Lessing | eLexikon | Litteratur - Deutsche Literatur - Neuere Dichtung seit 1500
- ️Peter Hug, Sollrütistr. 24, CH-3098 Schliern b. Köniz
- ️Sat Jan 22 1729
Titel
Elemente zu Lessing:1) Gotthold Ephraim, einer der ersten deutschen Dichter und der erste Kritiker der deutschen Litteratur
[Biographische Litteratur etc.]
2) Karl Friedrich, Maler, Großneffe des vorigen
3) Julius, Kunstschriftsteller
Lessing,
1) Gotthold Ephraim, einer der ersten deutschen Dichter und der erste Kritiker der deutschen Litteratur, geb. 22. Jan. 1729 zu Kamenz [* 2] in der sächsischen Oberlausitz, wo sein Vater Prediger und später Hauptpastor war, bezog 21. Juni 1741 die Fürstenschule St. Afra zu Meißen, [* 3] auf der er eine gründliche Ausbildung in den alten Sprachen erwarb und bei dem Selbststudium, welches nach dem gesunden Prinzip der Fürstenschulen verstattet war, sich mit Vorliebe zu den Charakterdarstellern und Dramatikern Theophrast, Plautus und Terenz wandte.
Leipzig
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* 4
Leipzig.Von poetischen Plänen und Entwürfen (auch von einem beabsichtigten Lehrgedicht: »Über die Vielheit der Welten«, haben sich einige Verse erhalten) gehörte der Meißener Schülerzeit bereits eine erste Bearbeitung des später in Leipzig [* 4] abgeschlossenen Lustspiels »Der junge Gelehrte« an. Die frühe Rastlosigkeit und eigentümliche, schon im Jünglingsalter fast männliche Reife seines Geistes ward, als er im Herbst 1746 die Universität Leipzig bezog, für ihn insofern verhängnisvoll, als er sich von der Mittelmäßigkeit, die namentlich in den theologischen Vorlesungen herrschte, in keiner Weise angezogen und gefesselt fühlen konnte, wodurch der Lebensplan, Theologie zu studieren, von vornherein in bedenkliches Schwanken geriet. Da sich Lessing von philologischen, naturwissenschaftlichen und mathematischen Studien weit mehr angezogen fühlte, setzte er es in der That bei seinen Eltern durch, Medizin zu studieren und sich »nebenbei auf Schulsachen zu legen«.
Indes gestalteten sich die Dinge so, daß Lessing zu einem regelmäßigen Verlauf seiner Universitätsstudien überhaupt nicht gelangte. Vom Beginn seines Leipziger Aufenthalts an hatte Lessing in jugendlichem, wenn noch so bescheidenem Lebensgenuß und im Verlangen nach einer allseitigen Durchbildung nicht nur des Geistes, sondern auch der Persönlichkeit eine Richtung bethätigt, welche für den auf geringe Mittel und namentlich auf Stipendien Angewiesenen nicht ohne Gefahr war.
»Ich lernte einsehen«, heißt es in einem spätern Brief an seine Mutter, »die Bücher würden mich wohl gelehrt, aber nimmermehr zu einem Menschen machen. Eine bäuerische Schüchternheit, ein verwilderter und ungebauter Körper, eine gänzliche Unwissenheit in Sitten und Umgang, verhaßte Mienen, aus welchen jedermann seine Verachtung zu lesen glaubte, das waren die guten Eigenschaften, die mir bei meiner eignen Beurteilung übrigblieben. Ich empfand eine Scham, die ich niemals empfunden hatte. Und die Wirkung derselben war der feste Entschluß, mich hierinne zu bessern, es koste, was es wolle. Ich lernte tanzen, fechten, voltigieren. Mein Körper war ein wenig geschickter geworden, und ich suchte Gesellschaft, um nun auch leben zu lernen.« Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei diesem letztern Studium der unerfahrene Jüngling in mancherlei Fährlichkeiten und in Schulden geriet.
Die Neigung, welche er für das Drama schon aus Meißen mitgebracht hatte, ward in Leipzig, wo Friederike Neuber und ihre Gesellschaft noch spielten, durch die Anschauung einer lebendigen Bühne derart gesteigert, daß die erste litterarische Thätigkeit des jungen Lessing, neben anakreontischen Versuchen und kleinen Sinngedichten, sich durchaus auf dramatische Arbeiten und Entwürfe richtete. Dem neubearbeiteten Lustspiel »Der junge Gelehrte« erwies die Neuber »die Ehre, die sie sonst selten einem angehenden Komödienschreiber zu erweisen pflegte: sie ließ es aufführen«.
Selbst in seinen dramatischen Jugendversuchen (zu denen noch die Lustspiele: »Der Freigeist«, »Der Misogyn«, »Die Juden«, »Die alte Jungfer«, »Der Schatz« zu rechnen sind) bewies Lessing insofern eine gewisse Selbständigkeit, als er zwar noch nach französischen Vorbildern schuf, aber diese Vorbilder hauptsächlich bei Marivaux und Destouches fand und sich damit der Forderung der Naturwahrheit und dem direkten Anschluß an die Natur schon um einen Schritt näherte. Ehe er geistig über diese Entwickelungsperiode hinauskam, hatte Lessing äußerlich viel zu durchleben.
Witteboom - Wittenberg
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* 5
Wittenberg.Nachdem im Frühjahr 1748 die Katastrophe der Neuberschen Schauspielergesellschaft eingetreten war, wurde dem jungen Autor und Studenten, der sich für einzelne Mitglieder der Truppe verbürgt hatte, der Boden in Leipzig zu heiß unter den Füßen. Er entwich vor seinen Gläubigern nach Wittenberg, [* 5] wo er krank ankam. Kaum daß er die Erlaubnis seiner Eltern erhalten, auf dieser zweiten sächsischen Universität seine Studien fortzusetzen, so bedrängten ihn auch hier seine Gläubiger derart, daß er den gewagten, aber männlichen Entschluß faßte, vorderhand seine Universitätsstudien abzubrechen, vom Ertrag seiner Stipendien seinen Gläubigern gerecht zu werden, für sich selbst aber in Berlin [* 6] eine litterarische Existenz zu suchen. Eine solche hatte sein Landsmann und Freund, der »Freigeist« Christlob Mylius, in dessen Zeitschriften: »Ermunterungen zum Vergnügen des Gemüts« und »Der Naturforscher« Lessing seine frühsten Gedichte veröffentlichte, bei der Redaktion der Rüdigerschen (später Vossischen) Zeitung gefunden.
Im Dezember 1748 kam Lessing in dürftigem Aufzug [* 7] und völlig mittellos in Berlin an; das Nötigste erwarb er zunächst durch litterarische Besprechungen für die eben gedachte Zeitung, für die er vom April 1751 an ein Beiblatt: »Das Neueste aus dem Reiche des Witzes«, redigierte, und durch Übersetzungen. Von größerer Bedeutung waren die »Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters« (Stuttg. 1750),
Lessing (Gotthold Ephr
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* 9
Seite 10.721.die er mit Mylius gemeinsam begann; seine lyrischen Versuche sammelte er als »Kleinigkeiten« (das. 1751). Im Dezember 1751 entschloß Lessing sich, Berlin zu verlassen, die Universität Wittenberg abermals zu beziehen, um den Magistergrad zu erwerben. »In Leipzig hatte er einen Dichterkreis und ein Theater [* 8] gefunden, und hier war er einer der besten Lyriker und der erste Dramatiker des Jahrzehnts geworden, in Berlin hatte er in prosaischer Schriftstellerei seinen Freund Mylius und die übrigen deutschen und französischen Litteraten überflügelt; nun kam er an einen Hauptsitz gründlicher und gottseliger Gelehrsamkeit, und hier besiegte er in einem Fach, das recht eigentlich das innerste Heiligtum bücherwürmerischer Gelehrsamkeit ist, einen Mann, welcher sich in demselben den größten Namen gemacht hatte« (Danzel). Er begann einen Nachtrag zu Jöchers vielberufenem ¶
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Gelehrtenlexikon, der zugleich eine scharfe Kritik des Werkes war und für Lessings ausgebreitete Belesenheit und kritischen Scharfsinn rühmlich Zeugnis abgelegt haben würde, hätte er es nicht vorgezogen, den schon begonnenen Druck dieser Arbeit wieder einzustellen. Vollendet wurden dagegen eine Reihe von Aufsätzen, die Lessing »Rettungen« überschrieb, »Beiträge zur Reformationsgeschichte« (über Hieronymus Cardanus, Cochläus, Simon Lemnius u. a.), in denen sich Lessings scharfe, allem Autoritätsglauben abgeneigte Kritik mit seinem warmen Gerechtigkeitsgefühl zu einer Meisterleistung verband.
Noch vor Ablauf [* 10] des Jahrs 1752 kehrte Lessing, nachdem er zum Magister promoviert worden, nach Berlin zurück und widmete sich nach wie vor der freien litterarischen Thätigkeit, welche in Wahrheit erst durch ihn zu Ehre und Ansehen gelangte. Er schrieb wiederum Kritiken für die »Vossische Zeitung«, begründete eine neue »Theatralische Bibliothek« (Berl. 1754-58),
London
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* 12
London.schrieb mit Moses Mendelssohn die Schrift »Pope ein Metaphysiker!« (Danzig [* 11] 1755), gab die Schriften seines Freundes Mylius heraus, welcher früh auf einer wissenschaftlichen Reise in London [* 12] gestorben war, und lebte daneben in einem kleinen Kreis [* 13] befreundeter, geistig strebsamer und angeregter Männer, unter denen sich Sulzer, Ramler, Fr. Nicolai und Moses Mendelssohn befanden. Sein ausgebreitetes Wissen, sein genialer Einblick in den Kern aller poetischen und litterarischen Aufgaben und sein unerschrockener Freimut begannen gefürchtet zu werden, seitdem er, frech herausgefordert, mit seinem »Vademecum für Herrn Samuel Gotthold Lange, Pastor in Laublingen« (Berl. 1754) an dem seichten und flüchtigen Horaz-Übersetzer und in ihm an der ganzen behaglichen und platten Mittelmäßigkeit in der damaligen schönen Litteratur ein Exempel statuiert hatte.
Während dieses zweiten Aufenthalts in Berlin wandte sich Lessing mit Vorliebe dem Studium der englischen Litteratur, namentlich der bürgerlichen Dichtung der Lillo, Richardson u. a., zu, sprach es aus, daß ebendiese Dichtung dem deutschen Geist unendlich verwandter sei als die französische, und stellte offenbar die Romane und Dramen der Engländer als mustergültig hin, weil er jenen unmittelbaren Lebensgehalt in ihnen wahrnahm, welcher der deutschen Poesie noch fehlte, und dessen sie bedurfte.
Das erste größere dramatische Werk Lessings: »Miß Sara Sampson« (Berl. 1755),
lehnte sich daher an die Situationen und Lebensverhältnisse der englischen Familienromane und bürgerlichen Trauerspiele derart an, daß Lessings Zeitgenossen »Sara Sampson« schlechthin ein englisches Trauerspiel nannten;
zugleich aber erwies es in der Handlungsführung und Charakteristik eine Freiheit und Meisterschaft, die in der steifen, leb- und hilflosen, ängstlich nach Regeln arbeitenden deutschen Litteratur seither unerhört war.
Eben weil er fühlen mußte, daß er mit dieser poetischen Leistung auf einen Höhepunkt gelangt sei, wünschte Lessing sich der seitherigen Art seiner Existenz, wo der Tag für den Tag zu sorgen hatte und er neben eignen Arbeiten Übersetzungen liefern mußte (er übertrug einige Bände von Rollins »Geschichte« aus dem Französischen, Huartes »Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften« aus dem Spanischen etc.), zu entziehen.
Berlin-Dresdener Eisen
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* 14
Berliner.Er vertauschte im Oktober 1755 Berlin wieder mit Leipzig, wohin ihn die Kochsche Schauspielertruppe gezogen zu haben scheint, und konnte bald darauf seinen Berliner [* 14] Freunden von einer Aussicht melden, über die er große Genugthuung empfand: er sollte als Reisebegleiter eines jungen Leipziger Patriziers, Winkler, Ostern 1756 eine auf drei Jahre berechnete Bildungsreise nach den Niederlanden, England, Frankreich, Italien [* 15] antreten. Er schreibt darüber: »Ich werde nicht als Hofmeister unter der Last eines mir auf die Seele gebundenen Knaben, nicht nach den Vorschriften einer eigensinnigen Familie, sondern als der bloße Gesellschafter eines Menschen reisen, welchem es weder an Vermögen noch an Willen fehlt, mir die Reise so nützlich und angenehm zu machen, als ich sie mir nur selbst werde machen wollen«. Er bereitete sich ernsthaft auf die Reise vor, welche in der That 10. Mai angetreten wurde und Lessing durch das nördliche Deutschland [* 16] nach den Niederlanden führte, wo von Amsterdam [* 17] aus die vorzüglichsten Städte besucht wurden.
Der Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs aber und die Besetzung Leipzigs durch preußische Truppen trieben Winkler nach Leipzig zurück, wohin ihm Lessing notgedrungen folgen mußte. Da es hier rasch zu einem Zerwürfnis zwischen und seinem seitherigen Genossen kam, das in einen erst nach Jahren (1764) zu Lessings gunsten erledigten Prozeß auslief, so sah sich der Schriftsteller, welcher auf drei Jahre der Sammlung und Muße gehofft hatte, wieder auf seine Feder angewiesen und mußte mehr als je zuvor zu Übersetzungen, Korrekturen und andern Notbehelfen greifen.
Zunächst hielt ihn der Verkehr mit dem preußischen Major Ew. v. Kleist (dem Dichter) in Leipzig zurück; als aber dieser im Mai 1758 zur preußischen Feldarmee ging, zog es auch Lessing wieder nach Berlin. Mit den dortigen Freunden Nicolai und Mendelssohn hatte Lessing eifrig (vorwiegend über die Theorie des Trauerspiels) korrespondiert, und auf alle Fälle fand er in Berlin mehr Beziehungen, als er zur Zeit in Leipzig besaß. Von 1758 bis 1760 lebte Lessing in der preußischen Hauptstadt unter den Eindrücken der Thaten und Wechselfälle des Siebenjährigen Kriegs. Mit seinen Freunden vereinigte er sich zur Herausgabe eines neuen kritischen Organs für Besprechung der Litteratur: der »Briefe die neueste Litteratur betreffend« (Berl. 1759 ff.),
für die er jene Beiträge schrieb, durch welche die Zeitschrift beinahe allein ihre bleibende Bedeutung erlangte. Er veröffentlichte nebenbei drei Bücher seiner »Fabeln« nebst Abhandlungen (Berl. 1759) und das kleine patriotisch-kräftige, in einer knappen, scharfen Prosa abgefaßte Trauerspiel »Philotas« (das. 1759),
Sejm - Sekt [unkorrigi
![Bild 64.834: Sejm - Sekt [unkorrigiert] Bild 64.834: Sejm - Sekt [unkorrigiert]](http://peter-hug.ch/meyers/thumb/64/64_0834.jpeg)
* 18
Sekretär.schrieb sein erst später erschienenes »Leben des Sophokles«, gab »Logaus Sinngedichte« (Leipz. 1759) heraus und übertrug »Das Theater des Herrn Diderot« (Berl. 1760, 2 Bde.), die verwandten Bestrebungen des französischen Kritikers und Dichters richtig würdigend. Die Unsicherheit seiner Lage, der erneut wiederkehrende Wunsch, sich größern Arbeiten in aller Muße und ohne Rücksicht auf ihre frühere oder spätere Vollendung widmen zu können, veranlaßten eine Stellung als Sekretär [* 18] des Generals Tauenzien, des Gouverneurs von Schlesien, [* 19] anzunehmen und im Herbst 1760 nach Breslau [* 20] zu gehen.
Lessing (Gotthold Ephr
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* 21
Seite 10.722.Wenn auch die Freunde gewaltig den Kopf schüttelten, daß sich Lessing in eine Flut von ganz unlitterarischen, militärischen und bürgerlichen Geschäften hineingestürzt habe, und er selbst in einigen Briefen über die Last ermüdender, unbedeutender Beschäftigungen, erlogener Vergnügen und Zerstreuungen klagte, so ward ihm doch der mehrjährige Aufenthalt in Breslau fruchtreich: er konnte sich eine Zeitlang seinen Lieblingsneigungen überlassen, lebendiger Wirklichkeit, die ihn umgab, die poetische Seite abgewinnen und fand Gelegenheit, nicht nur seine Familie reichlich zu unterstützen (was er übrigens auch in seinen dürftigsten Lagen über seine Kräfte hinaus ¶
mehr
gethan), sondern auch eine beträchtliche Bibliothek zu sammeln, die er freilich schon in den nächsten Jahren als Notpfennig betrachten und wieder veräußern mußte. Die wichtigsten geistigen Resultate der (bis 1765 währenden) Breslauer Zeit waren die Ausführung des Lustspiels »Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück« (Berl. 1767),
das erste voll und ganz ohne jedes Muster und ohne jede Anlehnung aus dem Leben geschöpfte deutsche dramatische Werk, und die Schrift »Laokoon, oder über die Grenzen [* 22] der Malerei und Poesie« (das. 1766, erster Teil; der zweite ward nie vollendet), in welch letzterer Lessings Kritik die Überschätzung der deskriptiven Poesie beseitigte, die Handlung in der Poesie und damit die dramatische und erzählende Dichtung in ihr Recht einsetzte und nach der litterarischen Seite hin klärend und grundlegend im höchsten Sinn wirkte.
Umgebung von Hamburg
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* 23
Hamburg.Trotz der litterarischen Stellung, welche Lessing nach diesen Werken einnahm, wollte sich eine seiner Natur entsprechende bürgerliche Stellung für ihn nicht finden. Er war 1765 nach Berlin zurückgekehrt, wo man ihm Hoffnungen auf eine Berufung als Bibliothekar gemacht hatte. Als diese Hoffnung getäuscht ward, erschien ihm Berlin als eine »verzweifelte Galeere«; er sehnte sich hinweg und nahm daher mit Freuden eine Aufforderung an, seine Kräfte dem »Nationaltheater« zu widmen, welches man in Hamburg [* 23] eben errichtete. Als Dramaturg und Rechtskonsulent der neuen Bühne begab er sich im April 1767 nach Hamburg, das ihm als Stadt schon beim ersten Sehen [* 24] sehr behagte. Seine Hauptaufgabe sollte die Abfassung einer kritischen Zeitschrift sein, welche die Leistungen und Versuche des Nationaltheaters Anteil nehmend zu begleiten hatte und als »Hamburgische Dramaturgie« (Hamb. 1768) in der That 1. Mai d. J. ins Leben trat.
Die schlecht vorbereitete und schlecht geleitete, vom unreifen Publikum jener Tage noch schlechter unterstützte Unternehmung brach indes schon nach kurzer Zeit zusammen; ihr größter Ruhm bleibt, zu Lessings »Dramaturgie« den äußern Anlaß gegeben zu haben. In diesen Blättern entfaltete eine neue glänzende Seite seiner schöpferischen Kritik; er steckte der dramatischen Dichtung die höchsten Ziele, vernichtete den Rest von Autorität, dessen sich das französische Drama noch erfreute, und wies auf Shakespeare als den ersten und größten Charakterdarsteller hin.
D'accord - Dach
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* 25
Dach.Nach dem Scheitern des Theaters setzte Lessing noch kurze Zeit hindurch Hoffnungen auf den Erfolg eines Verlagsgeschäfts, das er mit Chr. Bode begründet hatte. Als auch dieser ausblieb, fand Lessing, daß es ihm unmöglich sein werde, »des Sperlings Leben auf dem Dach« [* 25] in dem geliebten Hamburg fortzusetzen, und entschloß sich im Herbst 1769, die ihm durch Ebert in Braunschweig [* 26] angetragene Stellung als Bibliothekar der herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel [* 27] anzunehmen. Die letzte Zeit in Hamburg war durch die Abfassung der »Briefe antiquarischen Inhalts« (Berl. 1768-69) bezeichnet gewesen. In denselben wurde der ränkesüchtige Professor Chr. A. Klotz, welcher sich als Führer einer litterarischen Clique hohler und anmaßlicher Gesellen hervorgethan, mit höchster kritischer Schärfe und gründlichster Gelehrsamkeit schwer gestraft.
Die damalige Generation, welche den Wert eines Mannes nicht nach seiner Bildung und seinem Charakter, sondern lediglich nach der äußern Stellung schätzte, konnte sich an diesen rückhaltlos wahrhaftigen Ton und diese rein sachliche Kritik nur schwer gewöhnen; erst die nächstfolgende Zeit ermaß richtig, welche Dienste [* 28] Lessing selbst mit seiner Polemik der litterarischen und sittlichen Kultur der Nation geleistet. Auch die Untersuchung: »Wie die Alten den Tod gebildet« (Berl. 1769) ging aus den Klotzschen Händeln hervor.
In Wolfenbüttel, wo L. sein Amt im Frühjahr 1770 antrat, begann er eine Reihe von Veröffentlichungen aus den handschriftlichen Schätzen der Bibliothek, von denen die Schrift über »Berengarius Turonensis« (Braunschw. 1770) den Anfang machte, während sich die Abhandlungen und Fragmente »Zur Geschichte und Litteratur« (das. 1773-81, 6 Bde.) über eine Reihe von Jahren erstreckten. Wie wertvoll einzelne dieser Publikationen auch sein mochten, so war es für die deutsche Litteratur wichtiger, daß Lessing gleich in der ersten Zeit nach seiner Niederlassung in Wolfenbüttel ein poetisches Meisterwerk wie seine Tragödie »Emilia Galotti« (Berl. 1772), dessen Anfänge ins Jahr 1757 zurückreichen, das aber gleichwohl erst auf der Höhe seines Könnens wirklich ausgeführt wurde, vollendete.
Windvogel - Winkel
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* 29
Winkel.Leider gestalteten sich die Lebensverhältnisse Lessings nicht so, ihm Lust und Mut zum poetischen Schaffen zu erhöhen. Er hatte das Amt in dem »stillen Winkel« [* 29] Wolfenbüttel vor allem mit übernommen, weil er, wie es scheint zum erstenmal im Leben, den starken Wunsch empfand, sich zu vermählen. Die Witwe eines ihm befreundeten Hamburger Kaufmanns, die geistesklare, willenskräftige Eva König, wurde seine Verlobte. Da sie aber das ausgebreitete Geschäft ihres verstorbenen Gatten zu leiten und zu liquidieren hatte, um ihren Kindern einen Teil ihres Vermögens zu retten, und sich die Entscheidung dieser Dinge jahrelang hinzog, da inzwischen auch er mit mancherlei Mißhelligkeiten zu kämpfen hatte, so schlossen die Jahre zwischen 1771 und 1776 vielerlei bittere Erfahrungen und trübe Stimmungen für ein.
Hof (meteorologisch) -
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* 33
Hof (meteorologisch) - Hofburgwache.Pläne, eine andre Stellung zu gewinnen, kamen über den ersten Entwurf nicht hinaus. Im Anfang 1775 riß sich Lessing von Wolfenbüttel los, ging über Dresden [* 30] und Prag [* 31] nach Wien, [* 32] wo er seine Verlobte nach langer Trennung wiedersah. Die Aufnahme, welche er in Wien in allen Kreisen und selbst bei der Kaiserin Maria Theresia fand, war eine durchaus ehrenvolle. Trotzdem sehnte er sich nach Wolfenbüttel zurück, weil sich die Aussichten für eine endliche Verbindung mit Eva König günstiger gestaltet hatten. So nahm er es mit geteilter Empfindung auf, daß ihn Prinz Leopold von Braunschweig aufforderte, als Reisegefährte mit ihm Italien zu besuchen. Er glaubte es seinem Verhältnis zum braunschweigischen Hof [* 33] und seiner Zukunft schuldig zu sein, dem Verlangen des Prinzen zu willfahren.
Die ursprünglich auf wenige Monate berechnete Reise, die sich bis nach Neapel [* 34] und nach Corsica [* 35] ausdehnte, und von welcher Lessing erst 23. Febr. 1776 in Braunschweig wieder eintraf, genoß er so unter eigentümlichen Umständen und, da die Korrespondenz mit Eva König völlig ins Stocken geriet, nur halb; tiefere Eindrücke derselben auf sein geistiges Leben können nicht nachgewiesen werden. Nachdem er im Sommer 1776 eine mäßige Gehaltserhöhung und den Titel als Hofrat erhalten, fand im Oktober d. J. auf dem York bei Hamburg seine Hochzeit statt.
Ein friedvolles, glückliches Jahr (1777) war Lessing beschieden, leider auch nicht viel mehr als eins: am 10. Jan. 1778 starb Eva Lessing infolge der Geburt eines Sohns, der jedoch tags darauf starb. (Vgl. Thiele, Eva ein Lebensbild, Halle [* 36] 1881.) In tiefster Erschütterung sah sich Lessing wiederum und tiefer als zuvor vereinsamt. Noch in dem Jahr des Verlustes seiner Frau ward er in neue härtere und erbittertere Streitigkeiten als je zuvor verwickelt. In seinen Publikationen aus den handschriftlichen Schätzen der Bibliothek zu Wolfenbüttel hatte er schon ¶
Fortsetzung Lessing:
→ Seite 10.723 || 1774 ein Bruchstück: "Von Duldung der Deisten, Fragment eines Ungenannten", mitgeteilt,