Porno-Markt: Frau Saubermann an der Spitze
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- ️Sun Oct 31 1971
Der Decker-Verlag gehört zum Schäfer-Konzern in Schmiden bei Stuttgart, der neben Pharmazeutika ("Eß-Bremse") auch Haarwuchsmittel, Kosmetika und Schuhe herstellt. Decker-Geschäftsführer Hermann Spethmann über die Perspektiven des Porno-Buches: »Teure Sachen haben keine Zukunft mehr. Nur Taschenbücher haben eine Chance.«
Spethmann setzt darauf, daß in der Bundesrepublik das amerikanische Beispiel Schule macht. In den USA fahren Verleger und Zwischenhändler mit Lieferwagen bei Supermärkten, Drugstores und Gemüsehändlern vor, wo sie ihre Pornos gegen Barzahlung absetzen. Es kann weder nachbestellt noch zurückgegeben werden. Spethmann: »Auch unsere Taschenbücher werden schon in den Warenhäusern gehandelt.«
Welchen Anteil Charly Brown am Filmgeschäft, Leo Madsen am Magazin-Markt, Hirsch am Ketten-Verkauf. Becker am Sex-Versand und Decker am Pornobuch-Handel haben, wissen sie vermutlich nicht einmal selber.
Denn abgesehen von der Intimzone der Modelle in Filmen, Büchern und Magazinen, wird nichts gänzlich freigelegt, oft werden die Namen der Inhaber sogar ebenso verschleiert wie die Verkaufszahlen. Sicher ist die Zeit vorüber, in der Pornographen so schnell reich und so schnell arm werden konnten wie etwa der Frankfurter Verleger Jörg Schröder, 33, der seinen Verlag »Olympia Press« aufgeben mußte und seinen linksorientierten März Verlag nur mit Mühe retten konnte. Oder wie der Darmstädter Verleger Abraham Melzer, 26, der nach steilem Aufstieg mit pornographischen Wort- und Bildwerken ("Zero Press«, »softpress") in Konkurs ging (SPIEGEL 33/1971 und 36/1971).
Massen-Pornographie ist nicht mehr so leicht abzusetzen wie in den letzten zwei, drei Jahren. Marktchancen müssen wie in jeder anderen Branche erforscht werden. Der Kampf um Käufer macht das Geschäft härter. Aber kurzschlüssig ist die Vermutung vor allem von professionellen und konfessionellen Gegnern. deshalb werde zwangsläufig auch die Pornographie insgesamt härter.
Rudolf Stefen etwa, der Leiter der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, zeichnet ein Schreckensbild der Zukunft: »Die Aktionen sind nicht nur auf Menschen untereinander beschränkt, sondern beziehen Hunde, Pferde, Schlangen und Schweine ein. Gurken. Bananen und Flaschen ersetzen den hochbezahlten Modellen den Mann.«
Doch wer solches produzierte, hätte auf dem Massenmarkt kaum eine Chance. Gegenwärtig halten viele den romantischen Sex sogar für besser verkäuflich als Gewalt-Porno.
Verschwommen wie die Lagebeurteilungen und Prognosen sind auch die Grenzen dieser Branche. Fast niemand in der Bundesrepublik lebt nur von der Pornographie, umgekehrt gibt es Tausende, die irgendwie an diesem Geschäft teilhaben. Mit Hygieneartikeln machen Sex-Shops und Sex-Versandhäuser sich nicht nur untereinander, sondern auch Drogisten oder Friseuren Konkurrenz. Sie verkaufen auch Bücher, die ebenso in reputierlichen Buchhandlungen angeboten werden.
Viele Geschäftsleute drucken oder vertreiben Pornographie wie andere Waren auch. Bei den Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten beispielsweise machen die St.-Pauli-Blätter fünf bis 25 Prozent des Umsatzes aus -- je nach ländlichem oder städtischem Auslieferungsgebiet.
Und auf dem Buchmarkt fällt es Fachleuten ebenso schwer wie Laien, zwischen pornographischen, obszönen und erotischen Werken scharf abzugrenzen.
Zwischen der »Candy« Rowohlts und der »Barbara«, einem Porno-Schnellstarter von »Olympia Press«, zwischen der »Sahne« des Desch-Verlages und »Erna Moratzke«, dem letzten »softpress«-Porno, zwischen den Sexual-Beichten der nymphomanen französischen Adligen Maude Sacquard de Belleroche ("Geständnisse«, »Bekenntnisse"), ebenfalls bei Desch, und den genauso im Ich-Stil gestöhnten Schilderungen des pornographischen Romans »Gierige Lippen« vom Würzburger Zettner-Verlag bestehen wesentliche Unterschiede nur in den Härtegraden bei der Wortwahl.
Auch betreiben viele gut- und kleinbürgerliche Existenzen das Pornogeschäft als Nebenerwerb. Hausfrauen verdingen sich als Verkehrs-Modelle, Schriftsteller verfassen auch Pornoromane, Graphiker karikieren und illustrieren auch Triolen, Photographen knipsen auch Koitus.
Um Porno-Profit kämpfen Linke und Rechte. Der Frankfurter Schröder machte es zur Mode, Pornographie zu produzieren und sich dabei progressiv zu gebärden. Aber auch der Rastatter Verlag Erich Pabel (seit Oktober 1970 Teil des rechten Hamburger Bauer. Konzerns) ist auf dem Sex-Markt dabei. Er verlegt neben Landserheften, Heimatromanen und anderer Massenware zweiwöchentlich das »Schlüsselloch« in 200 000 Exemplaren sowie mit halb so hoher Auflage ein Magazin »Scharfe Sachen«.
Und es konkurrieren weltläufige Porno-Große wie Maurice Girodias, der mit seinen »Olympia Press«-Büchern von Amerika und Paris aus auch die Bundesrepublik eroberte, und Dörf ler wie Vater und Sohn Susemichel, die im hessischen Heuchelheim (6350 Einwohner) die Zentrale einer Sex-Ladenkette eingerichtet haben.
Ein Hamburger Konzern stößt Ins Sexgeschäft vor.
An den Kiosken und in den Bahnhofsbuchhandlungen konkurrieren im Zeitungs- und Illustrierten-Format die längst nicht mehr nur in Hamburg hergestellten Produkte der St.-Pauli-Presse gegeneinander und gegen den Sex in anderen Blättern.
Dieser Branchen-Teil ernährt neben dem Verlag der »St. Pauli Nachrichten« noch zwei große und einige kleinere Konkurrenzunternehmen. Zu den auflagenstärksten Blättern neben den »Nachrichten« haben sich seit Oktober 1969 die »St. Pauli Zeitung« (557 000 Exemplare) und seit September 1970 die »Hamburger St. Pauli Illustrierte« (500 000 Exemplare) entwickelt.
Als schlauer Kopf, der hinter der »Zeitung« steckt, zeigt sich gern der frühere Graphiker Joachim Driessen, 38. Die »Illustrierte« wird von dem Ex-Kölner Heinz Peter Feussner, 41, und dem Ex-Kieler Klaus Tietje, 45, verlegt. Im Gegensatz zu ihren Konkurrenten waren sie schon Millionäre, bevor sie ins Porno-Geschäft einstiegen: Feussner vertrieb in Köln Apotheken-Artikel, Tietje Toiletten und andere sanitäre Anlagen in Kiel.
Wie in ihren Büros Ledersessel vor holzgetäfelten Wänden stehen (und nicht Kunstleder vor Rauhfaser, wie bei der Konkurrenz), so bemühen sie sich auch gegenüber der Außenwelt um mehr Diskretion als die anderen St. Paulianer. Werbegags, wie Driessen sie sich einfallen läßt -- etwa den, sich von Oben-ohne-Mädchen in einer Sänfte zum Unzuchts-Prozeß vor das Hamburger Amtsgericht tragen zu lassen -, sind ihnen fremd.
Doch ob betont vornehm, ob kleinbürgerlich oder hemdsärmelig: Etabliert sind sie alle. Die Allüren der Inhaber sind nur noch Marotten; weder stören noch beleben sie den Gang der Geschäfte.
Verleger Rosenberg bringt neben seinen »Nachrichten« noch eine »Reeperbahn Sex Illustrierte« und ein Homophilen-Magazin »hirn« heraus, Feussner und Tietje verlegen neben ihrer »Illustrierten« noch den »St. Pauli Anzeiger«. Driessen hingegen ist zur Zeit mit fünf Zeitungen und Zeitschriften auf dem Markt. Sinkt eines der Blätter unter die Rentabilitätsgrenze oder kommt es auf den Index, wird es unverzüglich eingestellt und sofort ein neues auf den »Lustmarkt« (Rosenberg) geworfen.
Als Anfang Oktober Driessens »St. Pauli Zeitung« und sein Lesbier-Magazin »bi« von der Bundesprüfstelle für ein Jahr indiziert wurden, nahmen nur Branchenfremde an, daß damit das Ende dieser Zeitungen gekommen sei. Schon in der folgenden Woche erschien die »Neue St. Pauli Zeitung« anstelle der »St. Pauli Zeitung« und statt »bi« nunmehr »tri"« laut Untertitel »das Dreiecks- Magazin«. Nach zwei Ausgaben wurde die Zeitung nochmals umbenannt -- in »St. Pauli Zeitschrift«. Außer dem Titel blieb alles gleich. Und selbst den alten Titel »St. Pauli Zeitung« gibt es vom kommenden Wochenende an trotz Verbotes wieder: für eine neue Monatszeitschrift.
Solche Namenswechsel und Änderungen im Erscheinungsrhythmus sind bei den St.-Pauli-Blättern schon Routine geworden. Sie sind ein Anzeichen dafür. daß der Porno-Presse mit Paragraphen und Verboten kaum noch beizukommen ist. Und auch einen Leserschwund« der ihre Existenz gefährdet, haben die Blätter kaum zu fürchten. Seit ihre Auflage von insgesamt 4,3 auf 3,8 Millionen zurückging, ist sie konstant geblieben. Fazit: Die St.-Pauli-Presse hat ihren festen Markt-Platz -- ähnlich wie andere Medien für Minderheiten.
Sie überstand bislang nicht nur alle Eingriffe der Staatsanwaltschaft, sondern trotzte auch der Konkurrenz: der kleinen, die mit etwa einem Dutzend Titeln ("frivol«, »Zet«, »mini-slip« und andere) auf dem Markt ist, und vor allem der großen eines millionenschweren Unternehmens: des Hamburger Heinrich Bauer Verlags, der Ende der sechziger Jahre seine Verlagsobjekte »Neue Revue« und »Praline« ganz auf Nabelschau umgestellt hat und mit neueren Blättern wie »Sexy« und »Wochenend« gezielt auf den Markt vorstieß (SPIEGEL 44/1971).
Manche Teilhaber am Pornogeschäft möchten zwar gern von Lust und Lüsternheit der Bundesbürger profitieren. aber dabei so diskret wie möglich im Hintergrund bleiben. So ist kaum publik geworden, daß am Pornogeschäft keineswegs nur gewitzte Außenseiter, sondern auch solide Stützen der bundesdeutschen Wirtschaft und Gesellschaft Anteil haben: SPD und Gewerkschaft ebenso wie traditionsreiche Familienkonzerne.
Die DKP druckt »unsere zeit« und auch »frivol«.
Die SPD-eigene Auerdruckerei GmbH in Hamburg zum Beispiel druckt allwöchentlich 1,2 Millionen Exemplare von Rosenbergs »St. Pauli Nachrichten« und Driessens »St. Pauli Zeitschrift« sowie alle 14 Tage 800 000 Exemplare der »Sex-Palette« und des Magazins »tri«. Nach allerlei Protesten vornehmlich christlicher Moralhüter und empfindlicher Genossen tarnt sich das Partei-Unternehmen neuerdings im Impressum der Sex-Postille als »Marianne Druck- und Verlagsanstalt GmbH«.
Als beim Melzer-Konkurs die Schulden zusammengezählt wurden, zeigte sich, daß die gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft mit 400 000 Mark die Hauptgläubigerin war.
In Ulm druckt das alteingesessene schwäbische Druckhaus Ebner« dessen Miteigentümer Eberhard Ebner Mitherausgeber der »Schwäbischen Donau-Zeitung« und Viertel-Teilhaber der »Stuttgarter Nachrichten« ist, neben Koch- und Kinderbüchern auch die besonders grobschlächtigen Pornoreihen »Sexer« und »Orgas«. Bücher des Zettner-Verlags werden in der katholischen Oberpfalz. Bücher des Bonner Verlegers Hieronimi bei den gutbürgerlichen »Lübecker Nachrichten« gedruckt. Hieronimi: »Bis 1967 spielten die Druckereien Zensor, heute machen sie alles mit.«
Axel Springer ist am Porno-Geschäft über die »Bergedorfer Buchdruckerei« beteiligt, die ihm seit November 1970 zu einem Fünftel gehört. Sie druckt jede Woche 494 000 Exemplare von Driessens »St. Pauli Nachtausgabe«. Und die Deutsche Kommunistische Partei druckte in ihrer Heska-Druckerei in Klein-Krotzenburg bei Frankfurt bis vor kurzem neben ihrem Parteiblatt »unsere zeit« auch das Herrenmagazin »frivol«.
Wert auf Diskretion legen nicht nur die Mädchen, die sich vor der Kamera, und die Autoren. die sich hinter der Schreibmaschine ihren Porno-Batzen verdienen. Die Eigentümer der Frankfurter Firma »Dr. med. Heinrich Müller + Co. Nachf. GmbH« etwa, die zwölf Sex-Shops und einen Versand für Porno- und Hygiene-Bedarf betreibt, haben sich nicht einmal im Frankfurter Handelsregister eintragen lassen.
Dort ist der Frankfurter Rechtsanwalt und Notar Dr. Walter Kayserling als alleiniger Gesellschafter -- in Treuhand-Funktion -- registriert, der sich auf seine Schweigepflicht beruft. Und der Chef der Chemischen Fabrik Merz & Co. in Frankfurt ("Placentubex«, Spezial-Dragées zur »Kosmetik von innen«, Schaum-Masken und Anti-Erkältungs-Präparate), Dr. Rudolf Hückmann, dem Branchenkenner die Müller-Kette als verkapptes Zweigunternehmen zuordnen, weicht jeder konkreten Frage nach den eigentümlichen Verhältnissen hartnäckig aus: »Das sind Fälle. die man respektieren muß.«
Ein zweiter Branchen-Hinweis, die Müller-Boutiquen gehörten zur Frankfurter Patentex GmbH (Mittel zur Empfängnisverhütung), wird ebenfalls weder bestätigt noch klar dementiert. Er weist aber in die gleiche Richtung: Diese Gesellschaft ist ein Tochter-Unternehmen der Firma Merz. Wer lügt sich Gewinne in die Tasche?
Wer schon nicht seinen Namen, hält zumindest seine Zahlen und Ziele im Halbdunkel. Das öffentliche Interesse dafür wurde bislang nicht geweckt, weil den Wirtschaftsredakteuren diese Branche zu unseriös ist, die Feuilletonisten sich lieber über Wert und Unwert der Pornographie verbreiten als Buchmarktgesetze erforschen, und weil im politischen Teil fast jeder Zeitung die Pornographie nur im Hinblick auf den Unzuchts-Paragraphen 184 betrachtet wird.
Die relativ größte Aufmerksamkeit gilt jenem Zweig, der die geringste Rendite abwirft: dem Geschäft mit dem Pornobuch. Doch auch dort sind die Perspektiven nicht so düster, wie von einigen gestrauchelten Verlegern behauptet wird.
Als Schröder und Melzer scheiterten, versuchten sie ihren Sturz für symptomatisch zu erklären. Schröder etwa verbreitet: »Es geht nicht weiter abwärts da ist keine Chance mehr, das gilt für alle Pornomedien.« Und wenn Schröder seinen Konkurrenten nachsagt, daß sie sich ihre Gewinne »in die Tasche lügen«, so war er selber in dieser Kunst kaum zu übertreffen.
Als der Porno-Protzer in Teilen der Öffentlichkeit noch den Eindruck zu erwecken verstand, seine Geschäfte gingen glänzend, als er sich in der Wetterau ein Barockschloß kaufte und Pläne für ein in Europa beispielloses »Kommunikationszentrum« entwarf (unter anderem mit Auslieferungslager für 17 Verlage, Tiefdruckerei, Fernsehstudios und angeschlossener Kette von 150 Buchhandlungen), stand es in Wirklichkeit schon schlecht um ihn. Seinen Autoren schuldete er am 31. Dezember 1970 nicht weniger als 1,03 Millionen Mark.
Diese Geschäfte des Verlegers Schröder endeten erst, als »Olympia Press«-Teilhaber Girodias mißtrauisch wurde, sich die Bücher zeigen ließ und die Mißwirtschaft entdeckte, Inzwischen sind die Autoren zum größten Teil ihres Geldes gekommen. Aber selbst mit hemdsärmeligen Geschäftsmethoden ist es Peter Beitlich, dem langjährigen Gesinnungsgenossen und Teilhaber Schröders und heutigen »Olympia Press«-Geschäftsführer, nicht gelungen, den Fortbestand des Porno-Verlages schon zu sichern. Beitlich versucht, die »Olympia Press«-Restbestände (Ladenpreis: 15 bis 18 Mark) mit verschiedenen, zum Teil ungewöhnlich hohen Rabatten loszuwerden, was Beitlich zunächst über seinen Rechtsanwalt bestreiten ließ.
Die bislang zwölf neuen Bände, die er seit der Trennung von Schröder verlegte, bringt Reitlich zu einem niedrigeren Preis heraus: für acht Mark.
Damit folgt er einem Marktgesetz, das andere -- etwa der Stuttgarter Decker-Verlag und der Würzburger Zettner-Verlag -- schon lange vor ihm entdeckt haben: Pornobücher lassen sich in großer Auflage nur noch als Taschenbuch oder in Paperback-Ausgabe für weniger als zwölf Mark oder aber in geringer Auflage für einen speziellen Kreis von Kennern verkaufen. Nach diesem Rezept etwa verfährt der Bonner Hans Martin Hieronimi, der seine bislang rund 25 Titel für 19,80, 20 und auch noch für 25 Mark an den Mann bringt. Billiger als Hieronimi und ein wenig teurer als die Taschenbuch-Verleger ist der Münchner Verlag Rogner & Bernhard mit seiner jetzt 20 Titel umfassenden »Bibliotheca erotica et curiosa«, von der -- neben »Josefine Mutzenbacher« I und II mit 80 000 und 35 000 verkauften Exemplaren -- die meisten Bände für sieben, 14 und 18 Mark angeboten werden, bei Auflagen zwischen 4000 und 20 000.
»Der Taschen-Porno sozialisiert den Exklusiv-Porno.
Doch auch wer kaufmännischer denkt als Schröder, Beitlich und Melzer. kommt nur bei sorgfältiger Berechnung der Marktchance in die Gewinnzone. Das erfuhr Gerhard Zwerenz, der vor der Buchmesse des vergangenen Jahres mit einem stillen Teilhaber aus, wie er sagt, »Gewerkschaftskreisen« in Frankfurt den »Normalverlag« gründete, zwölf »Nummernbücher« zum Verkaufspreis von sieben Mark herausbrachte und das stagnierende Unternehmen vor der Buchmesse dieses Jahres an einen Buchhalter der gewerkschaftseigenen Europäischen Verlagsanstalt und einen Kompagnon aus dem Verlagsgewerbe übergeben mußte.
»Kopf und Bauch«-Autor Zwerenz. der Pornographie heute für ein »armseliges. mieses Geschäft« hält, wollte jungen deutschen Autoren einen Nebenverdienst unter Pseudonym ermöglichen und vor allem »Produktionsmittel in die Hand bekommen, um auch über die Pornographie auf die Gesellschaft einwirken zu können«. Zwerenz war überzeugt: »Der Taschen-Porno sozialisiert den Exklusiv-Porno. er ist ein Volks-, Gebrauchs- und Kunst-Porno.«
Aber die Wirkung blieb schwach: Verleger Zwerenz konnte kaum Honorare auszahlen, weil je Nummernbuch zwar 10 000 Exemplare gedruckt, aber kaum 2000 verkauft wurden. Zu spät übersah Zwerenz die Kalkulation: »4000 Mark Vorschuß für den Autor, 9000 Mark Papierkosten, das waren bei zwei Bänden im Monat 26 000 Mark -- woher die nehmen?«
Nun wollen die Zwerenz-Nachfolger, der Gewerkschafter und sein Sozius, sich dadurch als Nummern-Verleger bewähren, daß sie allmonatlich zwei »Intellektuellen-Pornos«, auch in Sciencefiction-Manier, zum alten Preis von sieben Mark herausbringen. Erster Titel: »Orjana, Stern der Nackten«.
Zu einem der potentesten Porno-Verleger ist der ehemalige österreichische Widerstandskämpfer Andreas Zettner aus Veitshöchheim bei Würzburg geworden, der auch Frauenromane und Schulbücher verlegt. Er siedelte jüngst nach Darmstadt um, weil er Hessens Justiz für liberaler hält als die bayrische. Zettner hat zwar unter 300 Titeln nur 40 Porno-Bände, gesteht aber selber ein, daß sie sein bestes Geschäft sind. Er liefert Pornographie in Paperback-Ausgaben für 12,80 und 13,80 sowie in Leinen zu 18 Mark, die Auflagen liegen zwischen 7000 und 15 000 Exemplaren. Zettners Markt-Position ist stark genug, daß er Buchhändlern nur 40 Prozent und nicht, wie andere Pornoverleger. 50 oder 60 Prozent Rabatt gewährt.
Neuerdings bebildern Verlage wie Zettner und Olympia Press ihre Romane mit scharfen Beischlaf-Szenen jeglicher Variante, um gegen Konkurrenz-Organe bestehen zu können, die in der Bundesrepublik fast nur im Schwarzhandel verkauft werden: dänische und schwedische Pornomagazine. Porno-Fracht aus Dänemark wird nachts eingeflogen.
Berth Milton in Stockholm, analog zu Dänemarks Madsen »Schwedens zweiter König« betitelt, verdient seine Kronen-Millionen, die ihm zu Chrysler mit Chauffeur, Privatflugzeug und Stadtpalais verhalfen, vor allem mit dem Porno-Magazin »Private«, das monatlich für 20 bis 30 Mark sechs Millionen Empfänger in aller Welt animieren und stimulieren soll. Außerdem werden in Schweden derzeit noch 300 periodisch erscheinende Porno-Zeitschriften vertrieben.
In Hamburg wird der Markt solcher Magazine von zwei heimlichen Grossisten beherrscht, die der Polizei namentlich bekannt sind. Den Behörden scheint ein überschaubarer illegaler Import dieser heißen Ware lieber zu sein als ein unübersichtliches Einsickern an vielen Stellen. Jeder dieser beiden Großhändler ist in der Lage, pro Woche 100 000 Exemplare umzusetzen und in alle Teile der Bundesrepublik zu liefern, zumeist in Partien von je 100 Exemplaren.
Wiederverkäufer erhalten sie für 2,70 bis 2,80 und verlangen 10 bis 15 Mark. Die beiden in Hamburg begehrtesten Magazine, »Eros« und »Private«, kosten im Einkauf 5,75 Mark und haben für den Endbetrachter einen Preis von 20 bis 30 Mark.
Nicht mehr auf illegale Einkäufe ist angewiesen, wer Pornofilme sehen will. Was früher heimlich eingeführt wurde, wird heute in Deutschland hergestellt. Dominierende Firma ist die Climax. Charly Browns deutscher Statthalter Bernd Reimann, 33, behauptet: »Wir beherrschen 80 Prozent des deutschen Marktes.«
Diese Position erkämpfte sich der Weltkrieg-II-Teilnehmer Brown schon zu einer Zeit, als er noch dänische Ware zu Wasser, zu Lande und sogar in der Luft einschmuggeln ließ. Er besaß eine Liste von vielen kleinen und zum Teil gar nicht offiziell zugelassenen Landeplätzen in Deutschland, England und anderen Staaten. Dort kam die Pornofracht bei Nacht und Nebel nieder, wie einst Agenten und Waffen im feindlichen Hinterland abgesetzt wurden.
Als im Dezember vergangenen Jahres eine Climax-Maschine auf dem Flug von Kopenhagen nach London nahe der belgischen Stadt Gent notlanden mußte, beschlagnahmten die belgischen Behörden »2000 wunderschön verpackte Weihnachtsgeschenke« (Brown). Der Porno-Produzent ließ auch das Flugzeug in Belgien, »weil ein Prozeß zu teuer und zu lang ist, das lohnt sich nicht«.
Inzwischen hat sich die deutsche Climax auf die Produktion der Filme in der Bundesrepublik umgestellt. Seit Jahresbeginn hat sie zehn Porno-Filme gedreht und davon je 5000 bis 7000 Kopien gezogen. Abnehmer der Climax-Produktion: 40 Prozent Sex-Shops. 35 Prozent Versandhandel, 15 Prozent Photogeschäfte (Reimann: »Wenn auch noch nicht ganz offen verkauft wird"), zehn Prozent Buchhandel.
Die Film-Nackteure beiderlei Geschlechts, aus einer Kartei von über 100 deutschen Darstellern ausgewählt, erhalten bei der Climax 1000 bis 1500 Mark Gage bei durchschnittlich dreitägiger Drehzeit für einen 60-Meter-Streifen. Climax-Verlagsleiter Wolfgang Müller: »Wir haben genügend Männlein und Weiblein an der Hand, die gern umsonst mitmachen würden« -- keine Prostituierten und nicht nur Berufsmodelle, sondern auch junge Ehepaare, Sekretärinnen und vor allem Studentinnen. Über ein ähnliches Reservoir verfügen auch die Climax-Konkurrenten. zu denen vor allem die dänischen Firmen »Venus«, »Flesh« und »Expo« und die deutschen Produzenten »Private Film« und »CD« gehören.
Doch gleichgültig, ob die Filme von der deutschen Climax oder von der dänischen Venus kommen: Vorüber ist die Zeit, als sogar in St. Paulis Nachtlokalen Striptease-Filme mit hüpfenden und badenden Nuditäten gezeigt wurden. Jetzt ist »mit Akt immer Geschlechtsakt gemeint« -- so Dr. Klaus Hartung, Geschäftsführer der Dr. Müller-Ladenkette. Allgemein gilt für dieses Programm der Wieder- und Wiedervereinigung die Parole, die Versand-Becker so formuliert: »Die Filme müssen wie die Magazine ganz pickelhart sein, die Modelle sehr gut, denn der Kunde achtet jetzt schon auf Frisur, Fingernägel und Brustwarzen«
Ein Pornofilm bringt 150 000 Mark Gewinn.
Die Sexfilme, die in deutschen Kinos gezeigt werden, haben mit diesen Pornofilmen fast nur die reißerische Reklame und die Hüllenlosigkeit der Darsteller gemeinsam. Für Kinofilme wie »Beichte einer Liebestollen«, »Das Loch zur Welt« oder »Erotik in der Folterkammer« gilt, was in dem jüngst erschienenen Sachbuch »Semiotik des Films« einer der Autoren, Michael Pehlke, als symptomatisch festgestellt hat: Alles »spielt sich -- in paradiesischer Nacktheit der Akteure -- vor der Kamera ab, jedoch stets so, daß die Körperregionen, in denen und an denen Entscheidendes geschieht, der Einsicht des lüsternen Zuschauers entzogen sind«.
Mitunter verschwinden Pornofilm-Macher wieder vom Markt, wenn sie einen oder zwei Streifen abgedreht haben. In den Angeboten der Sex-Shops und Versandfirmen wechseln daher ständig die Namen -- »Eros« und »Paris«, »Marmelade« und »Party«, »Candy« und »Casino«
Die Verlockung, mit Pornofilmen schnellen Gewinn zu machen, erscheint in der Tat
groß. Ein Film von 60 Meter Länge und zehn Minuten Dauer kostet in der Herstellung allenfalls 10 000 Mark. je nach Zahl der Darsteller -- auf den Filmkartons mit »F2, M1« oder »F4, M4« nach Geschlechtern angegeben
in seltenen Fällen bis zu 12 000 Mark. Je Kopie müssen 30 Mark kalkuliert werden, das ganze Opus -- Ladenpreis: 135 Mark für Climax-Erzeugnisse, andere 90 bis 120 Mark -- wird dann mit einem Rabatt von 50 oder 55 Prozent an den Wiederverkäufer abgegeben, der also je Film 50 oder 60 Mark verdient.
Das bedeutet, daß der Climax bei einem einzigen Film mit 5000 Kopien immerhin rund 150 000 Mark Gewinn verbleiben; entsprechend günstig ist der Ertrag für den Händler. Reimann, der Climax-Filme auch bei der renommierten Firma Geyer kopieren ließ: »Das Geschäft lohnt nur bei großen Kopieraufträgen, denn die wollen Bargeld. Wir haben uns mit einem Kopierwerk auf einen günstigen Preis geeinigt.«
Pornofilme sind vor allem für die Versandfirmen überaus profitable Ware. Sie machen bereits etwa 20 Prozent ihres Umsatzes aus und gelten als besonders zukunftsträchtiger Artikel.
Wie groß die Zahl der Versand-Firmen ist, vermag nicht einmal der Hamburger Rechtsanwalt Adolf Holzmüller zu sagen. Er ist Geschäftsführer der »Vereinigung deutscher Spezial-Versandunternehmen«. Ihr gehören neben Beate Uhse 66 Sex-Verschicker an. Holzmüller vermutet, daß es noch weitere 400 Firmen gibt, die mit Porno per Post handeln. Branchenkenner schätzen, daß die drei größten -- Uhse, Becker und Rebecca -- allein mehr als die Hälfte des Versandgeschäfts erledigen.
Bei der Abfertigung seiner Kunden scheut sich Becker nicht, sich in den Geruch des Betruges zu bringen. Er bietet zum Beispiel in Inseraten für 9,80 Mark »69 Porno-Spiele -- originalschwedisch« an und schickt Bestellern ein primitives Heftchen mit Photos, auf denen alle bei Porno-Spielen wesentlichen Teile eingeschwärzt sind.
Oberhaupt gibt es in keinem anderen Teil der Pornobranche so viele Versuche, den potentiellen Kunden um sein Geld zu bringen, wie im Versandhandel.
Nicht selten behalten vor allem ausländische Firmen im voraus eingesandtes Geld, ohne Ware zu liefern. Andere Unternehmen wechseln häufig ihre Namen. Und wieder andere fungieren nur noch als »Adressen-Aufreißer« (Branchenjargon); sie verhökern Zuschriften auf Annoncen für fünf Mark je Stück an die einstige Konkurrenz.
Doch es sind nicht nur die anrüchigen Praktiken mancher Firmen im Aus- und Inland, die bundesdeutsche Versandhändler um Glaubwürdigkeit und Umsatz bangen lassen. Ihnen allesamt widmen Staatsanwälte und Gerichte, Steuer- und Zollfahndung neuerdings wieder zunehmende Aufmerksamkeit.
Vor allem ist der Versandhandel abhängig davon, ob und wie per Annonce geworben werden darf. Und wenige andere Texte lesen deutsche Staatsanwälte so gründlich wie den Anzeigenteil der St.-Pauli-Blätter, die fast das einzige Werbemedium sind.
Die Indizierung von Pornobüchern durch die Bundesprüfstelle -- gleichbedeutend mit absolutem Werbungs- und Versand-Verbot -- oder Auslieferungs-Blockade bei den Verlagen treffen die Sex-Versender ebenso hart wie Verfahren wegen anstößiger Werbung oder wegen Belästigung unfreiwilliger Adreßbuch- Kunden durch penetrante Belieferung mit unerwünschten Raritäten- und Nuditäten-Prospekten.
Günter Bardenbacher. als Inhaber des Rebecca-Versands nach Beate Uhse und neben Walter Becker größter deutscher Porno-Verschicker ("Ich bewältige -- ohne Läden -- ein Drittel des Uhse-Umsatzes mit nur einem Zwanzigstel an Arbeitskräften"), klagt: »Indizierung bedeutet das Erliegen des Verkaufs. Vom Augenblick der Indizierung an sinkt der Verkauf innerhalb sechs Wochen auf NulL«
Anders bei den Sex-Shops: Dort darf das indizierte Buch zwar nicht mehr im Schaufenster ausgelegt, aber weiter legal verkauft werden. Der Nürnberger Becker befürchtet denn auch, daß »die Versandhändler zugunsten der Sexgeschäfte Pleite gehen«.
Den potentiellen Kunden kann das Angebot gezeigt, der Zutritt Minderjähriger kann verhindert werden. Außerdem kommen die Shop-Besitzer zaudernden Kunden dadurch entgegen, daß sie die Ware griffbereit in Regalen oder numeriert anbieten -- der anonyme Käufer braucht während Besichtigung. Wahl und Bezahlung kein Wort zu sprechen.
Die elektronische Schreibanlage gibt intime Antworten.
Diese profitgünstige Perspektive der Läden erkannte als erste schon vor 15 Jahren die jetzt 52jährige Flensburgerin Beate Rotermund, verwitwete Uhse, geborene Köstlin. Mit 26 Sex-Shops, zwei Millionen Versand-Kunden und ihrem (7. Stephenson Verlag. der jährlich eine Viertelmillion Exemplare Verkehrsliteratur ausstößt, übertrifft sie die Konkurrenz In allen Spielarten des Geschäfts.
Die Gutsbesitzerstochter aus dem ostpreußischen Wargenau, die vor 1945 als Testpilotin im Hauptmannsrang Sturzkampfbomber und Strahljäger geflogen hatte, startete nach Kriegsende mit einer Schrift über Geburtenregelung nach der Methode Knaus/Ogino ("Im Dritten Reich war dieses Thema tabu") zum kommerziellen Höhenflug. Sonderkurse für Sex-Verkäufer an der Akademie für Führungskräfte.
Sie beschäftigt heute 310 Angestellte und ungezählte freie Mitarbeiter, zu denen das »Orchester Dr. Fummel« (das Uhse-Platten bespielt) ebenso gehört wie die Autoren von indizierten Romanen ("Öffne deine heißen Schenkel, Vivi"). Beate Uhses Umsatz im letzten Jahr: 36 Millionen Mark. Intime Antworten ("Millionen Kunden stellen Tausende von Fragen") gibt die elektronisch gesteuerte Schreibanlage »Dura Mach«. mit der »vorbereitete Antworten Absatz für Absatz individuell zusammengefügt« werden.
Beate Uhse betreibt ihren Handel technisch perfektioniert und mit einem Management, das seit 1962 regelmäßig in Sonderkursen an der Bad Harzburger Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft geschult wird. Disposition und Einkauf, Lagerhaltung (600 Artikel) und Bestandsaufnahme. Belieferung und Kontrolle der Uhse-Shops erledigt der Computer »Bull Gamma 30«. ebenso den Druck von Versand-Papieren und Rechnungen, Aufklebe-Adressen und Zahlkarten für Nachnahmesendungen.
Mit Hilfe der Bundespost, die werktäglich bis zu 150 000 Werbesendungen und 12 000 Pakete oder Päckchen aus dem Uhse-Haus, einer sechseckigen Sex-Wabe, übernimmt. werden auch Kunden in entlegenen deutschen Landen innerhalb von drei Tagen beliefert.
Ohne Vorzimmer und Trennwände. Sekretärinnen und Statussymbole. nach Arbeitsgruppen gegliedert, mit Tonmanschetten für IBM- Diktiergeräte versehen, füttert die Uhse-Mannschaft Lochkarten in 33 Trogpulte. in denen die Anschriften der Kunden eingeordnet sind.
Das hauseigene »Atelier Cottelli« stellt aus Spitzen, Rüschen und Leder geschlitzte. geraffte und geöffnete Unterwäsche her, wie sie früher allenfalls Stripperinnen an- und ablegten -- »für anspruchsvolle Frauen und für Männer, die das Besondere lieben«. Die Uhse-Tochter Honema GmbH erzeugt Kosmetika und Präparate für »mehr Kraft, mehr Leistung, mehr Glück«. Präservative und Porno-Filme werden von anderen Herstellern bezogen, die hohen Rabatte sind lukrativer als Eigenproduktion: bis zu 70 Prozent bei Verhütungsmitteln, bis zu 55 Prozent (vom Verbraucherpreis) bei Filmen.
Uhse-Konkurrenten halten für denkbar, daß die Konzernherrin ihr Geschäft zu aufwendig betreibt. Versand-Becker. der nur 15 Angestellte beschäftigt, prophezeit der Flensburgerin: »Wenn eine Rezession kommt, stürzt die Uhse zuerst mit ihren 300 Leuten und ihrem Computer. Sie ist am längsten und am höchsten oben, aber sie wird am schnelliten herunterfallen.«
Beate Uhse übertrifft die Konkurrenz auch in dem Bemühen, sich weit über schmutzige Niederungen des Pornogeschäfts zu erheben. Ihre Werbeabteilung ist darauf gedrillt, sie als eine Art Frau Saubermann des deutschen Sexgeschäfts vorzustellen. Doch das Bild, das Beate Uhse von sich entwerfen läßt, ist retuschiert.
Das Angebot in ihren Sex-Shops ist nicht auf die offizielle Liste beschränkt. die jedermann einsehen kann und in der vom »Herren-Vibrator« für 24,80 Mark bis zum Kraftpaket »erekta prompt«, von »Happy Spray« für Empfängnisverhütung bis zu Spezialgummiwaren nichts zu fehlen scheint.
»40 Prozent der Bürger gehen in einen Sexladen.«
Unter dem Ladentisch liegen für kundige Kunden auch Filme bereit, die der Uhse-Konzern exklusiv hat herstellen lassen und die nicht im Versandprospekt aufgeführt sind. Das bestreitet die Firmenleitung, wenn sie gefragt wird, auch nicht. Doch Verkaufschef Werner Melzer behauptet gleichwohl. »keinen einzigen Pornofilm« zu verkaufen.
Von dänischen Pornos unterscheiden sich Uhse-Streifen laut Melzer »durch einen Handlungsablauf, der nicht nur auf das Geschlechtliche konzentriert ist, durch hübschere und sympathischere Modelle, durch bessere technische und künstlerische Qualitäten«. Und außerdem: »Man sieht die Genitalien nicht in Groß- oder Nahaufnahmen.«
Wahr ist davon kein Wort. Zwar bieten Uhse-Läden auch Filme an, auf die diese Beschreibung ungefähr zutrifft. Doch zum gleichen Preis sind auch andere zu haben, die sich in nichts von Dänen-Pornos unterscheiden.
Bereits in den letzten Jahren haben wenige Große im Shop-Geschäft es vermocht, eine Vielzahl kleinerer Konkurrenten auszuschalten und die Vorherrschaft zu gewinnen. 75 der 160 bundesdeutschen Sexläden, deren Jahresumsatz bei 70 Millionen Mark liegt. sind in den Händen von sechs Firmen:
* 26 Fachgeschäfte für Ehehygiene unterhält der Uhse-Konzern (Sitz Flensburg),
* 15 »FCV-erotic-shops« gehören dem »First Class Versand« von Vater Wilhelm und Sohn Werner Susemichel (Sitz Heuchelheim bei Gießen),
* 12 »Dr. Müller's Buch-Boutiquen« betreibt die Firma Dr. med. Heinrich Müller + Co. Nachf. GmbH (Sitz Frankfurt),
* neun »Luifilipp«-Sex-Shops sind Eigentum von Heinz Hirsch (Sitz München),
* neun Filialen »Boutique Intim« hat die Firma Hermes & Co. (Sitz Hamm) des Drogisten Werner Hermes und des Studenten Hansjürgen Steins.
* vier Sex-Zentren besitzt der Reformartikel-Fabrikant Siegfried Günther (Sitz Frankfurt und München). Der Buch- und Magazin-Verleger Joachim Sass aus Bebra ("Queen"), der selber in Frankfurt einen Se-Shop hat, schätzt den Monatsumsatz eines Ladens auf maximal 50 000 Mark. »eher aber 35 000 oder darunter«.
Sohn Susemichel schränkt noch ein: »Einige wenige werden 40 000 Mark im Monat erreichen, aber der Durchschnitt liegt bei 25 000 oder weniger.«
Dr. Klaus Hartung von den Müller-Boutiquen (Umsatz-Erwartung 1971: zehn Millionen) setzt auf weiteren Zustrom von Kunden: »40 Prozent der Bürger gehen schon in einen Sexladen. 60 Prozent haben noch Hemmungen. aber die kriegen wir auch noch.« Die Trend-Prognose von Müller's Macher: »Schnelle Stimulierung ist gefragt. das Bild wird dem Wort vorgezogen, Romane müssen jetzt scharf bebildert sein.
Die Manager der Kettenläden sind optimistisch, obwohl neuerdings fast allwöchentlich irgendwo Sexgeschäfte von der Staatsgewalt durchsucht werden. Im vorigen Jahr und im vergangenen Monat wurden von Zoll- und Polizeibeamten alle Filialen von Dr. Müllers, Beate Uhse, »Luifilipp« und »First Class« nach Büchern und Bildern durchstöbert. Ermittlungsverfahren, teils gegen einzelne Verleger wegen Herstellung, teils gegen Porno-Einzelhändler wegen Verbreitung unzüchtiger Waren, hatten auf dem Weg der Amtshilfe Kettenreaktionen in fast allen Bundesländern ausgelöst.
Aber die Shop-Besitzer haben schon Routine darin entwickelt, indizierte Bücher aus dem Sortiment zu nehmen, und halten nicht selten die Meldung über den Polizeibesuch in den Lokalzeitungen für eine kostenfreie Werbung. Und die meisten Porno-Verleger ersetzen den Sex-Shop-Besitzern die Beschlagnahme-Verluste durch Gutschriften oder Nachschub gleichwertiger Bände. Porno-Kassetten
für den Heimfernseher?
Hartung-Konkurrent Hirsch teilt die Kundschaft der Pornoläden so ein: zwischen 35 und 65 Jahre alt, 80 bis 90 Prozent Männer, »untere Mittelklasse« Buchhalter. Vertreter, kleine Beamte, eher Angestellte als Arbeiter, kaum Akademiker oder Geschäftsleute.
Für die Buch-Bedürfnisse vor allem der Akademiker unter den 60 Prozent, auf die Dr. Hartung hofft, sorgen vorläufig noch Versandbuchhändler wie Fritz Nonn, 63, in Stuttgart. Sie beliefern vorwiegend »Ärzte, Pfarrer, Richter und Apotheker«.
Bei den Sex-Shops hängt die Höhe des Umsatzes kaum vom Standort ab, obwohl fein zwischen »erster« und »zweiter Lage« unterschieden wird. Die Ableger von Uhse, Dr. Müller's oder Hirsch etwa sind vor allem in den Zentren der großen Städte angesiedelt -- an Zeit und Hauptwache in Frankfurt, an der Königstraße in Stuttgart, in Münchens »Citta 2000«, in Berlin am Zoo.
Vater und Sohn Susemichel hingegen bevorzugen Vorstädte. Siedlungs- oder Büroviertel und Ausfallstraßen. Werner Susemichel: »Wir haben überwiegend Stammkunden, die auch während der Mittagszeit kommen, auch sind die Mieten nicht so hoch.« Sechs FCVerotic-shops sind nahe von Autobahn-Abfahrten zu finden, drei in Supermärkten.
Auch hinsichtlich Ursprung, Verkaufsmethoden und Umsatz-Gliederung unterscheidet sich die FCV-Kette beträchtlich von der Konkurrenz.
Bis 1965 beschickten Vater Wilhelm Susemichel und seine drei Partner 10 000 Automaten mit Verhütungsmitteln, die etwa 60 Prozent des deutschen Bedarfs deckten. Das Quartett trennte sich, alle -- auch Susemichel -- füllen aber nach wie vor Automaten, Susemichel vor allem mit der hauseigenen Marke »First Class«. Jedem Päckchen ist eine Adressenliste der FCV-Shops beigefügt. Sohn Werner Susemichel, der den FCV-Versand leitet: »Das bringt Kunden, in die Geschäfte und per Post.«
Die Zentrale des Unternehmens ist im Dorf Heuchelheim geblieben -- ein schlichtes Büro im eigenen Haus direkt neben der Kirche. Lager und Versand sind in einer ehemaligen Schule untergebracht. Inseriert wird weder in Illustrierten noch gar in St.-Pauli-Blättern. allenfalls bei Geschäftseröffnung in der Lokalpresse. Die Filialen sind steril und übersichtlich wie moderne Apotheken. das Personal trägt weiße Mäntel.
Die FCV-erotic-shops bieten 998 Sex-Artikel an, darunter fast 700 Buchtitel, auch »Ladenhüter« (Werner Susemichel) wie Aufklärungsliteratur und medizinische Dokumentationen. Aber Hygiene-Artikel machen etwa die Hälfte des Umsatzes aus, Bücher nur etwa 40 Prozent, Filme den Rest. Magazine werden nicht geführt.
Etwa gleich gegliedert ist auch der Uhse-Umsatz, während in fast allen anderen Ladenketten der Buchverkauf
* vor der FCV-Zentrale in Heuchelheim bei Gießen.
dominiert und zwischen 60 Prozent (Hirsch) und über 70 Prozent (Müller) liegt. Müller's Hartung, der mit nur 150 Buchtiteln auskommt und trotzdem die Branchenspitze erreicht hat: »Der Markt hat uns in die Pornographie hineingezwungen, man kann sich sonst nicht behaupten.«
Hineingezwungen in ein lukratives Geschäft oder gezwungen. nach neuen Ufern Ausschau zu halten, hoffen die Produzenten von Porno-Filmen wie auch Shop. und Versandhändler auf einen neuen Geschäftszweig: auf die Porno-Kassette für das Fernsehgerät daheim. Sie wird nach übereinstimmender Ansicht zum großen Geschäft werden.
»Dann fallen alle Komplikationen weg«, träumt Versandhändler Walter Becker, »man braucht keine Wand, keine Leinwand und keinen Vorführer -- das muß doch laufen.«