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"Gewinner ja, Sieger nein"
Veröffentlicht am 15.12.2005Lesedauer: 4 Minuten
Auch zehn Jahre nach dem Bosman-Urteil streitet Anwalt Misson noch für das Recht von Sportlern - Im Gespräch mit Luc Misson
Heute ist Jahrestag. Ganz Europa spricht und schreibt darüber. Aber Luc Misson (52) macht sich dünne. Kein Sekt, keine Feier, und auch kein Treffen mit dem früheren Klienten. 10 Jahre Bosman-Urteil. Ein Tag wie jeder andere. Der Anwalt schaut in den Terminkalender: Zwei Verhandlungen am Donnerstag. Ein italienischer Fußballprofi streitet mit einem Spielervermittler um ein Honorar. Und ein Scheidungsfall, Familienrecht, es geht ums Haus.
Wenig spektakulär, ein Fall Bosman fällt einem Anwalt nur einmal im Leben in den Schoß. Heute sagt Misson: "Ich bin Jean-Marc Bosman dafür dankbar, daß er mich damals ausgesucht hat. Aber viel gebracht, viel geändert hat der Fall nicht." Nicht für Bosman, nicht für Misson, nicht für den Fußball.
Zur Erinnerung: Jean-Marc Bosman, damals 26, Profi beim FC Lüttich, hatte vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Verhinderung seines Vereinswechsels nach Dünkirchen geklagt. Sein Vertrag war ausgelaufen, Lüttich forderte trotzdem eine hohe Ablöse. Am 15. Dezember 1995 bekam er Recht, und Europa hatte ein neues Transfersystem. Nach Vertragsende sind Profis seitdem für lau zu haben. Eine Revolution. Und Bosman galt als Revoluzzer. Misson war sein Anwalt, der Strippenzieher.
"Gewinner ja, Sieger nein", sagt er heute. Den Prozeß hat er gewonnen, den Spielern zu mehr Freiheit verholfen. Und zu mehr Reichtum, nebenbei bemerkt, denn der Finanzfluß ist heute ein anderer: Was früher der eine Verein dem anderen an Ablöse zuschob, steckt heute der Spieler als Handgeld ein. Im Einzelfall. In der Sache aber, im Großen und Ganzen, sei nicht mehr als Stillstand erreicht, meint Luc Misson: "Plus minus null. Das Urteil ist gar nicht existent." Vertraglich gebundene Spieler müssen nach wie vor abgelöst werden, es werden also Verträge beliebig verlängert, um weiter kassieren zu können. "Sogar in größerem Maße als zuvor." Misson sagt, der Fußball sei ein schwieriges Geschäft.
Und keiner dankt. Bosman und Misson haben über Jahre gekämpft, Verbände und Gerichte zermürbt, den Profit haben die Profis von heute. Bosman hat die Karriere geopfert, ist seit zehn Jahren ohne Job, die Frau lief weg, er kann nur Fußball. "Er ist in einer mißlichen Lage", berichtet der Anwalt. "Das ist alles sehr schwierig für ihn." Andere hat er zu Millionären gemacht. Sich selbst hat er verschuldet, erst neun Jahre nach Prozeßbeginn bekam er 780 000 Euro zugesprochen. Er hat sich bei Lüttich ein Haus gekauft. Berühmt ist Jean-Marc Bosman durch seinen Prozeß geworden, aber nicht glücklich. "Er fühlt sich heute wie ein Ausgestoßener. Der Fußball hat keinen Platz für ihn", sagt Misson. "Und es betrübt ihn, daß er den Prozeß zwar gewonnen hat, aber niemand das Urteil respektiert."
Für Luc Misson hat sich die Welt in den zehn Jahren einfach weitergedreht. Ein bekannter Anwalt war er schon vorher, hinterher halt noch ein bißchen bekannter. "Damals hatte ich 20 Jahre Karriere und zehn Mitarbeiter in der Kanzlei. Heute sind es 30 Jahre und 15 Mitarbeiter." Europarecht, Menschenrechte und Sportrecht sind seine Themen, aber trotz des Bosman-Hypes: Sportfälle machen gerade mal fünf Prozent des Umsatzes aus.
Doch mit dem Sport macht Misson Schlagzeilen. Eine hieß: "Kickt der Papst bald um die Fußball-WM?" Diesmal war Misson gleich gegen den Weltverband angetreten, der sich so wenig bewegt wie jede öffentliche Einrichtung. Die Fifa sollte sich auch der Kleinen und ganz Kleinen annehmen. Misson forderte Anerkennung und Respekt, und er initiierte die Organisation NF Board. 76 Landstriche, Regionen, Enklaven, Steuerparadiese begehren auf, pochen auf ihr Recht, gründen eine Mini-Fifa. Monaco und Gibraltar, Grönland und die Falkland-Inseln, die Basken und die Korsen und eben der Vatikan. Im Sommer 2006, wenn in Deutschland die Großen ihre WM ausspielen, kicken die Kleinen auf Zypern ihr erstes Turnier.
Monsieur Misson hat eine Mission. So nennt er das: "Ich will der Anwalt der Kleinen sein." Das ist sein Prinzip, das ist die Philosophie der Kanzlei Misson SPRL in Lüttich. Lieber vertritt er die Person als die Organisation, so kämpft er in seiner Heimat derzeit für die Anwohner von Flughäfen und gegen den Lärm. "Geld ist nicht meine Motivation, ich suche eine andere Anerkennung."
Und auch gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Sportverbände wird er seinen Kampf fortführen. Doping und der untaugliche Versuch, den Sport zu kontrollieren, das sind Themen, die Misson auf die Palme bringen. Den Code der Weltantidopingagentur nannte er "ein Maskierungsmittel, mit dem das Dopingproblem verdeckt werden soll." Und umgekehrt: "Sportprozesse kommen oft Strafprozessen gleich, Urteile Berufsverboten." Den Fall Katrin Krabbe hält er heute noch für einen Skandal. Der Sport beansprucht seine eigene Gesetzgebung, doch die sei nicht immer rechtens, sagt Misson. Er verlangt Respekt und Anerkennung und Gleichberechtigung von Sportlern vor Gericht.
Kleine sind meist kämpferisch, und Luc Misson ist nicht eben groß. Er sagt: "Ich warte nur auf einen Fall, den ich vor den Europäischen Gerichtshof zerren kann." Einen Fall wie Bosman wird er nie wieder kriegen.