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Wanderung | eLexikon

  • ️Peter Hug, Sollrütistr. 24, CH-3098 Schliern b. Köniz

Wanderung

(Migration), die Erscheinung, daß manche Tiere zu regelmäßigen Zeiten im Jahr oder auch anscheinend regellos ihren Standort verlassen und vorübergehend oder für immer eine andre Heimat suchen. Solche Wanderungen werden, aus zum Teil noch unerklärten Beweggründen, meist in Massen ausgeführt, wie z. B. diejenigen der eigens danach benannten Wanderheuschrecke, verschiedener Schmetterlinge [* 2] und Ameisen, einiger Krebstiere, [* 3] mancher Fische, [* 4] der meisten Vögel, [* 5] auch einzelner Säugetiere.

Bregthalbahn - Bremen

Bild 67.215: Bregthalbahn - Bremen [unkorrigiert]
* 6 Breite.

Die regelmäßigen Wanderungen sind am genauesten bei den Zugvögeln studiert worden, die in der kalten Jahreszeit weiter nach Süden ziehen, zu Anfang des Sommers jedoch in ihre alten Quartiere zurückkehren. Die große Sicherheit, mit welcher manche unter ihnen, z. B. die Störche, ihre Nester wieder auffinden, obwohl sie auf ihrem Weg Meeresteile von beträchtlicher Breite [* 6] zu überfliegen haben, hat früher zur allgemeinen Annahme eines besondern Instinkts, des Wandertriebes, geführt, erlaubt jedoch eine einfachere Deutung.

Man unterscheidet nämlich neben den eigentlichen Zugvögeln auch noch die Standvögel, welche ihren Aufenthaltsort das ganze Jahr hindurch beibehalten, und die Strichvögel, welche nur wenig oder in unregelmäßiger Weise umherziehen. Es kann nun ein und derselbe Vogel je nach dem Umfang seines Verbreitungsbezirks allen drei Kategorien angehören. (So ist z. B. die Eiderente, ein gänzlich auf die Meeresküsten angewiesenes Tier, für Grönland, Spitzbergen und Island [* 7] ein Wandervogel, der südwärts zieht, sobald ihm das Eis [* 8] nicht mehr erlaubt, seine aus allerlei Seetieren bestehende Nahrung zu gewinnen; an der Ostsee, welche nur teilweise zufriert, wird sie Strichvogel, d. h. sie sucht die offen bleibenden Stellen auf; an den Küsten von England und Frankreich, die vom warmen Golfstrom bespült werden, lebt sie als Standvogel jahraus, jahrein.) Dies beweist also deutlich, daß die Gewohnheit der regelmäßigen Wanderung sich erst allmählich ausgebildet hat und bei langsamer Verschiebung der Temperaturverhältnisse sich auch jetzt noch bei den davon betroffenen Vogelarten ausbilden wird.

Die Richtung derselben wird immer nach dem Äquator zu erfolgen müssen, weil nur so die Erhaltung der Individuen auch während der kalten Jahreszeit möglich ist. Durch Vererbung aber wird das ursprünglich vielleicht von nur wenigen ausgeführte Wandern im Lauf der Generationen zur Gewohnheit aller. In ähnlicher Weise lassen sich bei manchen Vögeln, welche ihre Heimat im Süden haben, die Frühjahrszüge nach Norden, [* 9] wo das Futter durch Sommerhitze nicht verdorrt, erklären.



Wanderzellen - Wanfrie

Bild 16.382: Wanderzellen - Wanfried
* 12 Seite 16.382.

Die Zugstraßen, welche die einzelnen Vogelarten einschlagen, sind gleichfalls zum größten Teil von der Möglichkeit, auf ihnen auch während der oft Wochen dauernden Reise Nahrung anzutreffen, bedingt, daher auch für Sumpfvögel andre als für Landvögel etc. und gewöhnlich Umwege. Die nach Afrika [* 10] wandernden Vögel fliegen nur zum Teil über die Meerenge von Gibraltar [* 11] oder von der Westspitze Siziliens nach dem so nahen Kap Bon, legen vielmehr je nach ihrem Ausgangspunkt und sonstigen Umständen Routen zurück, die weder der Luftlinie entsprechen, noch auch unter Berücksichtigung aller vorhandenen Inseln als ebenso vieler Ruhepunkte gewählt sind. Es hat sich aber

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durch andre Zeugnisse aus der Geologie [* 13] ergeben, daß das Mittelmeer in einer frühern Epoche der Erdgeschichte nicht mit dem Atlantischen Ozean zusammenhing, sondern aus zwei nur durch eine schmale Brücke [* 14] getrennten Binnenseen bestand. Waren so die beiden Kontinente Afrika und Europa [* 15] an mehreren Stellen miteinander in Verbindung, so konnte auch die Ausbreitung mancher Landvögel nach dem Norden und ihre regelmäßige Rückwanderung im Herbst geschehen, ohne daß sie mit dem Meer irgendwie in Berührung kamen.

Nord-Amerika. Fluß- un

Bild 1.457a: Nord-Amerika. Fluß- und Gebirgssysteme
* 16 Nordamerika.

Langsam und in einer für die einzelnen Generationen wohl kaum merkbaren Weise, wie solche geologische Änderungen zu geschehen pflegen, senkte sich sodann das Land, und ebenso allmählich gewöhnten sich die Vögel an die Überwindung der ihnen entgegentretenden Hindernisse. Ihr Weg blieb ihnen nach wie vor geläufig, obwohl er erst nur über Land, dann über schmale Wasserflächen und endlich über einen breiten Meeresarm führte; indes mag auch manche Art, die nicht zu so andauernden Flügen befähigt war, die Wanderung über das Mittelmeer haben aufgeben müssen. Es handelt sich demnach hierbei um keinen Instinkt, sondern um eine von alters her ererbte Erfahrung, welche in jedem Jahr wieder aufgefrischt und von den Alten den Jungen beigebracht wird. In Nordamerika [* 16] erstrecken sich die Züge gewisser Vogelarten auf Strecken von über 1000 engl. Meilen, treffen aber dabei auf kein Meer.

Vgl.   Palmén, Die Zugstraßen der Vögel (Leipz. 1876);

Weismann, Über das Wandern der Vögel (Berl. 1878).

Wanderungen der Völker und Stämme haben bereits in frühster vorgeschichtlicher Zeit stattgefunden. Wie noch heute der Indianer Amerikas den ihm als Jagdbeute dienenden Bisonherden nachfolgt, so hat auch das Seltenerwerden des Wildes in gewissen Gebieten die vorgeschichtlichen Jägerstämme zu Wanderungen veranlaßt. Ein Teil der Völker, die während der Vergletscherungsepochen der Diluvialperiode Mitteleuropa bewohnten, ist zweifelsohne, als nach dem Abschmelzen der Gletscher das Klima [* 17] unsers Erdteils ein milderes wurde, dem nach Norden sich zurückziehenden Renntier nachgefolgt.

Eiszeit

Bild 5.489: Eiszeit
* 18 Eiszeit.

Auf diese Annahme sich stützend, will de Quatrefages in den Dalekarliern Schwedens den Cromagnontypus (eine Rasse, die während der Diluvialzeit einen Teil Frankreichs bewohnte) wiedererkennen. Penck nimmt an, daß gleichzeitig mit der gegen den Schluß der Eiszeit [* 18] eintretenden Milderung des nord- und mitteleuropäischen Klimas gewisse südliche Gebiete durch Verschiebung der Kalmengürtel in die trockne Region der Passate hineingezogen und durch Regenmangel unbewohnbar geworden, und daß durch letztern Umstand Völker, welche bereits im Besitz der neolithischen Kultur (s. Steinzeit) [* 19] waren, zur Einwanderung nach Europa veranlaßt worden seien.

Bei den Nomadenvölkern lieferte die Notwendigkeit, für ihre an Zahl zunehmenden Herden Weideplätze zu gewinnen, den Impuls zu ausgedehnten Wanderungen. Auf solche Weise sind unter andern die nach der gewöhnlichen Annahme ursprünglich in den Hochländern Asiens einheimischen Arier nach Europa gelangt. Daß bisweilen auch Rückwanderungen stattgefunden haben, beweist der Zug, welcher die keltischen Gallier nach der Balkanhalbinsel [* 20] und Kleinasien führte.