Goethe: Farbenkreis
- ️Michael Mandelartz
1809. Feder in Schwarz, aquarelliert, auf gelblichem Papier, auf Karton montiert. Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum
Der Farbenkreis entstand im Kontext der Studien zur Farbenlehre als Schema für das Kapitel Allegorischer, symbolischer, mystischer Gebrauch der Farbe. Jeder Farbe wird eine menschliche Eigenschaft zugeordnet; die Beschriftung in den konzentrisch und radial geteilten Feldern stammt von Goethes Hand. Im inneren Ring: rot — schön, gelbrot — edel, gelb — gut, grün — nützlich, blau — gemein, blaurot — unnöthig. Die sechs Farben strahlen in den äußeren Ring hinüber, so daß vier Segmente dort jeweils an zwei Farben teilhaben. Sie werden den vier Bereichen des menschlichen Geistes- und Seelenlebens zugeordnet: Rot/Gelbrot — Vernunft, Gelb/Grün — Verstand, Grün/Blau — Sinnlichkeit, Blaurot/Rot — Phantasie.
Aus: Goethe und die Kunst, S. 141
Aus der Farbenlehre, Par. 695ff:
Wie entschieden die Farbe sei.
695
Entstehen der Farbe und sich entscheiden ist eins. Wenn das Licht mit
einer allgemeinen Gleichgültigkeit sich und die Gegenstände
darstellt, und uns von einer bedeutungslosen Gegenwart gewiß
macht, so zeigt sich die Farbe jederzeit specifisch, charakteristisch,
bedeutend.
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Im Allgemeinen betrachtet entscheidet sie sich nach zwei Seiten. Sie
stellt einen Gegensatz dar, den wir eine Polarität nennen und
durch ein + und - recht gut bezeichnen können.
Plus. | Minus. |
---|---|
Gelb. | Blau. |
Wirkung. | Beraubung. |
Licht. | Schatten. |
Hell. | Dunkel. |
Kraft. | Schwäche. |
Wärme. | Kälte. |
Nähe. | Ferne. |
Abstoßen. | Anziehen. |
Verwandtschaft mit Säuren. | Verwandtschaft mit Alkalien. |
Mischung der beiden Seiten.
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Wenn man diesen specificirten Gegensatz in sich vermicht, so heben sich
die beiderseitigen Eigenschaften nicht auf; sind sie aber auf den Punct
des Gleichgewichts gebracht, daß man keine der beiden besonders
erkennt, so erhält die Mischung wieder etwas Specifisches
für's Auge, sie erscheint als eine Einheit, bei der wir an die
Zusammensetzung nicht denken. Diese Einheit nennen wir Grün.
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Wenn nun zwei aus derselben Quelle entspringende entgegengesetzte
Phänomene, indem man sie zusammenbringt, sich nicht aufheben,
sondern sich zu einem dritten angenehm Bemerkbaren verbinden; so ist
dieß schon ein Phänomen, das auf Übereinstimmung
hindeutet. Das Vollkommnere ist noch zurück.
Steigerung in's Rothe.
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Das Blaue und Gelbe läßt sich nicht verdichten, ohne
daß zugleich eine andre Erscheinung mit eintrete. Die Farbe ist
in ihrem lichtesten Zustand ein Dunkles, wird sie verdichtet, so
muß sie dunkler werden; aber zugleich erhält sie einen
Schein, den wir mit dem Worte röthlich bezeichnen.
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Dieser Schein wächs't immer fort, so daß er auf der
höchsten Stufe der Steigerung prävalirt, Ein gewaltsamer
Lichteindruck klingt purpurfarben ab. Bei dem Gelbrothen der
prismatischen Versuche, das unmittelbar aus dem Gelben entspringt,
denkt man kaum mehr an das Gelbe.
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Die Steigerung entsteht schon durch farblose trübe Mittel, und
hier sehen wir die Wirkung in ihrer höchsten Reinheit und
Allgemeinheit. Farbige specificirte durchsichtige Liquoren zeigen diese
Steigerung sehr auffallend in den Stufengefäßen. Diese
Steigerung ist unaufhaltsam schnell und stätig; sie ist allgemein
und kommt sowohl bei physiologischen als physischen und chemischen
Farben vor.
Verbindung der gesteigerten Enden.
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Haben die Enden des einfachen Gegensatzes durch Mischung ein
schönes und angenehmes Phänomen bewirkt; so werden die
gesteigerten Enden, wenn man sie verbindet, noch eine anmuthigere Farbe
hervorbringen, ja es läßt sich denken, daß hier der
höchste Punct der ganzen Erscheinung sein werde.
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Und so ist es auch: denn es entsteht das reine Roth, das wir oft, um
seiner hohen Würde willen, den Purpur genannt haben.
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Es gibt verschiedene Arten, wie der Purpur in der Erscheinung entsteht;
durch Übereinanderführung des violetten Saums und gelbrothen
Randes bei prismatischen Versuchen; durch fortgesetzte Steigerung bei
chemischen; durch den organischen Gegensatz bei physiologischen.
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Als Pigment entsteht er nicht durch Mischung oder Vereinigung; sondern
durch Fixirung einer Körperlichkeit auf dem hohen culminirenden
Farbenpuncte. Daher der Mahler Ursache hat, drei Grundfarben
anzunehmen, indem er aus diesen die übrigen sämmtlich
zusammensetzt. Der Physiker hingegen nimmt nur zwei Grundfarben an, aus
denen er die übrigen entwickelt und zusammensetzt.
Vollständigkeit der mannichfaltigen Erscheinung.
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Die mannichfaltigen Erscheinungen auf ihren verschiedenen Stufen fixirt
und neben einander betrachtet bringen Totalität hervor. Diese
Totalität ist Harmonie für's Auge.
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Der Farbenkreis ist vor unsern Augen entstanden, die mannichfaltigen
Verhältnisse des Werdens sind uns deutlich. Zwei reine
ursprüngliche Gegensätze sind das Fundament des Ganzen. Es
zeigt sich sodann eine Steigerung, wodurch sie sich beide einem dritten
nähern; dadurch entsteht auf jeder Seite ein Tiefstes und ein
Höchstes, ein Einfachstes und Bedingtestes, ein Gemeinstes und ein
Edelstes. Sodann kommen zwei Vereinungen (Vermischungen, Verbindungen,
wie man es nennen will) zur Sprache; einmal der einfachen
anfänglichen, und sodann der gesteigerten Gegensätze.
Aus: Goethes Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie
von
Sachsen. Abtlg. I-IV. 133 Bde. in 143 Tln. Weimar: H. Böhlau,
1887-1919,
II. Abtlg., 1. Band. Zur Farbenlehre: Didaktischer Teil, S. 276-280.
<http://www.isc.meiji.ac.jp/~mmandel/recherche/goethe_farbenkreis.html>
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