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Ptomaïne | eLexikon

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Ptomaïne,

organische Basen, welche in frischen und faulenden Leichenteilen (Kadaver, Leichenalkaloide), in verschiedenen Fäulnisgemischen aber auch als Stoffwechselprodukte pathogener Bakterien und in lebenden Organismen (Leukomaine) vorkommen. Die Ptomaïne haben große Ähnlichkeit [* 3] mit Pflanzenalkaloiden und verhalten sich gegen höhere Organismen teils indifferent, teils wie starke Gifte (Toxine). Das erste Ptomain wurde 1865 von Marquardt aus faulenden Leichenteilen abgeschieden und als eine dem Coniin ähnliche Flüssigkeit beschrieben, 1869 isolierten dann Zülzer und Sonnenschein das erste kristallisierbare Ptomain, welches dem Atropin und Hyoscyamin sich ähnlich erwies, aus faulenden Flüssigkeiten.

Schon 1866 hatten Bence Jones und Dupré in allen Organen, Geweben und Flüssigkeiten des menschlichen und tierischen Körpers eine alkaloidartige Substanz (»animalisches Chinoidin«) gefunden, und in der Folge wurden mehrfach Ptomaïne in frischen Leichenteilen gefunden, häufig aber ergaben Untersuchungen frischer Leichenteile durchaus keine basischen Substanzen. Die Befunde waren speziell für die gerichtliche Chemie von großer Bedeutung, insofern sie zu äußerster Vorsicht mahnten, um nicht vermeintliche Pflanzengifte zu finden, wo thatsächlich Ptomaïne vorlagen.

Die Ptomaïne spielen bei Leichenvergiftung (s. d.) eine Rolle, auch sind die Vergiftungen durch Seefische, Fleisch, Wurst, Käse wohl auf die Bildung von Ptomainen zurückzuführen. Hier entstehen die Ptomaïne durch die Einwirkung von Bakterien und zwar im Anfangsstadium der Fäulnis, ehe noch widrige Gerüche sich geltend machen; bei weiter fortschreitender Fäulnis scheinen die Ptomaïne wieder zerstört zu werden. Ebenfalls gehört zu den Ptomainen die Substanz, welche sich unter gewissen Verhältnissen in lebenden Miesmuscheln bildet, das Mytilotoxin, welches unter den Fäulnisprodukten nicht giftiger Miesmuscheln vergebens gesucht wurde.

Pilze II

Bild 13.64b: Pilze II
* 4 Pilze.

Sehr bedeutsam sind die Ptomaïne für die Wundbehandlung. Saprophytische Pilze, [* 4] welche auf den Wundflächen wuchern, bilden dort Ptomaïne, die resorbiert werden und dann im Körper ihre giftige Wirkung entfalten. Auch die Bakterien, welche die Infektionskrankheiten erzeugen, scheinen wesentlich durch Ptomainbildung zu wirken. Die Cholerabakterien finden sich bei der Leiche nur im Darm [* 5] und in der Darmwand, und die hier erkennbare Darmerkrankung gibt keinen hinreichenden Erklärungsgrund für die schweren Allgemeinerscheinungen, die vielmehr, wie schließlich der Tod, durch ein von dem Cholerabacillus erzeugtes Gift verursacht werden.

Bacillen des Unterleibstyphus, auf Fleischbrei gezüchtet, ergaben keine Fäulnissymptome, wohl aber konnte aus diesen Kulturen ein giftiges Ptomain abgeschieden werden. Der Wundstarrkrampf wird durch einen Bacillus erzeugt, welcher im Körper ein giftiges Ptomain bildet. Letzteres, das Tetanin, konnte als im lebenden Patienten vorhanden nachgewiesen und aus einem amputieren Arm dargestellt werden. Wurde das Gift gesunden Tieren beigebracht, so verfielen sie in Wundstarrkrampf. Es liegt nunmehr die Möglichkeit vor, eine Substanz aufzufinden, welche die Wirkung des Tetanins direkt aufhebt, wie man auch bei Pflanzenalkaloiden ausgesprochenen Antagonismus nachgewiesen hat. Auf solche Weise könnte der »gefürchtetste Feind aller Chirurgen« wirksam bekämpft werden. Giftig wirkende Stoffe, die wahrscheinlich ebenfalls zu den Ptomainen gehören, sind im Speichel, im Harn, in der ausgeatmeten Luft nachgewiesen worden.

Vgl.   Öffinger, Die Ptomaïne (Wiesb. 1884);

Brieger, Über Ptomaïne (Berl. 1885-86, 3 Tle.).