Kritik heißt, von der Poesie zu erzählen
- ️DIE ZEIT
- ️Wed Apr 16 2008
Der Dichter Raoul Schrott zeigt sich in seinen Essays halb als Gelehrter, halb als Gaukler
Aktualisiert am 16. April 2008, 5:47 Uhr Quelle: (c) DIE ZEIT 10.11.2005 Nr.46
Gedichte sind (wie) Wolken, wandelbar in Form und Bedeutung; man darf sie nicht auf eine einzige Lesart festlegen. Mal ähneln sie, um aus Hamlets boshaftem Dialog mit Polonius zu zitieren, einem Kamel, mal einem Wiesel, mal einem Walfisch. Kein Wunder also, dass Raoul Schrott – Lyriker, habilitierter Philologe, Romancier, Übersetzer, Herausgeber und noch einiges mehr – sich im Bild des Himmelsguckers auf der Jakobsleiter gefällt und seine sprachverwandelnde Tätigkeit halb ironisch zur "Wolkenputzerei" erklärt.
Das vorliegende umfangreiche Handbuch dieses Gewerbes umfasst 29 Texte des viel gerühmten und viel wissenden Autors: Essays, Glossen, Porträts (etwa das des vergessenen Vorläufers Friedrich Rückert), Berichte, Abhandlungen – in der Regel Auftragsarbeiten der letzten Jahre, Antworten auf Anfragen von Redaktionen, Dankesreden für hoch dotierte Preise und Einladungen, Totengedenken. Wer neugierig ist und guten Willens, kann aus diesem Buch, bis ins handwerkliche Detail hinein, manches lernen über die Ursprünge von Poesie und Wissenschaft und über deren wechselseitiges Funktionieren. Und auch über den Dichter selbst, der freilich, im Bemühen, sein privates Ich nicht preiszugeben, die Masken wechselt, durch immer neue Kunstfor- men spricht und sogar abenteuerlich falsche Lebensdaten in Umlauf gebracht hat.