob den frühern von 1824 auf, und Seeräubereien und Kränkungen der niederländ. Souveränität auf Sumatra durch Atschin gaben der Regierung zu Batavia [* 20] Veranlassung, 26. März 1873 den Krieg zu erklären. Am 8. April landete eine Expedition bei der Stadt Atschin, die jedoch tapfer verteidigt wurde, so daß sich die Holländer nach großen Verlusten 28. April zurückziehen mußten.



Atschinsk - Attacke

Bild 52.61: Atschinsk - Attacke
* 21 Seite 52.61.

Eine zweite, stärkere Expedition unter General van Swieten landete 11. Dez. 1873, rückte unter fast ununterbrochenen blutigen Kämpfen bis zum Kraton, der befestigten Residenz des Sultans von Atschin, vor und nahm denselben 24. Jan. 1874. Doch blieb das ganze Innere des Reichs und viele Punkte an der Ostküste noch im Besitz des Sultans, und erst nach vielen Expeditionen, bei denen sich die Atschinesen mit größter Tapferkeit verteidigten, wie bei der Erstürmung von Lohong 30. April 1875, und auf niederländ. Seite besonders von den Generalen Pel und van der Heyden Tüchtiges geleistet wurde, schien der Widerstand der Atschinesen gebrochen. Man ging 1880 daran, das Land politisch zu organisieren; es wurde eine Provinz gebildet unter dem Namen «Atjeh und Zubehör» mit drei Distrikten.

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Der Versuch aber, das Land als ein vollständig beruhigtes unter Civilgewalt zu bringen, scheiterte, und 1884 mußte wiederum ein Milltärgouverneur eingesetzt werden. Darauf wurde beschlossen, einen Teil des mit so großen Verlusten und Kosten eroberten Gebietes wieder zu räumen. Man meinte dadurch sich besser befestigen zu können und war der Überzeugung, daß doch am Ende die Friedens Partei unter den Atschinesen das Übergewicht bekommen und sich mit dem jugendlichen Sultan ein Abkommen finden lassen werde. Dieser, der Nachfolger des 1874 verstorbenen Sultans, hat sich in dessen in das Innere des Landes zurückgezogen und ist vollständig von der Kriegspartei abhängig. Wiederholt wurden die niederländ. Posten von atschinesischen Banden angefallen.

Vgl.   Veth, Atchin en zijne betrekking tot Nederland (Leid. 1873);

Gerlach, Atjeh en de Atjinezen (Arnh. 1873);

Die holländ. Expeditionen gegen Atschin (Lpz. 1875);

Brau de Saint-Pol-Lias, Chez les Atchés (Par. 1884);

eine Specialkarte von Atschin im Maßstabe von 1:150000 mit begleitendem Text von T. Atschin Liefrinck, welcher den gegenwärtigen Zustand des Landes behandelt, findet sich in der Tijdschrift van het aardrijkundig Genootschap gevestigt te Amsterdam [* 22] (Bd. 5, Nr. 2, März 1881);

die Kaart van het terrein des oorlogs in Groot-Atjeh in (Breda 1884) beruht auf amtlichen Aufnahmen; van Langen, Atehhs Westküste (in der «Tijdschrift van het Aardrijkskundig Genootschap» Tweede Serie, Deel V, 1888; Karte), Pruys van der Hoeven, Mijne ervaring van Atjeh (Haag 1886);

Schmidt auf Altenstadt, Telok Semavé. De beste haven op Atjehs Nordkust (ebd. 1887);

Kielstra, Beschrijving van den Atjeh-Oorlog ebd. 1885);

Brooshooft, Geschiedenis van den Atjeh-Oorlog 1873-86 (Utrecht [* 23] 1887);

Jacobs, Het familie – en kompongleven op Groot-Atjeh (Leid. 1894).