Fréchet-Ableitung – Wikipedia
Die Fréchet-Ableitung (nach Maurice René Fréchet) verallgemeinert den Begriff der Ableitung aus der üblichen Differentialrechnung im auf normierte Räume. Bei Abbildungen zwischen endlichdimensionalen Räumen ergibt sich aus diesem Differenzierbarkeitsbegriff der übliche Begriff der totalen Differenzierbarkeit.
Es seien und
zwei normierte Räume und
eine offene Teilmenge. Ein Operator
heißt Fréchet-differenzierbar an der Stelle
, wenn es einen beschränkten linearen Operator
derart gibt, dass
gilt. Der Operator heißt Fréchet-Ableitung von
an der Stelle
. Existiert die Fréchet-Ableitung für alle
, dann heißt die Abbildung
mit
die Fréchet-Ableitung von
auf
. Mit
wird der Raum der stetigen linearen Abbildungen von
nach
bezeichnet.
Hinweis zur Notation: Im klassischen Fall für wird meist der Repräsentant
des Ableitungsoperators Ableitung genannt. Hier wird aber der daraus resultierende lineare Operator
Ableitung genannt. Bspw. für eine lineare Funktion
ist der Ableitungsoperator
, aber es gilt trotzdem
.
Eine äquivalente Definition ist:
Zu jedem gibt es ein
so, dass für alle
mit
gilt
.
Dies lässt sich auch kurz mit Hilfe der Landau-Symbole schreiben:
für
.
Für endlichdimensionale normierte Räume sind alle linearen Operatoren
Fréchet-differenzierbar mit konstanter Ableitung. An jedem Punkt ist der Ableitungsoperator der lineare Operator selbst:
für alle
, da sofort gilt:
.
Im unendlichdimensionalen Fall sind unter den linearen Operatoren genau die beschränkten (=stetigen) Fréchet-differenzierbar. Unbeschränkte lineare Operatoren sind nicht Fréchet-differenzierbar.
Ist eine reellwertige Funktion, die auf einer offenen Menge
definiert ist, und besitzt
stetige partielle Ableitungen, dann ist
auch Fréchet-differenzierbar. Die Ableitung an der Stelle
wird durch den üblichen Gradienten von
gegeben gemäß:
Dieses Beispiel zeigt den Zusammenhang zur üblichen Differentialrechnung im . Die Fréchet-Ableitung ist also tatsächlich eine Verallgemeinerung der Differentialrechnung für normierte Räume.
Sei ,
stetig und
stetig und im zweiten Argument stetig differenzierbar. Der nichtlineare Integraloperator
definiert durch
ist fréchet-differenzierbar. Seine Ableitung lautet
Aufgrund des Mittelwertsatzes der Differentialrechnung gilt nämlich
mit und wegen der gleichmäßigen Stetigkeit von
auf
gilt
für . Für
gilt also
was die Darstellung der Ableitung beweist.
Es lassen sich die üblichen Rechenregeln für die totale Ableitung im auch für die Fréchet-Ableitung zeigen. Folgende Gleichungen gelten, sofern sie im Sinne obiger Definition sinnvoll sind, insbesondere also die vorkommenden Abbildungen an den entsprechenden Stellen differenzierbar sind:
Sei an der Stelle
Fréchet-differenzierbar, dann existiert für jede beliebige Richtung
das Gâteaux-Differential
und es gilt:
.
Die Umkehrung gilt im Allgemeinen nicht.
Außerdem existiert dann die Gâteaux-Ableitung von an der Stelle
, die im Folgenden mit
bezeichnet wird, und es gilt:
.
Auch hier gilt die Umkehrung im Allgemeinen nicht. Unter folgenden Bedingungen gilt auch die Umkehrung:
Falls in einer Umgebung
von
Gâteaux-differenzierbar ist, das heißt das Gâteaux-Differential in jedem Punkt der Umgebung stetig und linear ist, und die Abbildung
gegeben durch
im Punkt stetig ist bezüglich der Operatornorm auf
, so ist
im Punkt
Fréchet-differenzierbar.
Diese Bedingung ist nicht notwendig. Etwa existieren schon im Eindimensionalen total differenzierbare Funktionen, die nicht stetig differenzierbar sind.
Die Fréchet-Ableitung kann z. B. zur Lösung sogenannter inverser Randwertprobleme im Rahmen eines Newton-Verfahrens verwendet werden. Als Beispiel für diese Anwendung betrachten wir ein inverses Randwertproblem zur Laplace-Gleichung:
Es sei ein unbekanntes Gebiet. Wir betrachten das äußere Dirichlet-Problem, bei dem die Randwerte auf
durch eine Quelle im Punkt
gegeben sind. Dann erfüllt die beschränkte und zweimal stetig differenzierbare Funktion
in
die Laplace-Gleichung:
und die Dirichlet-Randbedingung:
Mit bezeichnen wir die Fundamentallösung zur Laplace-Gleichung, die eine Punktquelle im Punkt
beschreibt.
Beim inversen Randwertproblem gehen wir von einem zweiten (bekannten) Gebiet aus, welches
enthält. Auf dem Rand
von
messen wir die Werte der Lösung
des direkten Dirichlet-Problems. Wir kennen also die Spur
. Unser Ziel ist nun den unbekannten Rand
von
aus der Kenntnis dieser Spur zu rekonstruieren.
Dieses Problem lässt sich formal durch einen Operator beschreiben, der den unbekannten Rand
auf die bekannte Spur
abbildet. Wir müssen also folgende nichtlineare Gleichung lösen:
Diese Gleichung kann z. B. mit Hilfe des Newton-Verfahrens linearisiert werden. Dazu schränken wir uns auf Gebiete ein, dessen Rand wie folgt dargestellt werden kann:
Wir suchen nun also die unbekannte Radiusfunktion . Die linearisierte Gleichung (das Newton-Verfahren) sieht dann wie folgt aus:
Hierbei bezeichnet die Fréchet-Ableitung des Operators
(die Existenz der Fréchet-Ableitung für
kann gezeigt werden und
kann über ein direktes Randwertproblem bestimmt werden). Diese Gleichung wird dann nach
aufgelöst, wobei wir mit
eine neue Näherung an den unbekannten gesuchten Rand gefunden haben. Anschließend kann mit dieser Näherung das Verfahren iteriert werden.
- Rainer Kress: Linear Integral Equations. Second Edition. Springer 1998, ISBN 0-387-98700-2.
- Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis – Teil 2. Teubner, Stuttgart/Leipzig, ISBN 3-519-42232-8.
- Henri Cartan: Differentialrechnung. Bibliographisches Institut AG, Zürich 1974, ISBN 3-411-01442-3.