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Meistersinger | eLexikon

  • ️Peter Hug, Sollrütistr. 24, CH-3098 Schliern b. Köniz
  • ️Mon Oct 21 1839

Meistergesang,

die aus dem mittelalterlichen Minnegesang in Deutschland [* 3] hervorgegangene Lyrik, welche im 14., 15. und 16. Jahrh. und zwar fast ausschließlich in den Kreisen des Handwerkerstands eifrig gepflegt wurde. Die immer höher gesteigerte Künstlichkeit der Minnepoesie machte ein förmliches Erlernen ihrer formellen Regeln notwendig, und als die höfischen und ritterlichen Kreise [* 4] die Übung der Dichtkunst aufgaben und diese mehr und mehr in der bürgerlichen Sphäre heimisch wurde, ward hier die handwerksmäßige Behandlung der Poesie, die regelrechte Verskünstelei, in noch bei weitem höherm Maß herrschend als bei den letzten Vertretern der höfischen Minnedichtung.

Anfangs bestand zwischen den Lehrenden und Lernenden eine Art freien Verhältnisses, die einzelnen Meister des Gesanges bildeten einzelne Schüler. Dann entstanden (wie z. B. um 1450 in Augsburg) [* 5] geschlossene Gesellschaften, in denen die Dichtkunst in zünftiger Gesetzmäßigkeit geübt wurde, wenn auch nicht gerade erwiesen ist, daß die Meistersänger streng geschlossene Zünfte gebildet haben. Die Heimat des Meistergesangs ist die Gegend des Oberrheins. Es ging unter den Meistersängern die Sage von der Stiftung ihrer Genossenschaften durch Kaiser Otto d. Gr. Auf zwölf Dichter des 13. Jahrh. führten sie ihre Kunst zurück, unter denen wir Wolfram von Eschenbach, Konrad von Würzburg, Reinmar von Zweter, Klingsor, Ofterdingen und Heinrich Frauenlob genannt finden.

Mainz (Stadt: hervorra

Bild 11.120: Mainz (Stadt: hervorragende Gebäude)
* 6 Mainz.

Historisch scheint, daß der Letztgenannte im Anfang des 14. Jahrh. zu Mainz [* 6] eine Dichtergenossenschaft gegründet hat, wie denn der Mainzer Schmied Bartel Regenbogen, der Zeitgenosse Frauenlobs, schon als eigentlicher Meistersänger auftritt und uns in seinen auf fliegenden Blättern gedruckten Liedern die ältesten Denkmäler des handwerksmäßigen Meistergesangs hinterlassen hat. Im 14. Jahrh. stand dieser in reichstem Flor zu Mainz, Straßburg, [* 7] Frankfurt, [* 8] Würzburg, [* 9] Zwickau, [* 10] Prag; [* 11] im 15. zu Augsburg und Nürnberg, [* 12] das bei Lebzeiten des Hans Sachs über 250 Meistersänger aufzuweisen hatte; im 16. zu Kolmar, [* 13] Regensburg, [* 14] Ulm, [* 15] München, [* 16] in Steiermark [* 17] und Mähren. [* 18] Ausläufer des genossenschaftlichen Verbandes waren in Mitteldeutschland bis Magdeburg [* 19] und ins Hessische, im Nordosten bis Danzig [* 20] anzutreffen.

Die Vereinigungen der »Liebhaber des deutschen Meistergesangs«, wie sich die Genossen nannten, bildeten in sich fest gegliederte Körperschaften, die in aufsteigender Linie die Stufen der Schüler, Schulfreunde, Sänger, Dichter und Meister umfaßten. Strengen Regeln unterlag die Kunst des Gesanges; eine Art Gesetzbuch, worin dieselben aufgestellt waren, hieß die Tabulatur. Das Lied selbst führte den Namen Bar oder Gesetz, die Melodie wurde Ton oder Weise genannt. Zu den überlieferten Tönen älterer Sänger wurden fortwährend neue erfunden, und nur wer eine neue Weise erfunden und fehlerfrei vorgetragen hatte, erfreute sich der Ernennung zum Meister.



Meisterlauge - Meitzen

Bild 11.439: Meisterlauge - Meitzen
* 21 Seite 11.439.

Alle Meisterlieder wurden singend, jedoch ohne Musikbegleitung vorgetragen, daher die ältern Formen des Leichs und Spruchs allmählich vor den sangbareren des Liedes schwanden. Die Übungen hießen das »Schulesingen«, sie fanden auf dem Rathaus, an Sonntagen in der Kirche statt; drei große »Festschulen« wurden zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten abgehalten, hierbei aber nur biblische Stoffe gewählt, während bei minder feierlichen Gelegenheiten auch Gegenstände weltlicher Art, wohl auch in ehrbar scherzhafter Weise, hier und da in Dichterwettkämpfen, behandelt werden durften. Den Vorsitz der Schule hatte das sogen. Gemerk, bestehend aus dem Büchsenmeister (Kassierer), Schlüsselmeister (Verwalter), Werkmeister und Kronmeister.

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In den festlich geschmückten Kirchen oder Rathaussälen begann vor zahlreicher Zuhörerschaft das Schulesingen. Die Meister bestiegen der Reihe nach den Singestuhl; den Singenden wurde von den drei Merkern scharf aufgepaßt, ob sie sich kein »Versingen«, d. h. keinen Verstoß gegen die Regeln der Tabulatur, zu schulden kommen ließen. Solche Fehler konnten begangen werden durch Abweichungen von der strengen Verslehre, durch sprachliche Inkorrektheiten (wobei die Bibelübersetzung Luthers maßgebendes Vorbild war), durch Verstöße gegen die hergebrachte Sitte etc. Wer »versungen« hatte, mußte den Stuhl verlassen, während derjenige, der »in der Kunst glatt« war, von dem Kronmeister gekrönt wurde, wobei der erste Preis, der sogen. Davidsgewinner, in einem silbernen Gehänge mit einer Schaumünze, auf der König David, die Harfe spielend, abgebildet war, der zweite Preis in einem Kranz von seidenen Blumen bestand.

Beide Auszeichnungen wurden jedoch nur für den einen Tag des Schulesingens verteilt. Zahllos waren die aus dreiteiligen Strophen gebildeten Töne, die zum Teil nach ihren Erfindern, zum Teil aber auch mit frei gewählten, unglaublich wundersamen und meist überaus lächerlichen Namen bezeichnet wurden. So gab es einen Marners Hofton, einen Hofton des Tannhäusers, den roten Ton Peter Zwingers, den Blütenton Frauenlobs, den abgeschiedenen Ton Lienhard Nunnenbecks, eine Hans Sachsens Spruchweis etc., daneben eine Gestreiftsafranblümleinweis, eine Fettdachsweis, Vielfraßweis, Cliusposaunenweis, Offenehelmweis, geblümte Paradiesweis, Schwarztintenweis u. a. Es versteht sich von selbst, daß der Meistergesang seiner ganzen Entstehung und Übung nach nicht dazu angethan war, wirkliche Poesie ins Leben zu rufen.

Schon daß die Erfindung neuer Töne, und was damit zusammenhing, neuer Strophenformen eine Hauptsache bei der Kunst des Meistersingens war, brachte Überkünstelung, mühseliges Reimezusammenschweißen, gänzliches Vorwalten formeller Handwerksmäßigkeit mit sich. Durchgängig ist den Meisterliedern lehrhaft hausbackenes Wesen eigentümlich, Fabeln und Gleichnisse bieten sich als beliebteste Stoffe. Um neue Verse zu bilden, häufte man Vers auf Vers zu abenteuerlicher Unförmlichkeit der Strophengebäude; kurz, ein ästhetischer Gehalt ist im M. so gut wie gar nicht vorhanden.

Um so erfreulicher ist die kulturhistorische Seite dieser merkwürdigen Erscheinung der deutschen Geistesgeschichte. Ein Kind des kräftig aufblühenden Städtewesens, trägt der Meistergesang in seinen Übungen und Erzeugnissen durchweg die Merkmale ehrsam bürgerlicher Tüchtigkeit, Sittenstrenge und frommer Anhänglichkeit an das von den Vätern Überlieferte. Mitten in einem sittlich versunkenen Zeitalter erhebt sich in ihm ein zwar poesieloses, künstlerisch dürftiges, aber von wackerstem, treuherzig biederm Sinn erfülltes Streben nach edlem geistigen Thun. Es ist dabei charakteristisch, daß die Pfleger des Meistersingens zumeist der neuen reformatorischen Kirchenlehre zugethan waren.

Das geistige Leben des Meistergesangs hat sogar das Reformationszeitalter nicht überdauert, wenn auch einzelne Schulen ihre Thätigkeit still und treu bis tief ins 18. Jahrh. und später fortgesetzt haben, wie denn z. B. in Ulm noch 1830 zwölf alte Singmeister vorhanden waren, von denen 21. Okt. 1839 die vier zuletzt Übriggebliebenen den alten Meistergesang feierlich beschlossen und ihr Inventar dem Ulmer Liederkranz vermacht haben. Unter den ältern Meistersingern galten für besonders kunstfertig: Heinrich von Müglin, Muskatblüt, Michael Behaim, Hans Rosenplüt, Hans Folz, Hans Sachs und Adam Puschmann.

Gorillagarn - Görlitz

Bild 7.524: Gorillagarn - Görlitz
* 22 Görlitz.

Von den in Handschriften überaus zahlreich vorhandenen Meistergesängen sind ihres geringen poetischen Wertes wegen nur wenige durch den Druck veröffentlicht. Proben derselben enthalten: Görres, Altdeutsche Volks- und Meisterlieder (aus der Heidelberger Handschrift, Frankf. 1817), und Bartsch, Meisterlieder der Kolmarer Handschrift (Stuttg. 1862). Von den ältern Schriften und Berichten über den Meistergesang sind hervorzuheben: Adam Puschmann, Gründlicher Bericht des deutschen Meistergesangs zusamt der Tabulatur etc. (Görlitz [* 22] 1571), und Wagenseil, Buch von der Meistersinger holdseliger Kunst (Altd. 1697).

Vgl.   J. Grimm, Über den altdeutschen Meistergesang (Götting. 1811);

Schnorr v. Carolsfeld, Zur Geschichte des deutschen Meistergesangs (Berl. 1872);

Liliencron, Über den Inhalt der allgemeinen Bildung in der Zeit der Scholastik (Münch. 1876);

Jacobsthal, Die musikalische Bildung der Meistersinger (in der »Zeitschrift für deutsches Altertum«, Bd. 20);

Lyon, [* 23] Minne- und Meistersang (Leipz. 1882).

Eine künstlerische Darstellung erfuhr der Meistergesang durch R. Wagner in seinem Musikdrama »Die Meistersinger zu Nürnberg« (1868).