Hofnarren | eLexikon | Kulturgeschichte - Sitten und Gebräuche
- ️Peter Hug, Sollrütistr. 24, CH-3098 Schliern b. Köniz
Bewährtes Wissen in aktueller Form
Main
Hofmark - Hofnarren

2 Artikel | Textanfang / Anzahl Wörter |
---|---|
Hofnarren | an den Höfen der Fürsten bis zu der Zeit, wo die modern-französische Etikette zur Herrschaft / 851 |
Hofnarren _2 | schon im Altertum Personen, die es sich zur Aufgabe machten, den Großen und Reichen durch Späße, / 493 |
Hofnarren
2 Seiten, 1'344 Wörter, 9'042 Zeichen
Kulturgeschichte — Sitten und Gebräuche
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Hofnarren,
an den Höfen der Fürsten bis zu der Zeit, wo die modern-französische Etikette zur Herrschaft gelangte, gewisse Personen, welche zur Unterhaltung und Ergötzung der Herrschaften bestimmt waren, sie mochten nun vermöge ihres angebornen Talents den Hof [* 2] zum Stichblatt ihrer Witze machen oder diesem ihrer Dummheit oder Pedanterie wegen als Zielscheibe des Spottes dienen. Schon bei den Festen und Schmausereien der Alten waren Lustigmacher unentbehrlich, wie wir aus Xenophons »Gastmahl« sehen, und an den Gattungen der Parasiten (Schmarotzer), witzigen Spottvögel (scurrae) und zwerghaften, buckligen oder sonst mißgestalteten Dummköpfe (moriones) scheint weder bei den Griechen noch bei den Römern Mangel gewesen zu sein.
Hofraite - Hofrecht

* 4
Seite 8.623.Die eigentlichen Hofnarren jedoch, wie sie an den Fürstenhöfen seit dem 15. Jahrh. zur Vollständigkeit des Hofstaats gehörten, kommen zuerst nach den Kreuzzügen vor. Während aber z. B. die an dem französischen Hof, unter denen sich namentlich Bruisquet und Angeli Berühmtheit erworben haben, feine Hofleute waren und sich als geistreiche Erzähler wie überhaupt durch bedeutendes Unterhaltungstalent auszeichneten, treten uns in den an den deutschen Höfen ganz andre Naturen entgegen. Die großen Herren in Deutschland [* 3] hatten in ihrer Nähe am liebsten lustige Leute, um sich nach ernsten Geschäften an den Späßen derselben zu ergötzen; doch sehen wir hier und da mit dem Scherz auch den Ernst gepaart, und der »lustige Rat« wurde zu einem förmlichen, oft sehr ¶
mehr
einflußreichen Hofmann. So hielt Kaiser Maximilian I. seinen treuen Hofnarren Kunz von der Rosen sehr hoch. Otto der Fröhliche, Herzog von Steiermark, [* 5] trieb manche Kurzweil mit seinem Lustigmacher Wiegand von Theben, dem sogen. Pfaffen vom Kahlenberg, dessen nicht selten an Eulenspiegel erinnernde Schwänke auch gedruckt sind. Die Kurfürsten von Sachsen [* 6] hatten ihren groben Klaus von Ranstädt, den sogen. Klaus Narren, und den witzigen F. Taubmann. Beider Einfälle und Possen sind ebenfalls durch den Druck bekannt geworden.
Viel genannt ist auch der Hofnarr des Kurfürsten Karl Philipp von der Pfalz, der Zwerg Perkeo, dessen hölzernes Standbild noch jetzt im Keller des Heidelberger Schlosses zu sehen ist. Wie das Benehmen der Hofnarren von dem andrer Leute verschieden war, so wurde es nach und nach auch ihre Tracht. Der beschorne Kopf scheint sich von den alten Mimen auf die Narren späterer Zeiten vererbt zu haben, und in dieser Beziehung werden sie nicht selten mit den tonsurierten Mönchen zusammengestellt.
Gurnigelbad - Gürtel [
![Bild 58.571: Gurnigelbad - Gürtel [unkorrigiert] Bild 58.571: Gurnigelbad - Gürtel [unkorrigiert]](http://peter-hug.ch/meyers/thumb/58/58_0571.jpeg)
* 8
Gürtel.Die Narrenkappe (Gugel, [* 7] Kogel, cucullus) war ein kugelförmiger oder turbanähnlicher Kopfputz, wie ihn jetzt noch die Bergleute zu tragen pflegen. Da aber auch Gelehrte, Mönche und gemeine Leute sich der Gugel (s. d.) bedienten und diese an und für sich den Narren nicht mehr genugsam charakterisierte, so setzte man ihr schon im 15. Jahrh. Eselsohren an oder verzierte sie mit dem Hahnenkamm, einem ausgezackten Streifen roten Tuches, welcher von der Stirn bis in den Nacken lief. Zu dem Putz eines Hofnarren gehörte ferner der breite Halskragen, welchen man auch noch an unserm deutschen Hanswurst wahrnimmt, und die Schellen, welche im Mittelalter von Reichen und Vornehmen, seit dem 15. Jahrh. aber nur von privilegierten Narren und zwar an der Kappe, an den Eselsohren, an der Brust, am Gürtel, [* 8] an den Ellbogen, an den Knieen und an den Schuhen getragen zu werden pflegten.
Soll, wie das Sprichwort sagt, ein Narr einem König gleich sein, so darf ihm das Zepter nicht fehlen, und er besaß es auch wirklich in der Gestalt des Narrenkolbens, welcher anfangs nichts weiter als der in Sümpfen wachsende Rohrkolben (Typha L.), der daher auch den Namen Narrenzepter führt, gewesen zu sein scheint. Später fertigte man ihn aus Leder, in Form einer Herkuleskeule, woran sich oben gewöhnlich ein Narrenkopf mit herausgereckter Zunge als Verzierung befand.
Der Narr hatte diese Angriffs- und Verteidigungswaffe an einem Riemen an der Hand [* 9] oder am Arm hängen. Schon gegen das Ende des 15. Jahrh. artete das Wesen der Hofnarren besonders in Deutschland aus; da nämlich zuletzt fast jeder Edelmann seinen Hofnarren hielt, so ward das Land mit Narren und Spitzbuben zugleich übersäet, indem viele Gauner sich vom ersten besten Adligen das Narrenpatent ausstellen ließen, um unter dieser Firma Schelmen- und Schurkenstreiche ausüben zu können.
Blutbewegung (chemisch

* 10
Blüte.Auf den Reichstagen von 1495 bis 1575 wurden gegen diesen Unfug und namentlich gegen die Titularnarren strenge Beschlüsse gefaßt. Die französische Hofsitte verdrängte zu Anfang des 18. Jahrh. endlich die Hofnarren von den europäischen Höfen. Der närrische Pedant J. P. Gundling am Hofe Friedrich Wilhelms I., welcher nur durch die unzähligen Possen, die man mit ihm trieb, berühmt geworden ist, war kein eigentlicher Hofnarr. Nur am russischen Hof begann um dieselbe Zeit erst die Blüte [* 10] der Hofnarren, aber in neuer, durchaus origineller Art. Peter d. Gr. und die Kaiserin Anna benutzten das Institut der Hofnarren zur Zügelung und Züchtigung ihrer Umgebung, indem sie diejenigen, welche irgend eine Thorheit begangen hatten, dafür zu Hofnarren ernannten.
Auf diese Weise wurde z. B. der Fürst Galizyn Hofnarr, weil er im Ausland die Religion gewechselt hatte, und der Fürst Wolchonski erhielt, weil er sehr lustig war, als Hofnarr den Titel eines Aufsehers über die Windhunde der Kaiserin. Bei Karnevals- und ähnlichen öffentlichen Aufzügen finden wir die Narren im alten Kostüm [* 11] noch jetzt; unsterblich geworden sind sie aber durch Shakespeare.
Vgl. Flögel, Geschichte der Hofnarren (Leipz. 1789);
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Titel
Elemente zu Hofnarren:[8.622] Hofnarren an den Höfen der Fürsten bis zu der Zeit
Hofnarren,
Syra - Syrakus

* 12
Syrakus.schon im Altertum Personen, die es sich zur Aufgabe machten, den Großen und Reichen durch Späße, besonders bei Tafel, die Zeit zu vertreiben, wie z. B. Alexander d. Gr., Dionysius von Syrakus, [* 12] Augustus und dessen Nachfolger sich solche Possenreißer hielten. Dem Mittelalter war es vorbehalten, diesen seltsam-unwürdigen Beruf weiter auszubilden und die Narrenschaft zu einem förmlichen unentbehrlichen Hofamt zu erheben. Zu den wesentlichen Attributen eines solchen Beamten gehörten:
1) die Narrenkappe auf geschorenem Haupte, meist bunt, mit Eselsohren oder Hahnenkamm verziert;
2) das sehr verschiedenartig geformte Narrenscepter oder der Narrenkolben;
3) die Schellen, vorzüglich an der Kappe, doch auch an andern Teilen des Anzugs;
4) ein großer Halskragen. Die übrigen Teile des Anzugs aber waren beliebig nach dem Geschmacke des Herrn. Außer diesen eingekleideten Possenreißern, unter denen Triboulet am franz. Hofe unter König Franz I. und sein Nachfolger Brusquet, ferner Klaus Narr, dessen gesammelte Schwanke mehrmals im Druck erschienen, bei Kurfürst Friedrich dem Weisen, und Serggan, der Hofnarr der Königin Elisabeth von England, am bekanntesten sind, gab es noch eine höhere Klasse derselben, sog. lustige Räte, kurzweilige Räte und Tischräte, meist geistreiche Männer, die sich des Vorrechts der freien Rede bedienten, um die Thorheiten und Gebrechen ihrer Zeit und ihrer Umgebungen aufs unbarmherzigste zu verspotten.
Unter diesen haben sich durch Geist und Witz besonders hervorgethan Kunz von der Rosen, lustiger Rat Kaiser Maximilians I., John Heywood, ein fruchtbarer dramat. Dichter und Epigrammatist am Hofe Heinrichs VIII. von England, und Angely, ein franz. Hofmann. Auch fehlten zu keiner Zeit an den Höfen Personen, denen, ohne daß sie die Narrenschaft zu ihrem Berufe machten, das Vorrecht zugestanden war, durch Witz und beißende Ausfälle die Gesellschaft ungestraft geißeln zu dürfen, oder die, wie besonders pedantische Gelehrte, als allgemeines Stichblatt des Witzes dienten; so der durch seine derben Späße bekannte kursächs.
Preußen

* 13
Preußen.General Kyau und der gelehrte Jak. Paul Freiherr von Gundling (s. d.), den König Friedrich Wilhelm I. von Preußen [* 13] mit zahlreichen Staats- und Hoftiteln überhäufte. Die Geschichte des Hofnarrenwesens bezeichnet den jedesmaligen Standpunkt der Gesittung der Höfe, und kein Reichstagsbeschluß, deren im 16. Jahrh. mehrere darüber gefaßt wurden, vermochte darin etwas zu ändern. Später, als die Derbheit der Sitten an den Höfen verschwand, ergötzte man sich an sog. Kammerzwergen sowie an einfach blödsinnigen oder gebrechlichen Menschen, deren selbst der gewöhnliche Edelmann zu seiner Kurzweil nicht mehr entbehren zu können glaubte, eine Erscheinung, die als letztes Stadium des Narrenwesens endlich die gänzliche Abschaffung desselben zu Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrh. zur Folge hatte.
Unter den deutschen Höfen hat der kursächsische am längsten, bis in die Mitte des 18. Jahrh., besoldete Hofnarren gehalten; am russ. Hofe aber stand das Narrenwesen damals noch in seiner Blüte. Peter d. Gr. hatte deren noch so viele, daß er sie in verschiedene Klassen teilte. –
Vgl. Flögel, Geschichte der Hofnarren (Liegnitz [* 14] 1789);
Nick, Die Hof- und Volksnarren (2 Bde., Stuttg. 1861);
Ebeling, Zur Geschichte des Hofnarren Friedr. Taubmann (3. Aufl., Lpz. 1883);
ders., Die Kahlenberger.
Zur Geschichte der Hofnarren (Berl. 1890).