documentArchiv.de - Gesetz über den Volksentscheid (27.06.1921)
- ️Kai Riedel [www.kai-riedel.de]
Gesetz über den Volksentscheid.
Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird:
§ 1
[1] Ein Volksentscheid findet statt, |
|
[2] Über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen findet ein Volksentscheid nach Nr. 2 und 3 nicht statt (Artikel 73 Abs. 4 der Reichsverfassung). |
§ 2
Hat der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit die Absetzung des Reichspräsidenten beantragt, so gelten für die Volksabstimmung (Artikel 43 Abs. 2 der Reichsverfassung) die Vorschriften über den Volksentscheid entsprechend.
§ 3
[1] Gegenstand des Volksentscheids ist im Falle des § 1 Nr. 3 das begehrte und ein vom Reichstag beschlossenes abweichendes
Gesetz.
[2] Haben dem Reichstag mehrere Volksbegehren über denselben Gegenstand
vorgelegen, so ist auch ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz, durch welches einer der
begehrten Gesetzentwürfe unverändert angenommen wurde, zusammen mit den andern
begehrten Gesetzentwürfen dem Volksentscheide zu unterbreiten.
§ 4
Die Reichsregierung bestimmt den Abstimmungstag und veröffentlicht ihn sowie den Gegenstand des Volksentscheids und den Abdruck des Stimmzettels im Reichsanzeiger. Die Landesregierungen sorgen für ausreichende Veröffentlichung.
§ 5
Abstimmungstag ist ein Sonntag oder öffentlicher Ruhetag.
§ 6
Die Abstimmung ist unmittelbar und geheim. Jeder Stimmberechtigte hat eine Stimme.
§ 7
[1] Stimmberechtigt ist, wer das Wahlrecht zum Reichstag hat.
[2] Die Vorschriften des Reichswahlgesetzes
über das Ruhen des Wahlrechts und die Behinderung in seiner Ausübung gelten auch für
das Stimmrecht.
§ 8
Die Vorschriften des Reichswahlgesetzes über die Bildung der Wahlbezirke und der Wahlvorstände, über die Wählerlisten und Wahlkarteien, sowie über deren Auslegung und Berichtigung finden Anwendung. Die Bezeichnungen "Wahlbezirke", "Wahlvorsteher", "Wahlvorstände", "Wählerlisten", "Wahlkarteien" werden durch die Bezeichnungen "Stimmbezirke", "Abstimmungsvorsteher", Abstimmungsvorstände", "Stimmlisten", "Stimmkarteien" ersetzt.
§ 9
[1] Die Reichstagswahlkreise gelten als Stimmkreise.
[2] Für jeden Stimmkreis wird ein Abstimmungsleiter und ein Stellvertreter ernannt
und ein Abstimmungsausschuß gebildet.
[3] Die Ausschüsse bestehen aus dem Abstimmungsleiter als Vorsitzendem und vier
Beisitzern, die er aus den Stimmberechtigten beruft. Sie beschließen mit Stimmenmehrheit.
§ 10
Die Abstimmungshandlung und die Ermittlung des Ergebnisses sind öffentlich.
§ 11
Abstimmen kann nur, wer in eine Stimmliste oder Stimmkartei eingetragen ist oder einen Stimmschein hat.
§ 12
Ein Stimmberechtigter, der in eine Stimmliste oder Stimmkartei eingetragen ist, ist auf Antrag mit einem Stimmschein zu versehen, |
|
§ 13
Stimmberechtigte, deren Namen in einer Stimmliste oder Stimmkartei nicht eingetragen oder gestrichen worden sind, sind auf Antrag mit einem Stimmschein zu versehen, |
|
§ 14
Stimmberechtigten können nur in dem Stimmbezirk abstimmen, in dessen Stimmliste oder Stimmkartei sie eingetragen sind. Inhaber von Stimmscheinen können in jedem beliebigen Stimmbezirk abstimmen.
§ 15
Die Stimme lautet nur auf Ja oder auf Nein; Zusätze nicht zulässig.
§ 16
[1] Abgestimmt wird mit Stimmzetteln in amtlich gestempelten
Umschlägen.
[2] Die Landesregierungen liefern die Stimmzettel von weißem oder weißlichem
Papiere mit dem im Reichsanzeiger veröffentlichten Aufdruck und lassen sie in den
Abstimmungsräumen in ausreichender Zahl bereithalten.
§ 17
[1] Die Abstimmenden tragen in den Stimmzettel das Wort Ja oder Nein ein oder
durchkreuzen eines der für Ja und Nein vorgedruckten Vierecke oder streichen eines der
vorgedruckten Worte Ja und Nein.
[2] Abwesende können sich weder vertreten lassen noch sonst an der Abstimmung
teilnehmen.
§ 18
[1] Ungültig sind Stimmzettel, |
|
[2] Mehrere in einem Umschlag enthaltene Stimmzettel gelten als eine Stimme, wenn sie gleichlautend sind oder wenn nur einer von ihnen eine Eintragung enthält; andernfalls sind sie ungültig. |
§ 19
Über die Gültigkeit der Stimmzettel entscheidet der Abstimmungsvorstand mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gibt der Abstimmungsvorsteher den Ausschlag.
§ 20
[1] Im Stimmkreis stellt der Abstimmungsausschuß zur Ermittlung
des Abstimmungsergebnisses fest, wieviel Stimmen abgegeben sind und wieviel auf Ja und auf
Nein lauten.
[2] Das Gesamtergebnis stellt der Reichswahlausschuß fest.
§ 21
[1] Die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen entscheidet.
[2] Ein Beschluß des Reichstags kann durch eine Volksentscheid nur dann außer
Kraft gesetzt werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung
beteiligt (Artikel 76 Abs. 1 Satz 4 der Reichsverfassung).
[3] Bei Gleichheit der Stimmen für die Bejahung und für die Verneinung einer
Frage gilt die Frage als verneint. Bei Gleichheit der Stimmen für die Bejahung zweier
Fragen entscheidet das Los, das der Reichswahlleiter zieht.
§ 22
Nach der Feststellung durch den Reichswahlausschuß prüft das Wahlprüfungsgericht beim Reichstag das Abstimmungsergebnis.
§ 23
Wird die ganze Abstimmung für ungültig erklärt, so findet eine neue Abstimmung statt.
§ 24
[1] Ist in einzelnen Stimmbezirken die Abstimmung nicht
ordnungsgemäß vorgenommen worden, so kann das Wahlprüfungsgericht dort die Wiederholung
der Abstimmung beschließen. Der Reichsminister des Innern hat den Beschluß alsbald
auszuführen.
[2] Ist die Behinderung der ordnungsgemäßen Abstimmung in einzelnen
Stimmbezirken zweifelsfrei festgestellt, so kann der Reichsminister des Innern auf Antrag
des Abstimmungsausschusses des Stimmkreises und mit Zustimmung des Reichswahlausschusses
dort die Wiederholung der Abstimmung anordnen.
[3] Die Anordnung des Reichsministers unterliegt im Prüfungsverfahren der
Nachprüfung durch das Wahlprüfungsgericht.
[4] Die Wiederholung der Abstimmung darf nicht später als sechs Wochen
nach der Hauptabstimmung stattfinden.
[5] Bei der Wiederholung der Abstimmung wird auf Grund derselben Stimmlisten oder
Stimmkarteien abgestimmt wie bei der Hauptabstimmung.
§ 25
Der Reichsminister des Innern veröffentlicht nach Abschluß des Prüfungsverfahrens das Abstimmungsergebnis im Reichsanzeiger.
§ 26
Anträge und Begehren nach § 1 Nr. 2 und 3 unterliegen einem besonderen Zulassungs- und Eintragungsverfahren.
§ 27
[1] Der Zulassungsantrag ist schriftlich an den Reichsminister des
Innern zu richten. Er bedarf der Unterschriften von fünftausend Stimmberechtigten. Dabei
ist das Stimmrecht der Unterzeichner des Antrags durch eine Bestätigung der
Gemeindebehörde ihres Wohnorts nachzuweisen.
[2] Von der Beibringung der Unterschriften von fünftausend Stimmberechtigten kann
abgesehen werden, wenn die Vorstandschaft einer Vereinigung den Antrag stellt und
glaubhaft macht, daß ihn hunderttausend ihrer stimmberechtigten Mitglieder unterstützen.
§ 28
Der Volksentscheid über ein Gesetz, dessen Verkündung ausgesetzt ist, muß innerhalb zweier Wochen nach dem Tage beantragt sein, an dem im Reichstag die Aussetzung verlangt worden ist.
§ 29
Anträge auf Zulassung eines Volksbegehrens zugunsten eines ausgearbeiteten Gesetzentwurfs können erst nach Ablauf eines Jahres von neuem gestellt werden.
§ 30
Der Reichsminister des Innern prüft, ob die Voraussetzungen der §§ 27 bis 29 erfüllt sind. Er entscheidet über den Antrag auf Zulassung.
§ 31
[1] Wird dem Zulassungsantrag stattgegeben, so veröffentlicht ihn
der Reichsminister des Innern in der zugelassenen Form im Reichsanzeiger und setzt dabei
Beginn und Ende der Eintragungsfrist fest.
[2] Die Frist beginnt frühestens zwei Wochen nach Veröffentlichung der Zulassung;
sie soll in der Regel vierzehn Tage umfassen.
§ 32
Nach der Zulassung kann der Zulassungsantrag nicht mehr geändert, aber bis zum Ablauf der Eintragungszeit jederzeit zurückgenommen werden. Die Zurücknahmeerklärung ist gültig, wenn sie von mehr als der Hälfte der Antragsunterzeichner oder von der Vorstandschaft der Vereinigung, die den Antrag gestellt hat, abgegeben ist.
§ 33
Eintragungsberechtigt ist, wer am Tage der Eintragung zum Reichstag wählen kann.
§ 34
[1] Die Gemeindebehörden müssen den Eintragungsberechtigten
während der Eintragungsfrist Gelegenheit geben, sich in die vorschriftsmäßigen
Eintragungslisten, die ihnen von den Antragstellern übergeben werden, eigenhändig
einzutragen.
[2] Erklärt ein Eintragungsberechtigter, daß er nicht schreiben kann, so wird
seine Unterschrift durch die Feststellung dieser Erklärung ersetzt.
§ 35
Die Eintragung (§ 34) muß enthalten |
|
§ 36
Zur Eintragung ist nur zugelassen, | |
a) wer in die zuletzt abgeschlossene Wählerliste (Stimmliste) oder
Wahlkartei (Stimmkartei) eingetragen ist, es sei denn, daß das Wahl- oder Stimmrecht
inzwischen verloren gegangen ist oder während der Eintragungsfrist ruht, b) wer einen Eintragungsschein hat. |
§ 37
Für die Ausstellung eines Eintragungsschein gelten die Vorschriften der §§ 12 und 13 entsprechend. Ein Eintragungsschein ist ferner auszustellen, wenn der Eintragungsberechtigte nachweist, daß er erst nach der zuletzt stattgefundenen Wahl oder Abstimmung stimmberechtigt geworden ist.
§ 38
Gegen die Ablehnung der Zulassung zur Eintragung oder gegen die Versagung eines Eintragungsscheins ist Einspruch zulässig. Gibt die Gemeindebehörde dem Einspruch alsbald nicht statt, so entscheidet ihre Aufsichtsbehörde binnen einer Woche.
§ 39
Ungültig sind Eintragungen, die |
|
§ 40
[1] Nach Ablauf der Eintragungsfrist beurkunden die
Gemeindebehörden auf den Eintragungslisten, ob die Eintragenden am Tage der Eintragung
eintragungsberechtigt waren und in der Gemeinde ihren Wohnsitz oder Aufenthalt hatten oder
Eintragungsscheine übergeben haben.
[2] § 9 gilt entsprechend.
§ 41
[1] Der Abstimmungsausschuß stellt fest, wieviel
Eintragungsberechtigte im Stimmkreis sich für den Antrag oder das Begehren gültig
eingetragen haben. Das Ergebnis wird dem Reichswahlleiter mitgeteilt.
[2] Der Reichswahlausschuß stellt das Eintragungsergebnis im Reiche fest. Das
Gesamtergebnis wird vom Reichswahlleiter im Reichsanzeiger veröffentlicht und dem
Reichsminister des Innern mitgeteilt.
§ 42
Als Zahl der sämtlichen Stimmberechtigten ist die amtlich ermittelte Zahl bei der letzten Reichstags- oder Reichspräsidentenwahl oder allgemeinen Volksabstimmung maßgebend.
§ 43
[1] Dem Antrag auf Volksentscheid nach § 1 Nr. 2
ist Folge zu geben, wenn ein Zwanzigstel der Stimmberechtigten gültige Unterschriften
dafür abgegeben hat, daß ein Gesetz, dessen Verkündung ausgesetzt ist, dem
Volksentscheide zu unterbreiten sei.
[2] Das Begehren nach § 1 Nr. 3 ist zustande gekommen, wenn ein
Zehntel der Stimmberechtigten gültige Unterschriften dafür abgegeben hat, daß ein
ausgearbeiteter Gesetzentwurf dem Reichstag unterbreitet werde.
[3] Die Reichsregierung hat unverzüglich in den Fällen des Abs. 1 einen
Volksentscheid nach § 4 einzuleiten, in den Fällen des Abs. 2 den
begehrten Gesetzentwurf einzubringen.
§ 44
Für die Verteilung der Kosten des Zulassungs- und Eintragungsverfahrens, soweit sie nicht den Antragstellern zur Last fallen, sowie der Kosten des Volksentscheids gelten die Vorschriften des Reichswahlgesetzes entsprechend.
§ 45
Der Reichsminister des Innern erläßt mit Zustimmung des Reichsrats die Bestimmungen zur Ausführung des Gesetzes.
Berlin, den 27. Juni 1921.
Der Reichspräsident
Ebert
Der Reichsminister des Innern
Dr. Gradnauer