Unschuldig verurteilt | eLexikon
- ️Peter Hug, Sollrütistr. 24, CH-3098 Schliern b. Köniz
- ️Wed Mar 07 1888
Unschuldig
verurteilt, s. Entschädigung unschuldig Verurteilter.
Entschädigung
unschuldig Verurteilter. So sehr man auch das Strafverfahren verbessern, mit soviel schützenden Vorschriften man den Angeklagten umgeben mag: die Möglichkeit, daß ein Angeklagter unschuldig verurteilt wird, kann, da die Richter, gelehrte wie Laien, dem Irrtum unterworfen sind, nicht beseitigt werden. Nicht bloß der Irrtum des Richters, der, wenn er ein thatsächlicher ist, durch die Berufung (s. d.), wenn ein rechtlicher auch durch die Revision (s. d.) seine Berichtigung finden kann, häufiger noch die Bosheit anderer Menschen, Meineid, Fälschung oder die mangelhafte Verteidigung des Angeklagten, die ihm günstige Thatsachen oder Beweismittel unbenutzt läßt, führen unrichtige Entscheidungen herbei.
Deutsche Altertümer -
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Deutsche.Für letztere Fälle, die gewöhnlich erst nach Abschluß des Verfahrens, oft erst nach gänzlicher oder teilweiser Verbüßung der Strafe an den Tag kommen, gewährt sowohl die Deutsche [* 3] (§§. 399 fg.) als auch die Österr. Strafprozeßordnung (§§352 fg.) eine Wiederaufnahme (s. d.) des Verfahrens. Gerade die im Wiederaufnahmeverfahren erfolgten Freisprechungen haben in neuerer Zeit die allgemeine Teilnahme in Anspruch genommen und die V. Entschädigung unschuldig Verurteilter auf die Tagesordnung gebracht.
Der Anspruch des «unschuldig» Verurteilten ist an sich gewiß berechtigt, war für diesen auch schon in der Württemb. Strafprozeßordnung von 1868 anerkannt; zu bedenken bleibt aber, daß durch die Freisprechung im Wiederaufnahmeverfahren nicht immer die Unschuld bewiesen wird. Wenn inzwischen Jahre verflossen sind, kommt es erfahrungsmäßig häufig vor, daß die Erinnerung der früher vernommenen Zeugen verblaßt ist, daß das Gericht nun, selbst wenn die neuen Beweise nichts für den Angeklagten ergeben, nicht mehr zur Überzeugung von der Schuld desselben gelangen kann.
Dann bleibt es mindestens fraglich, ob diese Freisprechung oder der ursprüngliche Schuldspruch der Wahrheit näher ist. Zur Zahlung, der Entschädigung ist nach geltendem Recht derjenige verpflichtet, durch dessen Schuld die Verurteilung herbeigeführt ist, also der meineidige Zeuge, der Urkundenfälscher u. s. w.; es läßt sich aber sehr wohl die Verpflichtung des Staates begründen, nach dessen Gesetzen der Angeklagte verfolgt, durch dessen Organe er verurteilt ist.
Bei der dem Strafrichter zustehenden vollkommen freien Beweiswürdigung waren Richter und Geschworene nicht gebunden, dem Zeugen zu glauben, die Urkunde für echt anzunehmen. Der Angeklagte muß sich dem durch die Gesetze begründeten Verfahren unterwerfen; er kann sich darauf beschränken, seine Schuld zu leugnen; er darf erwarten, daß er nur, wenn wirklich schuldig, verurteilt werde. Wird er unschuldig verurteilt, oder ist der im Wiederaufnahmeverfahren Freigesprochene wenigstens rechtlich als unschuldig anzusehen, so sucht er die Ausgleichung des ihm zugefügten Unrechts bei der Gesamtheit, in deren Namen und mit deren Gewalt ihm dasselbe zugefügt ist.
Geschichtskarten von D
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Deutschland.Aus diesen Anschauungen heraus hat die öffentliche Meinung in Deutschland [* 4] immer dringender die gesetzliche Anerkennung der Ersatzpflicht des Staates für unschuldig erlittene Strafen gefordert. Nachdem sich früher schon einzelne Schriftsteller, Anwaltverein und Juristentag für diese Anerkennung ausgesprochen haben, hat die Frage seit 1882 infolge von Anträgen der Abgeordneten Phillips, Lenzmann, Munckel, Lerche, [* 5] Rintelen wiederholt den Reichstag beschäftigt.
Entschälen - Entstehun
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Seite 56.184.In den J. 1882, 1884, 1885 sind die betreffenden Anträge einer Kommission zur Vorberatung überwiesen, die von dieser erstatteten Berichte jedoch nicht zur Beratung im Reichstag gelangt. Im J. 1886 wurde der von der Kommission ausgearbeitete Gesetzentwurf in zweiter und dritter Beratung angenommen. Derselbe wurde, nachdem der Bundesrat seine Zustimmung versagt hatte, sodann 1887 von dem Abgeordneten Munckel als selbständiger Antrag wieder eingebracht und in dritter Beratung 7. März 1888 vom Reichstag abermals angenommen. Er gewährt jedem im Wiederaufnahmeverfahren Freigesprochenen, der die erkannte Strafe bereits ganz oder teilweise verbüßt hat, einen Anspruch auf Erstattung des ihm entstandenen Vermögensschadens gegen den Staat, dessen Gericht das aufgehobene Urteil gesprochen hat, oder wenn dies das Reichsgericht gewesen, gegen das Reich, unter Vorbehalt des Rückgriffs gegen denjenigen, durch dessen Verschulden das ¶
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aufgehobene Urteil verursacht ist. Wer selbst durch Vorsatz oder grobes Verschulden seine Verurteilung herbeigeführt hat, hat keinen Entschädigungsanspruch. Nach dem Tode des Verurteilten soll dessen Gatten, Verwandten in auf- und absteigender Linie und Geschwistern ein Entschädigungsanspruch zustehen, sofern dieselben von dem Verurteilten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts Unterhalt zu beanspruchen hatten.
Das weitergehende Verlangen der ursprünglichen Antragsteller nach Entschädigung auch für unschuldig erlittene Untersuchungshaft (s. d.) ist in dem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Die Entschließung des Bundesrats auf den Entwurf von 1888 erging dahin, daß die Erörterungen in dieser Sache noch nicht beendet seien. In der Reichstagssitzung von 1889/90 brachten endlich die Abgeordneten Munckel und Lerche den Antrag auf Vorlegung eines bezüglichen Gesetzentwurfs ein.
Nach den mündlichen Erklärungen der Regierungskommissarien im Reichstag und in den Kommissionen bestand bei den Regierungen keine grundsätzliche Abneigung, die unschuldig Verurteilten aus Staatsmitteln zu entschädigen; man wollte nur (aus dem vorher angegebenen Grunde) nicht jeden im Wiederaufnahmeverfahren Freigesprochenen als unschuldig und entschädigungsberechtigt anerkennen, hielt eine Scheidung unter den Freigesprochenen durch das freisprechende oder ein anderes Gericht für unzulässig aus denselben Gründen, aus welchen man die frühere Freisprechung (s. d.) «ab instantia» beseitigt hat, wollte deshalb einen gesetzlichen Anspruch nicht anerkennen, sondern die Entscheidung im einzelnen Falle von dem Ermessen des Landesherrn abhängig machen. Doch wurde in einem vom Bundesrat 28. Juni 1894 angenommenen Entwurf eines Gesetzes zur Revision der Strafprozeßordnung auch die Entschädigung der unschuldig Verurteilten im Sinne des Munckelschen Antrags vorgesehen. Übrigens hat man in den Bundesstaaten für Beschaffung der Geldmittel Sorge getragen, um den durch die Strafrechtspflege nachweisbar unschuldig Verurteilten billige Entschädigung zu gewähren.
Oesterreich ob der Enn
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Österreich.In Österreich, [* 7] Frankreich, Belgien [* 8] und Italien [* 9] beschäftigt sich die Gesetzgebung ebenfalls mit der V. Entschädigung unschuldig Verurteilter In Schweden [* 10] ist 12. März 1886 ein Gesetz erschienen, wonach einerseits der Entschädigungsanspruch unter Umständen auch für die Untersuchungshaft gewährt, andererseits die Entscheidung darüber, ob und inwieweit V. Entschädigung unschuldig Verurteilter zu gewähren, für jeden einzelnen Fall dem Könige vorbehalten wird. -
Vgl. Schwarze, Die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungs- und Strafhaft (Lpz. 1883): Geyer, Über die den ungerecht Angeklagten oder Verurteilten gebührende Entschädigung (Berl. 1882);
Jacobi, Wahrheitsermittelung im Strafverfahren (ebd. 1883);
Kronecker, Entschädigung unschuldig Verhafteter (ebd. 1883);
Berolzheimer, Die V. Entschädigung unschuldig Verurteilter und Verhafteter (Fürth [* 11] 1891).