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Gesundheitspflege | eLexikon | Medicin - Diätetik

  • ️Peter Hug, Sollrütistr. 24, CH-3098 Schliern b. Köniz
Titel
Elemente zu Gesundheitspflege:

[Die Volkskrankheiten oder Seuchen.]

[Marktpolizei.]

[Wohnungen, Schul- und Gewerbehygieine.]

[Heil- und Krankenwesen.]

[Litteratur.]

Gesundheitspflege,

öffentliche (Gesundheitspolizei), der Inbegriff alles dessen, was zum Zweck der Erhaltung und Förderung der Gesundheit eines Volkes oder einer Bevölkerungsgruppe geschieht. Die ö. Gesundheitspflege ruht auf der Basis derjenigen Wissenschaft, welche als öffentliche Gesundheitslehre oder als öffentliche Hygieine bezeichnet wird; sie ist die praktische Bethätigung der Regeln und Vorschriften, welche die öffentliche Gesundheitslehre auf wissenschaftlichem Weg zu entwickeln und festzustellen hat.

Die ö. Gesundheitspflege ist ein Gegenstand von ganz eminenter Bedeutung und von der allergrößten praktischen Tragweite. Die Überzeugung hiervon beginnt sich nach und nach auch in weitern Kreisen mächtig Bahn zu brechen, wenn wir vorläufig auch noch weit davon entfernt sind, daß alle Gesellschaftskreise zu dieser für ihr Wohlergehen so wichtigen Erkenntnis gekommen wären. Denn während die im Interesse der öffentlichen Gesundheit angeordneten Maßregeln noch vielfach als überflüssig, ja als lästiger Zwang und als Beschränkung der persönlichen Freiheit des Einzelnen empfunden werden, fehlt es anderwärts an der rechten Teilnahme, an Interesse und Verständnis für das, was auf die Forderung des Volksgesundheitswesens Bezug hat.

Namentlich der letztere Umstand, der Mangel an Interesse und Verständnis, ist für die Entwickelung des öffentlichen Gesundheitswesens jederzeit das schwerste Hemmnis gewesen, und vielfach ist das Interesse dafür erst mit dem Augenblick geweckt worden, wo das Individuum mit seinem Geldbeutel zur Einführung sanitärer Maßregeln dieser oder jener Art in Anspruch genommen werden mußte. Gleichwohl ist die öffentliche Gesundheit ein überaus wichtiger Faktor nicht bloß für die Wohlfahrt des Individuums, sondern auch für das gesamte staatliche und wirtschaftliche Leben.

Allerdings hat jeder Mensch zunächst für seine eigne und für die Gesundheit derer zu sorgen, welche seiner Obhut unmittelbar anvertraut sind (private Hygieine). Allein er vermag dies nur insofern mit Erfolg zu thun, als es sich um solche schädliche Einwirkungen auf den Organismus handelt, gegen welche der Einzelne ihrer Natur nach überhaupt anzukämpfen vermag. Es gibt aber zahlreiche Krankheitsursachen, welche hervorgehen aus dem Zusammenleben der Menschen, aus den jeweilig herrschenden gesellschaftlichen Einrichtungen und aus der besondern Stellung, welche der Einzelne in der Gesellschaft einnimmt.

Glied (künstliches)

Bild 58.75: Glied (künstliches)
* 2 Glied.

Solche Krankheitsursachen bedrohen die öffentliche Gesundheit, weil jedes Glied der [* 2] Gesellschaft ihnen ausgesetzt ist, solange es eben einem bestimmten sozialen Verband [* 3] angehört. Solchen aus dem Boden des sozialen Lebens hervorsprossenden Schädlichkeiten steht der Einzelne ohnmächtig gegenüber. Hier muß die Gesamtheit, die Korporation, die Gemeinde, der Staat helfend eintreten. In letzter Linie ist es immer der Staat, welcher nicht bloß die Pflicht, sondern auch das Interesse hat, sich der öffentlichen Gesundheitspflege anzunehmen.

Das Interesse des Staats an der öffentlichen Gesundheitspflege hängt zusammen mit der nationalökonomischen Bedeutung der Gesundheit seiner Bürger. Auf der Gesundheit beruht die geistige und wirtschaftliche Produktionskraft des Einzelnen wie des ganzen Volkes. Mit der Kraft [* 4] und Gesundheit steigt und sinkt die Erwerbsfähigkeit des Individuums. Der Kranke leistet nichts für die Gesamtheit, er wird häufig sogar zu einem störenden und lästigen Element für diese.

Hanc veniam etc. - Han

Bild 8.65: Hanc veniam etc. - Hand
* 5 Hand.

Mit der Häufigkeit und Ausbreitung der Krankheiten geht eine hohe Sterblichkeit Hand [* 5] in Hand. Zahlreiche Individuen verfallen dem Tod, bevor sie noch zur vollen Entwickelung ihrer Produktionskraft gelangt sind; ihre Auferziehung erfolgte auf Kosten des Gemeinwesens, für welches sie gleichwohl wegen ihres frühen Todes nichts zu leisten vermögen. Der Staat erleidet also durch Krankheiten und Tod einen Verlust an Kräften, welche zur Förderung des allgemeinen Wohlstandes mitzuwirken berufen gewesen wären.

Die Pflicht des Staats, sich der öffentlichen Gesundheitspflege anzunehmen, ergibt sich daraus, daß der Einzelne, indem er einer Gemeinschaft beitritt, bis zu einem gewissen Grade die Möglichkeit verliert, Herr seiner Gesundheit zu bleiben und sich gewisser seine Gesundheit bedrohenden Schädlichkeiten zu erwehren. Namentlich wird er sich der Einwirkung solcher krank machenden Einflüsse nicht zu entziehen vermögen, welche durch das Zusammenleben der Menschen an sich, durch die jeweilig gegebenen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und vorzugsweise durch seine besondere Stellung im Staat oder in der Korporation bedingt sind. Je mehr daher das Individuum aus irgend einem Grund in seiner Freiheit durch das Gemeinwesen beschränkt ist, und je mehr dasselbe vermöge seiner sozialen Stellung gesundheitswidrigen Einflüssen ausgesetzt ist, um so mehr hat die Verwaltung der öffentlichen Gesundheitspflege die Pflicht, sich dieses Individuums in Rücksicht auf seine Gesundheit anzunehmen, schützend und fördernd für dieselbe einzutreten.



Gesundheitspflege (Seu

Bild 7.258: Gesundheitspflege (Seuchen, Marktpolizei)
* 7 Seite 7.258.

Das Gebiet, auf welchem die ö. Gesundheitspflege ihre Thätigkeit zu entwickeln hat, ist ein so universelles, daß jede Art meteorologischer, tellurischer Einwirkungen auf den Menschen, seine Wohnung, Ernährung, seine Bekleidung, seine gewerbliche Thätigkeit mit all ihren gesundheitsschädigenden Momenten, die Gefahren, denen er durch gifthaltige Möbel, [* 6] Tapeten, Kunst- und Schmuckgegenstände ausgesetzt ist, die Vorbeugungsmaßregeln gegen Menschen- und Tierseuchen

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und zahlreiche andre Vorkommnisse unter den Gesichtspunkt der öffentlichen Gesundheitspflege fallen. Nur einzelnes kann deshalb hier hervorgehoben werden.

[Die Volkskrankheiten oder Seuchen.]  

Da die Seuchen auf einem Ansteckungsstoff beruhen, welcher, in den menschlichen Organismus verpflanzt, diesen erkranken macht, so wird die höchste Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege immer darin zu suchen sein, daß die Entstehung und Vermehrung jener Ansteckungsstoffe nach Kräften verhütet werde. Die Medien, an welche bei weitem die meisten Ansteckungsstoffe gebunden sind, und von wo aus sie in den menschlichen Organismus gelangen können, sind der Boden, das Wasser und die Luft. In diesen Medien entwickeln sich aber die betreffenden Ansteckungsstoffe nur dann, wenn sie verunreinigt werden durch organische Substanzen, welche in Zerfall und Fäulnis übergehen.

Gase (Physikalisches)

Bild 6.930: Gase (Physikalisches)
* 8 Gase.

Nicht bloß die Leichen der Menschen und Tiere sowie absterbende und faulende Pflanzenteile, sondern auch die menschlichen Abfallstoffe, namentlich die Kotmassen, ferner die beim Wirtschafts- und Fabrikbetrieb entstehenden Schmutzflüssigkeiten muß man demnach in einer Weise zu entfernen und umzuwandeln suchen, daß eine gefährliche Verunreinigung des Bodens, des Wassers und der Luft dabei nicht eintreten kann. Bei Fabriken, welche schädliche Gase [* 8] produzieren, muß durch zweckmäßige Lage der Gebäude zu Wohnhäusern, durch hohe Schornsteine etc. für hinreichende Ventilation gesorgt werden. (Vgl. § 16 der Gewerbeordnung.) Ferner hat die ö. Gesundheitspflege zu sorgen für zweckmäßige Auswahl und Anlegung der Begräbnisplätze, für die Art der Entfernung der menschligen ^[richtig: menschlichen] Fäkalstoffe (eine Frage, welche in den letzten Jahren in der lebhaftesten Weise erörtert worden ist und in dem Schlagwort: »Kanalisation oder Abfuhr« gipfelt), weiterhin für zweckmäßige Einrichtung der Abtritte (Waterclosets, Erdklosette, s. Desinfektion), [* 9] für die Einrichtung besonderer Schlachthäuser, für Verhütung der Verunreinigung der Flüsse [* 10] und Wasserbecken durch die Schmutzwasser der Fabriken etc. Beim Herannahen einer Seuche sind umfangreiche und strenge Absperrungsvorsichtsmaßregeln (Quarantäne) sowohl im Land- als im Seeverkehr zu treffen; jeder etwa entstandene Erkrankungsherd ist sofort zu isolieren.

Brunnen (artesische Br

Bild 3.519: Brunnen (artesische Brunnen)
* 11 Brunnen.

Ist eine Seuche zum Ausbruch gekommen, so hat die ö. Gesundheitspflege durch Maßregeln rein polizeilicher Natur dafür zu sorgen, daß die Krankheit auf einen möglichst kleinen Herd beschränkt werde. Zu diesem Zweck ordnet sie an, daß ein jeder Erkrankungsfall sofort zur Anzeige kommt, nimmt je nach der Natur des der Seuche zu Grunde liegenden Ansteckungsstoffs eine Absperrung der bereits Erkrankten vor oder unterwirft die der Krankheit Verdächtigen einer Quarantäne, richtet geeignete und genügende Räume zur Aufnahme von Kranken, namentlich von armen und sonst hilfsbedürftigen, her, sorgt dafür, daß das erforderliche Heil- und Wartepersonal zur Hand sei, daß die Leichen alsbald aus dem Bereich der Lebenden entfernt und schnell beerdigt werden, daß alle etwa angehäuften Unreinigkeiten sofort entfernt werden etc. Auch die Sorge für die Beschaffung guten Trinkwassers, die Beaufsichtigung der Brunnen, [* 11] die Absperrung verdächtiger oder notorisch verunreinigter Brunnen, die Beschaffung gesunder und ausreichender Nahrungsmittel [* 12] für Ärmere bilden bei ausbrechenden Epidemien eine Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege.

Ferner hat dieselbe darauf Bedacht zu nehmen, daß dicht belegte Wohnräume evakuiert, daß Gefangene, Hospitaliten und dergleichen Personen aus dem Bereich eines etwa vorhandenen Ansteckungsherdes entfernt, die Schulen geschlossen werden etc. Besondere Aufmerksamkeit ist endlich der Desinfektion (s. d.) zuzuwenden, und alle sanitätspolizeilichen Maßregeln der genannten Art sind um so dringender indiziert, wenn es sich um Personen handelt, die aus irgend einem Grund ihrer freien Selbstbestimmung beraubt sind (Gefangene, Soldaten etc.). Endlich ist es auch Sache der öffentlichen Gesundheitspflege, daß das Publikum beizeiten in geeigneter Weise darüber belehrt werde, wie sich der Einzelne bei dem etwanigen Ausbruch einer Epidemie in sanitärer Beziehung zu verhalten habe, um der auch ihm drohenden Gefahr möglichst zu entgehen.

Imphee - Importants

Bild 8.906: Imphee - Importants
* 13 Impfung.

Bei einzelnen Seuchen kommt die Anwendung ganz spezifischer Schutzmittel in Frage, so namentlich bei den Pocken die einmalige und wiederholte Impfung, [* 13] wie sie für das Deutsche Reich [* 14] durch das Reichsimpfgesetz von 1873 vorgeschrieben ist. Eine andere die ö. Gesundheitspflege vielfach beschäftigende ansteckende Krankheit ist die Syphilis. Da es nicht in der Macht der Gesetzgebung und Verwaltung steht, die Gelegenheitsursache zur syphilitischen Ansteckung, nämlich den unreinen Beischlaf, zu beseitigen, so sieht sich die ö. Gesundheitspflege dieser Krankheit gegenüber darauf angewiesen, durch Regelung des Prostitutionswesens in größern Städten, als Hauptquelle der Ansteckung, namentlich durch Errichtung obrigkeitlich kontrollierter Häuser (Bordelle) oder durch strenge ärztliche Überwachung der Prostituierten selbst, die Gelegenheit zur Ansteckung auf ein Minimum zu reduzieren.

Ganz anders verhält es sich mit denjenigen (endemischen) Seuchen, welche nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden, sondern auf einem Miasma, auf giftigen Bodenausdünstungen, beruhen (Wechselfieber, Sumpffieber). Hier hat die ö. Gesundheitspflege, da sie der Krankheit selbst gegenüber machtlos ist, durch Vorbeugungsmaßregeln einzugreifen. Es handelt sich bei diesen Krankheiten darum, den Boden von den Produkten der Verwesung und Fäulnis organischer (meist pflanzlicher) Substanzen zu befreien oder denselben doch unter solche Bedingungen zu versetzen, daß dergleichen gefährliche Umsetzungen der abgestorbenen Organismen in ihm unmöglich werden.

Quelle

Bild 13.510: Quelle
* 15 Quelle.

Dieser Zweck wird erreicht durch künstliche Entwässerung des Bodens (Drainierung), durch Trockenlegung von Sumpfstrecken, durch Regulierung der Flußläufe etc. Um aber die Luft über solchem verdächtigen Boden zu verbessern und die in ihr enthaltenen Miasmen zu zerstören, empfiehlt es sich, Baumpflanzungen anzulegen und überhaupt den Boden mit einer grünen Pflanzendecke zu überziehen. Endlich sind noch die ansteckenden und auf Menschen übertragbaren Tierkrankheiten zu erwähnen (Hundswut, Milzbrand, Rotz etc.). Dieselben stellen an die ö. Gesundheitspflege ganz ähnliche Aufgaben wie die Seuchen überhaupt. Nur ist hier die Handhabung der sanitätspolizeilichen Maßregeln eine viel leichtere und im allgemeinen auch sicherere, weil durch sofortige Tötung der kranken oder verdächtigen Tiere die Quelle [* 15] der Ansteckung alsbald abgeschnitten werden kann.



Gesundheitspflege (Pri

Bild 7.259: Gesundheitspflege (Privat- und öffentliche Gebäude, Gewerbehygieine, Krankenwesen)
* 16 Seite 7.259.

[Marktpolizei.]  

Auch auf die Nahrungsmittel, das Trinkwasser, die Genußmittel (Bier, Wein etc.) hat demnächst die ö. Gesundheitspflege sich zu erstrecken. Zwar hat jeder Mensch zunächst selbst zu entscheiden, was ihm von Speisen und Getränken nützlich oder schädlich ist, und hat demnach sein Verhalten einzurichten. Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege aber ist es, darüber zu wachen, daß die zum Leben unentbehrlichen Nahrungs- und Genußmittel in einer der Gesundheit unschädlichen Gestalt, unverfälscht und unverdorben, dem Publikum zugänglich gemacht werden. Dies ist im wesentlichen die Aufgabe der

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Marktpolizei. Allein die ö. hat sich in dieser Beziehung viel weiter zu erstrecken. Wir erinnern nur an die so überaus wichtige sanitätspolizeiliche Fleischbeschau, welche neuerdings z. B. in Berlin [* 17] mit großer Umsicht und sichtbarem Erfolg geübt wird. Sache der öffentlichen Gesundheitspflege ist es, die Brunnen zu überwachen, aus denen das Trinkwasser bezogen wird, überhaupt die ausreichende Menge gesunden Trinkwassers zu beschaffen, ferner die notwendigsten Nahrungsmittel, wie Mehl, [* 18] Brot, [* 19] Milch, bezüglich ihrer Qualität zu kontrollieren, Verfälschungen und gesundheitswidrige Verunreinigungen derselben sowie der Genußmittel, wie des Biers und Weins, zu ermitteln und solche Gegenstände unschädlich zu machen etc. Zur Zeit einer Epidemie ist im Interesse der ärmern Bevölkerung [* 20] allen diesen Dingen nur um so größere Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Man sieht leicht, daß die Nahrungsmittelhygieine ein ebenso weitschichtiges wie für die private und öffentliche Gesundheit wichtiges Kapitel der öffentlichen Gesundheitspflege repräsentiert. Allein gerade hierbei zeigt es sich, daß sanitätspolizeiliche Maßregeln allein das wenigste auszurichten vermögen, daß vielmehr eine geläuterte Einsicht des Individuums in das, was ihm heilsam und seiner Gesundheit förderlich, unerläßlich ist. Und was der Einzelne als solcher nicht erreichen kann, das wird er auf dem Weg der Association erreichen können, sobald volle Klarheit über die zu erreichenden Ziele und die dabei aufzuwendenden Mittel besteht.

[Wohnungen, Schul- und Gewerbehygieine.]  

Die Wohnungen der Menschen sind von nicht geringerm Einfluß auf die Gesundheit. Auch hier bietet sich der öffentlichen Gesundheitspflege ein ungemein weites und dankbares, leider noch sehr wenig angebautes Feld der Thätigkeit dar (Bau- oder Wohnungshygieine). Der Reiche und Wohlhabende wird sich überall seine Wohnung so zu wählen und einzurichten wissen, daß sie den Anforderungen der Gesundheitspflege entspricht; der Arme dagegen, der Kranke und Gefangene, der Soldat in der Kaserne, das Kind in der Schulstube müssen hinnehmen, was sich ihnen gerade darbietet.

Mit Rücksicht auf sie hat also die b. Gesundheitspflege einzuschreiten. Sie hat dafür zu sorgen, daß gewisse Räume, welche ihrer Natur nach, z. B. weil sie unter der Erde liegen, weil sie feucht, lichtlos, zu eng sind etc., die Gesundheit jedes Insassen notwendig beeinträchtigen müssen, überhaupt nicht bewohnt werden dürfen. Feuchte Kellerräume sollten als Wohnungen für Menschen schlechterdings nirgends benutzt werden dürfen. Sodann muß jeder Wohnraum für die bestimmte Anzahl von Menschen, welche sich in demselben aufhalten sollen, einen bestimmten minimalen Kubikinhalt haben, damit die Luftverschlechterung durch die Atmung nicht alles Maß überschreite. In öffentlichen Anstalten, in welchen sich die Insassen häufig gegen ihren Willen aufhalten, ist nicht bloß dafür zu sorgen, daß jedem Individuum ein bestimmtes ausreichendes Volumen von Luft vorbehalten sei, sondern auch die sonstigen Bedingungen der Gesundheit müssen in solchen Räumen erfüllt sein; namentlich müssen sie trocken, gehörig hell, zu heizen und zu ventilieren sein.

Heizung (Lokalheizung:

Bild 8.338: Heizung (Lokalheizung: verbesserter Kamin)
* 21 Heizung.

Überhaupt gehört die Frage nach der zweckmäßigsten Art der Heizung [* 21] und der Ventilation zu den wichtigsten der ganzen Hygieine. Selbstverständlich wird bei der Anlage und Einrichtung öffentlicher Anstalten auch die nötige Sorgfalt auf die Wahl eines gesunden und sonst geeigneten Baugrundes, auf die Ermittelung seiner Grundwasserverhältnisse, auf die Situation des Gebäudes (Sonnen- und Wetterseite) und auf tausend andre Umstände zu verwenden sein.

Schulhygieine. Diese hat sich nicht bloß mit der gesundheitsgemäßen Anlage und Einrichtung der Schulhäuser und Klassenzimmer, sondern auch mit Thun und Lassen der Kinder in der Schule zu befassen. Sie hat die zeitliche Ausdehnung [* 22] des Unterrichts für verschiedene Altersklassen festzusetzen, für angemessene Abwechselung der körperlichen und geistigen Thätigkeiten, namentlich auch für den Turnunterricht und allerhand Leibesübungen, zu sorgen, sich mit der Zimmerventilation, den Beleuchtungsverhältnissen und der darauf beruhenden Pflege der Augen, mit der Herstellung zweck- und gesundheitsgemäßer Subsellien und vielen andern Dingen zu befassen.

Gewerbehygieine. Noch mannigfacher vielleicht sind die Aufgaben der Fabrikhygieine, insofern bei den zahlreichen die Gesundheit der Arbeiter bedrohenden Gewerbszweigen die allerverschiedenartigsten Schädlichkeiten in Frage kommen (vgl. Gewerbekrankheiten, Gaseinatmungs- und Staubeinatmungskrankheiten, Phosphor-, Arsenik-, Blei-, Quecksilbervergiftung etc.). Auch die Produkte vieler Gewerbe fallen in fertigem Zustand unter die Aufsicht der öffentlichen Gesundheitspflege, so die Giftstoffe, der Handel mit feuergefährlichen explodierenden Präparaten, Pulver und Schießbaumwolle. Besonders ist das Publikum über die Gefahren zu belehren und eventuell dagegen zu schützen, welche aus der Benutzung von Gerätschaften, Kleiderstoffen, Tapeten, Spielsachen, Tuschkasten etc. hervorgehen, bei deren Herstellung metallische und vegetabilische Giftstoffe benutzt worden sind.

[Heil- und Krankenwesen.]  

Prinzipiell freilich und in der Regel kann sich die Verwaltung nicht der Heilung des einzelnen Individuums widmen, noch kann dieselbe die Heilthätigkeit der Ärzte bis in das Detail überwachen. Vielmehr hat die Verwaltung nur darauf zu sehen, daß ein tüchtig herangebildetes Heilpersonal vorhanden und für jedermann zugänglich sei, sowie darauf, daß die erforderlichen Heil- und Pfleganstalten für Mittellose etc. vorhanden seien.

Auch muß sie durch Gewährung von Geldzuschüssen und andern Vorteilen zu bewirken suchen, daß auch ärmere und für den Arzt weniger lohnende Gegenden niemals des notwendigsten Heilpersonals beraubt seien. Die Gemeinde hat ihrerseits durch Anstellung von Armenärzten auf die öffentliche Gesundheit einzuwirken. Früher ließ es sich der Staat auch angelegen sein, der Kurpfuscherei, Quacksalberei und dem Handel mit Geheimmitteln (s. d.) entgegenzutreten. Allein man ist immer mehr zu der Einsicht gekommen, daß der Staat in dieser Richtung ohnmächtig bleibt, wenn das Publikum nicht selbst zur Einsicht dessen, was ihm nützlich oder schädlich ist, zu bringen ist, und wenn es nicht selbst die Absicht hat, sich vor solchen Gefahren zu schützen.

Daher sind neuerdings im Deutschen Reich die gesetzlichen Bestimmungen gegen Medikasterei etc. aufgehoben worden; ein jeder darf nun kurieren und sich kurieren lassen, von wem er will, und der Staat sorgt nur dafür, daß zwischen approbierten Ärzten und nicht approbierten Personen ein Unterschied gemacht werde. Dagegen bildet das Apothekenwesen nach wie vor einen wichtigen Gegenstand der Medizinalpolizei. Der Staat übt ein Aufsichtsrecht über die Apotheken aus und schreibt den Apothekern eine Medizinaltaxe vor. Gegenwärtig aber ventiliert man die Frage, ob das Apothekergewerbe im Deutschen Reich ein privilegiertes Gewerbe unter staatlicher Oberaufsicht

Fortsetzung Gesundheitspflege: → Seite 7.260 || bleiben, oder ob es, wie es in Nordamerika und anderwärts der Fall ist, gänzlich freigegeben

Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888

Titel
Elemente zu Gesundheitspflege:

[7.257] Gesundheitspflege öffentliche

Gesundheitspflege.

Braunschweig

Bild 3.359a: Braunschweig
* 23 Braunschweig.

Die 16. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege tagte 11.-3. Sept. 1890 in Braunschweig. [* 23] In der ersten Sitzung sprach Kerschensteiner (München) [* 24] über Krankenhäuser für kleinere Städte und ländliche Kreise. [* 25] Durch die Einführung des Krankenkassen-, Haftpflicht- und Unfallversicherungsgesetzes hat die Benutzung der Krankenhäuser einen sehr raschen Aufschwung genommen, und auch kleinere Orte haben die Notwendigkeit eingesehen, Krankenhäuser zu bauen, Ärzte und Verwaltungsbeamte sind aber noch nicht einig, ob es geratener sei, viele kleine oder wenige große Krankenhäuser zu errichten.

Bayern [* 26] besitzt gegenwärtig 373 Krankenhäuser, von diesen hat keines mehr als 50 Betten, 126 haben nicht mehr als 20 und 103 nicht mehr als 10 Betten. Der Charakter solcher kleiner Krankenanstalten ist gänzlich verschieden von dem größerer Hospitäler: kleines Haus, Garten, [* 27] 50 cbm Luftraum für ein Bett, [* 28] Beschränkung auf einfache, natürliche Ventilation, gute Kachelöfen, [* 29] einfache Badeeinrichtung mit einer fahrbaren Wanne, Parkettfußboden, Schiebethüren, auf den Korridoren Fußboden aus Terrazzo mit Kokosmatten, kleine Hausapotheke, besondere kleine Abteilung für Geisteskranke, Nebengebäude für ansteckende Krankheiten, besonderer Desinfektionsraum, Sektionslokal, sehr ergiebiger Brunnen auf vollständig jungfräulichem Boden, Entwässerungsanlagen für das ganze Haus, keine Versitzgrube, wenn möglich Schwemmkanalisation.

Krankenhaus zu Stettin

Bild 10.148a: Krankenhaus zu Stettin
* 30 Krankenhaus.

Bei kostenloser Hergabe des Baugrundes berechnet sich ein solches Krankenhaus [* 30] auf 1000-2000 Mk. für das Bett, die Verpflegungskosten betragen 1,63-1,95 Mk. pro Kopf täglich. Sehr wichtig ist die Beschaffung geeigneten Pflegepersonals. Mit der Übertragung der Krankenpflege an kinderlose Ehepaare hat man in Bayern keine guten Erfahrungen gemacht, vortrefflich aber sind katholische Ordensschwestern, evangelische Diakonissinnen u. die Schwestern vom Roten Kreuz. [* 31]



Gesundheitspflege (Was

Bild 18.373: Gesundheitspflege (Wasserleitungsfilter, obligatorische Fleischschau)
* 34 Seite 18.373.

Wesentlich hängt das Gedeihen des kleinen Krankenhauses von dem Arzte ab, der neben seinem tüchtigen ärztlichen Wissen und Können die Aufgaben eines Menschenfreundes zu erfüllen hat und das Vertrauen der Gegend besitzen muß. In der sehr lebhaften Diskussion, die sich an den Vortrag anschloß, warnt Hölcker (Münster) [* 32] vor zu großer Zersplitterung, weil kleine Krankenhäuser in Gefahr geraten, zu reinen Armenhäusern zu werden. Rapmund (Aurich) [* 33] hebt hervor, daß die preußische Gesetzgebung genug Handhaben biete, um die Ausführung berechtigter Anforderungen bei neuen

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Krankenhäusern durchzusetzen. Krankenhäuser mit nur 10 Betten halte er für zu klein, weil nicht lebensfähig, er wünsche solche mit nicht weniger als 20 Betten und an Orten, wo die ständige Niederlassung eines Arztes gesichert sei. Neuber (Kiel) [* 35] hält es für notwendig, bei allen Infektionskrankheiten, nicht nur bei Diphtheritis, die Kranken möglichst bald zu isolieren, d. h. in ein Krankenhaus zu bringen. Um aber den vielfach noch bestehenden Widerwillen der Angehörigen und Eltern zu besiegen, sei es erforderlich, Hospitäler mit annähernd privaten Verhältnissen zu schaffen, namentlich müsse es auch dem Hausarzt gestattet sein, erkrankte Kinder in einem solchen Hospital weiter zu behandeln. In Kiel wolle man jetzt zu dem Zwecke ein Vereinshospital bauen.

Der Vorsitzende Bötticher (Braunschweig) hofft, daß der Vortrag wesentlich dazu beitragen werde, die beteiligten Behörden und Verbände von der dringenden Notwendigkeit der Herstellung von Krankenhäusern in kleinen Städten und ländlichen Kreisen zu überzeugen und zur Errichtung derselben anzuregen, und veranlaßt den Ausschuß, für Versendung des Referats und der angeschlossenen Diskussion an Behörden Sorge zu tragen. Dieser Antrag des Vorsitzenden wurde einstimmig angenommen.

Fränkel (Königsberg) [* 36] sprach hierauf über Filteranlagen für städtische Wasserleitungen. Für die Wasserversorgung von Städten bieten sich am bequemsten Flüsse, Seen, Teiche, Kanäle etc. dar. Da aber dieses Wasser allen Verunreinigungen schutzlos preisgegeben ist, so muß es von vornherein als hygienisch verdächtig betrachtet werden, da es namentlich bei Typhus und Cholera als Zwischenträger der betreffenden Bakterien auftreten kann. Eine Befreiung von Infektionsstoffen kann nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge nur durch die bekannte Sandfiltration angestrebt werden.

Das erste Sandfilter wurde 1839 eingerichtet. Eine Schlammschicht, die sich auf dem Sandfilter ansetzt, ist das Netz, in welchem sich die Bakterien fangen. Das Filter hat nun den Zweck, diesem Netze als Unterlage zu dienen. Von Zeit zu Zeit muß die Schlammschicht, die sich allmählich tot arbeitet, um einige Millimeter verdünnt werden, dann arbeitet das Filter wieder. Der Vortragende hat nun mit Piefke die Vorgänge bei der Filtration des Spreewassers in Tonnen studiert und gefunden, daß die Wirkung von der Schnelligkeit der Filtration abhängt, und daß schlechtes Rohwasser auch ein schlechtes Filtrat liefert.

Bei frisch in Betrieb gesetzten Sandfiltern gehen die Bakterien vollständig oder doch großenteils in das Reinwasser über. Erst wenn sich jenes Netz gebildet hat, welches freilich die Massenleistung stark beeinträchtigt, ist das Resultat ein befriedigendes. Zwar finden sich auch dann noch Bakterien im Reinwasser, doch scheinen dieselben nicht aus dem Wasser, sondern aus dem Sande zu stammen. Bei einem gut und langsam arbeitenden Sandfilter hat von 1000 Organismen nur einer Aussicht, das Filtrat zu erreichen.

Grundwasser [unkorrigi

Bild 19.426a: Grundwasser [unkorrigiert]
* 37 Grundwasser.

Man sollte also die zuerst ablaufenden Mengen Reinwasser unbenutzt lassen, möglichst reines Rohwasser benutzen, möglichst geringe Filtrationsgeschwindigkeit und gleichmäßige Thätigkeit der Filter einhalten, namentlich auch ein Durchbrechen der Schlammschicht verhindern. Bessere Resultate wird man wohl nur erreichen, wenn man vom Oberflächenwasser ganz absieht und Grundwasser [* 37] benutzt, welches häufig von vorzüglicher Beschaffenheit ist. Die Schwierigkeiten, welche ein hoher Eisengehalt bereitet, lassen sich technisch überwinden.

Piefke (Berlin) hat gefunden, daß Bakterien in offenen Filtern schneller vernichtet werden als in bedeckten. Da das Flußwasser häufig und periodisch stärker verunreinigt wird, als die Filter vertragen können, so ist notwendig, Vorfilter (Ablagerungsbassins) einzurichten. In der Diskussion wandten sich mehrere hervorragende Wassertechniker, an ihrer Spitze Grahn (Detmold), [* 38] gegen die Schlüsse, welche Fränkel aus seinen Versuchen gezogen hat. Grahn hält für unerwiesen und für wenig wahrscheinlich, daß die Sandfilter keimfreies Wasser liefern, doch gelänge es, bei verständiger Behandlung der Filter den Keimgehalt auf ein sehr geringes Maß zu beschränken.

Gutes Rohmaterial, namentlich wenn von wechselnder Qualität, sei durch Klärung zu verbessern, das Filtrat aus einem neuen oder gereinigten Filter sei unbenutzt zu lassen, bis sich eine richtig arbeitende Schicht gebildet hat. Die durch Erfahrung am Orte festgestellten erforderlichen und niemals zu überschreitenden Filtergeschwindigkeiten seien durch zweckmäßige Einrichtungen beständig zu überwachen, auch seien stets genügende Filterflächen in Reserve zu halten. Fischer (Kiel) besprach das Oestensche Reinigungsverfahren für Grundwasser. Der Eisengehalt sank stets von 1,5, bez. 2,5 mg auf 0,07, bez. 0,1 mg im Liter. Schwefelwasserstoff und Ammoniak verschwanden, nicht ganz der moorige Geruch und Geschmack, auch nicht die salpetrige Säure. Jedenfalls dürfte das Oestensche Verfahren dem Grundwasser eine große Zukunft für die Benutzung als Trinkwasser verschaffen.

Geschichtskarten von D

Bild 4.772a: Geschichtskarten von Deutschland V
* 39 Deutschland.

In der zweiten Sitzung sprach Bollinger (München) über die Verwendbarkeit des an Infektionskrankheiten leidenden Schlachtviehes. Wenn man berechnet, daß der Viehstand in Deutschland [* 39] einen Wert von 5-6 Milliarden hat, und auf Grund der Erfahrungen in den Schlachthäusern weiß, daß 0,5-1 Proz. der Tiere als krank befunden und vom menschlichen Genuß ausgeschlossen werden muß, so ergibt sich, daß der Verlust jährlich viele Millionen Mark beträgt. Man muß deshalb tolerant sein und den Genuß erlauben, bis die Schädlichkeit streng erwiesen sei.

Anderseits ist der jetzige Zustand unhaltbar, Verfälschungen andrer Lebensmittel werden oft streng bestraft, während Fleischarten, die schädlich oder mindestens ekelhaft sind, in einem großen Teile Deutschlands [* 40] verkauft werden dürfen. Zur wirksamen Bekämpfung der Gefahren, welche das Fleisch mit Infektionskrankheiten behafteter Tiere herbeiführen kann, empfiehlt Bollinger folgende Maßregeln:

1) Einführung der obligatorischen Fleischschau in ganz Deutschland. Bis zur allgemeinen Durchführung derselben ist mindestens eine obligatorische Beschau des an Infektionskrankheiten leidenden Schlachtviehes sowie der wegen Krankheit notgeschlachteten Tiere durch tierärztliche Sachverständige anzustreben.

2) Der Erfolg der obligatorischen Fleischschau wird in hohem Grade unterstützt und gewährleistet durch eine gründliche und sozialistische Ausbildung der Tierärzte, namentlich der Schlachthaustierärzte, in Hygiene und Pathologie der menschlichen Fleischnahrung; zu diesem Zwecke ist neben den erprobten praktischen Übungskursen in Schlachthäusern die Einführung der Lehre [* 41] von der Fleischschau als Prüfungsfach bei der tierärztlichen Approbationsprüfung wünschenswert.

3) Eine erfolgreiche und zweckentsprechende Fleischschau in größern und mittlern Städten ist nur möglich in öffentlichen gemeinsamen Schlachthäusern mit Schlachtzwang; die Errichtung solcher Schlachthäuser ist daher von seiten des Staates und der Gemeinden möglichst zu fördern.



Gesundheitspflege (Des

Bild 18.374: Gesundheitspflege (Desinfektion von Wohnungen)
* 42 Seite 18.374.

4) Die Wirksamkeit der Fleischschau wird wesentlich

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unterstützt: a) durch Errichtung von Freibänken behufs entsprechender Verwertung des minderwertigen Fleisches sowie des Fleisches kranker Tiere, welches zum menschlichen Genuß zugelassen werden kann; b) durch Einführung des Deklarationszwanges für minderwertiges Fleisch und das Fleisch kranker Tiere; c) durch möglichste Einschränkung und Erschwerung des Handels mit ausgeschlachtetem Fleische; d) durch gründliche und unschädliche Beseitigung des vom menschlichen Genuß ausgeschlossenen Fleisches, am besten auf chemischem oder thermischem Wege; e) durch Errichtung von Schlachtviehversicherungsanstalten.

5) Über die Verwendbarkeit des an Infektionskrankheiten leidenden Schlachtviehes sowie des minderwertigen Fleisches überhaupt sind gesetzliche Bestimmungen, ähnlich denen über Trichinose, erforderlich, wonach das Fleisch in bestimmten Fällen (z. B. bei Septikopyämie, bei allgemeiner Tuberkulose, Fleisch von krepierten Tieren) zum Verkauf als menschliches Nahrungsmittel nicht zuzulassen ist, während bei einer zweiten Gruppe von Infektionskrankheiten (z. B. Tuberkulose einzelner Organe, Maul- und Klauenseuche, Rotlauf bei Schweinen, Aktinomykose, lokalen Entzündungen), je nach Ausbreitung, Stadium und Intensität der ursachlichen Krankheit, auf Grund des tierärztlichen Gutachtens entweder der Ausschluß des Fleisches vom menschlichen Genuß oder die Verwendung unter gewissen Bedingungen (vorheriges Kochen, Deklarationszwang) als minderwertiges Fleisch gestattet werden kann.

6) Der Genuß von rohem oder halbrohem Fleische ist in jeder Richtung zu verwerfen.

Leipzig

Bild 10.662a: Leipzig
* 43 Leipzig.

7) Bei der großen Bedeutung und Häufigkeit der Rindertuberkulose sind energische Maßregeln zu ihrer Bekämpfung von seiten des Staates dringend geboten. Redner führte an, daß in Leipzig [* 43] 15 Proz. der geschlachteten Rinder [* 44] tuberkulös befunden wurden, durchschnittlich im Königreich Sachsen [* 45] 11 bis 12 Proz., in einzelnen Schlachthäusern sogar über 20 Proz. Die Milch tuberkulöser Tiere schließt eine große Gefahr, namentlich für Kinder, in sich. In Bezug auf den Fleischgenuß ist die Frage noch nicht spruchreif.

Die Tuberkulose muß ebenso behandelt werden wie die andern Seuchen, und man wird dann auch dieser gegenüber Erfolge haben, wenngleich das Zeit und Opfer kosten wird. Schlachthausdirektor Hengst (Leipzig) führte aus, daß in den ersten 8 Monaten von 1890 im Leipziger Schlachthaus 24 Proz., im April sogar 29,7 Proz. der Rinder tuberkulös gewesen seien, bei Schweinen finde sich die Tuberkulose wahrscheinlich noch häufiger. Hölker hält es für richtig, schon für Städte von 5-10,000 Einw. Schlachthäuser einzurichten. Auf Antrag von Lohmann (Hannover) [* 46] wird die erste These folgendermaßen geändert: Bis zur völligen Durchführung der allgemeinen obligatorischen Fleischschau ist mindestens eine obligatorische Beschau der einer Krankheit verdächtigen Schlachttiere sowie der wegen Krankheit notgeschlachteten Tiere durch tierärztliche Sachverständige anzustreben. Alle übrigen Thesen werden unverändert angenommen.

Hierauf sprach Gaffky (Gießen) [* 47] über Desinfektion von Wohnungen. In Berlin wurde zuerst ein auf der Anwendung von Karbolsäure- oder Sublimatspray beruhendes Verfahren von Guttmann und Merke vorgeschlagen, welches nicht unbefriedigende Ergebnisse lieferte, 1887 aber durch das Verfahren der Abreibung der Wände und Möbel mit Brot und Waschen des Fußbodens mit Karbolsäure verdrängt wurde. Letzteres Verfahren ist nach Esmarchs Untersuchungen sehr zuverlässig.

Das Brot darf weder zu frisch noch zu trocken sein und wird in lange, handliche Stücke zerschnitten. Ein Arbeiter wird in einigen Stunden mit einem mittelgroßen Zimmer fertig, und die Ausgaben betragen 2-2,5 Mk. Bei getünchten Wänden wird der Anstrich erneuert und in der ursprünglichen Farbe wiederhergestellt. Wäsche, Kleider, Betten desinfiziert man mit heißen Wasserdämpfen oder kocht sie mit Wasser. Andre Gegenstände werden je nachdem mit trocknen Lappen oder mit solchen, die mit Desinfektionsflüssigkeit getränkt sind, abgerieben.

Brotreste und Lappen werden schließlich verbrannt. Bei manchen ansteckenden Krankheiten, wie Cholera, Darmtyphus, Ruhr, kann man auf Abreiben der Wände verzichten, wie überhaupt das Verfahren bei einzelnen Krankheiten einige Abänderungen erleidet. Redner rühmte die Zuverlässigkeit u. Tüchtigkeit der betreffenden Organisation in Berlin und stellt dann folgende Thesen auf:

1) Von dem wertvollen Mittel der Bekämpfung der Infektionskrankheiten, welches in der Desinfektion der Wohnungen zu Gebote steht, ist bisher nur in verhältnismäßig geringem Umfang und vielfach in wenig zweckentsprechender Weise Gebrauch gemacht worden.

2) Die Vornahme der Wohnungsdesinfektion darf nicht lediglich dem Belieben der Haushaltungsvorstände überlassen bleiben; sie ist vielmehr für bestimmte Fälle im allgemeinen Interesse obligatorisch zu machen.

3) In allen Fällen von behördlich angeordneter Wohnungsdesinfektion ist dieselbe ausschließlich solchen zuverlässigen Personen zu übertragen, welche praktisch entsprechend vorgebildet sind und ihre Befähigung durch Ablegung einer besondern Prüfung dargethan haben.

4) Die Organisation der Wohnungsdesinfektion hat thunlichst im Anschluß an öffentliche Desinfektionsanstalten zu erfolgen, und die Wohnungsdesinfektion kann in der Regel auf das Krankenzimmer einschließlich seines Inhalts sowie auf die von dem Kranken benutzten, bis dahin noch nicht oder nicht genügend desinfizierten Gegenstände beschränkt werden.

5) Für die Ausführung der obligatorischen Wohnungsdesinfektion sind genaue Anweisungen zu erlassen, bei deren Aufstellung unter andern auch folgende Gesichtspunkte in Betracht kommen: a) Für die verschiedenen Infektionskrankheiten sind verschiedene Desinfektionsverfahren vorzuschreiben. Dabei ist die Anzahl der Desinfektionsmittel thunlichst zu beschränken und von allen Maßregeln Abstand zu nehmen, deren Durchführbarkeit in der Praxis zweifelhaft erscheint, oder welche durch einfachere ersetzt werden können. b) Die Anweisungen haben erforderlichen Falls auch die ländlichen Verhältnisse und insbesondere auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, daß ein Dampfdesinfektionsapparat zur Zeit noch nicht zur Verfügung steht. c) Mit der Anwendung chemischer Desinfektionsmittel muß die gründlichste Reinigung stets Hand in Hand gehen.

6) Die Durchführung der obligatorischen Wohnungsdesinfektion bedarf einer fortlaufenden sachverständigen Überwachung.

7) Die Kosten, welche durch die obligatorische Wohnungsdesinfektion erwachsen, sind aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten.

Bei der Debatte, welche sich dem Vortrag anschloß, wurde der Schwierigkeit der Durchführung der Desinfektion in kleinen Wohnungen gedacht. Fehlt ein Raum zum einstweiligen Aufenthalt, so begeben sich die Leute wohl zum Nachbar und tragen so den Ansteckungsstoff in ihren Kleidern weiter. Man hat also auch für die Unterkunft dieser Leute beim Desinfizieren und für Wechselkleider beim Desinfizieren der Kleidung zu sorgen. Die Kostenlosigkeit der

Fortsetzung Gesundheitspflege: → Seite 18.375 || infektion wurde von manchen Seiten für bedenklich erachtet. Löffler (Greifswald) will den