Die Wölfe und der Schäferhund | NZZ
- ️Andrea Köhler
- ️Wed Feb 25 2015
Der Film über den 2013 erschossenen Scharfschützen Chris Kyle hat in den USA eine hochemotionale Debatte entfacht. Der Mörder ist nun zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Held – oder Tötungsmaschine? Bradley Cooper in der Rolle des Scharfschützen Chris Kyle. (Bild: PD)
Die Menschheit, lernt Chris am Familientisch, lässt sich in drei Kategorien aufteilen: Wölfe, Schafe und Schäferhunde. Letztgenannte, fährt der Vater fort, seien die edelste Spezies. Versteht sich, dass es bei dieser Erziehungsmaxime oberste Sohnespflicht ist, nicht zu den Schafen zu zählen. Chris Kyle, der Held – und dieses Wort wird hier ganz ohne Abstriche gebraucht – in Clint Eastwoods Kriegsfilm «American Sniper» , ist ein Schäferhund; von Kindesbeinen an hat er gelernt, seines jüngeren Bruders Hüter zu sein. Von klein auf hat er zudem schiessen gelernt und darin ein ausserordentliches Talent entwickelt.
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Ungewollte Koinzidenz
Chris Kyle, der in dem Film von Bradley Cooper verkörpert wird, war eine reale Person; das Doku-Drama basiert auf seinen gleichnamigen Memoiren. Dieser Chris Kyle war freilich nicht nur ein Schäferhund, sondern auch ein Wolf. In seinem 2013 erschienenen Buch hat der mit 160 bestätigten «Kills» gefährlichste Scharfschütze der USA über seine Einsätze im Irak-Krieg und seinen «Spass am Töten» berichtet und auch seinem «Hass auf die verdammten Wilden» Ausdruck verliehen. Der Feind firmiert in diesem Vokabular als «the savage despicable evil».
Doch der ehemalige Navy Seal wurde – man muss dies wohl Ironie des Schicksals nennen – nicht etwa von den «bösen Wilden» im Krieg getötet, sondern von dem traumatisierten Irak-Veteranen Eddie Ray Routh, der Kyle und dessen Freund Chad Littlefield im Jahr 2013 im heimischen Texas erschoss. Die Wiederaufnahme der Gerichtsverhandlung gegen den Mörder überschnitt sich dann zeitlich mit dem Kinostart von «American Sniper»: Die Produktionsfirma Warner Brothers hatte die Premiere auf den 16. Januar vertagt, derweil das Gericht den Prozessbeginn wegen weiterer DNA-Tests vom Mai 2014 auf den Februar 2015 verlegte. Aus der unbeabsichtigten Koinzidenz wurde so ein Politikum. Denn Eastwoods Film hatte in den USA eine hochemotionale Debatte entfacht, und man war besorgt, dass diese auch den Prozess beeinflussen könnte.
Hommage oder Propaganda?
Es gibt gute Gründe, weshalb «American Sniper» zum erfolgreichsten Kriegsfilm aller Zeiten aufstieg – zumal Eastwoods Drama aufgrund seiner unbestreitbaren filmischen Qualitäten auch für jene Zuschauer(innen) zumutbar ist, die gemeinhin unter den Testosteron- und Baller-Orgien der I-Max-Vorschauen leiden. «American Sniper» gehört nicht direkt in die Kategorie der sogenannten «dudes in war»-Filme, gleichwohl trägt deren Zuschauerklientel mit Sicherheit zu seinem Box-Office-Triumph bei. Allem voran aber bohrt der Film in einer offenen Wunde: dem das Land seit Jahren spaltenden «Krieg gegen den Terror». Für die einen repräsentiert «American Sniper» den Heroismus und die Opferbereitschaft der US-Truppen in Afghanistan und im Irak, für die anderen ist er ein reines Propaganda-Machwerk, ein ideologisch munitionierter Kriegsfilm, der das Töten heroisiert und für die Waffenlobby reines Labsal sein muss.
Ausgelöst wurde die Debatte durch den Filmregisseur Michael Moore, der auf Twitter kundtat, dass Scharfschützen einmal als Feiglinge verachtet worden waren. «Twitter waited a few seconds before going kaboom», spottete die «New York Times» . Seither ist «American Sniper» zum beliebtesten Topos der Saison avanciert, mit sich überbietenden Kommentatoren liberaler und konservativer Provenienz, die – wie etwa Sarah Palin – den Film entweder zum patriotischen Meisterwerk hochjubeln oder aber – wie der Fernsehmoderator Bill Maher – des «amerikanischen Faschismus» zeihen. Der Kritiker des «New Yorker» nahm gleich beide Positionen auf einmal ein: «American Sniper» sei ein bestürzender Pro-Kriegsfilm und ein bestürzender Anti-Kriegsfilm, eine düstere Feier über das Glück und die schmerzhafte Klage über das Elend, ein Soldat zu sein.
Doch egal, zu welcher Seite man neigt, es lässt sich nicht leugnen, dass Eastwoods Film problematische Züge hat. Die Faszination für das Kampfgeschehen, die Reduktion der Welt auf Schwarz und Weiss, das gesteigerte Lebensgefühl unter permanentem Adrenalinausstoss und der männerbündische Zusammenhalt, kurz: All das, was das Suchtpotenzial des Krieges ausmacht, wird hier affirmativ reproduziert. Kein Wort darüber, dass der Einmarsch im Irak auf einer falschen Prämisse fusste; im Gegenteil wird Kyles Wunsch, als Scharfschütze im Irak zu dienen, direkt mit einer 9/11-Szene verlinkt. Wie der Verfasser der Vorlage ist auch der Held des Films überzeugt, dass die Iraker – die hier als eine gesichtslose Masse durch die Gassen von Falluja huschen – das «schlechthin Böse» sind, das es zu vernichten gilt, selbst wenn Kyle dabei Frauen und Kinder erschiessen muss. Das Töten der Wölfe hat auch für den Schäferhund einen Preis.
Dieser Preis – auch «post traumatic stress disorder» (PTSD) genannt – ist der einzige ambivalente Strang in dem Film. Eastwood hat schwer versehrte Kriegsheimkehrer als Komparsen geheuert; sie spielen jene Irak- und Afghanistan-Veteranen, die Kyle – der sich nach der von seiner Familie erzwungenen Rückkehr nicht mehr ins normale Leben einfinden kann – aus therapeutischen (und selbsttherapeutischen) Gründen betreut. Doch während der Film Kyles Engagement mit traumatisierten Soldaten als eine Art Spontanheilung inszeniert, war die Wirklichkeit komplizierter: Am 2. Februar 2013 wurde der ehemalige Scharfschütze von dem Ex-Marine-Infanteristen Eddie Routh auf dem Schiessstand erschossen. Kurz davor endet der Film, und hier knüpft das wirkliche Leben, der Prozess in Stephenville, Texas, wieder an.
Ein heikler Prozess
Die zeitliche Koinzidenz von Film und Prozess mochte Zufall sein, die Sorge über deren Auswirkungen jedoch schien berechtigt. In Kyles Heimatstaat Texas wird Kyle als Kriegsheld und Märtyrer gefeiert, und «American Sniper» gab dieser Verehrung Zunder. Obendrein hatte Greg Abbott, der Gouverneur von Texas, den Todestag am 2. Februar zum «Chris Kyle Day» ausrufen lassen. Nicht nur der Verteidiger, der auf Unzurechnungsfähigkeit plädierte, äusserte Zweifel, ob dem psychisch schwer kranken Routh hier ein fairer Prozess beschieden sein könne.
Aufgrund der «ungewöhnlich emotionalen Natur» des Falls untersagte dann der zuständige Richter den Beteiligten jegliche Interaktion mit den Medien, und die Jury wurde in einem langen Vorab-Prozess sorgfältig ausgesiebt. Das Ergebnis: Zehn der zwölf Geschworenen waren weiblich. Allerdings bestätigte der am 24. Februar ergangene Richtspruch die Hoffnung nicht, dass eine solche Jury dem Trauma des Angeklagten vermehrt Rechnung tragen würde: Die Antrag auf Unzurechnungsfähigkeit wurde zurückgewiesen und Routh zu lebenslanger Haft ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung verurteilt.
«Von Dämonen besessen»
Kyles Mörder war offenbar nicht nur psychisch labil, sondern psychotisch. Wie Nicholas Schmidle in einem Essay aus dem Jahr 2013 im «New Yorker» berichtete, wurde Routh mit einem hochpotenten Cocktail aus Psychopharmaka gegen PTSD behandelt und – nach mehreren Gewaltausbrüchen und Morddrohungen – auf Wunsch der Eltern mehrfach in die Psychiatrie und ein Veteranen-Hospital eingeliefert. Doch trotz inständigen Bitten der Mutter, die sowohl um das Leben des Sohnes als auch um ihr eigenes fürchtete, wurde Routh immer wieder entlassen.
Das US Department of Veteran Affairs (VA) ist berüchtigt dafür, dass seine verkrustete Bürokratie und seine knapp bemessenen Mittel eine angemessene Betreuung der heimgekehrten Kriegsteilnehmer beinahe unmöglich macht. Der beschämende Mangel an Fürsorge hat seinen Preis. Eine Studie des besagten Departments ergab, dass sich jeden Tag 22 Veteranen in den USA das Leben nehmen. Weil Routh trotz schweren pathologischen Symptomen – er glaubte sich von Dämonen besessen – sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch keine psychologische Hilfe zuteilwurde, hatte Routh' Mutter, die von der Arbeit des ehemaligen Navy Seal mit traumatisierten Soldaten gehört hatte, Kyle gebeten, sich ihres Sohnes anzunehmen. Am 2. Februar 2013 fand die erste und letzte Begegnung – ein Ausflug auf den Schiessstand – statt. Er habe «Kyles Seele nehmen müssen», bevor dieser die seine holte, erklärte Routh vor Gericht.
Man muss keine Sympathie für den geständigen Mörder hegen, um einzugestehen, dass sein mentaler Zustand sowie der eklatante Mangel an therapeutischer Hilfe bei der Tat eine Rolle spielten. Clint Eastwood hat seinen Film als einen dezidierten Antikriegsfilm bezeichnet, weil er zeige, «was der Krieg die daheim gebliebenen Familien kostet». Auch wenn man dem Label «Anti-War-Movie» kaum zustimmen mag, ist das vielleicht stärkste Antikriegsargument des Filmes, dass er in Erinnerung ruft, was der Kampfeinsatz jene kostet, die an ihm teilnehmen. Und hier müsste die eigentliche Debatte beginnen.
«American Sniper» läuft in den Schweizer Kinos am 26. Februar an.