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Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger | Kritik

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  • ️Wed Dec 12 2012

Havarie im Kino: Ang Lees neuer Film lässt keinen Eisberg aus.

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Das Leben in den spirituell entleerten, kapitalistisch durchrationalisierten Gesellschaften der westlichen Welt scheint an vielen Menschen so sehr zu zehren, dass sie der ständigen „Inspiration“ bedürfen. Gemeint ist hier nicht der kreative Einfall, sondern ein Hoffnung spendender, emotional erhebender Moment. Gerade in den amerikanischen Medien wird diese Variante des Wortes inflationär gebraucht. Die Struktur ist dabei immer dieselbe: Ein Mensch steht vor einem nahezu unlösbar erscheinenden Problem, überwindet dieses dennoch und geht gestärkt aus der Erfahrung hervor. Wer von diesen Geschichten hört, überträgt deren Moral auf sein eigenes Leid und fühlt sich in seinem Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens besser gewappnet.

Im Kino wird diese Struktur häufig von Feelgood-Movies übernommen, die erst alles Elend der Welt über ihre Figuren schütten, um sie dann heroisch wie Phönix aus der Asche aufsteigen zu lassen. Diese eskapistischen Aufputschmittel heißen dann Blind Side – Die große Chance (The Blind Side, 2009) oder Ziemlich beste Freunde (Intouchables, 2011). An den Kinokassen räumen solche Filme regelmäßig ab, denn der Mensch lässt sich gerne das erzählen, was er hören will: Alles wird gut.

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In der selben Fahrrinne bewegt sich Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger (Life of Pi, 2012), Ang Lees Katastrophenfilm-Filmkatastrophe. Lee hat früher sehr respektable Werke geschaffen (Der Eissturm, The Ice Storm, 1997; Brokeback Mountain, 2005; Gefahr und Begierde; Se, jie, 2007). Mit dieser Titanic von einem Film rammt er aber jeden erdenklichen Eisberg.

Der Anfang setzt kalkulierend auf Exotismus und süße Tiere, wird aber dank skurrilem Humor noch recht vergnüglich. Der junge, nach einem Schwimmbad benannte Inder Piscine (hier: Ayush Tandon) interessiert sich – nicht eben zur Freude seines atheistischen Vaters – sehr für Religionen und sieht keinen Widerspruch darin, gleichzeitig Hindu, Christ und Moslem zu sein. Da er aufgrund seines wie „Pissing“ klingenden Namens oft gehänselt wird, lässt er sich fortan nur noch Pi nennen. Und so wie die Zahl Pi in Darren Aronofskys gleichnamigem Film der Schlüssel zu Gott sein soll, so wird auch der erwachsene Pi (Irrfan Khan) zum Marketingassistenten des Schöpfers.

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„Eine Geschichte, die dich an Gott glauben lässt“, nennt er das, was er einem ungläubigen kanadischen Schriftsteller (Rafe Spall) erzählt. Nichts anderes führen Yann Martel, der Autor des Erfolgsromans Life of Pi, und Ang Lee im Schilde. Penetrant zieht sich ihre Missionierungsarbeit durch den gesamten Film. Pi verliert bei einem Schiffsunglück seine Familie, muss 227 Tage in einem Rettungsboot mit einem ausgewachsenen Tiger verbringen und überlebt das Ganze doch. Gott sei Dank! Wie „inspirierend“ ...

Life of Pi propagiert keine bestimmte Glaubensrichtung, sondern eine eklektische Mischung aus verschiedenen Weltreligionen und ganzheitlicher Esoterik. Das Feindbild ist jedoch umso eindeutiger: Der wissenschaftliche Rationalismus wird zunächst als engstirnig und reduktionistisch angeklagt und nach 125-minütiger Beweisführung schuldig gesprochen. Zwar beginnt auch Pi nach dem Verlust seiner Familie an Gott zu zweifeln, doch dann reißen die Wolken auf, die Sonne bricht hindurch und Pi, dem in 227 Tagen kein einziger Bartstoppel wächst, erreicht in der Nähe von Mexiko eine von unzähligen Erdmännchen bevölkerte Insel, die dem Paradies ähnelt. Und als Pi später endlich von Menschen bewohntes Land erreicht und entkräftet am Strand zusammenbricht, fühlt er im Sand „das Gesicht Gottes“. Warum sein gütiger, liebender Gott ihn auf eine solche Hiobs-Probe stellte, kann Pi nur mit dem alten theologischen Totschlagargument „Gottes Wege sind unergründlich“ erklären.

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Wenn Lee dem Zuschauer sein „ozeanisches Gefühl“ aufnötigt, ist das jedoch nur eine der Zumutungen dieses Films. Denn der Regisseur garniert seinen Kreuzzug auch noch mit einer ebenso überflüssigen wie ungelenken Rahmenhandlung und völlig überzuckertem Kitsch. Es wimmelt nur so vor gülden überstrahlten Bildern, fluoreszenten Walen und vermenschlichten Tieren. Selbst unter Lebensgefahr fühlt Pi sich so sehr eins mit den Tieren, dass er sich bei gefangenen Fischen weinend entschuldigt, den ihn bedrohenden Tiger füttert und mehr um ein Zebra trauert als um seine Eltern.

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Die Tränen rollen ohnehin immer im richtigen Moment in Life of Pi. Für den Fall, dass der Zuschauer dennoch nicht verstanden haben sollte, was er zu fühlen hat, gibt es noch Pis demonstrativ leidenden Gesichtsausdruck und einen diktatorischen Musikeinsatz obendrauf. In solchen Momenten ist man mitunter peinlich berührt von Lees Holzhammer-Methode. Die Unsubtilität, mit der er seine sentimental-religiöse Agitprop vermittelt („Gott, ich bin dein Schiff!“), tut in manchen Momenten fast körperlich weh. Das Gleiche gilt für eine Sequenz, in der Lee sich anmaßenderweise zu einer an Kubrick orientierten Vision versteigt.

Sicher, Lee hüllt seine filmische Havarie in atemberaubende Bilder. Ob das allein schon eine große Leistung darstellt, ist allerdings fraglich, denn kaum eine der überwältigenden Szenen wurde mit geduldiger Kameraarbeit „draußen“ eingefangen, vielmehr wurden alle bequem am PC errechnet. Dort lässt sich ohne großen Aufwand all das kreieren, was in der Realität nur mit Mühe zu finden ist. Die Animationen selbst mögen Höchstleistungen der aktuellen CGI-Technik sein, jedoch stehen sie immer wieder quer zu den realen Aufnahmen, mit denen sie kombiniert werden.

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Im Vergleich zu seinen stillen zwischenmenschlichen Dramen geht Lee mit dem bombastischen Life of Pi, dessen Budget von rund 100 Millionen Dollar und den Tausenden Statisten baden. Manchmal, ganz selten, passen die ergänzenden Titel, die deutsche Verleihe ausländischen Produktionen so gerne hinzufügen. In diesem Fall fassen jene drei nachgeschobenen Worte den Film perfekt zusammen: Schiffbruch mit Tiger.

Trailer zu „Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger“


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