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Unmittelbarkeit des Verfahrens | eLexikon

  • ️Peter Hug, Sollrütistr. 24, CH-3098 Schliern b. Köniz
  • ️Thu Apr 05 1888

Öffentlichkeit.



Offerieren - Officium

Bild 12.338: Offerieren - Officium gothicum
* 3 Seite 12.338.

Das moderne Verfassungsleben erblickt in der Öffentlichkeit derjenigen Verhandlungen, welche wichtige staatsbürgerliche Rechte anbetreffen, eine bedeutungsvolle Garantie der Volksfreiheit überhaupt. Wie dem Volk in den konstitutionellen

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Staatswesen ein unmittelbares Recht der Mitwirkung bei den wichtigsten Regierungshandlungen durch seine erwählten Volksvertreter zusteht, so soll ihm auch das Recht der Kritik und der öffentlichen Kontrolle gegenüber den Verhandlungen der parlamentarischen Körperschaft unverkürzt sein. In allen Verfassungsurkunden ist daher die der Landtagsverhandlungen eingeführt, wenn auch geheime Sitzungen stattfinden können. Die Verfassung des Deutschen Reichs (Art. 22) erkennt den Grundsatz der der Verhandlungen des Reichstags ausdrücklich an. Auch die Verhandlungen von Gemeindekollegien und Vertretungen der weitern Kommunalverbände sind in der Regel öffentlich, wofern die Körperschaft nicht zu einer geheimen Sitzung zusammentritt.

Nicht öffentlich sind die Verhandlungen der parlamentarischen Kommissionen; doch besteht bei diesen wenigstens für die Mitglieder der Volksvertretung Öffentlichkeit, insofern dieselben, auch wenn sie nicht Mitglieder der Kommission sind, die Beratungen und Verhandlungen der letztern gleichwohl mit anhören dürfen. Die der Sitzungen hat die doppelte Bedeutung, daß zu denselben Zuhörer zugelassen, und daß über sie Berichte veröffentlicht werden dürfen. Das deutsche Strafgesetzbuch (§ 12) bestimmt ausdrücklich: wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reiche gehörigen Staats bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Eine analoge Bestimmung bezüglich der öffentlichen Verhandlungen des Reichstags findet sich auch in der Reichsverfassung (Art. 22).

Von besonderer Wichtigkeit ist der Grundsatz der der Rechtspflege, wonach dem Publikum in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wie in Strafsachen zu den gerichtlichen Verhandlungen der Zutritt gestattet ist (selbstverständlich mit den durch die Raumverhältnisse gebotenen Beschränkungen). Diese Öffentlichkeit bezieht sich in erster Linie auf die Beteiligten selbst, indem in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die Parteien, im Strafprozeß der Angeschuldigte ein Recht darauf haben, daß ihnen durch den Prozeßgang Gelegenheit geboten werde, das zur Sache Verhandelte zu erfahren und zu prüfen, sich darüber vor Gericht auszusprechen und das Urteil und seine Entscheidungsgründe zu vernehmen.

Oesterreich ob der Enn

Bild 12.481a: Oesterreich ob der Enns
* 4 Österreich.

Aber auch die Öffentlichkeit für das nicht direkt beteiligte Publikum ist als eine Art Kontrolle der öffentlichen Meinung über die Rechtspflege von großer Wichtigkeit, während die Gerichtsberatungen mit Recht der Öffentlichkeit entzogen sind. Ebenso ist die Bestimmung, daß die Öffentlichkeit im Interesse der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung durch Gerichtsbeschluß ausgeschlossen werden kann, als zweckmäßig anzuerkennen, desgleichen der Ausschluß der Öffentlichkeit in Ehesachen. Nach dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz erfolgt die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht (also nicht auch die Voruntersuchung in Strafsachen), einschließlich der Verkündigung der Urteile und Beschlüsse, öffentlich. In England ist auch die Voruntersuchung öffentlich, während sie in Österreich, [* 4] ebenso wie in Deutschland, [* 5] geheim ist. In allen Sachen kann nach dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz und dem Nachtragsgesetz vom 5. April 1888 durch das Gericht für die Verwandlung oder für einen Teil derselben die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherheit, oder eine Gefährdung der Sittlichkeit besorgen läßt.

Die Verkündigung des Urteils erfolgt aber in jedem Fall öffentlich. Doch kann für die Verkündung der Urteilsgründe die Öffentlichkeit ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wenn sie eine Gefährdung der Staatssicherheit oder der Sittlichkeit besorgen läßt. Außer in Ehesachen ist die Öffentlichkeit auch in Entmündigungssachen keine unbedingte. Das Gericht kann zu nicht öffentlichen Verhandlungen einzelnen Personen den Zutritt gestatten. Über Gerichtsverhandlungen, welche wegen Gefährdung der Staatssicherheit unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden haben, dürfen Berichte durch die Presse [* 6] nicht veröffentlicht werden.

Ferner kann das Gericht den bei der Verhandlung anwesenden Personen die Geheimhaltung bestimmter Thatsachen besonders zur Pflicht machen, sofern die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatlicherheit ausgeschlossen ist. Die Verletzung dieses sogen. Schweigebefehls (Schweigegebots) ist mit Strafe bedroht. Ebenso ist es durch das Reichsgesetz vom 5. April 1888 für strafbar erklärt, wenn jemand aus Gerichtsverhandlungen, für welche wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zu Grunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentliche Mitteilungen macht, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen.

Vgl.   Deutsches Gerichtsverfassungsgesetz, § 45 ff., 170 ff., 195; Strafprozeßordnung, § 102, 106, 190 ff., 272, 369, 377; Österreichische Strafprozeßordnung, § 97, 162, 228 ff., 281.