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Wohlstand auf Pump

  • ️Imke Henkel
  • ️Sun May 03 2009
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    In der Pflanze steckt keine Gentechnik

    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die

Die einzelnen Reformen erscheinen zum Teil technisch: Thatcher hob die Beschränkungen für Fremdwährungen auf, um den freien Fluss von Kapital ins und aus dem Land zu ermöglichen. Ihre Regierung senkte den Höchststeuersatz von 83 Prozent auf zunächst 60 und dann 40 Prozent. „Eine Obszönität“, schrie der Abgeordnete Alex Salmond in die Debatte und wurde daraufhin des Unterhauses verwiesen. Salmond ist heute Ministerpräsident von Schottland. Ermahnt wegen unziemlicher Bemerkungen wurde damals auch der Oppositionspolitiker Gordon Brown.

Am 27. Oktober 1986 lockerte Thatchers Regierung auf einen Schlag eine Reihe der strengen Regeln, die bis dahin den Handel an der Londoner Börse bestimmten. Vor allem wurden die Wettbewerbsbeschränkungen aufgehoben, die ausländische Banken de facto von der Londoner City ferngehalten hatten. Das Reformpaket bekam bald den Spitznamen „Big Bang“. Zu Recht, wie sich herausstellte: Innerhalb weniger Jahre kauften vor allem amerikanische Großbanken fast sämtliche britischen Geldhäuser auf. Die Londoner Finanzwelt wandelte sich von einem steifen Altherrenclub, in dem Familienbeziehungen und lange Lunchstunden den Ton angaben, zu einem hektischen, von amerikanischem Arbeitseifer bestimmten Platz, in dem die Citybanker auf einmal das Zehnfache ihres früheren Gehaltes verdienten. 20 Jahre nach „Big Bang“ war London vor New York zum größten Finanzzentrum der Welt aufgestiegen.

Ausverkauf von Staatsfirmen

Die zweite große Thatcher-Revolution hieß Privatisierung. Der Erdrutschwahlsieg von 1983 gab der Tory-Premierministerin den Mut, den zuvor nur zaghaft begonnenen Verkauf staatlicher Firmen im großen Stil durchzuführen. Von British Gas über British Airways und British Telecom bis zur British Airports Authority (den Flughäfen, die heute in spanischer Hand sind) verkaufte Thatcher in 11 Jahren 40 Staatsfirmen mit insgesamt 600 000 Angestellten. Seit 1983 brachte ihrer Regierung das jährliche Einnahmen von mindesten einer Milliarde Pfund.

Die Deregulierung der Finanzgeschäfte sowie die Privatisierung der britischen Industrie und Dienstleistung katapultierten Großbritanniens Wirtschaft an die Spitze Europas. Richtig wohlhabend freilich wurden die Briten nicht unter Margaret Thatcher, sondern erst mit der Fortsetzung ihrer Politik unter dem Labour-Finanzminister Gordon Brown. Erst in den Jahren der New Labour-Regierung mutierte der Name Thatcher zum Adelstitel europäischer Regierungschefs: Angela Merkel müsse die deutsche Thatcher werden, wünschten sich viele vor der Bundestagswahl im Herbst 2005. Der Präsidentschaftskandidat Nicholas Sarkozy ließ gerne durchblicken, dass er die französische Thatcher-Ausgabe sei.

Gefahren zügelloser Banken

Mit der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Attraktivität des Thatcherismus schlagartig abgenommen. Deregulierung ist zum Schimpfwort geworden. Nicht nur Großbritannien hat seine Banken verstaatlicht. Und zum ersten Mal seit 30 Jahren hat London den Steuersatz für Spitzenverdiener wieder erhöht: auf 50 Prozent.

Die Gefahren ungehemmt freier Finanzmärkte freilich erlebte Thatcher selbst noch im Amt. Im Sommer 1990 – vier Monate vor Thatchers Rücktritt – schnellte die Inflation auf nahezu 10 Prozent. Der „Economist“ analysierte damals, dass Thatchers Finanzderegulierung die unmittelbare Ursache sei. Thatchers Reformen erlaubten es den Briten, leichter und mehr Geld zu leihen als jemals zuvor. Hypotheken stiegen sprungartig und mit ihnen die Hauspreise. Viele Menschen nahmen Kredite auf, um sich einen neuen Wagen, einen Fernseher, eine Jacht oder eine Fernreisen zu leisten. Dem Wirtschaftswachstum kam das zugute, aber der Boom gründete auf gepumptem Geld. Ein Szenario, dass Gordon Brown als Oppositionspolitiker hautnah erlebte. Alles vergessen?

Der „Econmist“ schloss seine Analyse im Juni 1990 mit einem optimistischen Ausblick: „Wenn die Briten gelernt haben werden, mit dem neuen deregulierten Finanzsystem zu leben, werden sie zwar sicherlich immer noch mehr Schulden machen als früher in den kargen und repressiven 70er-Jahren, aber sie werden nicht uferlos leihen.“ Diese Hoffnung hat sich als Irrtum herausgestellt. Weltweit hat sich kein Volk so hoch verschuldet wie die Briten.