peter-hug.ch

Tortur | eLexikon | Rechtswissenschaft - Rechtsgeschichte - Verbrechen

  • ️Peter Hug, Sollrütistr. 24, CH-3098 Schliern b. Köniz
  • ️Thu Aug 24 1780

Bewährtes Wissen in aktueller Form

Main

Torsus - Tory und Whig

Bild 15.770: Torsus - Tory und Whig
Seite 15.770.
Überblick der Artikel
2 ArtikelTextanfang / Anzahl Wörter
Tortur(lat., Marter, Folter, harte oder peinliche Frage), im frühern Strafverfahren Erregung körperliche / 392
Tortur _2(vom lat. torquere, d. h. drehen, quälen) oder Folter (früher auch wohl Volter geschrieben / 880

Seite 15.770

Tortur

2 Seiten, 1'272 Wörter, 9'123 Zeichen

Rechtswissenschaft — Rechtsgeschichte — Verbrechen

Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888

Tortur

(lat., Marter, Folter, harte oder peinliche Frage), im frühern Strafverfahren Erregung körperlicher Schmerzen, um vom Angeschuldigten Geständnisse zu erpressen. Im römischen Reich wurde die Tortur anfangs nur gegen Sklaven, später auch gegen Freie und zwar zuerst bei Majestätsverbrechen angewendet. In Deutschland [* 2] fand die Tortur durch das römische Recht und durch das Beispiel der italienischen Praxis Eingang, gelangte aber bei dem Aberglauben und der religiösen Intoleranz des 16. und 17. Jahrh. zur ausgedehntesten Anwendung, indem sie zu einem furchtbaren Mittel ward, Schuldige und Unschuldige zum Geständnis zu bringen.

Hanc veniam etc. - Han

Bild 8.65: Hanc veniam etc. - Hand
* 3 Hand.

Man verfolgte im blinden Eifer, die göttliche Vorsehung nachzuahmen, die Verbrecher als Sünder, und der grausame Sinn der Zeit mit dem Aberglauben im Bund und mit der Tortur in der Hand [* 3] belegte eine unglaubliche Menge Unschuldiger als Zauberer und Hexen mit den ungerechtesten Strafen. Mittel der Tortur, welche mehrere Grade hatte, waren z. B. Peitschenhiebe bei ausgespanntem Körper, Zusammenpressen der Daumen oder der Beine mittels Schraubstöcke mit abgestumpften Spitzen (spanische Stiefel, spanischer Bock), [* 4] Ausrecken des Körpers auf einer Bank oder Leiter, Brennen in der Seite oder an den Nägeln.

Bevor man zur Tortur selbst schritt, wurde häufig mit derselben unter Vorzeigung oder Anlegung der Folterwerkzeuge gedroht (sogen. Territion). Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 suchte zwar die Tortur zu beschränken, indem niemand ohne hinreichende Verdachtsgründe gefoltert werden sollte; auch sollte das Geständnis nur dann gültig sein, wenn es nicht während der Marter, sondern erst, wenn der Scharfrichter mit derselben nachgelassen, zu Protokoll erklärt und zwei oder drei Tage nachher vor gehörig besetztem Gericht wiederholt (Urgicht) worden sei.

Indessen war damit doch nur wenig Sicherheit gegen die Erpressung unwahrer Aussagen und Geständnisse geboten, zumal die Tortur fortgesetzt, gesteigert und wiederholt werden durfte, wenn der Gepeinigte das Geständnis, zu dem er während der Tortur sich bereit gezeigt, nachmals verweigerte oder zurücknahm. Wie in Deutschland, fand die Tortur auch in Frankreich und in andern europäischen Ländern, am wenigsten in den nördlichen, Eingang. Schon im 16. Jahrh. erhoben sich Stimmen gegen die Tortur; aber erst Thomasius, Beccaria, Voltaire, Sonnenfels, J. Möser vermochten der Überzeugung von ihrer Unmenschlichkeit allgemeine Geltung zu verschaffen. Zuerst (1740 und 1754) wurde die Tortur in Preußen [* 5] abgeschafft, dann in Baden [* 6] 1767, Mecklenburg [* 7] 1769, Sachsen [* 8] und Dänemark [* 9] 1770, Österreich [* 10] 1776, Frankreich 1789, Rußland 1801, Bayern, [* 11] Württemberg [* 12] 1809, in Gotha [* 13] ausdrücklich erst 1828 und in Hannover [* 14] 1840.

Vgl.   Wächter, Beiträge zur deutschen Geschichte (Tübing. 1845).

Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910

Tortur

(vom lat. torquere, d. h. drehen, quälen) oder Folter (früher auch wohl Volter geschrieben und von dem lat. volvere, dem Wenden des Haspels, mit welchem die Schuldigen aufgezogen wurden, abgeleitet), das Mittel, durch Erregung heftiger körperlicher Schmerzen ein gerichtliches Geständnis zu erzwingen. In den despotischen Staaten des Orients wird die Tortur noch immer geübt. Bei den Griechen und Römern wurde die Tortur gegen Freie nur in Ausnahmefällen angewendet, dagegen regelmäßig beim Verhör von Sklaven, deren Aussagen nur dann Gültigkeit vor Gericht hatten, wenn sie durch die Tortur erpreßt waren.

Europa. Fluß- und Gebi

Bild 5.919a: Europa. Fluß- und Gebirgssysteme
* 15 Europa.

In der zweiten Hälfte des Mittelalters wurde die in Europa [* 15] allgemein und erwies sich als ein brauchbares Mittel für die Hexenprozesse der folgenden Jahrhunderte. England hatte, wenn der Angeschuldigte nicht antworten wollte, bis 1772 seine fürchterliche peine (oder richtiger prison) forte et dure, eine Vereinigung von strengstem Gefängnis, Hunger und Durst, aber auch die eigentliche Tortur war seit der Zeit Heinrichs VIII. nicht mehr fremd. Erst später wurde sie als dem Gemeinen Rechte Englands entgegen erkannt und in Schottland unter der Königin Anna förmlich abgeschafft.

Frankreich hatte seine question préparatoire, um den Verbrecher zum Geständnis zu bringen, welche während der Untersuchung angewendet wurde und den Angeschuldigten auch, wenn er sie aushielt, nicht gegen Verurteilung schützte, und die question préalable, welche der zum Tode Verurteilte vor der Hinrichtung ausstehen mußte, um ihn zur Entdeckung von Mitschuldigen oder andern unbekannten Umständen zu zwingen. Ludwig XVI. schaffte durch das Edikt vom 24. Aug. 1780 die question préparatoire, nicht aber die question préalable ab, die erst in der Revolution aufgehoben wurde.

Deutschland. Fluß- und

Bild 4.801a: Deutschland. Fluß- und Gebirgssystem
* 16 Deutschlands.

Ebenso war in Deutschland die Tortur allgemein in Gebrauch; die Carolina (s. d.) regelte und mäßigte ihre Anwendung. Schöppenstühle und Juristenfakultäten erkannten nach gehöriger Verteidigung auf Tortur Über die Art der Tortur, auf welche mit den Worten «ziemlicher Maßen» erkannt wurde, und ihre Grade enthält die Carolina keine Vorschriften; die Anwendung gestaltete sich daher in den verschiedenen Gerichtsbarkeiten Deutschlands [* 16] verschieden. Wollte man indes das Urteil über Art und Maß der Tortur nicht mißbräuchlicherweise dem Scharfrichter überlassen, so mußte die Doktrin und der Gerichtsgebrauch auch hierfür eine Theorie schaffen.

Nach einigen Schriftstellern bildeten den ersten Grad Peitschenhiebe bei ausgespanntem Körper (Bambergische Tortur) und Zusammenquetschen der Daumen in eingekerbten oder mit stumpfen Spitzen versehenen Schraubstöcken. Beim zweiten Grad trat ein Zusammenschnüren der Arme mit härenen Schnüren, Zusammenschrauben der Beine mit ähnlichen, nur größern Instrumenten als bei den Daumen (Spanische [* 17] Stiefeln) ein; ein kreuzweises Zusammenpressen der Daumen und großen Zehen geschah durch das sog. Mecklenburgische Instrument.

Der dritte Grad bestand im Ausrecken des Körpers mit rückwärts aufgereckten Armen auf einer Bank oder Leiter, oder durch die eigene Schwere des Körpers, wobei Gewichte an die Füße gehängt wurden. Recht anschaulich gemacht werden diese Grade, die man noch durch Brennen in der Seite, auf den Armen, an den Nägeln erhöhte, in der Kriminalordnung der Kaiserin Maria Theresia von 1769, wo sie in 45 großen Kupfertafeln dargestellt sind. Eine vollständige Aufzählung der Foltermittel ist kaum möglich.



Torula - Tosa

Bild 65.918: Torula - Tosa
* 19 Seite 65.918.

Erwähnt seien z. B. die Pommersche Mütze, ein höchst gefährliches Zusammenpressen des Kopfes; der Gespickte Hase, [* 18] eine Rolle, mit stumpfen Spitzen, über welche der auf der Leiter ausgespannte Körper auf- und abgezogen wurde; die Eiserne Jungfrau (s. d.) u. s. w. Frankreich hatte zwei Grade, die question ordinaire und extraordinaire, und fast jedes Parlament übte seine besondern Marterarten. Im Pariser Sprengel bestand die Tortur im Einfüllen einer großen Menge Wassers, während der Körper an Händen und Füßen schwebend ausgespannt war. Während die eigentliche Tortur auf mit Leibes- und Lebensstrafe bedrohte Verbrechen beschränkt war und gegen gewisse Personen

mehr

(Unmündige, Wahnsinnige, Taubstumme, Greise, Sieche, schwangere Frauen, Vornehme von Geburt oder Stand u. s. w.) nicht angewendet werden durfte, diente für solche Fälle die Bedrohung mit der Tortur (Territion). Diese war Verbalterrition, wenn sie mit bloßen Worten geschah, indem sie dem Verdächtigen angekündigt, er in die Marterkammer geführt und zum Schein dem Scharfrichter übergeben wurde, der ihm die Instrumente vorzeigte und die Schmerzen, welche er ihm sogleich machen werde, auf das fürchterlichste beschrieb, ihn aber nicht angreifen durfte.

Bei der Realterrition hingegen wurde der Verdächtige entkleidet, ihm auch die Werkzeuge [* 20] wirklich angelegt, doch kein.Schmerz damit zugefügt. Gewöhnlich wurde die Folter des Morgens sehr früh in einem entlegenen Gemach vorgenommen und eine Stunde lang fortgesetzt, ohne daß jedoch das Leben des Gefolterten gefährdet werden durfte. Bekannte der Inquisit, so wurde innegehalten, leugnete er wieder, von neuem damit fortgefahren. Das abgelegte Geständnis (Urgicht) mußte am andern oder dritten Tage ungezwungen wiederholt und, um als überzeugend zu gelten, auf solche Umstände gerichtet werden, die kein Unschuldiger wissen konnte.

Die Nichtigkeit dieser Umstände wurde anderweit erforscht; wurden dieselben dabei nicht bestätigt, so konnte der Angeklagte nicht verurteilt, aber von neuem gefoltert werden. Überstand er alle Grade, ohne zu gestehen, so erfolgte in Deutschland Freisprechung. Der Gemarterte mußte aber eidlich geloben, sich wegen der erlittenen Qualen nicht rächen zu wollen. Christian Thomasius, Beccaria, Voltaire, Hommel waren die Wortführer der bessern Einsichten, welche die Unzuverlässigkeit eines abgepreßten Geständnisses und das Unrecht feststellten, daß der Schuldige mit einer nutzlosen Marter, die ärger als die Strafe, gepeinigt werde, der Unschuldige die Freisprechung nur mit dauernder Einbuße seiner Gesundheit erkaufen könne. In Deutschland erfolgte die Abschaffung der Tortur nach dem Vorgange Friedrichs d. Gr. (Kabinettsorder von 1740 und 1754) nur allmählich (so in Sachsen 1770, Österreich 1776), teilweise sogar erst im Anfange des 19. Jahrh., so in Hannover 1822, in Coburg-Gotha 1828.