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Begräbnisplatz

Bild 2.617: Begräbnisplatz
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Begräbnisplatz(Totenacker, Friedhof, Gottesacker, Kirchhof, Campo santo), der Ort, wo die Verstorbenen beerdigt / 1038
Begräbnisplatz _2Die Bestattung der Leichen im Erdgrab bezweckt eine möglichst schnelle Auflösung der organischen / 910

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Begräbnisplatz

1'948 Wörter, 14'275 Zeichen

Kulturgeschichte — Sitten und Gebräuche

Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888

Begräbnisplatz

(Totenacker, Friedhof, Gottesacker, Kirchhof, Campo santo), der Ort, wo die Verstorbenen beerdigt werden. In den ältesten Zeiten bestattete jeder seine Toten an dem Ort, wo er sich eben befand, am liebsten in Felsenhöhlen und an Straßen, wo man einen Hügel über dem Grab aufwarf, worin die Gebeine und Asche beigesetzt waren. In den Wüsten des Morgenlandes pflegten die, welche durch die Wüste zogen, an dem Ort, wo ein Toter lag, einen Stein auf den Erdhügel zu legen, so daß diese Grabhügel mit der Zeit zu bedeutender Höhe anwuchsen.

Später, als man feste Wohnplätze gewann, entstanden Familienbegräbnisplätze, und bei verschiedenen Naturvölkern ist es sogar üblich, dem Toten die Wohnung ganz zu überlassen. Öffentliche Begräbnisplätze finden sich zwar schon bei Naturvölkern auf gewissen heiligen Bezirken, wie z. B. bei Stonehenge, auf dazu erlesenen Inseln und Feldern (Urnenfriedhöfe der Germanen und Slawen, s. Gräber); allgemeiner wurden sie aber erst, als die Menschen sich in Städten und Dörfern vereinigten, wo es an Raum zu Familienbegräbnissen mangelte und polizeiliche Rücksichten desfallsige Anordnungen im großen erheischten.

Palästina

Bild 12.618a: Palästina
* 2 Palästina.

Daher finden wir bei den Ägyptern und andern alten Völkern die in Felsen gehauenen weitläufigen Totenstädte (Nekropolen). Die Hebräer benutzten Höhlen, schattige Grotten, Gärten und Bergabhänge zu Begräbnisplätzen, verschlossen die Gräber mit großen Steinen und pflegten sie zu übertünchen, um die Vorübergehenden vor verunreinigender Berührung zu warnen. Wie wir aus Überbleibseln in Palästina [* 2] und Syrien sehen, sind diese Begräbnisplätze mit Treppen [* 3] versehen oder horizontal in der Erde angelegt und enthalten mehrere Abteilungen von 2-2,5 m Länge, meist untereinander, in welche die Leichen geschoben wurden.

Die Könige besaßen erbliche und mit vielem Aufwand erbaute Gräber, wie z. B. die Gräber der Könige nördlich von Jerusalem [* 4] besondere Vorhöfe hatten. Auf den Gräbern errichtete man Grabmäler, in frühern Zeiten aus rohen Steinen, später in Form prachtvoller Mausoleen mit allerlei Sinnbildern. Die Griechen, Römer, [* 5] Gallier, Germanen besaßen anfänglich, wie die Hebräer, meist Familiengrüfte. In Sparta wurden die Toten innerhalb der Stadt begraben; in Athen [* 6] hatte man womöglich Privatgräber, doch gab es auch einen öffentlichen in der Nähe der Stadt.

Rom

Bild 13.903a: Rom
* 7 Rom.

Die Römer hatten ihre Begräbnisse auf ihren Landgütern, besonders neben den Straßen; ein gemeinsamer öffentlicher Begräbnisplatz war in Rom [* 7] nur für die Armen, Sklaven u. dgl. vorhanden, er lag auf dem Esquilinus; doch gab es auch gemeinsame Kolumbarien (s. d.), in denen die Asche von Beamten und weniger reichen Personen beigesetzt wurde. Die Christen hatten während der Verfolgungen keine besondern Begräbnisplätze, sondern bestatteten ihre Toten in freiem Feld. Später wurden die Begräbnisplätze vielfach in die Katakomben verlegt, wo in unterirdischen Kapellen die Versammlungen der Gemeinde stattfanden, und blieben auch für später in der Nähe der Kirchen, weil man glaubte, daß diese heiligen Stätten, die gewöhnlich durch in denselben beigesetzte Märtyrergebeine und Reliquien geweiht waren, die beste Ruhestätte gewährten.

Auf diese Weise entstanden die Kirchhöfe, welche im ganzen Mittelalter die gemeinschaftlichen Begräbnisplätze bildeten; ja, Vornehme erhielten ihre Gräber sogar inmitten der Kirchen. Vergebens verlangten mehrere Kirchenversammlungen Verbote gegen diese Unsitte; erst in späterer Zeit hat man angefangen, in größern Städten die Begräbnisplätze außerhalb der Mauern zu verlegen, und dringt darauf, daß auch in kleinern Orten und Dörfern diese Maßregel ausgeführt werde.

Schweiz

Bild 14.746a: Schweiz
* 8 Schweiz.

In der katholischen Kirche muß bei Anlegung eines neuen Begräbnisplatzes die Erde zuvor von dem Bischof feierlich geweiht werden, und in streng römischen Ländern ist die heilige Stätte Akatholiken verschlossen. Häufig befindet sich auf dem Begräbnisplatz eine besondere Totenkapelle. In der Schweiz [* 8] und andern Ländern mit beschränktem Platz trifft man außerdem Beinhäuser für die ausgegrabenen Gebeine. In der protestantischen Kirche findet eine Weihe der Begräbnisplätze nur nach völliger Vollendung derselben, gewöhnlich bei der ersten Leiche, statt.

Doch wurde auch hier noch bis vor kurzem Selbstmördern und Andersgläubigen die Aufnahme versagt, weshalb man in größern Städten die Frage der konfessionslosen Gemeindefriedhöfe infolge der Unduldsamkeit mancher Geistlichen anregen mußte. Die Totenäcker der griechischen Kirche, besonders in Rußland, liegen außerhalb der Orte, soviel wie möglich auf Anhöhen, und werden durch hohe Fichten eingefriedigt. Die heutigen Juden suchen, wo es angeht, ihre Begräbnisplätze in der Nähe der Synagogen anzulegen.

Die aufrecht stehenden Leichensteine derselben gleichen den Grenzsteinen und tragen den Namen des Verstorbenen und alttestamentliche Stellen. Bei den Mohammedanern befinden sich die Begräbnisplätze immer an den Straßen, damit die Vorübergehenden für die Toten beten können; es sind übrigens große Gärten, mit Gebüsch, Cypressen und Pappeln bepflanzt und mit Kiosken und Gängen versehen, so daß sie vielfach zu Vergnügungsorten dienen. Auf den Monumenten ist der Turban des Verstorbenen und bei einem gewaltsamen Tode durch die Schnur, Enthauptung, Spießen etc. die Todesart selbst abgebildet. Die Chinesen, welche den meisten Wert darauf legen, in heimatlicher Erde zu ruhen, legen ihre Begräbnisplätze auf Anhöhen an und umgeben sie mit Fichten, Cypressen oder Mauern, während die Gräber selbst kleinen Häusern gleichen; nur bei den Ärmern bestehen sie aus Erdpyramiden. [* 9]

Neapel (Provinz, Stadt

Bild 12.25: Neapel (Provinz, Stadt)
* 11 Neapel.

Unter den ältern christlichen Kirchhöfen verdient das mit herrlichen Kunstwerken geschmückte Campo santo in Pisa, [* 10] dessen Erde auf Schiffen aus Palästina herbeigeschafft wurde, besondere Erwähnung; berüchtigt ist der Armenkirchhof von Neapel [* 11] mit 365 Gewölben, die an den aufeinander folgenden Tagen des Jahrs zur Bestattung dienen, vielbesucht ferner der Judenfriedhof in Prag, [* 12] der Johannisfriedhof zu Nürnberg [* 13] und der Père Lachaise in Paris, [* 14] der einem herrlichen Park mit kostbaren Monumenten berühmter Personen ähnlich ist. In der letzten Zeit ist in fast allen deutschen Städten von einiger Bedeutung, namentlich in den Residenzstädten, Wesentliches zur Verbesserung und würdigen Ausschmückung der Kirchhöfe geschehen. Man hat nicht nur aus Sanitätsrücksichten die Notwendigkeit der Verlegung der Begräbnisplätze außerhalb der Städte



Begriff

Bild 2.618: Begriff
* 15 Seite 2.618.
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erkannt und angefangen, für zweckmäßig eingerichtete Leichenhäuser (s. d.) zu sorgen, sondern auch für schöne Anlagen und entsprechenden Schmuck der Gräber Sorge getragen. Die Begräbnisplätze galten zu allen Zeiten und bei allen gebildeten Völkern als heilig; namentlich rechneten Griechen und Römer jede Verletzung derselben zu den schwersten Verbrechen. Das Areal der Begräbnisplätze ist in der Regel Eigentum der Kirche. Im Fall der Unvermögendheit dieser ist ihre Erhaltung, resp. zweckmäßige Einrichtung Pflicht der Eingepfarrten.

Die Anlegung neuer Begräbnisplätze kann bloß unter Genehmigung der kirchlichen Oberbehörden, welche dabei das Gutachten der Medizinalpolizei zu hören haben, erfolgen. Ebenso unterliegt die Wahl besonderer Begräbnisplätze außerhalb des Totenackers der Genehmigung von seiten dieser Behörde. Zweckmäßig hat man neuerdings für die Totenäcker den Namen Friedhof vorgezogen.

Vgl.   Grotefend, Das Leichen- und Begräbniswesen im preußischen Staat (Arnsberg [* 16] 1869);

Wernher, Die Bestattung der Toten in Bezug auf Hygieine (Gießen [* 17] 1880).

Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888

Begräbnisplatz.

Die Bestattung der Leichen im Erdgrab bezweckt eine möglichst schnelle Auflösung der organischen Körperbestandteile ohne Belästigung oder Benachteiligung der Lebenden. Die durch Begräbnisplätze hervorgerufenen Gefahren hat man hauptsächlich in den Leichengasen zu finden geglaubt und sich darauf berufen, daß oft genug Personen beim Betreten von Leichengrüften plötzlich gestorben sind. Offenbar aber handelt es sich in solchen Fällen um Ansammlungen von Kohlensäure, wie sie auch an zahlreichen Orten vorkommen, wo keine Leichen begraben werden.

Die Vorgänge im Erdgrab weichen erheblich ab von dem Verlauf der Fäulnis einer an der Luft liegenden Leiche. Eine Woche Aufenthalt der Leiche an der Luft entspricht etwa 2 Wochen Aufenthalt im Wasser und 8 Wochen Lagerung im Erdgrab. Die Zersetzung wird verlangsamt durch die gleichmäßigere und niedere Temperatur, auch durch die Abschließung im Sarg, weil diese die Aufspeicherung von Fäulnisprodukten begünstigt, welche auf die die Zersetzung herbeiführenden Bakterien giftig wirken.

Hat nun die Luft durch die Poren des Bodens hindurch Zutritt zu der Leiche, so findet ein Verwesungsprozeß statt, dessen letzte Produkte Kohlensäure, Ammoniak und Wasser sind. Die Durchlässigkeit des Bodens ist also von großem Belang für die Zersetzung der organischen Substanz, und es eignet sich für die Anlage von Begräbnisplätzen am besten grobkörniger Kies, dann in absteigender Reihenfolge feiner Kies, Sand, sandiger Lehmboden, schwerer Thonboden und stark humushaltige Erde. Am schnellsten erfolgt die Zersetzung in kalkreichem, durchlässigem Boden. In Kies- und Sandboden ist die Zersetzung der Leichen Erwachsener in 7, der Kinderleichen in 4, in Lehmboden die der ersten in 9, die der letztern in 5 Jahren zu erwarten.

Gase (Physikalisches)

Bild 6.930: Gase (Physikalisches)
* 18 Gase.

Offenbar erfolgt die Zersetzung um so schneller, je weniger tief die Gräber angelegt werden, anderseits ist eine gewisse Bodenschicht erforderlich, um das Austreten übelriechender Gase [* 18] zu verhindern. Hierzu genügen 1,58 m, und dem entsprechend bewegen sich die gesetzlichen Normen zwischen 1,5 u. 2 m; bei Kinderleichen begnügt man sich oft mit 0,94 m. Bei normaler Tiefe der Gräber ist ein Austreten von Leichengasen nicht anzunehmen, und bezügliche entgegengesetzte Wahrnehmungen beruhen auf mangelhafter Beobachtung.

Nur bei Massengräbern kann die Quantität der auftretenden Gase im Verhältnis zur deckenden Bodenschicht, die überdies sehr leicht Risse bekommt, so stark anwachsen, daß ein Teil der Gase in die Luft entweicht. Bei der Wahl eines Begräbnisplatzes ist am meisten auf freie Lage zu achten. Man fordert jetzt allgemein eine Entfernung von mindestens 1000 Schritt von bewohnten Orten, doch wird in dieser Beziehung das voraussichtliche Wachstum des Ortes in der Regel größere Anforderungen stellen als die Hygiene.

Die Errichtung einzelner Gebäude in größerer Nähe der Kirchhöfe erscheint unbedenklich. Ist man auf geneigte Lage angewiesen, so sollte die Neigung von dem bewohnten Ort abgewendet sein; nördliche und namentlich östliche Lage verdienen den Vorzug vor südlicher und westlicher, nicht sowohl der herrschenden Windrichtung halber als wegen der Durchfeuchtung des Bodens durch Regenwasser. Niemals sollten Begräbnisplätze in der Nähe von Sümpfen, Teichen, Wasserläufen, in Absenkungen oder Mulden, am wenigsten an Orten, welche zeitweiliger Überschwemmung ausgesetzt sind, angelegt werden.

Drainage

Bild 5.109: Drainage
* 19 Drainage.

Stets sollte eine entsprechend dicke Bodenschicht die Grabessohle vom höchsten Stande des Grundwassers trennen. Wo dies nicht der Fall ist, muß man sich durch Aufschüttungen oder durch Drainage [* 19] helfen. Letztere führt, wenn sie in einer Tiefe von etwa 3 m liegt, eine wirksame Reinigung des Untergrundes herbei, da sie stets mit einer Ventilation desselben verbunden ist. Drainwasser, welches aus der Grabessohle stammt, ist im höchsten Grad verunreinigt und erfordert eine Weiterleitung oder eine Behandlung ähnlich derjenigen der Kloakenwässer.

Bei der Wahl eines Begräbnisplatzes sollte auch die Mächtigkeit des Grundwasserstroms und die Richtung seines Laufs festgestellt werden, da eine Anschauung über den Grad der Verdünnung, welchen die Unreinigkeiten des Bodens erfahren, ebenso wertvoll ist wie die Kenntnis des Zugs, in welchem sie abgeführt werden. Die Gefahr, daß Brunnen, [* 20] Quellen, Rinnsale durch die Nähe von Begräbnisplätzen verunreinigt werden können, ist zwar nicht abzuleugnen, indes hat sich in konkreten Fällen diese Gefahr noch immer als sehr viel geringer herausgestellt.



Behrend - Beleuchtung

Bild 17.111: Behrend - Beleuchtung
* 22 Seite 17.111.

Nur für solche Brunnen ist eine erhebliche Gefahr vorhanden, die durch Grundwasser [* 21] gespeist werden, welches die Grabessohle vorschriftswidrig überflutet hat. Liegt dagegen ein Brunnenspiegel außerhalb einer derartigen Kommunikation (in gehöriger Tiefe oder geschützt durch eine Thonschicht), so fällt ein großer Teil der durch die Kirchhofsnachbarschaft erregten Bedenken fort. Noch entschiedener lassen sich letztere beseitigen, wenn man einen Tiefbrunnen anlegt und

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diesen mittels völlig undurchlässiger Wandungen vor dem seitlichen Eindringen des Grundwassers schützt.

Bearäbnisturnus nennt man die Angabe der Zeitlänge, nach deren Ablauf [* 23] ein Grab wieder benutzt werden darf. Die englische Gesetzgebung bestimmt für Kinderleichen 8 Jahre, für die Leichen Erwachsener 14 Jahre. 20 Jahre hat Sachsen, [* 24] 20-25 Jahre, je nach dem Boden, Baden, [* 25] 30 Jahre Hessen. [* 26] Dagegen bestimmt der Code Napoléon 5 Jahre, die bayrische Verordnung 7 Jahre. Stets dorf der Boden erst nach vollständiger Verwesung aller organischen Stoffe wieder aufgegraben werden. An die Vegetation auf Friedhöfen stellt die Hygiene die Anforderung, daß die Sonnenbestrahlung durch sie nicht allzusehr beschränkt werde.

Bäume mit großer, dichter Krone sind daher auf breite Hauptwege zu beschränken, während Pinus- und Juniperus-Arten, Buchsbaum, Ilexaquifolium 2c. für die Gräber sich eignen. Zur Bepflanzung der Hügel eignet sich Epheu am besten, und zur Einfriedigung sind statt der Mauern, welche den Luftzug hemmen, lebendige Hecken zu empfehlen.

Vgl.   Riecke, Über den Einfluß der Verwesungsdünste u. über Begräbnisplätze (Stuttg. 1840);

Grotefend, Das Leichen- und Begräbniswesen im preußischen Staat (Arnsberg 1869);

v. Pettenkofer, Über die Wahl der Begräbnisplätze (»Zeitschrift für Biologie«, Bd. 1, 1866);

Hoffmann und Sigel, Hygienische Anforderungen an Friedhöfe (neunte Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege);

Lion, Das Beerdigungswesen in sanitätspolizeilicher Hinsicht (»Deutsche [* 27] Klinik«, Monatsblatt für Statistik, 1866).