Keiner wird gewinnen
- ️@derspiegel
- ️Sun Nov 04 1990
Das Städtchen Luxemburg ist nicht groß - aber gut befestigt. Aus einem engen Tal steigt eine steile Mauer hoch hinauf, und auf dem Hügel, hinter dicken Quadern, liegt eine Altstadt, in der man sich ganz sicher und geborgen fühlen mag. Solche Wälle hielten einst langen Belagerungen stand.
Frank Elstner, der in einem gotischen Haus gleich hinter der Stadtmauer lebt, könnte alle Schießscharten mit seinen Getreuen besetzen - und es würde ihm doch nichts helfen. Denn die Waffen, gegen die sich Elstner wehren muß, zielen auf seine Nerven. Und jene Hatz, als deren Opfer er sich nun fühlt, macht vor den dicksten Mauern nicht halt.
Die Jäger sitzen an Schreibmaschinen, und ihre Munition ist von grobem Kaliber: »Nase ab!« formulierte einer, im Blutrausch offenbar, und ein anderer sah schon »das Begräbnis« vor sich. Daß Elstner als »Prügelknabe« gut geeignet sei, steht für die Blätter des Springer-Verlags seit Monaten fest - aber daß er in den letzten drei Wochen besonders heftige Prügel bekam, nicht nur von Springer-Blättern, das darf den »lieben Frank« (wie er sich gerne selbst nennt) nicht überraschen: Er hat eine der schlimmsten Sünden begangen, die hierzulande denkbar sind. Er hat den deutschen Fernsehkunden ihren heiligen Samstagabend verdorben.
Er war sehr viel auf dem Bildschirm, aber nur selten im Bilde an jenem 13. Oktober, er schien sich selbst zu langweilen, und er langweilte heftig sein Publikum. Zum elften Mal zeigte das ZDF Elstners Talk-und-Spiele-Spektakel »Nase vorn«, vier Ehrengäste saßen auf einem riesigen Sofa, ein minderjähriger Schachspieler zeigte seine Künste, ein paar hübsche Mädchen zeigten ihre Beine, Milva schluchzte ein Lied, und Willy Bogner machte Werbung für den neuen Willy-Bogner-Film. Keiner aber wußte wirklich, wohin die Nase läuft.
Elstner spürte das, wurde unsicher, machte ein paar fade Scherze über Bodybuilder, Nonnen und die Kleidung der Miss Germany, und zum Schluß gratulierte er telefonisch einer Witwe zu dem Umstand, daß sie Witwe sei. Als der Abspann über die Mattscheiben huschte, muß das für alle Beteiligten eine kleine Erlösung gewesen sein.
Der deutsche Zuschauer aber vergibt nicht so schnell, und weil der einzelne nichts ist gegen das große ZDF, kämpfen deutsche Zeitungsredakteure tapfer an der Seite aller rechtschaffenen Gebührenzahler. »Es ist eine Zumutung«, zitierte der Kölner Express aus einem Leserbrief. »Selbst das ,Wort zum Sonntag' ist interessanter«, schrieb ein anderer Leser. Und einer forderte die Rückerstattung seiner Fernsehgebühren sowie ein Schmerzensgeld: »Durch den zwangsweisen Besitz einer Rubbelkarte werde ich genötigt, noch zweimal diese langweilige Sendung anzusehen.«
Frank Elstner hat sich hinter die hohen Mauern von Luxemburg zurückgezogen und will von alledem nichts wissen. Er lese keine Zeitungen, sagt er trotzig, denn sonst könnte er vor lauter Ärger nicht mehr arbeiten. Aber dann läßt er sich doch von seiner Sekretärin erzählen, daß Bild ihn schon wieder beschimpfe; daß die anderen Zeitungen bei Bild abschrieben; und daß Hör zu eine Umfrage veranstalte, mit Postkarte und Gewinnspiel. Das Thema: Soll Frank Elstner weitermachen, oder soll er aufhören? Und dann ärgert er sich doch, und leiser Zorn schwingt in der Stimme, wenn Frank Elstner sich fragt, was er eigentlich falsch gemacht habe.
Vor acht, neun Jahren war er ganz oben, höher ging es nicht: »Er ist eben nicht von diesem TV-Stern, unser neuer Weihnachtsmann«, jubilierte Bild am Sonntag im Advent 1982 - und auch die nüchternen Kritiker waren sich einig, daß der Mann aus Luxemburg dem deutschen Fernsehen den Weg aus der Unterhaltungs-Krise gewiesen habe. Heute nennt Bild ihn den »Sozialfall des ZDF«.
Frank Elstner ist kein armer Mann, auch ohne »Nase vorn« hätte er ein hübsches Einkommen. Er hat »Wetten, daß . . .?« und »Tele-As« erfunden, und dafür kassiert er Lizenzgebühren. Besonders stolz aber ist er darauf, daß er nicht nur materielle Reichtümer besitzt: 100 Nobelpreisträger hat er interviewt für seine Fernsehreihe »Die stillen Stars«, die handgeschriebenen Formeln der klugen Männer bewahrt Elstner in einem kostbaren Album auf, und was er da gelernt und empfunden habe - das sei vielleicht das einzige, was wirklich zähle.
Frank Elstner ist von sich selbst gerührt, wenn er über »seine Nobelpreisträger« spricht, diese Leute reden doch nicht stundenlang mit einem dummen Menschen. Und wenn der Erfinder von »Nase vorn« ein gescheiter Bursche ist - dann kann auch die Show nicht ganz so dämlich sein, wie alle schreiben.
Es sei »ein Bazillus« oder »eine Lawine«, vermutet Elstner, es habe jedenfalls nichts mit den Schwächen der Show zu tun - zum Beweis könne er mindestens 500 aufmunternde Briefe vorzeigen. Nur gebe es leider mächtige Leute in der Chefetage von Springer, und die hätten sich gegen ihn verschworen.
Nein, korrigiert sich Elstner gleich, »Verschwörung ist ein zu starkes Wort«. Aber es sei doch merkwürdig, daß er einmal, weil er durch Amerika reiste, für den Chefredakteur von Bild nicht zu sprechen war, worauf dieser Chefredakteur ein böses Telefax schickte, in dem zu lesen war, daß er mit Herrn Elstner nie wieder zu telefonieren wünsche.
»Für Deutschlands größte Zeitung muß man eben immer zu sprechen sein«, klagt Elstner, und seit jenem Fax seien die Angriffe der Springer-Presse immer bösartiger geworden.
Wenn man fragt, ob das nicht ein symbiotisches Verhältnis sei, ob nicht die Kritiken, bei aller Häme, doch das Interesse an einer Sendung wachhielten, die sonst kaum jemanden kümmern würde - dann wird Frank Elstner so still, daß man fast seine Stimmung fallen hört.
Wenn man aber weiterfragt, ob nicht beide auf verlorenem Posten kämpften, Elstner und seine Gegner; ob jener mythische Samstagabend nicht nur ein fernes Echo aus längst vergangenen, aus Kulenkampffs und Frankenfelds Zeiten sei; wenn man von Elstner wissen will, was damit gewonnen sei, daß sich die absolute Mehrheit der Fernsehnation zum gemeinsamen Gucken vor dem Bildschirm zusammenfinde - dann erwacht im Fernsehmenschen das Sendungsbewußtsein.
Er gibt zu, daß »Dall-As« frecher ist als »Nase vorn«, »Leo's« origineller, »Dingsda« lustiger und die »Knoff-hoff-Show« lehrreicher. Er kann sich vorstellen, daß der Trend zu spezielleren Formen der Fernsehunterhaltung gehe - weil ja auch die Gesellschaft vielfältig und widersprüchlich sei. Aber wenn es diesen Trend schon gibt, dann will er sich ihm entgegenstemmen.
Denn der Samstagabend ist die Passion und Vision des Frank Elstner: ein Gottesdienst-Ersatz für die Bedürfnisse des Freizeitmenschen und zugleich die elektronische Version des antiken Forums, wo das Volk nicht nur reden, sondern auch rubbeln darf; die letzte Chance zur Integration einer Gesellschaft, die am Verlust ihrer Mitte leidet.
Mit einem Aufruf zur Gewaltfreiheit hat Frank Elstner seine letzte Show begonnen, er verweist auf die vielen »Umweltthemen«, die in »Nase vorn« schon abgehandelt wurden, und Gutes will Elstner auch künftig tun und sagen. Denn das öffentlich-rechtliche Fernsehen, besonders aber dessen populäre Unterhaltungsprogramme, seien die einzigen, die es an Einfluß noch mit der schändlichen Springer-Presse aufnehmen könnten. Um diese Sendung aber zu erfüllen, brauche es die große Samstagabend-Show - denn nur am Samstagabend könne man Mehrheiten finden.
Wenn Frank Elstner über Mehrheiten spricht, schwindet alle Sanftmut aus seinen Zügen, und aus seinen Sätzen verflüchtigt sich der pastorale Ton. Dann klingt er so entschlossen wie ein Politiker vor der Wahl. Sein Ziel heißt »40 Prozent plus X«, und wenn er das nicht erreicht, steht er so dumm und traurig da wie ein bayerischer SPD-Vorsitzender am Wahlabend. Am 13. Oktober lag die Einschaltquote nur bei 30 Prozent - und deshalb ist es nicht verwunderlich, daß nun viele den Rücktritt des Frank Elstner fordern.
Die Person allein ist schon das Programm, das hat der bunte Fernsehabend mit dem Bundestag gemein, und wer heute Mehrheiten gewinnen will, muß den kleinsten Nenner immer niedriger ansetzen. Der idealtypische Zuschauer einer Samstagabend-Show, vermutet die FAZ, habe das Bildungsniveau und die Intelligenz eines Elfjährigen.
Thomas Gottschalk scheint für solche Geistesknirpse ein Gespür zu haben: »Wetten, daß . . .?« übertrifft noch jedesmal die 40 Prozent und hält somit die relative Mehrheit. Rudi Carrell erreicht nur SPD-Werte: knapp über 35 Prozent. Und Frank Elstner, den nicht einmal mehr ein Drittel aller Zuschauer wählen, hat nur noch eine Chance: Er muß sich nach Koalitionspartnern umsehen.
Kleine Koalitionen gab es schon in der letzten Sendung: Stargast Thekla Carola Wied brachte nicht nur die Einfaltsquote, die man von einer Fernsehnonne ("Wie gut, daß es Maria gibt") erwarten darf - sie ist auch immer für zweistellige Einschaltquoten gut.
Der Stargast Wolfgang Rademann, Erfinder und Produzent der ZDF-Serien »Traumschiff« und »Schwarzwaldklinik« (über 50 Prozent), erzählte im Fernsehen vom Fernsehen, speziell vom ZDF. Der Stargast Gunther Emmerlich erzählte, wie sehr er sich schon freue auf seine eigene Show im Zweiten. Der Fußballspieler Manfred Binz erzählte wenig, sorgte aber durch seine pure Präsenz dafür, daß das »Aktuelle Sport-Studio« seine Schatten vorauswarf. Wie die Politik, so handelt auch das Fernsehen zusehends von sich selbst und reproduziert sich quasi ungeschlechtlich - ohne Verkehr mit der Wirklichkeit.
Wie man Fernsehen mit Fernsehen vernichtet, wissen die Programmplaner der ARD. Am nächsten Samstag läuft »Nase vorn« zum zwölften Mal - und eigentlich wollte das Erste zur selben Zeit den eher unspektakulären Spielfilm »African Timber« senden - eine schwache Konkurrenz.
Nun aber, da Frank Elstner angeschlagen ist, will die ARD ihn ein für allemal erledigen. Die Sendefolge wurde geändert; statt »African Timber« wird ein James-Bond-Film gezeigt, und der Titel ist Programm: »Feuerball«.