Mineralogie: Schleifstein der Schande
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- ️Mon Jan 25 2010
Foto: AP/ Smithsonian Institution
Im feinen Anzug durchschritten zwei Herren die videoüberwachte Sicherheitsschleuse und betraten den Laden des Juweliers Laurence Graff in London. Zu den Kunden des "Diamantenkönigs" gehören Victoria Beckham, Naomi Campbell und der Sultan von Brunei.
Kaum im Verkaufsraum, zogen die Männer Handfeuerwaffen und räumten Armbänder und Ohrringe im Wert von rund 47 Millionen Euro ab. Ihr wahres Antlitz hatten sie unter täuschend echten Gesichtsmasken aus Latex versteckt.
"Großbritanniens größter Juwelenraub" (so der "Guardian") vom August vergangenen Jahres gibt der Polizei bis heute Rätsel auf. Die Beute ist noch immer verschwunden.
Dabei hatte der Geschädigte noch Glück. Sein größter Schatz, der "Blaue Wittelsbacher", lagerte zum Zeitpunkt des Überfalls in einem Sonderdepot. Manche glauben, die Diebe hätten es einzig auf ihn abgesehen gehabt.
Angeschrägte Facetten - 4,5 Karat weniger
Ab diesem Donnerstag wird das Kleinod nun wieder öffentlich zu sehen sein. Das Naturkundemuseum in Washington (das bereits den angeblich verfluchten, 45-karätigen "Hope"-Diamanten beherbergt) hat eine Sonderschau angekündigt.
Doch die geplante Ausstellung löste schon im Vorfeld Empörung aus. Laurence Graff hat den "Wittelsbacher" umarbeiten lassen. Der sanfte, über 300 Jahre alte Rosenschliff wurde modern angesteilt und erhielt mehr Facetten.
Dadurch glänzt das Artefakt jetzt zwar noch blauer, sein "Feuer" hat sich verstärkt. Aber auch seine geschichtliche Gestalt ging verloren.
"Zum Lutschbonbon entwertet" sei der alte 35-Karäter, meint Hans Ottomeyer, Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin. "Es ist, als hätte man ein Rembrandt-Bild übermalt." Der Chemieprofessor Jürgen Evers von der Universität München nennt den Eingriff schlicht eine "Barbarei".
Selbst die Händlerszene ist böse. "Eine Schande ist das!", schimpft der Schatzmeister des Weltverbands der Diamantbörsen, Dieter Hahn aus Idar-Oberstein. Der derzeit beste Brillantschleifer des Erdenrunds - Gabriel Tolkowsky aus Antwerpen - sieht sogar das "Ende der Kultur" herannahen.
Etwa 4,5 Karat hat der neue Eigner von dem bläulichen Oval abwetzen lassen (ein Karat entspricht 0,2 Gramm). Sein Durchmesser wurde verkleinert, die Facetten sind angeschrägt, um eine höhere Lichtreflexion zu erzielen. "Graff wollte rücksichtslos den Marktwert steigern", klagt Ottomeyer.
Farbe im Diamanten: der schönste Makel der Welt
Offiziell heißt das Stück jetzt "Wittelsbach-Graff". "Diese Umbenennung", ärgert sich ein Fachmann, sei die "größte Frechheit".
Das Volk der ist damit seines alten Leitjuwels beraubt. Schon wegen seiner Stellung in der Farbskala ("deep blue") haftet dem Schmuck eine "stratosphärische" Seltenheit an, wie es in der Zunft überschwänglich heißt.
Nur unter Tausenden Diamanten ist statistisch gesehen einer richtig bunt. Die meisten davon sind gelb oder braun - wenig beliebte Tönungen.
Der "Wittelsbacher" aber strahlt in Azur, er glitzert wie der Himmel. Zudem stammt er aus den sagenhaften Kollur-Minen, einem Schluchtengebiet im altindischen Königreich Golkonda (in der Umgebung des heutigen Haiderabad).
Unter enormen Drücken wuchsen die Kohlenstoffkristalle dort in 150 Kilometer Tiefe heran. Vulkanisches Gebrodel drückte sie Richtung Oberfläche. Spuren von Bor färbten sie blau, durch Uranstrahlung wurden sie grün.
Alexander der Große, dessen Feldzug bis zum Indus reichte, ließ der Sage nach blutige Fleischbrocken in eine "Diamantenschlucht" werfen, an denen sich die Edelsteine anhafteten.
Auch Sindbad der Seefahrer erreichte im Märchen diesen Zauberort.
Inzwischen sind Golkondas Lager erschöpft; doch mineralogisch gesehen steht die Gegend immer noch einzigartig da. Einzig in dieser Fundstätte, wo einst Sklaven schufteten, kamen bis zu walnussgroße "Blaue" zutage. Nur vier sind insgesamt bekannt. Einer davon ist der "Wittelsbacher".
Sanft und behutsam war der Stein poliert worden, nach alter Technik. Erst später entwickelten Handwerker im Abendland immer härtere Schliffe - bis hin zum Brillanten, der das Licht über symmetrische Felder einfängt und glitzernd wieder auswirft.
So erhält der Stein Leben.
Vor allem Europas Hochadel gierte bald nach den funkelnden Symbolen der Ewigkeit. Vom Sonnenkönig Ludwig XIV. bis zum Zaren schmückten sich die Regenten mit Farbdiamanten vom fernen Subkontinent.
Als "Leitsteine" in den Kronen und Zeptern der Könige standen sie für den legitimen Anspruch auf Herrschaft, Macht und Besitz.
Beim Beschaffen der Luxusware ging es nicht selten ruppig zu. Der berühmte "Koh-i-Noor" ("Berg des Lichts"), strahlend hell und 105 Karat schwer, soll bereits 56 vor Christus einem indischen Helden gehört haben. Mogule und Maharadschas stritten sich um ihn.
Und ewig lockt der Stein: Wie Könige und Herrscher zu den Symbolen der Macht gelangten
Am Ende beschlagnahmte die Kolonialmacht England das Geschmeide. Nach einem Aufstand der Sikhs wurde das einzigartige Objekt entwendet.
Die Geschichte der französischen Kronjuwelen liest sich noch brutaler. Der gelbe "Sancy" (55 Karat) befand sich zeitweise im Bauch eines ermordeten Boten. Den farblosen "Regent" (140 Karat) schmuggelte ein Hindu-Sklave in einer selbstgeschlagenen Wunde aus der Fundmine.
Am meisten Blut klebt am blassrosafarbenen "Darya-i-Noor", den die Perser 1739 bei einem Überfall auf Delhi erbeuteten und dabei Hunderte niedermetzelten. Das Stück liegt heute in der Zentralbank von Teheran.
Den "Orlow" (189 Karat) dagegen umfloren Tränen der Sehnsucht. Einst diente er als Götterauge in einem Hindu-Tempel. Später geriet er an einen russischen Fürsten, der ihn Katharina der Großen schenkte, in die er verliebt war.
Die Zarin verschmähte den Verehrer. Der Mann endete in der Irrenanstalt.
Auch der "Blaue Wittelsbacher" hat eine spannende Biografie - die bislang kaum jemand richtig kannte. Der Chemiker Evers hat jahrelang in Archiven gefahndet. "Dabei zeigte sich, dass ein Schwindler namens Klaus Schneider, der sich in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts als Historiker ausgab, dem Juwel eine falsche Herkunftslegende andichtete", so der Forscher.
Foto: AP/ Smithsonian Institution
Im US-Fachblatt "Gems & Gemology" hat Evers jüngst die wahre Geschichte des Bayernjuwels kundgetan. "Angeblich schenkte der spanische König den Stein im Jahr 1666 seiner Tochter zur Hochzeit", erklärt der Kenner, "doch das ist alles gelogen".
Eindeutig nachweisen lasse sich seine Existenz erst gut 50 Jahre später in Wien. Von dort wechselte er später nach München.
Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Wittelsbacher so klamm, dass sie ihr schönstes Schmuckstück Christie's zur Auktion anboten. "Mit einem Päckchen der Reichspost wurde es nach London geschickt", erzählt Evers.
Ein Käufer, der den Mindestpreis zahlen wollte, fand sich indes nicht.
Dann folgte die dunkelste Phase der blauen Kostbarkeit. 1958 war sie - anonym und ohne Herkunftsangaben - auf der Weltausstellung in Brüssel zu sehen. Sie verschwand erneut.
Diamonds are a girl's best friend
Erst viel später kam heraus, dass der Kaufhauskönig Helmut Horten den Stein als Ehegeschenk für die junge Sekretärin Heidi Jelinek erworben hatte. Zur Hochzeitsparty in Cap d'Antibes sorgten Tanzgruppen aus Las Vegas und Tokio für gute Laune.
Schließlich, vor 240 Gästen und unter Kaskaden von Schampus, holte Horten den Klunker aus der Hosentasche.
Als ein Redakteur der "Rheinischen Post" es wagte, das Präsent eine "Bettprämie" zu nennen, ließ der Milliardär dem Schreiber nachstellen. Gegen die Zeitung verhängte er eine Werbesperre.
Heidi Horten, heute knapp 70, war des blauen Gefunkels zuletzt überdrüssig. Zwar gilt sie als reichste Frau Österreichs. Weil sie die Firmen- und Finanzwerte aber nicht veräußern darf, entschloss sie sich offenbar zum Verkauf des Riesendiamanten.
Ende 2006 lag der Stein einige Tage lang in der Bulgari-Filiale in St. Moritz. Das Auktionshaus Christie's hörte davon und wurde neugierig.
Viele hofften im Vorfeld der großen Versteigerung vom Dezember 2008, dass die bayerische Landesregierung mitbieten werde, um den "Wittelsbacher" heimzuholen. Doch der neue Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) war gerade damit beschäftigt, die Milliardenverluste der landeseigenen BayernLB zu stopfen.
So kam Klunkerkönig Laurence Graff, 71, zum Zuge, dessen fortgeschrittenes Alter ihn bislang nicht vor torenhafter Eitelkeit schützt. Seine Frau, hämt die britische Presse, glitzere zuweilen "wie ein Gletscher".
Seit Jahren schon verfolgt der Kaufmann, dessen weltumspannende Juwelierkette auf über eine Milliarde Euro taxiert wird, eine ausgeklügelte Marktstrategie. Er will die "fancy diamonds", also die Farbigen, in höhere Preisregionen als bisher katapultieren.
Diamanten als Investition
Der Plan läuft gut. Erst vor wenigen Monaten kam in Genf ein schwachblauer Diamant aus Südafrika für über sieben Millionen Euro unter den Hammer. Er hatte nur sieben Karat. "Die Diamanten sind endgültig im Feld des ,capital investment' angekommen", ärgert sich Museumschef Ottomeyer.
Nun hat Laurence Graff mit dem "Wittelsbacher" einen noch weit schwereren und geschichtsträchtigeren Kristall in die Mühlen des Mammons eingespeist. Gnadenlos ließ er ihn dafür umfräsen.
Was bleibt, ist Ärger und Frust. Die "Frankfurter Allgemeine" betrauerte in einem "Nachruf" auf den "Wittelsbacher" die "Abschaffung der Ewigkeit".
Ganz seine Würde eingebüßt hat das Juwel durch das neue Styling natürlich nicht. Noch hätte Seehofer Chancen, den blauen Kristall, dessen Farbe sich auch im CSU-Wappen findet, zurückzuholen.
Allerdings müsste er teuer dafür bezahlen. "Unter 25 Millionen Euro", prophezeit ein bekannter Juwelenhändler, "gibt Graff den Stein nicht wieder her."