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Im Meer der Mehrsprachigkeit | NZZ

  • ️Interview: Daniela Tan
  • ️Sat Nov 24 2012

Die Schriftstellerin Yoko Tawada ist eine stille Reisende zwischen den Welten und Kulturen. Sie schreibt erfolgreich auf Japanisch und auf Deutsch und kann bedeutende Literaturpreise ihr eigen nennen. Daniela Tan sprach mit ihr in Zürich über Politik und Poetik und den grossen Zusammenhang der Dinge.

Frau Tawada, Sie schreiben auf Japanisch und Deutsch. Häufig wird Ihre Literatur als transnational bezeichnet. Führen Sie eine Parallel-Existenz?

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Ich sehe mich nicht als Autorin, die eine Grenze überschreitet. Eher gibt es in meinem Kopf verschiedene Orte, an denen verschiedene Ideen wachsen. Und diese verwirkliche ich mit einem Medium wie beispielsweise einer Sprache. Diese Ideen müssen eine Form annehmen, und Sprachen sind eine Form für mich. Aber jede Sprache ist eingebettet in einer Kultur. Wenn ich Japanisch schreibe, geschieht das in der Geschichte der japanischen Sprache und Literatur. Das heisst jedoch nicht, dass nur Japaner Japanisch lesen können – von diesem Vorurteil bin ich schon längst weg. Als Mensch bin ich zwar eingeschränkt, da ich nur in zwei verschiedenen Sprachen schreibe, aber von dort geht es in verschiedene Richtungen.

Sie kommen soeben aus China zurück, wo die Übersetzung Ihres japanischen Buches «Yuki no renshusei» (Schnee-Lehrling, 2011) erschienen ist. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?

Die chinesische Übersetzung kam für mich sehr überraschend. Die Erzählung ist eine Parodie über die Diktatur in der DDR und der Sowjetunion, nicht ohne ironischen Blick auf die Menschenrechtler. Das passt jetzt auch ganz gut zu China. Das ist eine doppelte Ironie; einerseits gegen die Diktatur, andererseits über den sogenannten Westen, der glaubt, dass es nirgendwo Freiheit gibt, ausser bei sich selbst. Geschrieben ist der Text aus der Perspektive einer Sowjetautorin, die versteckt schreiben muss, damit man sie nicht verhaftet. Aber das ist ein Spiel, denn wer sollte mich schon verhaften. – Mein chinesischer Verlag hat im Moment Probleme, da er viele Bücher über Geschichte und Politik plant. Viele der Projekte werden jedoch von der Zensur abgelehnt. Komischerweise schlüpfte mein Roman durch. Wahrscheinlich, weil es um Eisbären ging. Die Eisbären erzählen von sich, wie in einem Kinderbuch. Und weil sie Eisbären sind, beneiden sie manchmal die Pandabären in China, und sie machen sich lustig über die Propaganda der chinesischen Regierung

Wie haben Sie den vor kurzem eskalierten Konflikt um die Senkaku/Diayu-Inseln erlebt?

Ich konnte nicht nach Changchun im Nordosten der Mandschurei fahren, wo mein Verlag ist. Dort besteht zwar starkes Interesse an Japan, aber aufgrund der zugespitzten Lage wurden aus Sicherheitsgründen keine Veranstaltungen genehmigt, die mit Japan zu tun haben. Deshalb besuchte ich lediglich Peking und Hangzhou. – Ich verspürte aber generell ein grosses Interesse für die japanische Moderne. Vieles aus der japanischen Kultur basiert ja auf der chinesischen klassischen Kultur. Daher bezieht sich das Interesse der Japaner an China sehr auf die Vergangenheit. In China hingegen will man erfahren, wie Japan die europäische Moderne aufgenommen hat. Dieses wiederum hätte Japan nicht mit Erfolg gekonnt, wenn es nicht über tausend Jahre die chinesische Kultur studiert hätte. Auf kultureller Ebene ist die Beziehung zwischen China und Japan gut. Es gibt viele Chinesen, die Japanisch studieren, und in Buchhandlungen in Peking nehmen die Regale für japanische Literatur genauso viel Platz ein wie für die gesamte amerikanische und europäische Literatur.Der Grundstein für die Konflikte liegt meiner Meinung nach darin, dass die japanische Politik nicht reflektiert hat, was im Zweiten Weltkrieg wirklich passierte, nämlich, dass Japan China angriff und dabei viele Menschen umbrachte. Es gibt kein explizites Eingeständnis von Schuld wie etwa in Deutschland. Ein solches ist auch nicht zu erwarten, solange eine Mehrheit der japanischen Politiker glaubt, dass Japan sich keine Verbrechen gegenüber China hat zuschulden kommen lassen. Eine Vielzahl von Japanern indes, darunter Künstler und Intellektuelle, teilen diese Sichtweise keineswegs – aber das wissen die Chinesen nicht. Das Internet in China wird streng kontrolliert. Facebook, Youtube und Twitter sind verboten.

. . . die chinesische Firewall.

Ja, raffiniert und doch wie ein Spiel. Deutsch kann diese Firewall nicht so gut. So kam ich durch mit der deutschen Suche nach «Konflikt zwischen dem Reich der Mitte und dem Reich der aufgehenden Sonne». Ich musste nur alle Begriffe umschreiben. Eine These zum gegenwärtigen Konflikt ist, dass die chinesische Wirtschaft in einer Sackgasse steckt und die Regierung den Unmut nach aussen leiten will. Denn die Metropolen glänzen zwar vor Reichtum, aber in den Provinzen herrschen Armut und Unzufriedenheit. Eine weitere Interpretation ist, dass die Amerikaner diese Inseln nach dem Weltkrieg an Japan zurückgaben, obwohl es nicht klar definiert war, wem diese überhaupt gehören. Aus meiner Sicht als Poetin gehört keine Insel irgendeinem Staat. Inseln sollten frei sein und für sich stehen. Die beiden Staaten müssten sich zumindest um eine gemeinsame Sicht der Dinge bemühen.

Es geht in diesem Konflikt ja auch um die nationale Zuordnung des umliegenden Meeres, in dem Rohstoffe vermutet werden. Wasser ist ein verbindendes Element, gleichzeitig trennt es auch. Zugleich stellt es eine Bedrohung dar, man denke an die Tsunamis. Wie sehen Sie diesen menschlichen Wunsch nach Kontrolle über das Wasser?

Die Kräfte der Natur sind, zumindest für uns Japaner, immer noch stärker als die Menschen. Man kann sie nicht beherrschen. Würde man sich gegen so einen riesigen Tsunami wie jenen vom März 2011 total schützen wollen, müsste man das Leben so einschränken, dass es einem abhandenkommt. Es geht also darum zu lernen, dass wir auch einmal Verlierer sein können. Was am schlimmsten war am 3. März 2011, waren der Verlust der Kontrolle über die Nuklearkraft und der radioaktive Fallout. Die Existenz von Atomkraftwerken ist meiner Meinung nach an und für sich ein Fehler. Es reicht doch schon aus, dass es Naturkatastrophen gibt – warum sind wir Menschen so dumm?!

Bei Ihren Werken ist es nicht immer einfach, Original und Übersetzung auseinanderzuhalten. Wie finden Ihre Texte ihre sprachliche Form?

Bei den drei Büchern «Opium für Ovid» (2000), «Das nackte Auge» (2004), «Schwager in Bordeaux» (2008) war die deutsche Ausgabe das Original. Es fällt mir leichter, etwas in Deutsch zu schreiben und es dann ins Japanische zu übersetzen als umgekehrt. Trotzdem gibt es Unterschiede. So habe ich bei «Opium für Ovid» ohne Rücksicht auf die japanische Sprache geschrieben, wodurch sich die Übersetzung sehr schwierig gestaltete. «Das nackte Auge» dann habe ich grösstenteils parallel geschrieben, und beim Schreiben zwischen den beiden Sprachen hin und her gewechselt. Doch da gab es viele Stellen, die nicht übereinstimmten. Letztlich waren beides Übersetzungen, und das geht nicht. Und bei «Schwager in Bordeaux» habe ich von Anfang an Deutsch als Originalsprache festgelegt. Während des Schreibens habe ich mich jedoch ständig gefragt, ob dieser oder jener Satz ins Japanische übersetzt werden könnte.

In Ihren Texten arbeiten Sie häufig mit Sprachspielen. Dadurch nehmen Dinge, die nicht ausgesprochen werden dürfen, eine Gestalt an, die aber nicht eindeutig ist. Denken Sie, dass dieses Spiel eine subversive Kraft besitzt?

Wenn man eine Sprache bewusst als Transportmittel nutzt, dann kommt diese Magie nicht zustande. Es ist leicht, die Politik zu kritisieren; und man sollte das auch tun. Aber dabei geschieht nichts weiter. Es machen sich nur Enttäuschung und Langeweile breit. Diese Ungeduld wird erzeugt ohne Spiel.

Was meinen Sie damit – Ungeduld ohne Spiel?

Es ist ja nicht so schwierig, politische Kritik zu formulieren; das kann man direkt sagen. Man hat dann zwar eine Meinung kundgetan, was in der Demokratie durchaus wichtig ist, aber damit hat es sich. In der Politik bewegt sich nichts und auch in uns selber nicht. Es entsteht ein Gefühl der Enttäuschung, als hätten wir gar nichts gesagt, als hätten wir an uns selbst nicht gearbeitet. Das ist sehr enttäuschend, im poetischen Sinne. So dass es in unserem Bewusstsein etwas auslösen kann, auch wenn wir nicht sofort wissen, was das ist. Es soll etwas in Bewegung kommen, es sollen neue Energien freigesetzt werden, es soll ein Weiterdenken geben, auch ohne Grund und Zweck. Solches geschieht in Form des Spiels, das ich nicht als Gegensatz zur Arbeit gesehen haben will. Es ist ein Spiel mit dem Spiel – es ist schwierig, das zu definieren. Es geht nicht mehr darum, eine Sache sprachlich auf den Punkt zu bringen, sondern darum, sie sprachlich zu umkreisen. Man sagt etwas, was zunächst nicht direkt etwas mit der Sache zu tun hat, nähert sich dieser dann aber über die Form an wie in einem Ritual. Ein Ritual ist etwas Kollektives und Seriöses. Im Unterschied dazu ist das Spiel etwas Persönliches. Es ist ähnlich wie im Theater: Man spielt nach den Regeln einer Form, einer Inszenierung, und schaut dann, was passiert. So entsteht Raum für die Magie.

In Ihren Werken sind die Dinge beseelt, und auch in der Sprache existiert eine bändigende und beschwörende Kraft. Zeigt sich hier eine von Animismus geprägte Weltsicht?

Das ist meine Wahrnehmung. Ich kann nicht davon ausgehen, dass mein Bewusstsein abgegrenzt ist von allem anderen. Ich weiss oft nicht, ob ich denke oder ob mein Bleistift denkt. Was ein Hund denkt, der vor mir sitzt, das überträgt sich auf meine Gedanken, und ich kann nicht mehr sagen, ob das sein Denken ist oder meines. Diese Momente sind für mich sehr wichtig. Mir kommt es vor, als würden wir stets versuchen, das künstlich zu trennen. Aber da ist keine Trennung. Ich kann mir auch nicht einen einzigen Gott vorstellen, der alles beseelt. Solch eine Vorstellung widerstrebt mir. Die ganze Welt, jedes Ding, jedes Tier, jede Pflanze, ist ein Impuls, von dem aus Gedanken oder was auch immer ausgehen. Sie kommunizieren untereinander und verbinden sich mit uns. So entsteht ein einziges grosses Netzwerk, ein Tier – vielleicht sind wir alle zusammen ein allumfassendes Tier, und wir denken nur, dass wir einzelne Wesen sind. Auch die Grenze von Leben und Tod kommt so ins Fliessen. Denken Sie an das Wasser: Es ist kein Säugetier und kein Insekt, aber organisch lebt es. Wenn das Wasser tot ist, dann können wir auch nicht leben.

In Ihren ersten deutschsprachigen Texten beschreiben Sie mit einem ethnologischen Blick Ihre Umgebung und geben so den hiesigen Lesern Ihren Alltag verfremdet zurück. In Ihrem jüngsten japanischen Roman machen Sie dasselbe mit der japanischen Sprache, die sie der japanischen Leserschaft in einer ungewohnten Weise präsentieren. Ist das die Lust am Spiel zwischen den Kulturen?

Ja. In diesem Buch kommen zum Beispiel deutsche Personen vor, welche die japanischen Hiragana-Schriftzeichen seltsam finden. Es ist für mich ein Vergnügen, über so etwas zu schreiben, und auch für japanische Leser ist das interessant. Die steten inneren Metamorphosen auf der sprachlichen Ebene sind für mich eine Chance zu denken, was anders sein könnte. Das ist für mich eine Voraussetzung, um überhaupt lebendig zu sein.

Sie waren Ende der neunziger Jahre oft in Zürich, wo Sie bei Sigrid Weigel auch promoviert haben. Wie ist es für Sie, hierher zurückzukommen?

Oh, ich fühle mich hier zu Hause. Ich bin gerne in der Nähe des Wassers, zum Beispiel am See. Aber in Zürich zu sein, ist für mich ein schwer zu beschreibendes Gefühl. Es ist eine Spannung da, begreifen zu wollen, wo man ist. Ich bin natürlich entspannt und fühle mich wohl, aber gleichzeitig ist Zürich für mich eine Art Nicht-Ort in Europa. Ständig versuche ich mich zu situieren auf meiner imaginären Karte. Alle Länder gruppieren sich um Zürich herum, aber da ist kein Meer. Als wäre ich auf einer Insel, wo Europa das Meer ist und jede Welle ein europäisches Land.Ich bin ja mitten in Tokio geboren und aufgewachsen. Aber dort hatte ich nie das Gefühl, dass ich in einer Megacity war. Man wohnt in seinem Quartier, in den engen Gassen und fühlt sich wie in einem Dorf. Von der Grösse der Welt hatte ich als Kind keine Vorstellung, nur wenn ich am Ufer des Pazifiks stand, ging mir eine Ahnung auf. Und auf der riesigen Oberfläche des Wassers schwimmen ein paar Häuser in Gassen, die Tokio sind. So stellte ich mir die Welt vor, als ich klein war.