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Russland umwirbt Sewastopol | NZZ

  • ️Daniel Wechlin, Sewastopol
  • ️Sat Mar 01 2014

Russische Politiker reisen dieser Tage verstärkt in die ukrainische Hafenstadt Sewastopol. Die prorussischen Demonstrationen halten derweil an. Die mögliche Entsendung von russischen Truppen stösst auf Zuspruch, kritische Töne und Fragen werden nicht gerne gehört.

Orthodoxe Mönche beten am Samstag neben Soldaten in Balaklava auf der Krim. (Bild: Baz Ratner / Reuters)

Orthodoxe Mönche beten am Samstag neben Soldaten in Balaklava auf der Krim. (Bild: Baz Ratner / Reuters)

Die Absicht des Kremls, russische Armeekräfte auf die ukrainische Halbinsel Krim zu entsenden, scheint den Mann nicht zu beunruhigen, im Gegenteil: «Es wäre gut, wenn die russische Armee auf die Krim käme. Es herrscht ein Durcheinander. In Kiew an der Macht sind Faschisten.» Russland würde für Ordnung sorgen, gibt sich der Familienvater aus Sewastopol überzeugt. Zusammen mit Frau und Sohn setzt er seinen Samstagnachmittags-Spaziergang entlang des Nachimow-Prospekts im Zentrum der Hafenstadt am Schwarzen Meer fort, welche die russische Schwarzmeerflotte beheimatet. An einer Ecke sitzt ein Strassenmusikant mit einer Handorgel, er singt melancholische Lieder. Nebenan bei einem Marktstand werden Blini, russische Pfannkuchen, verkauft. Es ist Masleniza, ein altes russisches Fest. Die Sonne versinkt langsam am Horizont.

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Gefühl des Verrats

Mit dieser Einschätzung ist der Mann im Süden der Ukraine nicht alleine. Die ethnischen Russen stellen mit 58 Prozent die Bevölkerungsmehrheit unter den rund 2,5 Millionen Einwohnern der Halbinsel Krim. Viele von ihnen fühlen sich nach den politischen Umwälzungen auf dem Kiewer Maidan von der neuen Regierung um Arseni Jazenjuk nicht mehr vertreten. Man fühlt sich hintergangen, auch vom ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Russland scheint für viele eine Alternative zu sein. Oft ist so dieser Tage von «Faschisten» die Rede, von «diesem Westen», der angeführt werde von den USA, der EU sowie der Nato, welche die Interessen der Russen in der Ukraine hintertreibe. In Simferopol, der Hauptstadt der Autonomen Republik Krim, halten deswegen seit Tagen die Demonstrationen an. Am Mittwoch kam es bei einer Kundgebung zwischen Russen und proukrainischen Krimtataren zu Ausschreitungen. Zwei Personen kamen zu Tode, mehrere Dutzend wurden verletzt. Das Parlamentsgebäude sowie ein weiteres Gebäude der Lokalregierung wurden besetzt.

Seither hat sich die Lage zumindest oberflächlich beruhigt. Zu Tumulten kam es nicht mehr. Allerdings nahmen die Meldungen zu, dass Russland sein Truppenkontingent auf der Krim aufrüste. Von bis zu 6000 zusätzlichen Militärangehörigen ist die Rede. Parallel traten bewaffnete Kräfte in Erscheinung, die Flughäfen und andere strategische Einrichtungen auf der Krim kontrollieren und vorübergehend auch besetzt halten. Auf der Fahrt von Simferopol in das 60 Kilometer entfernte Sewastopol wurden zudem Kontrollpunkte durch prorussische Bürgerwehren errichtet. Die Zufahrtstrasse zum Flughafen Belbek nördlich der Hafenstadt wurde gesperrt. Ob dies weiterhin der Fall ist, darüber herrscht Unklarheit. Unsicher ist auch die Situation um den Flughafen Simferopol. Dessen Verwaltung teilte mit, dass gegenwärtig keine Flugzeuge abgefertigt werden könnten. Dies weil es Einschränkungen in der Nutzung des Luftraums über der Autonomen Republik Krim gebe. Am Freitag wurden bereits ähnliche Meldungen verbreitet, zuweilen hiess es, der Luftraum sei geschlossen.

Prorussische Demonstrationen am Samstag in Sewastopol. (Bild: Alexander Zemlianichenko)

Prorussische Demonstrationen am Samstag in Sewastopol. (Bild: Alexander Zemlianichenko)

Um was für Kräfte es sich genau handelt, die ohne Kennzeichen auf der Krim an verschiedenen Orten patrouillieren, ist ungewiss. Die Spekulationen reichen von den befürchteten ukrainischen Berkut-Einheiten über Mitarbeiter von privaten Sicherheitsdiensten bis zu russischen Armeekräften. Auch am Samstag waren solche Kräfte in grüner Camouflage, schwarzen Gesichtsmasken, Helmen und Maschinengewehren in den Strassen von Simferopol unterwegs. Gleichzeitig wurde verbreitet, dass versucht worden sei, eine Luftabwehrstellung der ukrainischen Armee einzunehmen. Später informierten ukrainische Behörden, dass zirka 300 bewaffnete Personen versucht hätten, die ukrainische Meereswache in Sewastopol zu überfallen.

Argwöhnische Demonstranten

Der neue Vorsitzende der russlandfreundlichen Regierung der Autonomen Republik Krim, Sergei Aksjanow, hatte zuvor den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfestellung zur Garantierung der Sicherheit auf der Krim gebeten. Eine ungenannte Quelle aus dem Kreml liess dann auch prompt verlauten, dieses Gesuch bleibe nicht unbeachtet. Am Samstag sagte Aksjanow schliesslich in Simferopol, dass das auf Mai geplante Referendum über die Erweiterung der Autonomie der Krim vorverlegt werde. Es soll nun bereits am 30. März stattfinden.

Eine Gruppe bewaffneter Personen besetzt seit dem frühen Morgen den Flughafen in Simferopol. Der Flugbetrieb läuft aber offenbar ungestört weiter. (Bild: Andrew Lubimov/AP)

Neue Realitäten sollen wohl möglichst schnell geschaffen werden. Eine Stärkung der Autonomie, eine engere Bindung an Russland sind populär auf der Krim. Wie die Tage zuvor fanden am Wochenende erneut russlandfreundliche Kundgebungen vor dem Gebäude der Stadtverwaltung statt. Wie in ganz Sewastopol tragen viele das orange-schwarze Sankt-Georgs-Band als Zeichen der Verbundenheit zu Russland. Sie skandieren «Russland! Russland!». Unter ihnen sind viele junge, aber auch ältere Leute. Ausländischen Journalisten treten sie argwöhnisch entgegen. Rüde wird man angefahren, man sei doch keiner von den «Unsrigen», was man hier überhaupt wolle.

Sewastopol scheint von Moskau umworben zu werden. Mehrmals waren Abgeordnete der Staatsduma in jüngster Zeit zu Gast. Es wurden die Verbundenheit mit Russland betont und die Möglichkeiten geprüft, ethnischen Russen beschleunigt russische Pässe auszustellen. Die Anlässe wurden von den russischen Staatsmedien begleitet, nationalistische Politiker feierten die Einheit des russischen Volkes.

Es gibt aber auch die besonnenen Stimmen. Eine junge Frau, die Werbeflyer verteilt, meint, dass Sewastopol mit Europa wie auch mit Russland friedlich leben sollte. Es sei nicht gut, dass russische Truppen kämen. «Wir brauchen keinen Krieg, sondern Frieden», sagt sie. Sie lächelt schüchtern und verschwindet rasch. Auf einer Bank auf dem Gehsteig tuscheln zwei Frauen und blicken ihr mürrisch nach. An der Strassenecke singt der Musikant seine Lieder weiter.

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