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Totenbestattung | eLexikon

  • ️Peter Hug, Sollrütistr. 24, CH-3098 Schliern b. Köniz
  • ️Thu Dec 01 1870

Totenbestattung,

die mit religiösen Gebräuchen verbundene Übergabe menschlicher Leichname an die Elemente, sofern nicht durch Einbalsamierung und Beisetzung in Gebäuden die Verwesung künstlich verhindert werden soll. Die Bestattung in freier Luft auf Reisiglagern u. dgl. findet sich hauptsächlich in der Südsee; bei seefahrenden Völkern weitverbreitet ist dagegen die Bestattung auf einem kleinen, den Wellen [* 2] ausgesetzten Kahn (Einbaum) gewesen, der die Vorstellung zu Grunde lag, daß der Leichnam zur jenseit des Meers belegenen Heimat zurückkehren müsse.

Rüstungen und Waffen

Bild 14.100a: Rüstungen und Waffen
* 4 Waffen.

Die Charonsmythe ist ein Nachklang dieser auch im alten Europa [* 3] weitverbreiteten Bestattungsart. Doch hat man solche »Wikinger-Begräbnisse« in großen Schiffen auch in Erdhügeln der skandinavischen Länder angetroffen. Am allgemeinsten und oft nebeneinander üblich sind aber über den ganzen Erdball das Begräbnis, sei es in bloßer Erde oder in Felsen- und Steingräbern, und die Verbrennung der Toten. Dabei bestanden ursprünglich gewisse allgemeine Gebräuche: die Versorgung der Toten mit Speise und Trank, woraus sich Totenopfer, -Schmäuse und ähnliche Zeremonien entwickelten, ferner die Beigabe der Waffen, [* 4] Ehrenzeichen, die Nachfolge von Gattin, Sklaven, Schlachtroß etc., Gebräuche, die auf der Vorstellung beruhten, daß der Tote in bisheriger Weise weiterlebe, Speise, Waffen, Bedienung etc. bedürfe.



Totenbestattung (Leich

Bild 15.774: Totenbestattung (Leichenverbrennung)
* 7 Seite 15.774.

Die hiermit zusammenhängenden, zum Teil sehr grausamen Gebräuche der Naturvölker waren selbst bei den halbgesitteten Bewohnern des alten Europa noch im Schwange, namentlich bei Begräbnissen von Fürsten und Häuptlingen, die man mit ihrem ganzen Hofstaat begraben findet; Marco Polo traf sie im Mittelalter noch in Asien [* 5] so weit in Übung, daß dem Toten alle dem Zug begegnenden Leute ins Grab folgen mußten; sie sind jetzt noch bei afrikanischen Häuptlingen und selbst in Indien (Witwenverbrennung) im Gange. In den meisten Ländern fand dagegen eine Art Ablösung der Menschenopfer statt, indem statt des Lebens einige Tropfen Blut, ein Finger oder das Haar [* 6] (s. Trauerverstümmelung) geopfert wurden oder statt der Menschen (wie

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in Japan) [* 8] thönerne oder metallene Puppen mit ins Grab gelegt wurden. Hier und da, wie in Dahomé und bei nordamerikanischen Indianern, wurden sogar den bereits begrabenen Häuptlingen noch Botschafter und Diener durch Ermordung am Grab nachgesandt. Mit diesen Ideen über das Fortleben im Einklang findet man bereits bei Naturvölkern einen verhältnismäßig außerordentlichen Luxus bei der Totenbestattung, dem Toten werden seine wertvollsten Waffen und Schmuckstücke, die besten Kleider etc. mitgegeben, bei den fortgeschrittenern Stämmen selbst Gold [* 9] und Edelsteine. [* 10]

Maske

Bild 11.313: Maske
* 11 Masken.

Die ältesten Kulturvölker trieben diesen Luxus auf die Spitze. Bei den Ägyptern wohnten die Lebenden in Lehmhütten, die Toten in Palästen. Die Reichern dachten schon im Leben daran, sich ein prächtiges, behagliches Grabgewölbe zu bauen, und die Behandlung der Leichen (s. Mumien) verschlang große Summen. Die Mumiensärge wurden, wie die neuern Ausgrabungen gezeigt haben, oft mit guten Porträten der Toten in Wachsmalerei versehen, außerdem gab man hier, wie bei vielen andern Völkern, den Toten Masken [* 11] (s. d.) als Schutzmittel mit.

Auch die Meder und Assyrer verwandten auf prächtige Grabmäler große Summen, und auf den Gipfel stieg dieser Gräberluxus bei den kleinasiatischen Fürsten, wie denn das Mausoleum (s. d.) zu Halikarnassos der ganzen Gattung prächtiger Grabdenkmäler den Namen gegeben hat. In den letzten Jahren sind mehrere solcher kleinasiatischer Prachtgrabmäler bekannt gemacht worden. Auch bei Griechen und Römern maß der Volksglaube der Art der Bestattung einen Einfluß auf das Los der Verstorbenen im jenseitigen Leben bei, indem man wähnte, der unbestattete Tote müsse hundert Jahre ruhelos an den Ufern des Styx umherirren.

Darum hielten es die Überlebenden für eine Pflicht der Humanität, jedem irgendwo gefundenen Toten wenigstens durch Aufwerfen von drei Handvoll Erde zur Ruhe zu verhelfen. Bei den Spartanern wurden die Toten auf den Schilden hinausgetragen, und alles Leichengepränge war durch die Gesetze verpönt. Bei den Athenern aber fanden feierliche Leichenbegängnisse statt und zwar unter dem Geleit der in schwarze Gewänder gehüllten Verwandten und Freunde, von Klageweibern (penthetriae, praeficae), Musikchören und seit Solons Zeit auch von Lobrednern.

Hanc veniam etc. - Han

Bild 8.65: Hanc veniam etc. - Hand
* 12 Hand.

Vor der eigentlichen Bestattung ward der Tote dreimal gerufen, dann zur Erde gesetzt, wo liebende Hand [* 12] sein Antlitz bedeckte und seine Augen schloß. Auch ward ihm ein Stück Geld (Obolos) als Fahrlohn für Charon [* 13] (s. d.) in den Mund und ein Stück aus Honig und Mehl [* 14] bereiteten Kuchens zur Beschwichtigung des Kerberos [* 15] (s. d.) in die Hand gegeben. Vor dem Trauerhaus ward der Persephone, [* 16] der Königin des Totenreichs, ein Opfer dargebracht. Ein den Verwandten im Haus bereitetes Leichenmahl (perideipnon, lat. silicernium, visceratio) beschloß die Trauerfeier.

Nach vollendeter Totenbestattung wurde das Haus sorgfältig gereinigt. Noch zu Platons Zeiten wurden die Leichen häufig beerdigt; aber mit Verbreitung des Glaubens, daß die Seele einer Reinigung bedürfe, um in die Wohnungen der Seligen zu gelangen, ward später, ungefähr seit dem Beginn des 4. Jahrh. v. Chr., das Verbrennen allgemeiner Gebrauch. Auch bei den Römern waren feierliche Leichenbegängnisse üblich und später sogar mit blutigen Gladiatorenkämpfen verbunden.

Gang (Geologie)

Bild 6.890: Gang (Geologie)
* 17 Gang.

Seit dem Ende der Republik wurde bei ihnen die Verbrennung allgemein und Kolumbarien zur gemeinsamen Aufbewahrung der Asche erbaut, nur ganz kleine Kinder und vom Blitz erschlagene Personen wurden stets beerdigt und nicht verbrannt. Der Leiche folgten außer einem Mimen, der Gang [* 17] und Gebärde des Verblichenen nachahmte, die Klageweiber, welche noch jetzt in manchen Teilen Italiens [* 18] im Gang sind. Der Luxus der Begräbnisse stieg in den Kaiserzeiten so hoch, daß er durch Gesetze eingeschränkt werden mußte, weil man Schiffsladungen mit Spezereien verbrannte.

Bei der Beerdigung wurde der Leichnam in Särgen aus Holz, [* 19] Thon oder Stein (s. Sarkophag) [* 20] ins Grab gesenkt oder in gemauerten oder aus dem Felsen gehöhlten Grabkammern beigesetzt. Bei der Leichenverbrennung [* 21] wurde die Asche des Verstorbenen in einer Urne [* 22] aufbewahrt und in dem Grabmal beigesetzt (s. Urne und Grabmal). Bei den Völkern des Orients war und ist die im allgemeinen einfacher. Ja, die Perser sollen, damit durch Begraben eines Toten die von Ormuzd rein geschaffene Erde nicht verunreinigt werde, früher ihre Toten den Hunden und Raubvögeln vorgeworfen haben, was bei den Gebern in Indien noch heute Brauch ist (s. Parsen).

Bei den alten Hebräern wurden alle menschlichen Leichname als unrein angesehen, daher die Beschleunigung der Totenbestattung und Anlegung der Totenäcker möglichst fern von den Wohnungen der Lebendigen. Doch war auch die Leichenverbrennung bei den Juden üblich, wie man aus Jer. 34, 5. und andern Bibelstellen ersieht. Es war, wie bei den Römern, die vornehmere, weil kostspieligere Begräbnisform. Bei den Christen wurden die Toten, schon aus Opposition gegen das Heidentum, von jeher beerdigt, nie verbrannt, wobei wohl der früh ausgebildete Glaube an die Auferstehung des Leibes mitgewirkt haben mag.

Königreich Sachsen

Bild 14.126a: Königreich Sachsen
* 23 Sachsen.

Überall, wo das Christentum und der Mohammedanismus sich ausgebreitet haben, schafften sie die heidnische Leichenverbrennung ab, so später bei den Germanen, und noch Karl d. Gr. verbot den Sachsen [* 23] jene bei Todesstrafe. Seitdem das Christentum herrschende Religion geworden, beging man die Totenbestattung feierlich mit Gesang von Hymnen auf Tod und Auferstehung, woran sich später bei weiterer Ausbildung der kirchlichen Zeremonien Totenopfer, Seelenmessen, Exequien nebst Almosenspenden und Leichenmahlzeiten anschlossen.

Särge machten die Deutschen in vorchristlicher Zeit einfach aus einem Baumstamm, indem sie ihn durchschnitten, die eine Hälfte aushöhlten und die andre als Deckel benutzten (Baumsärge, Totenbaum). Holzsärge in Kastenform, neben denen auch Steinsärge (Sarkophage) vorkommen, wurden seit Einführung des Christentums häufiger. Aus dem Reliquienkultus mit seinen Heiligengerippen entwickelte sich seit dem 4. Jahrh. die gefährliche Unsitte, Geistliche, Patrone, Kirchenwohlthäter und angesehene Personen überhaupt in den Krypten der zum gottesdienstlichen Gebrauch benutzten Kirchen, ja in diesen selbst beizusetzen, ein Verfahren, gegen welches anfangs die Konzile von Prag, [* 24] Arles, Meaux etc. eiferten, bis es etwa seit 1000 überall unbeanstandet blieb und erst seit hundert Jahren völlig aufgehört hat. Seitdem findet die Totenbestattung allgemein auf den Begräbnisplätzen statt, die sich nur noch auf den Dörfern zuweilen im unmittelbaren Umkreis der Ortskirche befinden, in neuerer Zeit aber mehr und mehr außerhalb der Ortschaften angelegt wurden (s. Begräbnisplatz).



Totenblume - Totengeri

Bild 15.775: Totenblume - Totengericht
* 25 Seite 15.775.

[Leichenverbrennung.]  

In neuerer Zeit ist die Bestattungsfrage vom sanitären Standpunkt der Gegenstand zahlreicher Erörterungen gewesen. Nachdem 1849 Jak. Grimm in einer öffentlichen Rede die Vorzüge und die Erhabenheit der altgermanischen Feuerbestattung geschildert, hat sich eine langsam

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anwachsende Agitation für dieselbe erhoben, zumal in großen Städten und Gebirgsländern, woselbst die Anlegung der Friedhöfe sanitäre und andre Schwierigkeiten bereitet. Erfahrene Ärzte, wie der Oberstabsarzt Trusen, Bock [* 26] u. a., machten schon lange in Deutschland [* 27] Propaganda für die Verbrennung; italienische und schweizerische Ärzte schlossen sich bald ihnen an. Der 1869 zu Florenz [* 28] tagende internationale Kongreß der Ärzte faßte eine dafür eintretende Resolution, und die 1. Dez. 1870 in Florenz stattgefundene feierliche Verbrennung des auf der Reise verstorbenen Radscha von Kelapur auf großem Scheiterhaufen nach indischem Ritus regte das Interesse in weitern Kreisen an. In Italien [* 29] beschäftigten sich seitdem die Ärzte Pini, Rota, Ayr, Anelli, Amati, Gorini und sehr viele andre mit der Frage, und die Professoren Polli in Mailand [* 30] und Brunetti in Padua [* 31] konstruierten besondere Öfen, [* 32] in denen die Verbrennung schnell und möglichst wenig kostspielig vorgenommen werden kann.

Zürich (Kanton und Sta

Bild 16.998: Zürich (Kanton und Stadt)
* 33 Zürich.

Durch Mittel, welche der Kaufmann Alb. Keller aus Zürich [* 33] bei seinem 1874 in Mailand erfolgten Tod aussetzte, konnten diese Versuche in großartigem Maßstab [* 34] durchgeführt werden, und Mailand erbaute die erste Verbrennungshalle (1875), der solche zu Lodi, Cremona, Varese, Rom, [* 35] Como, Brescia, Padua, New York, Washington [* 36] und Philadelphia [* 37] folgten. In Deutschland erwarb sich insbesondere Reclam Verdienste um die Popularisierung des immer noch manchem Widerspruch, namentlich von orthodoxer Seite, begegnenden Gedankens; Kinkel u. a. traten dafür ein, die Ingenieure Pieper und Siemens in Dresden [* 38] beschäftigten sich mit der Konstruktion praktischer Verbrennungsöfen, und seit 1877 hat auch Gotha [* 39] eine Verbrennungshalle, in welcher 1878 die erste Verbrennung einer Leiche ausgeführt wurde.

Schweden und Norwegen

Bild 14.700a: Schweden und Norwegen
* 45 Schweden.

Die Regierungen haben sich bisher meistens ablehnend verhalten, kaum daß einzelne die Verbrennung fakultativ gestattet haben. 1889 waren Verbrennungsöfen in Thätigkeit: in Italien 23, Amerika [* 40] 10, je einer in Stockholm, [* 41] Kopenhagen, [* 42] London, [* 43] Paris, [* 44] Gotha, Zürich, und bis 1. Aug. 1888 wurden verbrannt: in Gotha 554, in Italien 998, in Amerika 287, in Schweden [* 45] 39, in England 16, in Frankreich 7, in Dänemark [* 46] 1 Person. Es ist sehr wahrscheinlich, daß man in Zukunft zu diesem System der Totenbestattung allgemein übergehen wird, denn es besitzt außerordentliche sanitäre Vorzüge und kann in einer die Pietät und das ästhetische Gefühl völlig zufriedenstellenden Weise ausgeführt werden.

Das einzige gewichtige Bedenken (Vernichtung der Spuren eines an dem Verstorbenen ausgeübten Verbrechens) könnte wohl durch die Einführung der allgemeinen Leichenschau gehoben werden. In der neuesten Zeit haben sich in vielen großen Städten Vereine zur Agitation für die Leichenverbrennung gebildet, deren Organisation von Mailand ausging. Von der neuerdings sehr angeschwollenen Litteratur über die Verbrennung der Toten sei nur erwähnt: J. Grimm, Über das Verbrennen der Leichen (Berl. 1850);

Trusen, Die Leichenverbrennung (Bresl. 1855);

Wegmann-Ercolani, Über Leichenverbrennung (4. Aufl., Zürich 1874);

Küchenmeister, Die Feuerbestattung (Stuttg. 1875);

Pini, La crémation en Italie et à l'étranger de 1774 etc. (Mail. 1884);

Thompson, Die moderne Leichenverbrennung (deutsch, Berl. 1889);

über die Totenbestattung überhaupt vgl. Weinhold, Die heidnische Totenbestattung (Wien [* 47] 1859);

De Gubernatis, Storia popolare degli usi funebri indoeuropei (Mail. 1873);

Tegg, The last act, the funeral rites of nations (2. Aufl., Lond. 1878);

Sonntag, Die Totenbestattung, Totenkultus alter und neuer Zeit (Halle [* 48] 1878);

Wernher, Bestattung der Toten in Bezug auf Hygiene etc. (Gießen [* 49] 1880).