spiegel.de

»Wir sollten aufwachen und überlegen«

  • ️@derspiegel
  • ️Sun Nov 16 1986

Solchen Widersinn der modernen Industriegesellschaft geißelte in der Fernsehsendung

»Report« der Kieler Toxikologe Professor Otmar Wassermann: »Kein Naturvolk schüttet seine Abfälle in die eigene Trinkwasserversorgung. Darauf, auf Brunnenvergiftung, stand früher die Todesstrafe. Wir aber leisten es uns, einen Fluß zu vergiften und hinterher mit gewaltigem Meß- und Reinigungsaufwand wieder Trinkwasser herzustellen. Das ist ökonomischer Wahn sinn.«

Als es nun einem der Chemiemultis widerfuhr, daß ihm die tägliche Giftmischerei durch eine Feuersbrunst außer Kontrolle geriet, zeigten sogleich die Deutschen mit dem Finger auf den südlichen Nachbarn.

In der Rolle des Saubermannes reiste Minister Wallmann im Hansa-Jet der Bundesluftwaffe nach Zürich, forderte eine Anhebung der schweizerischen Umweltstandards auf EG-Niveau und verlangte Erklärungen, etwa über die wahre Ursache der zweiten Giftwelle, die Ende vorletzter Woche, sieben Tage nach dem Brand, die deutschen Umweltwächter am Rhein überrascht hatte.

»Es sieht so aus«, hatte Wallmann schon beim Hinflug über die Zustände der Schweizer Umweltpolitik geargwöhnt, »als ob dort in den Vorstandsetagen entschieden wird, was gemacht wird.« Die eidgenössische chemische Industrie, meinte der Minister, spare durch Verzicht auf Umweltschutz »Hunderte von Millionen«.

»Ausgerechnet die Schweiz, Sinnbild für Ordnungsliebe. Reinlichkeit und Perfektion«, klagte selbstkritisch der Zürcher »Tages-Anzeiger«, habe den Rhein »dermaßen in Unordnung gebracht«. Die Schwächen des Schweizer Umweltschutzes zeigten sich nicht erst bei dem Sandoz-Unglück.

Mehr als zehn Jahre hat es gedauert. bis Regierung und Parlament einem vom Volk erteilten Verfassungsauftrag folgten und endlich ein Umweltgesetz erließen. Zahnlos ist es bis heute: Seit zwei Jahren arbeiten die Behörden an den entsprechenden Verordnungen. Die Aufsicht über die Großchemie fällt in die Zuständigkeit der verschiedensten Ämter, ist zugeschnitten noch immer auf ein kleingewerblich bäuerlich strukturiertes Land. Das Einvernehmen zwischen Industrie und den Aufsichtsbehörden ist ungetrübt, staatliche Bestimmungen sind

so formuliert, daß sie den Bedürfnissen der Konzerne entsprechen.

Mit Billigung der staatlichen Gebäudeversicherung des Kantons Basel-Land hatte 1977 die Sandoz ihre Lagerhalle 956, ursprünglich zur Aufbewahrung von Maschinen und Apparaten bestimmt, zur Lagerung von Chemikalien umfunktioniert - ohne daß weitergehende Brandschutzeinrichtungen eingebaut werden mußten.

Noch vier Tage vor dem Brand war der Chemiker Hans Waeckerlig, Abgesandter eines von der Behörde beauftragten privaten »Brand-Verhütungs-Dienstes«, bei einem »Routine-Rundgang« durch die (nun in Trümmern liegende) Halle geschritten: »Spontan lobte ich gegenüber meinen zwei Begleitern die gute Ordnung in dem Bau.«

Eine Chemieklitsche, in der solche Nachlässigkeiten zu erwarten wären, ist Sandoz beileibe nicht. Das Unternehmen, das in 40 Staaten 110 Tochtergesellschaften besitzt, ist mit 8,45 Milliarden Franken Jahresumsatz der drittgrößte Schweizer Chemiekonzern. Sandoz mit rund 40000 Beschäftigten, »gilt als besonders gut geführter Konzern« ("FAZ"). Rund 125000 Franken für eine automatische Löschanlage in der nun abgebrannten Lagerhalle wurden nicht spendiert - obwohl Vertreter der »Zürich« Versicherung in einer Risikoanalyse 1981 speziell über die Halle 956 konstatiert hatten, daß »nur wenige fest installierte Feuerbekämpfungseinrichtungen bestehen«, und ferner, daß »im Brandfall, nebst einer Luftverschmutzung, mit einer Gewässerverschmutzung durch Vermischen des Hydrantenwassers mit Sandoz entschied sich für die - billigere - Versicherung bei Gerling.

Auf rund 20 Millionen Mark wird allein der direkte Brandschaden in Basel geschätzt. In welcher Höhe die Sandoz oder ihre Versicherer Schadenersatz zu leisten haben, wird frühestens in Monaten zu ermitteln sein. Ihre prinzipielle Bereitschaft, entstandene Schäden zu entgelten, erklärte Mitte letzter Woche auch die schweizerische Regierung in einer Konferenz mit den Umweltministern der betroffenen Länder.

Mit einer PR-wirksamen Mischung aus Bußfertigkeit und Selbstgerechtigkeit reagierte die deutsche chemische Industrie auf die Giftkatastrophe im Rhein. Man wolle in sich gehen und - in bewährter »Eigenverantwortlichkeit« - alle vorhandenen Sicherheitseinrichtungen überprüfen, signalisierte der Bundesverband der Chemischen Industrie (VCI) dem Minister Wallmann.

»Handzahm«, so ein Wallmann-Beamter, habe sich VCI-Verbandsgeschäftsführer Wolfgang Munde bei dem Treffen am Dienstag letzter Woche gezeigt (die deutschen Konzern-Chef waren nicht erschienen). Aber wo es langgehen sollte, wurde im Wirtschaftsteil der »Welt« berichtet: Ziel des Verbands sei es »in jedem Fall, durch freiwillige Abmachungen der Gesetzesmaschinerie und dem Drängen nach staatlichem Dirigismus zuvorzukommen«.

Daß so etwas drohen könnte, hatte Hans Albers, Chef der BASF und der zeit oberster Hüter des chemischen Weltbildes an der Spitze des VCI, schon Ende vorletzter Woche bei einer Mitgliederversammlung des Verbandes in Frankfurt geäußert. »Dunkle Wolken«, so Albers, zögen »am bundesdeutschen Himmel« auf in Gestalt einer Chemiepolitik, die »ganz klar die Reglementierung unserer Branche zum Inhalt« habe.

Wie die Atomindustrie nach Tschernobyl, so reagierte die westdeutsche Großchemie nach dem Rhein-Desaster mit einer »durch nichts zu erschütternden Zuversicht in die eigene Größe« ("Frankfurter Rundschau"). Noch bevor die Brandursache geklärt war, wurde aus Hoechst, Ludwigshafen und Leverkusen mitgeteilt, ein Unfall wie bei Sandoz sei nach menschlichem Ermessen« in der Bundesrepublik ausgeschlossen.

Als »absoluten Zynismus« bezeichnete es der Kieler Toxikologe Wassermann, wenn auch diesmal, auch bei der Chemie, wieder von einem - mehr oder minder vernachlässigbaren - »Restrisiko« die Rede sei, und das in dem Land mit der zweithöchsten Chemiedichte unter den großen Industriestaaten.

Nur noch in den USA erzielt die chemische Industrie einen höheren Umsatz pro Kopf der Bevölkerung. Und nirgendwo sonst wohnen so viele Menschen in der unmittelbaren Umgebung großer Chemiekomplexe wie in der Bundesrepublik. Allein im Großraum

Köln ist, rings um den Leverkusener Bayer-Konzern, rund ein Viertel der gesamten westdeutschen Chemieproduktion konzentriert. Dichtauf liegen die Hoechst-Regionen am Untermain und der Ballungsraum Mannheim/Ludwigshafen, Standort der BASF-Zentrale.

In allen drei Ballungsgebieten wird mit gut 1000 der gefährlichsten und giftigsten Substanzen operiert, und das jeweils in Tonnen-Quantitäten. Trotz »ausgeprägten Sicherheitsdenkens« (Verbandswerbung) zählte die Kölner Wissenschaftlergruppe »Katalyse« allein im Großraum Köln 25 Stör- und Unfälle in chemischen Betrieben seit 1980. Beispiele:

▷ Dichlorethanbrand bei Dynamit No bel in Lülsdorf; drei Arbeiter ver letzt, einer davon lebensgefährlich das Löschwasser mit großen Mengen Salzsäure floß in den Rhein.

▷ Insgesamt sechs Störfälle bei Bayer Leverkusen. Gleich zweimal, im Juli 1980 und im April dieses Jahres, explodierte die Verbrennungsanlage für Chemieabfälle und setzte nicht näher analysierte Gasgemische frei.

▷ Explosion einer Ethylen-Anlage bei der BASF-Tochter Rheinische Ole finwerke im Januar 1985. 29 Arbeiter verletzt im Umkreis von zehn Kilo metern barsten Fensterscheiben und wurden Dächer abgedeckt (westdeutche Ethylen Produktion 1986: 2,7 Millionen Tonnen).

Aber erst das Giftdesaster im Rhein, anrührender fürs deutsche Gemüt und den Bundesbürgern buchstäblich hautnäher als Bhopal und Seveso, hat plötzlich ins Bewußtsein gerückt, daß nicht nur die schleichenden Umweltgifte den Menschen bedrohen: Die Gefahr großer Chemieunfälle mit katastrophalen Folgen wird, außer von den Sprechern der Großkonzerne, von niemand bestritten.

Kernstück der immer noch lückenhaften Gesetzgebung für die Sicherheit chemischer Anlagen ist die im Juni 1980 erlassene »Störfall-Verordnung«. Sie wurde, mit vierjähriger Verzögerung, als Reaktion auf das Unglück von Seveso erlassen. Noch einmal zwei Jahre dauerte es, bis zur Verordnung auch die Durchführungsvorschriften erlassen waren. Hauptursache der sechsjährigen Verzögerung war der hinhaltende Widerstand der Industrie.

Das 17 Paragraphen lange Regelwerk schreibt alles Mögliche vor, von Sicherheits- und Meldepflichten für die Betriebe bis zu Unfallanalysen und zur Schadensbegrenzung im Notfall. Aber selbst der Ethylen-Knall bei den Rheinischen Olefinwerken mit 29 Verletzten gilt im Sinne der Verordnung noch nicht als Störfall, sondern nur als »Störung des bestimmungsmäßen Betriebs, bei der der Eintritt eines Störfalls nicht offensichtlich auszuschließen ist«.

Als Störfall gilt nur was »Gemeingefahr« birgt; die aber betrifft nur

▷ Lebensgefahr für Menschen, die nicht zum Bedienungspersonal gehören,

▷ Gesundheitsgefahren für eine »große Zahl« von Menschen oder

▷ »Sachen von hohem Wert außerhalb der Anlage«. Wie viele Fische haben gemeinsam einen hohen Wert?

Auch sonst ist der Geltungsbereich der Störfall-Verordnung in vielfacher Hinsicht eingeschränkt: auf bestimmte Anlagentypen, die im »Anhang I« der Verordnung aufgeführt sind, und auch nur dann, wenn in ihnen mit den ausgesuchten Substanzen des »Anhangs II« hantiert wird, und das wiederum nur, wenn die »Mengen A« nicht unterschritten sind und die Ausnahmeregelung des Paragraphen 10 nicht greift.

Die Folge ist, daß wohl Betriebsanlagen, nicht aber Lagerhallen für Chemikalien den besonderen Sicherheitsanforderungen der Verordnung unterliegen und zahlreiche Giftstoffe sind nicht er faßt: Von den neun gefährlichsten Giften, mit denen das Sandoz-Unternehmen den Rhein traktierte, sind in der Verordnung gerade zwei enthalten.

»Wie ein Gotha der Produktpalette der chemischen Industrie« lese sich die Liste der gefährlichen, in der Liste aber nicht aufgeführten Stoffe, heißt es in einer jüngst erschienenen Studie der »Katalyse«-Wissenschaftler. In der Störfall Verordnung nicht enthalten sind:

▷ eine große Zahl wassergefährdender Stoffe wie zum Beispiel Lösungs mittel aus chlorierten Kohlenwasserstoffen,

▷ Kunststoffe wie Polystyrol oder PVC, bei deren Verbrennung hoch giftige Gase freigesetzt werden,

▷ giftige Grundchemikalien wie Ammoniak, Vinylchlorid oder auch Toluylendiisocyanat, das dem Ausgangsstoff der Bhopal-Katastrophe ähnlich ist und bei Bayer verarbeitet wird.

Die Verordnung, so wird in einer demnächst erscheinenden Analyse des

Darmstädter Öko-Instituts kritisiert, kann auch »mit den ständigen Neuentwicklungen der chemischen Produktion gar nicht Schritt halten«. Die Darmstädter verweisen auf eine von der amerikanischen Umweltbehörde im letzten Jahr veröffentlichte Liste mit 400 hochgiftigen Chemikalien - der »Anhang II« der deutschen Störfall-Verordnung bringt es auf ganze 142.

Nun plötzlich bekennen auch Fachleute in den zuständigen Länderministerien, daß sie sich bisher von der Industrie haben über den Tisch ziehen lassen. »Mit Sicherheit erhebliche Defizite« bescheinigte Rolf Pramel, Abteilungsleiter im Wiesbadener Umweltministerium, der Verordnung. Hamburgs Staatsrat Vahrenholt, seinerzeit am Tauziehen um die Störfall-Verordnung beteiligt, nennt sie nun »dringend überarbeitungsbedürftig« (siehe Seite 150). Und das Düsseldorfer Umweltministerium, zuständig für den größten Chemieballungsraum der Republik, räumt ein: »Bei der Stoff liste müssen Konsequenzen gezogen werden. »

Die »Chemie en gros«, so Hans-Joachim Uth, Störfall-Experte des Umweltbundesamtes, sei in den letzten Jahren zwar sicherer geworden, ein »Graubereich« von Anlagen aber, bei denen nicht erfaßt ist, ob sie den Vorschriften genügen, sei nicht auszuschließen.

»Kritisch«, befürchtet auch Dietrich Ruchay, im Düsseldorfer Umweltministerium für Boden- und Gewässerschutz zuständig, seien vor allem die kleineren Lagerhallen und Anlagen weil man nie wisse, was dort gerade liegt, und weil dort keine speziell geschulte Werksfeuerwehr vor Ort sei. Ruchay: »Da brennt hier mal ein Kunststoffwerk ab, und dort geht mal ein Lager für Lösemittel hoch.«

So geschehen vor sechs Wochen im bergischen Wermelskirchen: Dort geriet die Lagerhalle der Firma Chemotherm in Brand. Zahlreiche PVC-Behälter gingen in Flammen auf und setzten giftiges Vinylchlorid frei: nur starker Wind bewahrte die Wermelskirchener vor einer Massenvergiftung. Zwölf Feuerwehrleute, die ohne Gasmaske gearbeitet hatten, mußten ins Krankenhaus.

Das wäre in einem Betrieb der Großchemie wohl nicht passiert. Nach übereinstimmender Ansicht von Sicherheitsexperten verfügen die Werksfeuerwehren zumeist über präzise Kenntnisse, welches Zeug wo lagert, und über brauchbares Gerät. Doch ungebrochen ist die Neigung der Chemiefirmen, sich nach außen abzuschotten und nach Möglichkeit unter der Decke zu halten, was nicht Rauch- oder Feuerzeichen in den Himmel schickt.

Bei Sandoz in Basel war nichts zu verheimlichen - das Feuer und seine Folgen waren unübersehbar. Bei der Frankfurter Hoechst AG ist, bei teils durchaus vergleichbaren Vorfällen, vielfach versucht worden, das, was sich in Wahrheit abgespielt hat, zu vertuschen.

Daß dies offizielle Konzern Politik war, macht eine interne Hoechst-Dienstanweisung ("streng vertraulich") deutlich, die den Titel »Verhaltensempfehlungen bei Verdacht der Gewässerverunreinigung« trägt. Auszug:

Freiwillig sollten Meldungen an Wasser und/oder Polizeibehörde erstattet werden, wenn die Gefahr der Gewasserverunreinigung

▷ nicht mit Werksmitteln abgewendet werden kann,

▷ mit Werksmitteln abgewendet werden kann, aber optisch durch Werksfremde wahrnehmbar ist.

So konnte es etwa im Sommer 1969 passieren, daß im Rhein unterhalb der Mainmündung ein riesiges Fischsterben einsetzte. Die Ursache war schnell gefunden: Hochgiftiges Thiodan, ein Pflanzenschutzmittel, fand sich im Rheinwasser, über den Verursacher indes wurde wochenlang gerätselt. Erst Monate später bewiesen Umweltschützer vom Bundesgesundheitsamt, daß die giftige Substanz bei einem Störfall in der Hoechst AG ausgelaufen war; das Unternehmen hatte bis dahin jegliche Schuld bestritten.

Derlei Vorfälle, wenn auch weniger gravierend in den Folgen, wiederholten sich häufiger. Mal standen Tochterfirmen von Hoechst unter dem Verdacht, gefährliche Stoffe nachts und heimlich in den Fluß zu leiten, mal überschritt das Unternehmen die genehmigten Abwasser-Einleitungswerte regelmäßig und beträchtlich. Der Chemiemulti wurde

Dauerkunde bei den Staatsanwaltschaften des Landes.

Aber auch gegen beamtete Umweltkontrolleure wurde die Justiz tätig: Sie hatten zu intensiv mit der Hoechst AG gekungelt mit der Folge, daß der Konzern die Pläne der Aufsichtsbehörden oft schon kannte, bevor der zuständige Umweltminister sie absegnen konnte. Der frühere hessische Umweltminister Willi Görlach (SPD), der dieses Amt verlor, nachdem er sich gegen den Chemiekonzern nicht hatte durchsetzen können, sprach denn auch verbittert von einem »Clinch mit der Hoechst AG« und resümierte: »Das ist eine Art kalter Krieg.«

850 Anlagen in der westdeutschen Chemiebranche unterliegen der speziellen Behördenüberwachung im Rahmen der Störfall-Verordnung. Mit allen nur denkbaren Tricks versucht die Industrie, sich von Fall zu Fall der Gängelung durch diese Verordnung zu entziehen.

Von einer »durchgängigen Haltung der Betreiber, möglichst wenige Anlagen unter die Störfall-Verordnung fallenzulassen«, berichtete im letzten Jahr Axel Walter vom Regierungspräsidium Darmstadt, zuständig für das Chemiezentrum Untermain, auf einer Tagung der IG Chemie. So erklärten Firmen beispielsweise wichtige Nebenanlagen wie Tank- oder Rohstofflager und Entsorgungseinrichtungen als »nicht zur Anlage gehörend«, um auf diese Weise die »Mengenschwelle« zu unterschreiten, bei der die Verordnung greift.

Oft, so der Beamte weiter, sei auch das Volumen einer ursprünglich genehmigten Produktion zurückgenommen worden, um unter die Mengenschwelle zu kommen, oder die Firma sei auf einen Ersatzstoff umgestiegen, der nicht in der Liste stand.

Kommt es schließlich doch zu der im Gesetz geforderten Sicherheitsanalyse einer Anlage, so sind häufig die Prüfer, wie die zuständigen Behörden fast überall beklagen. »unter Bergen von Verantwortlichkeiten« (Walter) überfordert.

So sind am Untermain ganze 15 Beamte bei Gewerbeaufsicht und Genehmigungsbehörde für die Kontrolle der komplexen Chemieanlagen bei Hoechst und Merck verantwortlich. Im Raum Köln mit mehr als doppelt so vielen gefährlichen Anlagen stehen nur 14 Beamte für 150 sicherheitsempfindliche Betriebe zur Verfügung.

Vollends hilflos wären die zuständigen Behörden, wenn es tatsächlich irgendwann in einem der Ballungsräume zur Chemiekatastrophe käme - etwa wenn ein Jumbo auf das Ludwigshafener BASF-Werk stürzte, ein »worst case scenario«, wie es bei Risikostudien über Atommeiler durchaus geläufig ist, aber für die chemische Industrie noch niemals zu Ende gedacht oder gerechnet wurde.

Daß Bhopal demgegenüber ein kleiner Unfall war, darf als sicher angenommen werden: Zu gewaltig sind Drücke und Temperaturen, zu groß die Mengen giftiger und explosiver Stoffe, mit denen in einem Ballungsraum wie Ludwigshafen gearbeitet wird. Doch auch diesmal wird, wie nach Bhopal und Seveso, ein Störfall solch gigantischen Ausmaßes wohl von den zuständigen bundesdeutschen Gremien nicht erörtert werden.

Nur die weniger Selbstgefälligen zeigten sich willens, das Warnsignal von Basel zu erkennen. »Wir sollten aufwachen«, mahnte der Basler Kantonschemiker Martin Schüpbach, »und überlegen, was wir da eigentlich für Stoffe produzieren.«

[Grafiktext]

DER RHEIN ALS ABWASSERKANAL NIEDERLANDE BUNDESREPUBLIK SCHWEIZ FRANKREICH Rheinbelastung: Zellsoffindustrie Chemische Industrie Raffinerie andere Industrien Kernkraftwerk in Betrieb in Bau Wärmekraftwerk (Kohle, Öl oder Gas) mit einer Leistung von mehr als 500 Megawatt DER RHEIN ALS TRINKWASSER QUELLE NIEDERLANDE BUNDESREPUBLIK SCHWEIZ FRANKREICH Trinkwasser-Entnahme aus dem Rhein in Millionen Kubikmeter pro Jahr (Uferfiltrat) mit Rheinwasser angereichertes Grundwasser -Direktentnahme zur Grundwasser anreicherung

[GrafiktextEnde]

------------------------------------------------------------------------------

Oben: beim Landesamt für Wasser und Abfall in Düsseldorf; unten: am 10. November bei Fortlouis nahe Straßburg.

Am Mittwoch letzter Woche in Zürich.