DFR - BVerfGE 6, 45 - Staat als Beschwerdeführer
- ️Prof. Dr. Axel Tschentscher, LL.M.
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BVerfGE 140, 99 - Zensusgesetz 2011
BVerfGE 118, 212 - Revisionsgrenzen bei Rechtsfolgenzumessung
BVerfGE 101, 331 - Berufsbetreuer
BVerfGE 96, 231 - Müllkonzept
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BVerfGE 29, 198 - Konkretisierung durch EG-Normen
BVerfGE 27, 18 - Ordnungswidrigkeiten
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BVerfGE 17, 294 - Geschäftsverteilungsplan
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BVerfGE 10, 200 - Friedensrichter Baden-Württemberg
BVerfGE 9, 223 - Anklage beim Landgericht
Zitiert selbst:
BVerfGE 4, 27 - Klagebefugnis politischer Parteien
BVerfGE 3, 359 - Tatsachenfeststellung
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit könnten sich zun&aum ...
2. Der angefochtene Beschluß kann auch selbständig mit ...
1. Die Besonderheit des Falles liegt darin, daß einmal die ...
2. Das Oberste Landesgericht geht offenbar ebenso wie der Beschwe ...
3. Der Beschwerdeführer hat weiter geltend gemacht, das Ober ...
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2. Hat der Gesetzgeber wie im Falle des § 7 EGZPO die Entscheidung über die Zuständigkeitskonkurrenz zweier höchster Gerichte einem dieser Gerichte nach bestimmten Richtlinien übertragen und ihm damit zugleich die Feststellung des gesetzlichen Richters für das weitere Verfahren überlassen, so hat er dem Grundgedanken des Art. 101 GG entsprochen. | |
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des Ersten Senats vom 16. Januar 1957 | |
- 1 BvR 134/56 - | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Freistaates Bayern gegen den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 14. Februar 1956 - Rreg. 1 Z 23/1956 -. | |
Entscheidungsformel: | |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. | |
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I. | |
Mit der Verfassungsbeschwerde wird geltend gemacht, das Bayerische Oberste Landesgericht habe zu Unrecht seine Zuständigkeit für die Revisionsentscheidung in dem Ausgangsverfahren, einem Zivilprozeß, in Anspruch genommen und den Beschwerdeführer dadurch seinem gesetzlichen Richter entzogen. | |
Die Bestimmung, auf die sich die Zuständigkeitsentscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts stützt, ist § 8 EG GVG: | |
Diese Vorschrift findet jedoch auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten in denen für die Entscheidung Bundesrecht in Betracht kommt, keine Anwendung, es sei denn, daß es sich im wesentlichen um Rechtsnormen handelt, die in den Landesgesetzen enthalten sind." | |
Bayern hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht: § 3 des Gesetzes über die Wiedererrichtung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. November 1953 (GVBl. S. 191). | |
Das Verfahren, in dem die angegriffene Entscheidung ergangen ist, regelt § 7 Abs. 1 bis 3 EG ZPO: | |
"Ist in einem Land auf Grund des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ein oberstes Landesgericht errichtet, so wird das Rechtsmittel der Revision bei diesem Gericht eingelegt. Die Vorschriften der §§ 553, 553 a der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend." | |
Das oberste Landesgericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung endgültig über die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung der Revision. Erklärt es sich für zuständig, so ist der Termin zur mündlichen Verhandlung von Amts wegen zu bestimmen und den Parteien bekanntzumachen. Erklärt es sich dagegen für unzuständig, weil der Bundesgerichtshof zuständig sei, so sind diesem die Prozeßakten zu übersenden. | |
Die Entscheidung des obersten Landesgerichts über die Zuständigkeit ist auch für den Bundesgerichtshof bindend. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof ist von Amts wegen zu bestimmen und den Parteien bekanntzumachen." | |
II. | |
In dem Ausgangsverfahren wird der Freistaat Bayern auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzungen in Anspruch genommen, die von Angestellten des Landratsamtes Bad Tölz begangen worden sind. Der Schaden ist durch einen Unfall entstanden, den der Kläger erlitt, als sein Kraftwagen am 17. No | |
Das Landgericht München hat den Schadensersatzanspruch durch Zwischenurteil vom 24. März 1955 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt (9 O. 320/54). Gegen dieses Urteil hat der Freistaat Bayern Berufung eingelegt, mit der er nur noch geltend machte, er sei nicht passivlegitimiert, während er sein übriges Vorbringen erster Instanz fallenließ. Er meint, es komme für die Frage, in wessen Dienst die Angestellten des Landratsamtes Bad Tölz im Sinne des Art. 34 GG stünden, nicht darauf an, daß die von den Angestellten ausgeübte Funktion sich vom Staat herleite - was unstreitig sei -, sondern darauf, wer sie in Dienst gestellt habe, also ihr Dienstherr sei; das aber sei - ebenfalls unstreitig - der Kreis Bad Tölz. Dieser sei also der richtige Beklagte. | |
Das Oberlandesgericht München hat das Urteil des Landgerichts München in vollem Umfange gebilligt und die Berufung durch Urteil vom 10. November 1955 zurückgewiesen (1 U 1162/55). | |
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"Für die Entscheidung der von dem Beklagten eingelegten Revision wird allerdings zunächst Art. 34 GG in Betracht kommen, welcher bestimmt, daß wenn jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft trifft, in deren Dienst er steht. Wesentlich für die Entscheidung der Revision ist aber nicht die Auslegung dieser bundesrechtlichen Vorschrift, sondern die Frage, in wessen Diensten ein Angestellter eines Landkreises steht, der auf Grund der bayer.Min.Bek. vom 27. 4. 1943 (GVBl. S. 65), also einer den Landesgesetzen gleichstehenden Rechtsnorm, von dem Landrat zur Bearbeitung staatlicher Angelegenheiten herangezogen wurde. Daß diese Vorschrift mit dem Recht anderer Länder der Bundesrepublik gleichlautet und deshalb, da die übrigen Länder von dem Vorbehalt des § 8 EG GVG keinen Gebrauch gemacht haben, mittelbar Gegenstand der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geworden ist (BGHZ 6, 215), vermag die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht auszuschließen. | |
Zur Auslegung der genannten landesrechtlichen Vorschrift werden die Normen über die Organisation der Landratsämter und der Landkreise, also wiederum Landesgesetze, heranzuziehen sein. Auch die Frage, ob die Verwendung von Landkreisangestellten bei der Bearbeitung staatlicher Angelegenheiten sich weder in der Form noch in der Sache von der Erledigung von Auftragsangelegenheiten unterscheidet (der tragende Grund der Entscheidung BGHZ 6, 215/223), Ist unter landesrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Erst nach Klarstellung dieser Voraussetzungen wird es möglich sein, die von dem BGH für die Auslegung der bundesrechtlichen Vorschrift aufgestellten Grundsätze auf die bayerischen Verhältnisse anzuwenden." | |
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Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundesrat, dem Bundesminister der Justiz, dem bayerischen Minister der Justiz und dem Kläger des Zivilprozesses Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Äußerungen zur Sache sind nicht eingegangen. | |
In der mündlichen Verhandlung am 28. November 1956 war lediglich der Beschwerdeführer vertreten. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. | |
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit könnten sich zunächst daraus ergeben, daß die Verfassungsbeschwerde als "der spezifische Rechtsbehelf des Bürgers gegen den Staat" (BVerfGE 4, 27 [30]) gedacht ist, während hier der Staat selbst als Beschwerdeführer auftritt. Ob auch der Staat Verfassungsbeschwerde erheben kann, muß von Fall zu Fall nach der Eigenart des geltend gemachten Rechts beantwortet werden. Die Frage ist hier zu bejahen. | |
Jeder, der in einem gerichtlichen Verfahren Partei ist, kann sich mit den in der Prozeßordnung vorgesehenen Mitteln wehren, wenn er meint, seinem gesetzlichen Richter entzogen zu sein. Das gilt auch für den Staat, wenn er Partei in einem Gerichtsverfahren ist. | |
Es ist daher folgerichtig, dem Staat zur Durchsetzung dieses | |
2. Der angefochtene Beschluß kann auch selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, obwohl er das Revisionsverfahren nicht beendet, denn er entscheidet die Frage der Zuständigkeit des Revisionsgerichts abschließend und mit bindender Wirkung sowohl für den Bundesgerichtshof als auch für das Oberste Landesgericht selbst (§ 7 Abs. 3 EG ZPO; ObLGZ 1955, 12). | |
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht verletzt. | |
1. Die Besonderheit des Falles liegt darin, daß einmal die Regelung zur Bestimmung der Zuständigkeit für das Revisionsverfahren nach § 8 Abs. 2 EG GVG der richterlichen Auslegung einen besonders weiten Spielraum läßt und daß zum andern zur Vermeidung einer verschiedenartigen Auslegung dieser Vorschrift durch die in Betracht kommenden beiden Gerichte die bindende Entscheidung über die Zuständigkeit ausschließlich einem von ihnen übertragen worden ist (§ 7 Abs. 2 und 3 EG ZPO). Von vornherein steht mithin lediglich fest, daß das oberste Landesgericht der "gesetzliche Richter" ist, bei dem die Revision eingelegt werden muß und der für das weitere Revisionsverfahren das zuständige Gericht auf Grund des § 8 Abs. 2 EG GVG zu bestimmen hat. | |
a) Die gesetzliche Regelung in § 8 Abs. 2 EG GVG ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. | |
Der Grundgedanke dieser Verfassungsbestimmung erfordert | |
b) Während bei sonstigen Zuständigkeitszweifeln regelmäßig dem jeweils angerufenen Gericht überlassen bleibt, über seine Zuständigkeit zu entscheiden, überträgt § 7 EG ZPO die bindende Entscheidung darüber, ob der Bundesgerichtshof oder das oberste Landesgericht zuständig ist, allein dem obersten Landesgericht. Der Gesetzgeber hat hier also einen besonderen gesetzlichen Richter zur Entscheidung über die Zuständigkeitsfrage bestellt. Erst das durch ihn für zuständig erklärte Gericht soll dann der gesetzliche Richter für das weitere Revisionsverfahren sein. | |
Diese Regelung will eine Divergenz in der höchstrichterlichen Rechtsprechung der beiden Gerichte zur Frage der Zuständigkeit und damit zugleich eine empfindliche Rechtsunsicherheit, Zuständigkeitsmanipulationen und Kompetenzkonflikte verhüten. Das ist auch vom Verfassungsprinzip des Rechtsstaats her erwünscht. Die notwendige Konsequenz ist, daß die Zuständigkeitsentscheidung des obersten Landesgerichts zugleich als die bindende Feststellung des gesetzlichen Richters hingenommen wird und daß das Problem des "Entziehens" in diesem Zusammenhang nicht auftaucht. | |
Es verstößt nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn der Gesetzgeber, der zur Sicherung dieser Verfassungsbestimmung in erster Linie berufen ist, die Entscheidung über die Zuständigkeitskonkurrenz zweier höchster Gerichte, die häufig zweifelhaft sein wird, einem der beiden Gerichte überträgt und ihm damit zugleich die Feststellung des zuständigen Richters für das wei | |
2. Das Oberste Landesgericht geht offenbar ebenso wie der Beschwerdeführer davon aus, daß es für die Entscheidung darüber, ob es sich "im wesentlichen" um Landesrecht handelt, allein darauf ankommt,- welche Rechtsfragen das Revisionsgericht zu prüfen hat. Dabei kann selbstverständlich nicht der Wortlaut der Revisionsschrift, sondern nur der sachliche Gehalt der Revisionsrüge maßgebend sein. Im vorliegenden Fall bedeutet das, daß in der Revisionsinstanz die Frage der Passivlegitimation im ganzen zur Entscheidung steht. Ihre Beantwortung hängt davon ab, wie die Worte "in deren Dienst er steht" in Art. 34 GG auszulegen und auf einen gegebenen landesrechtlichen Tatbestand anzuwenden sind. Diese Auslegung und Subsumtion ist ohne die Heranziehung landesrechtlicher Organisationsnormen nicht möglich, und zwar gleichgültig, ob das Revisionsgericht seiner Entscheidung die sogenannte Anstellungs- oder die sogenannte Funktionstheorie zugrunde legen wird - eine Frage, die der angefochtene Beschluß offenläßt und die auch das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden hat. Es mag bedenklich erscheinen, diese landesrechtlichen Normen als "wesentlich" für die Entscheidung zu behandeln, wenn Umfang | |
3. Der Beschwerdeführer hat weiter geltend gemacht, das Oberste Landesgericht erkläre in Amtshaftungsprozessen ohne erkennbaren sachlichen Grund einmal den Bundesgerichtshof, ein anderes Mal sich selbst für zuständig. Es braucht hier nicht untersucht zu werden, ob durch einen solchen Sachverhalt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG verletzt werden würde und ob sich der Staat in diesem Falle auch auf Art. 3 GG berufen könnte; denn der Vorwurf ist nicht berechtigt. Der Beschwerdeführer hat zum Vergleich mehrere Entscheidungen in angeblich gleichliegenden Fällen angeführt, in denen das Oberste Landesgericht den Bundesgerichtshof für zuständig erklärt hat. Mit einer Ausnahme spielen jedoch in all diesen Fällen neben dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung auch enteignungsrechtliche Erwägungen eine Rolle; sie sind also mit der vorliegenden Sache nicht vergleichbar. Nur in einem Fall hat das Oberste Landesgericht ein Verfahren an den Bundesgerichtshof abgegeben, in dem die Klage ausschließlich auf Amtspflichtverletzung gestützt war. Da jener Beschluß nicht mit Gründen versehen ist, läßt sich aus ihm allein nicht der Schluß ziehen, daß im vorliegenden Falle von der ständigen Rechtsprechung abgewichen worden sei. | |