Kunstprojekt Rollentausch: Angestellte außer Rand und Band
- ️@derspiegel
- ️Tue Sep 16 2008
Jedem Chaos wohnt ein Anfang inne. Einer musste ihn nur machen: Es war Ende März, als der Göttinger Videokünstler Christian Jankowski im Stuttgarter Kunstmuseum zur großen Tombola rief. Dabei ging es nicht um Profanes wie Bleistifte oder Teddybären. Nein, in die Trommel geworfen wurden Jobprofile. Direktor, Kurator, Techniker, Sekretärin, Hausmeister: Jankowski spielte an diesem Abend Fortuna - und am Ende war nichts, war niemand mehr wie zuvor.
Eine Kuratorin, die Sicherheitswache schiebt, eine Direktorin, die Teppiche verlegt: "Dienstbesprechung" heißt das Videoprojekt, mit dem Jankowski die Vorbereitung seiner neuen Ausstellung zum Kunstwerk selbst erhoben hat. Der 40-Jährige hat alles, von der Katalog- bis zur Ausstellungsgestaltung, vom Marketing bis zur Pressearbeit, in die falschen Hände gelegt. Und beobachtet, was passiert.
Thomas Kaltschmidt etwa war eigentlich "nur" Mitarbeiter der Sicherheitszentrale, bis Jankowski ihn kurzerhand zum Kurator geadelt hat. Teppiche aussuchen, mit dem Künstler die Anordnung der Installationen besprechen, der Ausstellung "einen persönlichen Stempel" geben - gerne hätte Kaltschmidt ein Handbuch zum Job gehabt, sagt er. Seine Tauschpartnerin, Kuratorin Ruth Diehl, dagegen kämpfte mit den frühen Arbeitszeiten in der Sicherheitszentrale (sechs Uhr!) und fand nie die richtigen Knöpfe.
Im "Imagefilm", einem Teil der Gesamtinstallation, ist zu sehen, wie Diehl bei einem Alarm außer sich gerät - und prompt, weil panisch, falsch reagiert. Für diese Art Werbetrailer über das Museum und seine Mitarbeiter, beauftragte Jankowski unabhängige Regisseure, die die Akteure im ungewohnten Arbeitsalltag begleiteten. Wohlgemerkt, ohne den Filmemachern zunächst zu sagen, dass sie es mit "Laien" zu tun hatten. Kaltschmidt, Diehl und ihre fehlbesetzten Kollegen waren gezwungen, in ihren Rollen zu bleiben. Das perfekte Chaos.
Da half auch keine Berufsvorbereitungsrunde. In den "Übergabeprotokollen", dem zweiten Teil der Installation, hatten sich die Beteiligten vor der Kamera Tipps gegeben und Aufgaben verteilt. Wie wirst du ich, wie werde ich du? Jankowski filmte die Gesichter der Partner - paarweise zugewandt stehen jetzt 26 Fernseher im Ausstellungsraum, immer zwei auf einem runden Teppich.
Jankowski genießt das: Das Chaos, den Rollentausch, die Maskerade, andere über ihre Grenzen zu treiben und die Reaktionen zu beobachten, beim Beteiligten und beim Zuschauer.
Seinen Spitznamen als "Eulenspiegel" des Kunstbetriebes, als "Narr am Hofe der Kunst" hat der Göttinger längst weg. 1992 ging Jankowski erstmals auf "Die Jagd", erlegte im Supermarkt Joghurtbecher, tief gefrorene Hähnchen und Margarine mit Pfeil und Bogen. Vier Jahre später entstand "Mein Leben als Taube": Drei Wochen lang saß der Künstler in einem Käfig - inmitten einer Ausstellung in Antwerpen. Von den Besuchern ließ er sich dabei füttern und filmen. Später verwandelte er in "Direktor Pudel" den Leiter des Hamburger Kunstvereins in eben jenen Vierbeiner und ließ in "Flock" die Besucher einer Vernissage als orientierungs- und teilnahmslose Schafsherde durch die Galerie trotten.
Die komische Auseinandersetzung mit der Institution Kunst, dem Dreiklang von Kunstbetrieb, Künstler und Publikum ist typisch für Jankowski.
Außer Kontrolle
"Letztlich ging es mir um Kontrollverlust", sagt der Videokünstler über "Dienstbesprechung". Er über sein "Kunstwerk", die Museumsangestellten über ihren Verantwortungsbereich. Wie seine Ausstellung letztlich aussehen würde, seine erste umfassende Schau in Deutschland überhaupt? Jankowski überließ es den Berufsanfängern.
"Klar war letztlich glücklicher, wer ermächtigt und nicht entmächtigt wurde", sagt der 40-Jährige. Bei der Eröffnungsfeier hielt Kaltschmidt die Rede, Kuratorin Diehl saß währenddessen im Keller und schob Sicherheitsdienst.
Eigentlich sollte der Rollentausch bis zum Ende der Ausstellung am elften Januar andauern. Doch das Projekt hatte seine Grenzen - der absolute Ausnahmezustand wurde letztlich doch nur für die Dauer der Dreharbeiten inszeniert.
Dennoch: "Viele kleine Helden", seien während der Vorbereitung entstanden, sagt der Künstler. Der Hausmeister, der mit dem Sponsor verhandelte, der Registrar, der den Katalog betextete und schließlich der "kuratierende Sicherheitsangestellte" Kaltschmidt.
Der fand am Ende übrigens doch noch seinen "ganz eigenen Stempel" für die Schau. Kurzerhand verpflichtete Kaltschmidt einen weiteren Künstler, dessen Werke jetzt ebenfalls im Rahmen der Ausstellung zu Christian Jankowski zu sehen sind. Abdoul Ganiou Dermane heißt der Mann, er hat Kunst studiert - und arbeitet eigentlich für die Reinigungsfirma des Museums.