Themenwoche Vegan: Wir bloggen vegan
- ️David Schmidt
- ️Sat Nov 02 2013
Mittlerweile wissen wir, dass kaum etwas so sehr die Gemüter erhitzt wie Beiträge, die Ernährungsfragen betreffen, vor allem, wenn es um Fleischkonsum geht. Bei den Vorbereitungen zu unserer Themenwoche Veganes Leben stellten wir uns deshalb auf emotionale Debatten und empörte Reaktionen im Kommentarbereich und in den sozialen Medien ein. Unsere Erwartungen wurden nicht enttäuscht.
@Vloid_Lenka entfolgt ZEIT ONLINE auf Twitter, weil sie die vegane Woche "einfach nur übertrieben" findet: "Ist Zeit Online jetzt zur Plattform für Weltverbesserer und Missionare verkommen?" Auf Facebook bietet Philipp Schmieta den Veganern eine Erklärung für ihr schlechtes Image: "Ihr seid so unbeliebt bei den Fleischessern, weil ihr euch als die besseren Menschen darstellt."
Ein Gegengewicht zu derartigen Kommentaren bilden die etwa 400 eingesandten Leserartikel. Darin berichten Leser über ihr Verständnis von Veganismus und zeichnen ein sehr gemäßigtes Bild. Auch Kritiker äußern sich konstruktiv und besonnen. Und auch im Kommentarbereich finden immer wieder Veganismus-Befürworter und -Gegner in einen konstruktiven Dialog, wie zum Beispiel in unserer #echtzeit-Debatte mit Autor Andreas Grabolle.
Veganes Leben ohne erhobenen Zeigefinger
Die vielschichtige Debattenkultur zum Thema Veganismus hat uns bewogen, uns einmal in der veganen Blogosphäre und den sozialen Netzwerken umzuschauen. Erste Feststellung: Das Thema ist im deutschen Web weniger populär, als man angesichts seiner Wirkmacht annehmen könnte. Nur verhältnismäßig wenige Ergebnisse fördert auf Twitter das Hashtag Veganismus zutage. Das Monopol auf Veganes in sozialen Medien liegt eindeutig im anglophonen Raum. Das stellt fest, wer das Hashtag Vegan eingibt, die Likes von Seiten auf Facebook zählt oder die Abonnenten veganer Kanäle auf YouTube.
Trotzdem befassen sich auch in Deutschland Hunderte Blogs, Facebook-Gruppen und Twitter-Accounts mit veganer Lebensführung. Auf führenden Blogs der Szene wie einbisschenvegan.de und claudigoesvegan.de spürt man nichts von der dogmatischen Pedanterie oder dem missionarischen Eifer, die den Szenemitgliedern oft unterstellt werden. "Veganes Leben ohne erhobenen Zeigefinger", bewirbt Kathrin Tetzlaff aus Mölln von einbisschenvegan.de in ihrem Twitterprofil denn auch ihr Blog.
Veganismus ist kein Wettbewerb
Kathrin schreibt seit 2011 über ihren Lebensstil, gibt Tipps zu veganer Ernährung und Mode und zu fair gehandelten veganen Kosmetikprodukten. Konsequent vegan lebt sie nicht. Veganismus sei halt kein Wettbewerb, findet sie. Mit ihrem Blog will sie ihren Lesern Anregungen zu kleinen Veränderungen im Alltag geben und sich mit ihnen austauschen. Wenn sie sich ihre Statistiken ansieht, erschrickt sie manchmal, weil so viele ihre Beiträge lesen.
Auch Claudia Renner von claudigoesvegan.de, seit 1990 Vegetarierin, seit 2011 Veganerin, entdeckte im Internet, was ihr im Freundeskreis fehlte: Gleichgesinnte. Dass unter ihren Lesern nicht nur Veganer sind, sondern auch Freunde der Fleischeslust, freut Claudia besonders. Auch ihr ist ein undogmatischer Umgang mit der Thematik ein Anliegen.
Ein neuer Typus Veganer
Die meisten Blogs und Onlineportale zum Veganismus sind in den letzten drei Jahren entstanden. Blogs wie averyveganlife.de, die Facebookseite der Vegan Guerilla, das Infoportal berlin-vegan.de oder Kochblogs wie eat-this.org, sie alle verstärken den Eindruck: es gibt einen neuen Typus Veganer.
Die neuen Veganer pflegen keinen Überlegenheitsmythos. Sie gehen nicht mit ihren politisch-moralischen Ansprüchen hausieren und sie begreifen Veganismus nicht als Ideologie. Statt Appellen gibt es Kochrezepte, statt KZ-Vergleichen eine entspannte Haltung. Die neuen Veganer sind jung, meist weiblich, gebildet, gut organisiert und selbstbewusst.
Um ihre Reichweiten zu erhöhen und Kompetenzen zu bündeln, schließen sich die jungen Blogs in Kollektiven wie dem Vegan Blogger Collective oder Deutschland is(s)t vegan zusammen. Das Portal bietet neben Beiträgen über den veganen Lebensstil auch viele Serviceangebote wie Veranstaltungskalender und Karten, auf denen vegane Restaurants oder Märkte verzeichnet sind.
Mord, Mord, Mord!
Das Verdikt vom arroganten Veganer ließe sich getrost beiseite wischen, wären da nicht noch die anderen: Seit Langem in der Tierrechtsszene aktive Veganer, die jede Tötung von Tieren als Mord bezeichnen – auch die der Mücken und Fliegen, die bei der Autobahnfahrt auf der Windschutzscheibe zerplatzen.
Es müssen Aktivisten wie Achim Stößer sein, die mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit für den schlechten Ruf der Szene verantwortlich sind. Stößer, Jahrgang 1963, betreibt zwei Webseiten, auf denen er als Antispeziesist auftritt. Auf seinem Blog Vegetarier sind Mörder liest man zum Beispiel: "Nicht nur durch Leichenfressen, sondern auch durch den Konsum von 'Milch', 'Eiern' und 'Honig' [sic] wird Mord an Säugetieren, Vögeln bzw. Bienen in Auftrag gegeben." Und im FAQ antwortet er auf die Frage, ob denn Vegetarier nicht zumindest auf dem richtigen Weg seien: "Wie richtig kann ein Weg sein, der über Leichen führt, wenn ein einfacher Sprung zum Veganismus führen wird." Arrogant? Zumindest undiplomatisch.
Das radikale Verdienst
Trotzdem: Ohne Radikale wie Stößer gäbe es wahrscheinlich heute keine Ausdifferenzierung der Szene. Als der Philosoph Peter Singer mit seinem Buch Die Befreiung der Tiere 1975 den Tierrechtsdiskurs in Deutschland anfachte, konkurrierten viele neue Diskurse lautstark um Aufmerksamkeit. Die Ideen der Grünen oder der Frauenrechtsbewegung gehören heute nur deswegen zum bildungsbürgerlichen Standardrepertoire, weil sie in ihrer Frühzeit nicht ungehört verhallten.
Vorkämpfern wie Stößer ist es zu verdanken, dass die Anliegen von Veganern und Tierrechtlern populär werden konnten. Den Veganern der neuen Generation genügt es, wenn andere sich mit ihren Ideen beschäftigen.
Hier im Kommentarbereich haben Sie Gelegenheit, sich mit Vertretern der veganen Online-Community auszutauschen. Wir haben die im Beitrag Erwähnten eingeladen, mit Ihnen zu diskutieren.