Indizienbeweis | eLexikon
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Indiz
Indizienbeweis - Indog
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Seite 8.928.(lat. Indicium, Indizie, Anzeige, Inzicht), eine Thatsache, deren Vorhandensein und deren Gewißheit auf das Vorhandensein und auf die Wahrheit einer andern zu beweisenden Thatsache schließen lassen; insbesondere im Strafprozeß eine Thatsache, welche eine Schlußfolgerung für die Schuld oder Unschuld des Beschuldigten zuläßt; so z. B. bei einem Morde die Blutflecke, die sich an den Kleidern desjenigen finden, welcher dieses Mordes beschuldigt ist. Der Ausdruck I. (»Anzeige«) hängt damit zusammen, daß solche Umstände auf die zu erweisenden ¶
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Thatsachen »hinweisen«. Ein auf die Zusammenstellung von Indizien gebauter Beweis heißt Indizienbeweis (indirekter, künstlicher, mittelbarer, rationaler Beweis). Die ältere Doktrin pflegte verschiedene Einteilungen der Indizien zu machen. So unterschied man zwischen Anzeigen der Schuld und Unschuld (Gegenanzeigen), zwischen allgemeinen und besondern Indizien, je nachdem sie im allgemeinen auf eine verbrecherische Handlung oder gerade auf ein bestimmtes Verbrechen hindeuteten, zwischen nahen und entfernten Anzeigen, je nachdem der dadurch begründete Verdacht ein dringender war oder nicht.
Außerdem werden die Indizien eingeteilt in vorausgehende, z. B. früherer schlechter Lebenswandel des Beschuldigten, gleichzeitige, z. B. Fußspuren am Orte der That, und nachfolgende, wie z. B. die Flucht des Verdächtigen nach der That. Je gewisser das einzelne I. und je wahrscheinlicher der daraus gestützte Schluß ist, je mehr Indizien zusammenstimmen, und je weniger Widersprüche darunter hervortreten, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit der Thatsache, auf welche geschlossen wird, und sie kann bis zu dem Grad steigen, welchen wir bei Beurteilung von Thatsachen der Erfahrung als Gewißheit anzusehen pflegen.
Geschichtskarten von D
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Deutschland.Während das römische Recht den Richter anwies, nach seiner Überzeugung zu urteilen, bildeten sich in Deutschland [* 4] bestimmte Regeln aus, nach welchen der Richter die Wahrheit einer Thatsache zu beurteilen habe, und die peinliche Gerichtsordnung Karls V. (sogen. Carolina) verordnete, daß der nicht geständige Angeschuldigte einer Missethat nur »mit zweyen oder dreyen glaubhaftigen guten Zeugen, die von einem waren wissen sagen«, d. h. dieselbe aus eigner Wahrnehmung bezeugen, oder durch Augenschein und Sachverständige überführt und deshalb verurteilt werden könne.
Eine solche Überführung ist jedoch beim Leugnen des Beschuldigten nur in den seltensten Fällen möglich, und man suchte daher durch die Folter und später durch eindringliche, künstliche Verhöre auf ein Geständnis hinzuwirken. Erfolgte ein Geständnis nicht, so wurde nur eine gelindere (außerordentliche) Strafe verhängt. Je mehr aber allmählich die Überzeugung um sich griff, daß diese außerordentlichen Strafen inkonsequent und ungerecht und die Erpressung des Geständnisses unerlaubt und trügerisch seien, je mehr Mittel zur Erforschung der Wahrheit die ausgebildete Polizei und die fortgeschrittenen Naturwissenschaften darboten: um so mehr wurde man geneigt, den Indizienbeweis zuzulassen. Es war daher einer der wesentlichsten Fortschritte, daß in dem jetzt üblichen mündlichen Strafverfahren die gesetzliche Beweistheorie abgeschafft und der rechtsgelehrte Richter nicht minder als der Geschworne lediglich auf seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Thatsache verwiesen wurde.
Da aber diese Überzeugung sich aus dem Gesamtergebnis der vorgeführten Beweise zu bilden hat, so ist es immer noch von Bedeutung und Pflicht des Richters, nach den Gesetzen der Erfahrung und des Denkens die Anzeigen zu prüfen, so daß die Würdigung der Indizien, welche früher ein Bestandteil formaler Beweisführung war, auch jetzt noch die Grundlage der innern Erwägungen eines gewissenhaften Richters ist. Die deutsche Strafprozeßordnung enthält die ausdrückliche Bestimmung (§ 260): »Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung«.
Vgl. Glaser, Die Lehre [* 5] vom Beweis im Strafprozeß (Leipz. 1883);
Rupp, Beweis im Strafverfahren (Freiburg [* 6] 1884).