Tests zur Lebenserwartung: Gute Geschäfte mit den "Zündschnüren des Todes"
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- ️Wed May 18 2011
Habe ich noch lange zu leben? Diese existentielle Frage will eine spanische Firma interessierten Kunden ab sofort beantworten - gegen eine Zahlung von 500 Euro. Hinter dem Verfahren stehen wissenschaftliche Schwergewichte. Und doch gibt es Kritik an dem Test.
18.05.2011, 17.22 Uhr
Lediglich zehn Milliliter Blut muss der behandelnde Arzt an ein Labor in Madrid schicken, wirbt die Firma Life Length - und schon lässt sich herausfinden, ob der Proband auf ein langes Leben hoffen kann. In den Blutzellen sollen Fachleute dafür die Länge der sogenannten Telomere bestimmen, das sind Schutzkappen auf den Enden der Chromosomen.
Telomere - manchmal auch "Zündschnüre des Todes" genannt - werden im Laufe des Lebens mit jeder Zellteilung immer kürzer. Ist kaum noch etwas von ihnen übrig, muss die Zelle aufhören, sich zu teilen. Tut sie dies nicht, steht die Erbinformation während der Zellteilung gänzlich ungeschützt da. Es kommt zu Fehlern, die Chromosomen werden instabil. Krebs und möglicherweise auch andere Krankheiten können entstehen.
Wie schnell die Telomere dahinschmelzen, das ist bei jedem Menschen ein wenig anders. Im Grundsatz gilt ein hoher Anteil besonders kurzer Telomere als ungünstig. Life Length rühmt sich, mit einer speziellen Technik gerade diese sehr kurzen Chromosomen besonders gut erfassen zu können. Ihr Prozentsatz ist für Life Length Chief Executive Officer Stephen J. Matlin "ein exzellenter Indikator für die allgemeine Gesundheit" eines Menschen. Der Test könne in Zukunft ebenso Teil eines ärztlichen Check-Ups sein wie Blutdruck und Cholesterinwert. Zudem sei es mit Hilfe der Telomer-Länge auch möglich, das wahre, also das biologische Alter eines Menschen abzuschätzen.
Ab Herbst dieses Jahres will neben den Spaniern noch eine zweite Firma die Messung der Telomer-Länge für interessierte Patienten anbieten: Telome Health aus Menlo Park in Kalifornien verwendet eine etwas einfachere Technik, dafür soll der Test dort nur 200 Dollar kosten.
Sogar das renommierte Wissenschaftsmagazin "Science" berichtete kürzlich über die Telomer-Tests. Immerhin stehen hinter den Firmen zwei wissenschaftliche Schwergewichte: Bei Life Length ist es María Blasco, die als Leiterin der Telomer-Forschungsgruppe am Spanischen Centro Nacional de Investigaciones Oncológicas zur internationalen Wissenschaftselite zählt. Und hinter Telome Health steckt Elizabeth Blackburn von der University of California in San Francisco, die 2009 für ihre Telomer-Forschung sogar den Medizin-Nobelpreis erhielt.
Der Test könne noch "sehr wichtig für die Behandlung von Krankheiten und die Vermeidung von Risiken" werden, ist María Blasco überzeugt: "Es ist besser zu wissen als nicht zu wissen." Und Elizabeth Blackburn schwärmt: "Ich bin stolz, zu den Gründern von Telome Health zu gehören - ich sehe dies als die natürliche Ausweitung meiner Forschungsarbeit."
Pikanterweise ist ausgerechnet eine ehemalige Kollegin der beiden mittlerweile zu deren schärfster Kritikerin geworden: Carol Greider, die bei Blackburn promovierte, gemeinsam mit ihr den Nobelpreis erhielt und in deren Labor María Blasco als Postdoc arbeitete. "Halte ich es für sinnvoll, dass Firmen die Messung der Telomer-Länge anbieten, damit die Leute herausfinden können wie alt sie sind? Nein!" So lautet das klare Urteil der Forscherin, die heute an der Johns Hopkins University in Baltimore arbeitet.
"Telomere sind etwas ganz Tolles"
Und mit dieser Meinung steht sie nicht alleine. "Telomere sind etwas ganz Tolles", sagt Hans-Joachim Lipps vom Institut für Zellbiologie der Universität Witten/Herdecke. "Aber damit in die Zukunft blicken zu wollen, das halte ich für völlig übertrieben. Eine Untersuchung auf dem Fahrradergometer sagt da in manchen Fällen möglicherweise mehr aus."
"Bisher gibt es keine verlässlichen Daten, dass die Telomer-Länge mit der Lebenserwartung korreliert oder dass die Telomer-Länge zur Voraussage altersbedingter Krankheiten benutzt werden kann", ist auch Joachim Lingner vom Institut Suisse de Recherche Expérimentale sur le Cancer in Lausanne überzeugt. Alle wichtigen Studien, die es dazu gebe, belegten lediglich eine Assoziation, nicht aber einen kausalen Zusammenhang zwischen den beiden.
"Mit dem Alter bekommt man graue Haare", erklärt Lingner. "Dies kann eine Assoziationsstudie zeigen. Aber genauso wenig wie das heißt, dass graue Haare das Alter hervorrufen, ist sicher, dass kurze Telomere generell zu altersbedingten Krankheiten führen." Auch ein anderes Versprechen der kommerziellen Anbieter von Telomer-Tests hält er für falsch: Dass man durch einen gesunden Lebensstil seine Telomer-Länge wieder verbessern kann.
"Die Telomer-Länge scheint von einer großen Bandbreite aktueller und lebenslanger Faktoren beeinflusst zu werden", sagt dagegen Maureen Smith, Executive Directer der Strategic Communications Abteilung von Telome Health, "von der genetischen Ausstattung, über die Ernährung und körperliche Fitness bis hin zu Umweltgiften und chronischem Stress. Eine gesunde Lebensführung kann die Telomer-Länge wieder verbessern und dadurch die Gesundheit fördern."
Unsterbliche Zellen bedeuten Krebs
Life Length will deshalb sogar jährliche Telomer-Messungen anbieten, um den Erfolg des gesunden Lebensstils zu kontrollieren. "Es gibt keine guten Daten, die belegen, dass man mit der Veränderung des Lebensstils die Länge der Telomere beeinflussen kann", sagt hingegen Lingner.
Lediglich bei drei eher seltenen Krankheiten ist heute allgemein anerkannt, dass besonders kurze Telomere bei ihnen eine entscheidende Rolle spielen können: bei der Dyskeratosis congenita, einer Form des vorzeitigen Alterns, bei der Blutkrankheit Aplastische Anämie und bei der sogenannten idiopathischen Lungenfibrose. Bei allen anderen Krankheiten sind den meisten Wissenschaftlern noch viel zu viele Fragen offen. "Es ist noch nicht klar, wie man am besten die Telomer-Länge bestimmt und was genau sie bei 99 Prozent der Patienten aussagt", so Greiner.
Andere Kritiker befürchten, dass mit dem Telomer-Test nicht nur Fitness-Kurse, sondern auch windige Anti-Aging-Elixiere verkauft werden könnten. Sogar das körpereigene Enzym Telomerase - das in den Keimzellen die Telomere nach jeder Zellteilung wieder verlängert, so dass der Embryo mit langen Telomeren sein Leben beginnt - hoffen nicht wenige, eines Tages als "Unsterblichkeitsenzym" einsetzen zu können. Die Gefahr dabei ist jedoch erheblich: Unsterbliche Zellen bedeuten Krebs. Andere Forscher suchen deshalb umgekehrt nach einem Telomerase-Hemmer zur Krebsbekämpfung.
"Ich denke, Alterung ist einfach ein sehr komplexes Phänomen, das nicht nur durch einen Faktor bestimmt wird", sagt Lingner. Vielleicht könnten in Zukunft einmal Studien zeigen, dass die Telomer-Länge tatsächlich ein guter Marker für das Risiko für Alterskrankheiten sei. "Aber noch ist das nicht passiert."
Die meisten halten das nicht weiter für schlimm. Gesund leben kann man schließlich auch ohne Telomer-Messung.