de.wikipedia.org

Übersättigung – Wikipedia

Sättigung und Phasenübergang:
A. Ungesättigte Lösung
B. Gesättigte Lösung
C. Gesättigte Lösung mit Fällung

Übersättigung ist die Bezeichnung für einen metastabilen Zustand einer Lösung, einer Flüssigkeit oder von Gasförmigen Stoffen. Bei übersättigten Systemen tritt ein Phasenübergang nicht am erwarteten Gleichgewichtspunkt des Phasendiagramms auf, da der Phasenübergang Kinetisch gehemmt ist.

Der Temperaturbereich, in dem eine Übersättigung auftreten kann, wird auch Ostwald-Miers-Bereich (nach Wilhelm Ostwald und Henry Alexander Miers[1]) genannt.

Beispielsweise hat übersättigter Dampf eine höhere Dichte als Dampf im thermodynamischen Gleichgewicht zwischen Dampf und Kondensat. Vor allem in Bezug auf Wasserdampf in der Luft zeigt sich beim Fehlen von Kondensationskernen (Aerosolen) im Laborversuch (Nebelkammer) zeitweise eine Übersättigung von maximal ca. 800 %. Auch unter atmosphärischen Bedingungen lassen sich Übersättigungen von über 100 % beobachten, wobei in der Regel nur Übersättigungen von wenigen Prozentpunkten auftreten.

Eine weit verbreitete Anwendung, bei der ein breiter Ostwald-Miers-Bereich ausgenutzt wird, sind Handwärmer bzw. Wärmekissen mit Natriumacetat-Trihydrat Füllung.[2] Liegt das Wärmekissen als feste Phase vor, kann es bei einer Temperatur oberhalb von 58 °C verflüssigt werden. Nach dem vollständigen Verflüssigen wird die Flüssigkeit beim erneuten Abkühlen ohne einen erneuten Phasenübergang die Schmelztemperatur unterschreiten und flüssig bleiben. Das Material kann auch noch bei Temperaturen weit unterhalb – unter Umständen bis −20 °C – als unterkühlte Schmelze in einem metastabilen Zustand flüssig bleiben.

Eine übersättigte Lösung enthält mehr von dem gelösten Stoff, als seiner maximalen Löslichkeit bei den gegebenen Bedingungen (Temperatur, Druck usw.) entspricht. Hierbei kann der gelöste Stoff bei Bedarf im kristallinen Zustand ausgeschieden werden. Siehe auch:Kristallzüchtung

Beim langsamen Abkühlen einer gesättigten Lösung bei ruhigem Stehen bildet sich oft eine übersättigte Lösung, bevor der Überschuss des gelösten Stoffes ausfällt.[3] Die Fällung kann auch chemisch eingeleitet werden. Siehe auch Fällungsreaktion.

Die Ausscheidung des „zu viel“ in Lösung gebliebenen Stoffes kann herbeigeführt werden durch:

  • Schütteln,
  • Rühren,
  • Verdunsten des Lösungsmittels,
  • Reiben mit einem Glasstab an der Innenwand des Glasgefäßes, in dem die Lösung aufbewahrt wird, oder durch
  • Zugabe eines Kristalls des Stoffes, der in der Flüssigkeit gelöst ist – „Impfen“. An den scharfen Kanten der Impfkristalle beginnt dann die Auskristallisation.[3]
  • Einbringen von Energie (beispielsweise durch Erschütterungen oder bei Wärmekissen durch Verformungsenergie)

Übersättigte Lösungen werden zum Beispiel zur Reinigung von Stoffen durch Umkristallisation oder überhaupt erst zur Gewinnung von Kristallen (auch Einkristallen:[4]) mittels Kristallisation verwendet.

Beim langsamen Abkühlen von Dampf im thermodynamischen Gleichgewicht zwischen Dampf und Kondensat entsteht übersättigter Dampf.[5]

Aus unterkühlten Wolkenfeldern lässt sich Regen durch „Impfen“ mit Keimen von z. B.

zur Ausscheidung bringen. Dies kann ggf. erwünscht sein, um Hagelschlag vorzubeugen.[5]

Wird ein Metallplättchen (ähnlich dem in einem Knackfrosch) im Wärmekissen gedrückt, löst das die Kristallisation aus. Das Kissen erwärmt sich dabei wieder auf die Schmelztemperatur, wobei die vollständige Kristallisation und damit die Freigabe der Kristallisationsenthalpie sich über eine längere Zeit erstrecken kann. Als Auslöser für die Kristallisation kommen in Frage:

  • die Druckwelle, die durch das Drücken des Metallplättchens ausgelöst wird,
  • die dabei verursachte Freisetzung mikroskopisch kleiner Kristallisationskeime, die sich bei jeder Kristallisation in kleinen Ritzen des Metalls festsetzen.[6]
  1. L. J. Spencer: Biographical notice of Sir Henry A. Miers (1858–1942). In: Journal of the Mineralogical Society. Nr. 185, 1944, S. 17–28 (minersoc.org [PDF]).
  2. Seminarvortrag Daniel Oriwol „Natriumacetat als Latentwärmespeicher“, 2008; PDF-Dokument (Memento vom 1. Oktober 2011 im Internet Archive).
  3. a b Walter Wittenberger: Chemische Laboratoriumstechnik. 7. Auflage. Springer-Verlag, Wien/ New York 1973, ISBN 3-211-81116-8, S. 100.
  4. Arthur Lüttringhaus: Krystallisieren, in Houben-Weyl (Herausgeber: Eugen Müller): Methoden der Organischen Chemie. Band I/1: Allgemeine Laboratoriumspraxis., 4. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1958, S. 354–355.
  5. a b Otto-Albrecht Neumüller (Hrsg.): Römpps Chemie-Lexikon. Band 6: T–Z. 8. neubearbeitete und erweiterte Auflage. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1988, ISBN 3-440-04516-1, S. 4404.
  6. Mansel A. Rogerson, Silvana S. S. Cardoso: Solidification in heat packs: I. Nucleation rate. In: AIChE Journal. 49, 2003, S. 505–515. doi:10.1002/aic.690490220.