DFR - BVerfGE 76, 171 - Standesrichtlinien
- ️Prof. Dr. Axel Tschentscher, LL.M.
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BVerfGE 146, 164 - Pflichtmitgliedschaft IHK
BVerfGE 128, 226 - Fraport
BVerfGE 118, 168 - Kontostammdaten
BVerfGE 117, 163 - Anwaltliche Erfolgshonorare
BVerfGE 116, 69 - Jugendstrafvollzug
BVerfGE 111, 366 - Steuerberaterwerbung
BVerfGE 111, 191 - Notarkassen
BVerfGE 110, 226 - Geldwäsche
BVerfGE 108, 150 - Sozietätswechsel
BVerfGE 106, 216 - Singularzulassung zum BGH
BVerfGE 101, 312 - Versäumnisurteil
BVerfGE 98, 106 - Kommunale Verpackungsteuer
BVerfGE 98, 49 - Sozietätsverbot
BVerfGE 94, 372 - Apothekenwerbung
BVerfGE 87, 287 - Rechtsanwaltsberuf
BVerfGE 85, 97 - Werbung für Lohnsteuerhilfevereine
Zitiert selbst:
BVerfGE 71, 162 - Frischzellentherapie
BVerfGE 60, 215 - Steuerberater
BVerfGE 58, 257 - Schulentlassung
BVerfGE 54, 129 - Kunstkritik
BVerfGE 41, 251 - Speyer-Kolleg
BVerfGE 33, 125 - Facharzt
BVerfGE 26, 186 - Ehrengerichte
BVerfGE 22, 114 - Entziehung der Verteidigungsbefugnis
BVerfGE 13, 97 - Handwerksordnung
BVerfGE 7, 377 - Apotheken-Urteil
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2. Ehrengerichtliche Maßnahmen wegen Verletzung des in den Standesrichtlinien niedergelegten Sachlichkeitsgebots sind nur unerläßlich, soweit es sich um strafbare Beleidigungen, die bewußte Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlaß gegeben haben. | |
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des Ersten Senats vom 14. Juli 1987 | |
-- 1 BvR 537/81 -- | |
in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Rechtsanwalts und Notars H ... gegen a) den Beschluß des Ehrengerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Hamm/Westfalen vom 25. März 1981, b) die Bescheide der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm vom 10. Mai und 29. September 1980 - EV/I/410/79 A/I/172/80 - 1 BvR 537/81 -; 2. des Rechtsanwalts Dr. K ... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Güntertalstraße 31, Freiburg i.Br. - gegen a) den Beschluß des Ehrengerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln vom 17. November 1986 - IV. Kammer EV 79/86 -, b) die Bescheide der Rechtsanwaltskammer Köln vom 4. September 1985 und 20. Januar 1986 - Abt. II 156/85 - 1 BvR 195/87-. | |
Entscheidungsformel: | |
1. Der Beschluß des Ehrengerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Hamm/Westfalen vom 25. März 1981 und die Bescheide der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm vom 10. Mai und 29. September 1980 -- EV/I/410/ 79 A/I/172/80 -- verletzen den Beschwerdeführer zu 1) in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie wer | |
2. Der Beschluß des Ehrengerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln vom 17. November 1986 -- IV. Kammer EV 79/ 86 -- und die Bescheide der Rechtsanwaltskammer Köln vom 4. September 1985 und 20. Januar 1986 -- Abt. II 156/85 -- verletzen den Beschwerdeführer zu 2) in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens an das Ehrengericht zurückverwiesen. | |
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern die ihnen entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. | |
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Die beschwerdeführenden Rechtsanwälte beanstanden, daß gegen sie wegen Verstößen gegen das anwaltliche Sachlichkeitsgebot standesrechtliche Maßnahmen (Rügen) verhängt worden sind. | |
I. | |
Die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) vom 1. August 1959 (BGBl. I S. 565) bezeichnet den Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1) und als den berufenen unabhängigen Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3). Ihm stehen deshalb nicht nur besondere Befugnisse zu, vielmehr unterliegt er auch besonderen Pflichten, die in einer Generalklausel wie folgt umschrieben sind: | |
§ 43 Allgemeine Berufspflicht | |
Der Rechtsanwalt hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen. | |
Welche allgemeine Auffassung unter Anwälten über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs bestehen, hat die Bundesrechtsan | |
§ 1 Allgemeine Berufspflichten | |
(1) Der Rechtsanwalt hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben (§ 43 Satz 1 BRAO). Er hat die ihm anvertrauten Interessen sachlich zu vertreten. | |
§ 9 Verhalten gegenüber Gerichten | |
(1) Das Verhalten des Rechtsanwalts gegenüber Gerichten hat seiner Stellung eines gleichberechtigten Organs der Rechtspflege zu entsprechen. | |
§ 10 Verhalten gegenüber Behörden | |
(1) Auch in seinem Verhalten gegenüber Behörden hat der Rechtsanwalt zu beachten, daß er ein Organ der Rechtspflege ist. | |
Verletzt ein Rechtsanwalt die ihm obliegenden Pflichten, so kann der Vorstand der zuständigen Rechtsanwaltskammer eine Rüge aussprechen, wenn die Schuld des Anwalts gering ist und ein Antrag auf Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich erscheint (§ 74 Abs. 1 BRAO). Dagegen ist Einspruch des betroffenen Anwalts (§ 74 Abs. 5 BRAO) und bei dessen Erfolglosigkeit Antrag auf Entscheidung des Ehrengerichts zulässig (§ 74a Abs. 1 BRAO). Der Beschluß des Ehrengerichts kann nicht mehr angefochten werden (§ 74a Abs. 3 Satz 4 BRAO). | |
1.a) Der Beschwerdeführer zu 1) vertrat in einem Ermittlungsverfahren gegen Ärzte die Interessen des Anzeigeerstatters, dessen Ehefrau im Krankenhaus nach einem thrombotischen Gefäßverschluß einen zum Tode führenden Herzinfarkt erlitten hatte. Der Anzeigeerstatter hatte den Ärzten unter anderem vorgeworfen, sie hätten zu vorbeugenden Maßnahmen gegen die Thrombenbildung greifen müssen. | |
Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren ein, nachdem der Gerichtsärztliche Ausschuß in einer gutachtlichen Stellungnahme ohne weitere Begründung ausgeführt hatte, daß eine Thrombosevorbeugung einer strengen Indikation bedürfe, die nicht vorgelegen habe, und daß der Tod der Patientin auch durch vorbeugende Therapie nicht hätte abgewendet werden können. Hiergegen legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein und führte zur Stellungnahme des Gerichtsärztlichen Ausschusses aus: | |
... ferner wird gesagt, der Tod der Frau Sch. hätte nicht durch vorbeugende Therapie abgewendet werden können. Ich muß sagen, ich habe im Laufe meines langen Anwaltslebens schon manchen Unsinn gelesen. Dies übersteigt jedoch das übliche Maß. Die Behauptung dieser ehrenwerten Herren läuft darauf hinaus, daß sie von sich sagen wollen, sie hätten hellseherische Fähigkeiten. In Wirklichkeit dürften die ehrenwerten Herren Dres... fachlich überfordert gewesen sein. | |
b) Wegen dieser Äußerung wurde dem Beschwerdeführer von der zuständigen Rechtsanwaltskammer eine Rüge erteilt. Sein Einspruch wurde zurückgewiesen. Er habe das in den Standesrichtlinien normierte Gebot zur Sachlichkeit mißachtet. Es sei unerheblich, ob das beanstandete Gutachten falsch sei. Dem Sachlichkeitsgebot hätte der Beschwerdeführer genügt, wenn er das Gutachten als "falsch" oder "unzutreffend" bezeichnet hätte. | |
Auch der Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung blieb erfolglos. Das Ehrengericht vertrat ebenfalls die Auffassung, der Beschwerdeführer habe gegen das in § 1 Abs. 1 und § 10 Abs. 2 der Standesrichtlinien niedergelegte Gebot zur Sachlichkeit verstoßen. Es könne keine Rede davon sein, daß das Stan | |
c) Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung mehrerer Grundrechte, insbesondere seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. | |
Die Rüge kränke ihn zutiefst in seiner Persönlichkeit. Die Standesrichtlinien, auf welche die Rüge ausschließlich gestützt werde, seien keine ausreichenden Eingriffsnormen. Sie dürften auch nicht als Hilfe zur Auslegung des § 43 BRAO in der Weise mißbraucht werden, daß sie über dessen Wortsinn hinausgingen oder grundrechtswidrige Pflichten aufstellten. | |
Die Generalklausel des § 43 BRAO verpflichte den Anwalt lediglich zu einem solchen Verhalten, daß er gegenüber der rechtsuchenden Bevölkerung -- und nicht etwa gegenüber der Staatsgewalt -- keinen Achtungs- und Vertrauensverlust erleide. Die in den angegriffenen Entscheidungen vertretene Auffassung, er habe gegen das Gebot zur Sachlichkeit verstoßen, sei irrig. Sehr viel deutlichere richterliche Ausdrucksweisen seien für sachbezogen erklärt worden. Bei der Wertung von Beweisen müsse er als Rechtsanwalt das Recht haben, die Dinge deutlich beim rechten Namen zu nennen. Hätte sich sein Mandant der gleichen Ausdrucksweise wie er bedient, so hätte gegen diesen keine Sanktion verhängt werden können. Als Rechtsanwalt stehe er demgegenüber unter dem Druck der Selbstzensur, wodurch er in seinem Recht auf Meinungsfreiheit und auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt werde. | |
2.a) Der Beschwerdeführer zu 2) war vielfach als Vergleichs- | |
Da die Vergütung nicht antragsgemäß festgesetzt worden war, legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde ein. Er wies in der Begründung darauf hin, daß er gegen den Amtsrichter einen Ablehnungsantrag gestellt hätte, falls er gewußt haben würde, dieser werde die Entscheidung an sich ziehen. Wörtlich führte er sodann aus: | |
Es ist gerichts-, stadt- und in Fachkreisen bundesweit bekannt, daß der erkennende Richter und der Unterzeichner, die bis vor etwa zwei Jahren in einem freundschaftlichen Verhältnis zueinander standen, sich seitdem überworfen haben. Das Zerwürfnis geht so weit, daß der erkennende Richter sich nicht scheut, den Unterzeichner vor Dritten persönlich zu diskriminieren. Einzelheiten hätte der Unterzeichner bei Kenntnis des Umstandes, daß der Vergütungsbeschluß vom erkennenden Richter gefaßt werden würde, gemäß § 44 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Da die Entscheidung nunmehr durch den erkennenden Richter getroffen ist, wird beantragt, daß das Vergleichsgericht der Beschwerde abhelfen möge und insoweit der erkennende Richter die Sache gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 RPflG an den Rechtspfleger zurückgibt bzw. seinen Amtsvertreter entscheiden läßt. | |
b) Das nahm der Amtsrichter zum Anlaß, sich über den Beschwerdeführer bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu beschweren. Diese erteilte dem Beschwerdeführer eine Rüge in Form der Mißbilligung. Einspruch und Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieben erfolglos. Das Ehrengericht ließ es dahingestellt bleiben, ob -- wie es noch die Rechtsanwaltskammer angenommen hatte -- der Beschwerdeführer gegen den Amtsrichter den Vorwurf der Rechtsbeugung habe erheben wollen. Jedenfalls seien die beiden ersten Sätze der zitierten Textpassagen des Schriftsatzes geeignet, bei dem unbefangenen Leser den Eindruck der Rechtsbeugung durch den betroffenen Richter zu erwecken; entscheidend sei die Formulierung, daß sich der Richter nicht scheue, den Beschwerdeführer vor Dritten persönlich zu diskriminieren. Damit werde ein | |
c) Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG. | |
Die mit der Rüge verbundenen Eingriffe in Berufs- und Meinungsfreiheit seien nur gerechtfertigt, wenn sie innerhalb der durch den Gesetzesvorbehalt gezogenen Grenzen blieben. Für die Rüge fehle bereits eine gesetzliche Grundlage, die dem Gebot der Bestimmtheit genüge. Selbst wenn diese im Grundsatz in § 43 BRAO gesehen werden könne, sei es doch rechtsstaatlich bedenklich, wenn diese Generalklausel durch noch offenere und unbestimmtere Regelungen in den Richtlinien "konkretisiert" werde. Gerade das Gebot zur Sachlichkeit sei völlig unbestimmt. Das Ehrengericht wiederhole nur allgemein den Inhalt der Generalklausel; es fehle aber jeder konkrete Rechtssatz und jede Pflichtenbegrenzung. Der bloße Anschein eines Rechtsverstoßes könne jedenfalls -- entgegen dem Wortlaut der Richtlinien -- keine Sanktionen rechtfertigen. | |
Der Beschwerdeführer werde auch materiell in seinen Grundrechten verletzt. Das Ehrengericht habe die Grundrechte der Berufs- und Meinungsfreiheit überhaupt nicht berücksichtigt; der Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen bleibe außer acht. Auch sei versäumt worden, das standesrechtliche Gebot zur Sachlichkeit seinerseits im Blick auf die Verfassungsgarantien grundrechtskonform einzuschränken. Kritische Äußerungen -- auch gegenüber Richtern -- seien im Prinzip durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. Die angegriffenen Entscheidungen gingen mit ihren Anforderungen selbst über das hinaus, was bisher als Inhalt des Sachlichkeitsgebots gesehen worden sei. Überzeugende | |
Die Anwendung des Sachlichkeitsgebots sei jedenfalls im konkreten Ausgangsfall unverhältnismäßig. Dem Beschwerdeführer werde nur ein Satzteil aus einer umfangreichen Beschwerdeschrift zum Vorwurf gemacht; dieser habe nicht isoliert ohne Berücksichtigung der Umstände und des Gesamtzusammenhangs berücksichtigt werden dürfen. Völlig unhaltbar sei es, in dem nachträglich erhobenen Befangenheitsvorwurf auch einen solchen der Rechtsbeugung gegenüber dem betroffenen Richter zu sehen. | |
III. | |
1. Der Bundesminister der Justiz hat namens der Bundesregierung zum Sachlichkeitsgebot ausgeführt, dieses werde in der ehrengerichtlichen Rechtsprechung unmittelbar aus § 43 BRAO hergeleitet. Gerechtfertigt werde es mit der Stellung des Rechtsanwalts, wie sie in den §§ 1, 3 Abs. 1 BRAO umschrieben sei. Für den in manchen Verfahren vorgesehenen Anwaltszwang sei das übergeordnete Interesse der Rechtspflege maßgeblich, die Möglichkeiten für eine einverständliche Beilegung der Streitigkeiten und für eine zutreffende Rechtsfindung durch das Gericht zu verbessern; der Rechtsanwalt werde in diesem Zusammenhang als Filter verstanden, der die Emotion der Partei auffange. | |
§ 43 BRAO werde durch die Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts ergänzt, die in verschiedenen Zusammenhängen das Gebot der Sachlichkeit aussprächen. Dieses Gebot gehöre zweifellos zum Kernbereich anwaltlicher Berufspflichten. Als problematisch könne sich die Anwendung im Einzelfall erweisen; nicht in jedem Fall sei leicht erkennbar, welches Verhalten unsachlich sei. Seit langem bestehe jedoch Übereinstimmung darüber, daß der Rechtsanwalt nicht daran gehindert werden dürfe, die Interessen seines Mandanten mit Entschiedenheit zu vertreten. Er dürfe hierzu starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte nutzen. | |
Aus der ehrengerichtlichen Rechtsprechung ließen sich Fallgruppen für die Abgrenzung zwischen dem Schutz einer geordneten Rechtspflege und den Grundrechten des Anwalts bilden. Unsachliche Äußerungen gegenüber anderen Rechtspflegeorganen berührten unmittelbar den geordneten Verfahrensablauf und damit letztlich die geordnete Rechtspflege als solche. Bei strafrechtlich relevanten Äußerungen sei bei der Abwägung gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit des Anwalts zusätzlich das Recht der persönlichen Ehre zu beachten. Unsachliche Äußerungen, die sich weder gegen andere Rechtspflegeorgane richteten noch strafrechtlich bedeutsam seien, könnten gleichfalls dem Schutz einer geordneten Rechtspflege zuwiderlaufen, wenn die rechtliche Auseinandersetzung durch emotionelle, nicht zur Sache gehörende Streitigkeiten belastet werde. Je weiter der Anwalt vom Verfahrensgegenstand abweiche, je weiter er sich von der Interessenvertretung des Mandanten entferne, je weniger sein Verhalten aus der jeweiligen Verfahrenssituation verständlich sei -- also abgestuft nach dem Grad der Unsachlichkeit --, desto eher trete sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit bei der Abwägung hinter dem Rechtsgutschutz der geordneten Rechtspflege zurück. | |
2. Der Bundesgerichtshof hat auf seine ständige Rechtsprechung | |
3. Nach Ansicht der Bundesrechtsanwaltskammer gehört das Gebot der Sachlichkeit zum Inhalt des § 43 BRAO. Es fordere vom Rechtsanwalt, daß er im Kampf ums Recht nicht nur Ehrkränkungen unterlasse, sondern darüber hinaus sachlich nicht gebotene herabsetzende Angriffe meide. Als Berufsausübungsregelung, die dem Allgemeininteresse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege diene, sei der Zweck primär berufs-, nicht aber äußerungsbezogen. Gleichzeitig bezwecke das Gebot den Schutz eines jeden Verfahrensbeteiligten im Rahmen eines geordneten und fairen Verfahrens. § 43 BRAO werde durch den Grundsatz der Freien Advokatur eingegrenzt, wobei aber zu bedenken sei, daß der Anwalt nicht nur weitergehende Befugnisse als sein Mandant habe, sondern auch weitergehende Pflichten. Gerade das Gebot der Sachlichkeit sei eine der Kardinalpflichten des Rechtsanwaltsberufes. Es habe stets weitergereicht als vergleichbare strafrechtliche Gebote. Es berühre nicht das Recht des Anwalts, sich im Verfahren frei zu äußern, und tangiere deshalb die Meinungsfreiheit selbst nicht. Die Grenzziehung zwischen Sachlichkeit und Unsachlichkeit betreffe vielmehr allein die Art und Weise der Meinungsäußerung und finde insoweit ihre Grundlage im Regelungsauftrag des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG und in der ihn ausführenden Berufsausübungsregelung des § 43 BRAO in Verbindung mit den nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO festgestellten Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts. | |
Die Generalklausel des § 43 BRAO werde durch vielfältige "verfassungsrechtliche Vorgaben" in verfassungsrechtlicher Hinsicht hinreichend bestimmt. Deren Heranziehung sei auch bei der Inhaltsbestimmung des Sachlichkeitsgebots erforderlich. Die in anderen Fällen als Erkenntnishilfe zu verwendenden Richtlinien setzten den Inhalt des Sachlichkeitsgebots voraus. Die Erwähnung des Gebots an einer Vielzahl von Stellen mache seinen Rang deutlich, ohne daß Hilfen zur Inhaltsbestimmung gegeben würden. Auch aus der | |
4. Der Deutsche Anwaltverein hält die beiden Verfassungsbeschwerden für begründet, da die beanstandeten Äußerungen unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs nicht als unsachlich beurteilt werden könnten. Das Sachlichkeitsgebot gehöre zum Inhalt des § 43 BRAO. Was sachlich im Sinne der Generalklausel sei, bestimme sich aus der besonderen Funktion des Rechtsanwalts, wenn er in einem Rechtsstreit für seinen Mandanten tätig werde. Er handele nicht als Privatmann, sondern als Organ der Rechtspflege; die Ausübung seiner Funktion liege zugleich im öffentlichen Interesse. Demgemäß dürfe die anwaltliche Tätigkeit nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit betrachtet werden. Es gehe vielmehr auch um die Verfahrensstellung des Rechtsanwalts, um sein Recht, sich zu Tatsachen und Beweisergebnissen äußern zu dürfen. Nur über eine Zusammenschau von Art. 5, 12, 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG lasse sich das Gebot der Sachlichkeit richtig erfassen. | |
Dem in den Richtlinien wiederholt angesprochenen, allerdings nicht definierten Sachlichkeitsgebot gebühre ein hoher Rang und zwar sowohl im positiven wie im negativen Sinne. Es habe zunächst eine legitimierende Funktion: Der Rechtsanwalt sei berechtigt, sich so zu äußern und zu erklären, wie er dies nach sorgfältiger Prüfung im Interesse seines Mandanten für angezeigt halten dürfe. Die limitierende Funktion des Gebots zeige sich darin, daß die Äußerung in Bezug zu dem konkreten Verfahren stehen müsse, wobei es genüge, daß der Anwalt sie für sachdienlich halte; die Begrenzung des Sachlichkeitsgebots auf objektiv geeignete Äußerungen wäre eine verfassungsrechtlich nicht legitimierbare Einschränkung des Grundsatzes der freien Advokatur. Jeder Versuch, das Sachlichkeitsgebot zu definieren, stoße auf Grenzen; letztlich komme es auf die tatrichterliche Würdigung im Einzelfall an; wobei die beanstandete Äußerung nicht aus dem Zusammenhang gewiesen werden dürfe. Unvereinbar mit dem Sachlichkeitsgebot dürften Äußerun | |
5. Nach Ansicht des Republikanischen Anwaltsvereins sind die in den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts niedergelegten allgemeinen Auffassungen über die Ausübung des Anwaltsberufs nicht schlechthin ungeeignet, normative Maßstäbe dafür zu setzen, was im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit berufs- und standesrechtlich als rechtmäßig oder rechtswidrig anzusehen sei. Auch soweit die Standesrichtlinien die aus § 43 Satz 2 BRAO folgende allgemeine Berufspflicht konkretisierten, könne vernünftigerweise hiergegen nichts eingewendet werden. Etwas anderes gelte jedoch schlechthin für denjenigen Bereich der Standesrichtlinien und des anwaltlichen Berufsrechts, welcher die Tätigkeit des Rechtsanwalts unter dem Gesichtspunkt des Sachlichkeitsgebots einer inhaltlichen Kontrolle und gar ehrengerichtlichen Ahndung unterziehe. Hier kollidierten die Standesrichtlinien nicht nur mit einfachem Recht, sondern auch mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, zu deren Einschränkung sie nicht geeignet seien. | |
Soweit der Rechtsanwalt durch seine Tätigkeit dazu beitrage, geschützte Rechtsgüter eines anderen zu beeinträchtigen, setzten die Strafgesetze und das vertragliche und deliktische Haftungsrecht ausreichende Schranken, wobei die Wahrnehmung berechtigter Interessen den Handlungsspielraum erweitere. Das standesrechtliche Sachlichkeitsgebot hingegen könne selbst in Verbindung mit den gesetzlichen Vorschriften weder in formeller noch in materieller Hinsicht als Schranke des Grundrechts der Meinungsfreiheit angesehen werden. Formell erfülle der Begriff der Sachlichkeit nicht die Anforderungen an die Bestimmtheit einer derartigen, noch dazu sanktionsbewehrten Rechtsnorm. Auch materiell sei das Sachlichkeitsgebot als Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht zu halten. Der Begriff der Sachlichkeit sei nicht justitiabel, wie sich in der Praxis gezeigt habe. Die Ehrengerichte seien schon bei der Ermittlung der zumeist komplexen und nicht mehr rekonstruierbaren Sachverhalte überfordert. Zudem sei zu befürchten, daß eher | |
6. Nach Meinung des Bundes Freier Rechtsanwälte ist der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2) aus den gleichen Gründen stattzugeben, wie sie in der älteren Verfassungsbeschwerde dargelegt worden seien. | |
7. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Hamm hält die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) für unbegründet; er bleibt bei der in den angegriffenen Bescheiden vertretenen Beurteilung und meint, daß die Mißbilligung herabsetzender Äußerungen auch dann nicht zu beanstanden sei, wenn diese nicht als beleidigend im Sinne der allgemeinen Gesetze zu beurteilen seien. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Köln hält -- neben Verunglimpfungen -- solche herabsetzenden Behauptungen und Werturteile für unsachlich, die entweder erkennbar nichts mit der jeweiligen Sache zu tun hätten oder so allgemein seien, daß sie mangels Substantiierung nicht nachvollzogen werden könnten. Für den beanstandeten Vorwurf habe es der Beschwerdeführer zu 2) an einer ausreichenden Substantiierung fehlen lassen. | |
Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind begründet. | |
Die den Beschwerdeführern erteilten Rügen greifen in deren freie Berufsausübung als Rechtsanwälte ein. Für diese von den Ehrengerichten gebilligten Eingriffe fehlt bereits die gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erforderliche gesetzliche Grundlage. | |
I. | |
1. Sowohl in den Bescheiden der Kammervorstände als auch in den Beschlüssen der Ehrengerichte werden die Rügen ausdrücklich auf Vorschriften der Standesrichtlinien gestützt. Diese Richtlinien bilden indessen keine ausreichende Grundlage für Einschränkungen der anwaltlichen Berufsausübung. | |
a) Gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Das verfassungsrechtlich vorgeschriebene Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage beruht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf, daß einerseits das Grundrecht der Berufsfreiheit die menschliche Persönlichkeit, die nach der Ordnung des Grundgesetzes der oberste Rechtswert ist, in einem für ihre Selbstbestimmung in der arbeitsteiligen Industriegesellschaft besonders wichtigen Bereich schützt, daß andererseits die Inanspruchnahme dieser Freiheit mit den Belangen der Allgemeinheit in Einklang gebracht werden muß und daß die Abwägung, gegenüber welchen Gemeinschaftsinteressen und wie weit das Freiheitsrecht des Einzelnen zurücktreten muß, in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fällt (vgl. BVerfGE 7, 377 [397, 404 f.]; 13, 97 [104 f.]; 33, 125 [158 f.]; 41, 251 [263 f.]; vgl. auch BVerfGE 63, 266 [286 f.]). Dieser Verantwortung kann sich der demokratische Gesetzgeber nicht beliebig entziehen. Vielmehr ist in einem Staatswesen, in dem das Volk die Staatsgewalt am unmittelbarsten durch das von ihm gewählte Parlament ausübt, vor allem dieses Parlament dazu berufen, im öffentlichen Willensbildungsprozeß unter Abwägung der verschiedenen, unter Umständen widerstreitenden Interessen über die von der Verfassung offengelassenen Fragen des | |
Die Verfassung gebietet nicht, daß Einschränkungen der Berufsfreiheit ausschließlich durch den staatlichen Gesetzgeber oder durch die von ihm ermächtigte staatliche Exekutive angeordnet werden müssen. Vielmehr sind solche Regelungen innerhalb bestimmter Grenzen auch in Gestalt von Satzungen zulässig, die von einer mit Autonomie ausgestatteten Körperschaft erlassen werden. Der Gesetzgeber muß dabei aber -- wie das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner ersten grundlegenden Entscheidung ausgeführt hat -- berücksichtigen, daß die Rechtssetzung durch Berufsverbände besondere Gefahren für die Betroffenen und die Allgemeinheit mit sich bringen kann; zum Nachteil der Berufsanfänger und Außenseiter kann sie ein Übergewicht von Verbandsinteressen oder ein verengtes Standesdenken begünstigen, das notwendigen Veränderungen und Auflockerungen festgefügter Berufsbilder hinderlich ist. Am ehesten darf ein Berufsverband zur Normierung solcher Berufspflichten ermächtigt werden, die keinen statusbildenden Charakter haben und die lediglich in die Freiheit der Berufsausübung von Verbandsmitgliedern eingreifen. Im einzelnen hängt die Abgrenzung von der Intensität des Eingriffs in das Grundrecht der Berufsfreiheit ab, wobei die Anforderungen an die Bestimmtheit der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigung um so höher sind, je empfindlicher der Berufsangehörige in seiner freien beruflichen Betätigung beeinträchtigt wird und je stärker die Interessen der Allgemeinheit an der Art und Weise der Tätigkeit berührt werden (vgl. BVerfGE 33, 125 [155 ff.]; ferner BVerfGE 71, 162 [172] m. w. N.). | |
b) Die Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts werden von der herrschenden Meinung und in der ehrengerichtlichen Rechtsprechung zutreffend nicht als Rechtsnormen im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG aufgefaßt (vgl. die Nachweise bei Lingenberg/ Hummel, Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts, 1981, Einl., Anm. 5; Sue, Rechtsstaatliche Probleme des anwaltlichen Standesrechts, 1986, S. 71 ff.). Sie haben, wie das Bundesverfassungsgericht bereits ausgeführt hat (BVerfGE 36, 212 [217]), im Unter | |
c) Wenn sonach die Standesrichtlinien auch nicht als Rechtsnormen angesehen werden können, so ist ihnen in der bisherigen ehrengerichtlichen Rechtsprechung gleichwohl eine gewisse rechtserhebliche Bedeutung beigemessen worden. Die Ehrengerichte standen vor der Schwierigkeit, daß der Gesetzgeber die anwaltlichen Berufspflichten im wesentlichen durch eine Generalklausel umschrieben hatte und daß diese grundsätzlich als eine formell ausreichende Rechtsgrundlage für Eingriffe in die Berufsausübung beurteilt wurde (vgl. BVerfGE 26, 186 [204]; 36, 212 [219]; 57, 121 [132]; 66, 337 [355 f.]). Es lag daher nahe, daß sie sich bei der ihnen obliegenden Auslegung und Anwendung der Generalklausel an den Standesrichtlinien orientierten. Dies ist in der verfassungsgerichtli | |
An dieser Beurteilung der Standesrichtlinien wird nicht festgehalten. Diese mögen ihren guten Sinn darin haben, daß sie das Standesethos widerspiegeln. Wird ihnen aber eine weitergehende rechtserhebliche Funktion beigelegt, dann begegnet dies gewichtigen, auch verfassungsrechtlich relevanten Bedenken, die neuerdings die Forderung ausgelöst haben, die Richtlinienregelung durch eine Satzungskompetenz der Rechtsanwaltskammer zu ersetzen (vgl. Kleine-Cosack, AnwBl. 1986, S. 505 [kritisch dazu Ostler, AnwBl. 1987, S. 224]; Zuck, ZRP 1987, S. 145; ferner kritisch zur überkommenen Beurteilung der Standesrichtlinien Redeker, NJW 1982, S. 2761 und 1987, S. 304; Jarass, NJW 1982, S. 1833 [1836]; Ostler, NJW 1987, S. 281 [288 f.]; Schiefer, NJW 1987, S. 1969 [1978]). Kritisiert wird insbesondere, daß die Richtlinien -- wie auch in den vorliegenden Fällen -- in der Spruchpraxis der Kammervorstände und Ehrengerichte trotz fehlender Normqualität immer wieder wie Rechtssätze behandelt werden. Ihre Charakterisierung als Hilfsmittel für die Konkretisierung der Generalklausel, die Art und Weise ihres Zustandekommens und nicht zuletzt ihre normähnliche Formulierung als Gebote und Verbote erhöhen die ohnehin bestehende Schwierigkeit, sie anders denn als gültige Verhaltensmaßstäbe einzuordnen. Werden sie zutreffend als bloßer Niederschlag vorhandener Standesauffassungen verstanden, können sie weder Rechtsklarheit noch Rechtssicherheit bewirken; vor allem sind sie | |
Für die verfassungsrechtliche Beurteilung sind in einem demokratischen Gemeinwesen bereits diese Nachteile bedeutsam. Ausschlaggebend ist darüber hinaus, daß bloße Standesauffassungen jedenfalls dann nicht ausreichen können, um eine Grundrechtsbeschränkung zu legitimieren, wenn der Gesetzgeber bei seiner Normierung der Berufspflichten selbst nicht darauf Bezug nimmt (vgl. den Wortlaut des § 43 BRAO). Eingriffe in die Berufsfreiheit setzen "Regelungen" voraus, die durch demokratische Entscheidungen zustande gekommen sind und die auch materiellrechtlich den Anforderungen an Einschränkungen dieses Grundrechts genügen; im übrigen unterliegt die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnete anwaltliche Berufsausübung unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen (vgl. BVerfGE 50, 16 [29]; 63, 266 [284]). Die deklaratorische Feststellung einer vorhandenen communis opinio kann -- ebensowenig wie nachkonstitutionelles Gewohnheitsrecht (vgl. BVerfGE 22, 114 [121]) -- keine Regelung in diesem Sinne sein, und zwar um so weniger, wenn dabei lediglich auf die Meinung angesehener und erfahrener Standesgenossen abgestellt wird. Sie läßt keinen Raum für eine Prüfung und Entscheidung des Normgebers, ob die Einschränkung der Berufsfreiheit jeweils durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und ob die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesetzten Grenzen eingehalten werden; sie genügt nicht einmal den für Satzungsrecht geltenden Anforderungen, da sie keinen Unterschied macht zwischen statusbildenden, dem Gesetzgeber vorbehaltenen Regelungen und solchen, zu denen auch Berufsverbände ermächtigt werden dürfen. | |
2. Wenn sonach die Standesrichtlinien künftig weder als normative Regelung der anwaltlichen Berufspflichten noch als rechtser | |
Die Anerkennung dieser Notwendigkeit bedeutet freilich nicht, daß innerhalb der Übergangsfrist die bisherige Rechtspraxis ohne weiteres so fortbestehen dürfte, als sei sie verfassungsrechtlich unbedenklich. Vielmehr reduzieren sich die Befugnisse der Kammern und Gerichte zu Eingriffen in verfassungsrechtlich geschützte Positionen auf das, was für die geordnete Weiterführung eines funktionsfähigen Betriebes unverzichtbar ist (BVerfGE, a. a. O.). Auf das Ansehen der Anwaltschaft kann es nur ankommen, wenn es über bloße berufsständische Belange hinaus im Allgemeininteresse liegt (vgl. auch BVerfGE 66, 337 [354]). Nur soweit es zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege unerläßlich ist, kann demgemäß auch weiterhin auf die Standesrichtlinien zur Konkretisierung der Generalklausel zurückgegriffen werden, wobei selbstverständliche Voraussetzung ist, daß die jeweiligen Gebote auch den materiellrechtlichen Anforderungen an Grundrechtsbeschränkungen genügen. Das wird sich im wesentlichen mit denjenigen | |
II. | |
Als weiterhin anwendbares Hilfsmittel zur Konkretisierung der Generalklausel kann auch das in den Richtlinien niedergelegte Sachlichkeitsgebot angesehen werden. Während der Übergangszeit ist es indessen nur in einem so begrenzten Umfang heranzuziehen, daß es das den Beschwerdeführern zur Last gelegte Verhalten nicht umfaßt. | |
1. Sachlichkeit gehört seit jeher zu den anwaltlichen Berufspflichten. Die frühesten ehrengerichtlichen Entscheidungen sind dazu bereits in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ergangen, wenige Jahre nach Inkrafttreten der Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 (vgl. Isele, BRAO, 1976, Anhang zu § 43, S. 670 [675]). Die Bedeutung des Gebots kann darin gesehen werden, daß es zu einem sachgerechten, professionellen Austragen von Rechtsstreitigkeiten anhält, indem es beispielsweise Beleidigungen oder die bewußte Verbreitung von Unwahrheiten unterbindet, die sich emotionalisierend und schädlich für die Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit anderer Verfahrensbeteiligter auswirken. Als unsachlich und unprofessionell gelten ebenfalls herabsetzende persönliche Angriffe, die mit dem Gegenstand des Verfahrens nichts zu tun haben, bei dem aber die Gelegenheit eines Verfahrens zur Abrechnung mit dem Kritisierten genutzt wird und die für alle Beteiligten Kraft und Zeit kosten, ohne etwas zur Rechtsfindung oder zur Interessenwahrnehmung für den Mandanten auszutragen. | |
In den Standesrichtlinien ist das Sachlichkeitsgebot allerdings | |
Weitere verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem in den Standesrichtlinien niedergelegten weiten Sachlichkeitsgebot ergeben sich bei seiner materiellrechtlichen Überprüfung. Als Berufsausübungsregelung ist es nur statthaft, soweit es sich durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls rechtfertigen läßt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (vgl. dazu BVerfGE 61, 291 | |
Die Ausgangsverfahren geben keinen Anlaß zu der abschließenden Prüfung, in welchem Umfang das Sachlichkeitsgebot den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen würde. Für die Übergangszeit ist seine Anwendung aus den erörterten Gründen jedenfalls auf das zu beschränken, was zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege unerläßlich ist. Das bedeutet: Herabsetzende Äußerungen, die ein Anwalt im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung und der dabei zulässigen Kritik abgibt, sind noch kein Anlaß zu standesrechtlichem Eingreifen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten. Sie sind erst dann als Berufspflichtverletzung zu beanstanden, wenn die Herabsetzungen nach Inhalt oder Form als strafbare Beleidigungen zu beurteilen sind, ohne durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt zu werden. Darüber hinaus erscheint während der Übergangszeit ein standesrechtliches Eingreifen wegen Verletzung des Sachlichkeitsgebotes nur in engen Grenzen statthaft, wenn etwa ein Anwalt unprofessionell handelt, indem er entweder bewußt Unwahrheiten verbreitet oder den Kampf ums Recht durch neben der Sache liegende Herabsetzungen belastet, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlaß gegeben haben. Wird die Anwendung des Sachlichkeitsgebots in Einklang mit der Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins auf derartige Fälle beschränkt, dann handelt es sich um eine verfassungsrechtlich zulässige Beschränkung der Berufsausübung, bei der auch keine Bedenken unter dem Gesichts | |
2. Soweit nach alledem das in den Standesrichtlinien niedergelegte Sachlichkeitsgebot während der Übergangszeit weiterhin als Hilfsmittel zur Konkretisierung der Generalklausel anwendbar ist, umfaßt es nicht das den Beschwerdeführern vorgeworfene Verhalten. | |
a) Die beanstandeten Äußerungen der beiden Beschwerdeführer enthalten ersichtlich keine Formalbeleidigung oder eine sonstige strafrechtlich relevante Ehrverletzung der kritisierten Personen. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie in der gebotenen Weise im Gesamtzusammenhang beurteilt werden und wenn der Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen berücksichtigt wird. | |
Im Falle des Beschwerdeführers zu 1) haben auch der Kammervorstand und das Ehrengericht zutreffend keine strafbare Beleidigung angenommen. Die Ausdrücke "Unsinn" und "ehrenwerte Herren" hat der Beschwerdeführer für die Kritik an einer gutachtlichen Stellungnahme verwendet, die sich nicht mit einer bloßen Vermutung begnügte, sondern jede Möglichkeit einer mitverursachenden Kausalität am Tod der Ehefrau des Mandanten durch Pflichtwidrigkeiten der behandelnden Ärzte ausgeschlossen hatte; angesichts der bei der Versicherten vorhandenen Risikofaktoren mußte die Ansicht der Gutachter, eine vorbeugende Therapie hätte auf keinen Fall den Tod verhindern können, in dieser Absolutheit mehr als angreifbar erscheinen. Wenn sich der Beschwerdeführer von dieser Stellungnahme, der für die Entscheidung der Staatsanwaltschaft erhebliche Bedeutung zukam, im Interesse seines Mandanten mit deutlichen und ironisierenden Worten distanzierte, dann hat er damit die strafrechtlichen Grenzen erlaubter Interessenwahrnehmung nicht überschritten. | |
In der Äußerung des Beschwerdeführers zu 2) hatte zwar der | |
b) Auch im übrigen ist nicht erkennbar, daß es unerläßlich war, zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ehrengerichtliche Maßnahmen gegen die Beschwerdeführer zu ergreifen. Die ihnen erteilten Rügen lassen sich insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt aufrechterhalten, die Beschwerdeführer hätten durch bewußtes Verbreiten von Unwahrheiten das Sachlichkeitsgebot verletzt. Insoweit enthalten die angegriffenen Entscheidungen keinerlei Feststellungen. Insbesondere war es unbestritten, daß im Falle des Beschwerdeführers zu 2) zwischen diesem und dem kritisierten Richter private Zerwürfnisse bestanden; auch war der Vorwurf persönlicher Diskriminierung vor Dritten -- wie sich aus dem Vortrag der Beteiligten im ehrengerichtlichen Verfahren ergibt -- durchaus nicht leichtfertig aus der Luft gegriffen. | |
Den Beschwerdeführern kann schließlich ebenfalls nicht zur Last gelegt werden, sie hätten herabsetzende Äußerungen gebraucht, die mit dem Verfahrensgegenstand nichts zu tun gehabt hätten und zu denen andere Verfahrensbeteiligte oder der Verfahrensverlauf keinerlei Anlaß gegeben hätten. Daß diese Voraussetzung für die Anwendung des Sachlichkeitsgebots nicht vorlag, ist beide Male offensichtlich und bedarf keiner weiteren Darlegung. Demgemäß | |
Dr. Herzog, Dr. Simon, Dr. Hesse, Dr. Katzenstein, Dr. Niemeyer, Dr. Heußner, Dr. Henschel, Dr. Seidl |