Inkommensurabilität (Mathematik) – Wikipedia
In der Mathematik heißen zwei reelle Zahlen und
kommensurabel (von lateinisch commensurabilis ‚gleich zu bemessen, gleichmäßig‘),[1] wenn sie ganzzahlige Vielfache einer geeigneten dritten reellen Zahl
sind, also einen gemeinsamen Teiler besitzen. Die Bezeichnung kommt daher, dass man sie dann mit dem gemeinsamen Maß
messen kann. In mathematischer Notation:
, sodass
mit
.
Daraus folgt, sofern ist, dass das Verhältnis
von
und
eine rationale Zahl ist:
.
Gibt es kein auch noch so kleines gemeinsames Maß , dann heißen die Zahlenwerte
und
inkommensurabel (von lateinisch incommensurabilis ‚unmessbar‘),[2] d. h. ihr Verhältnis ist eine irrationale Zahl.
Der Ausdruck Inkommensurabilität, der auf Euklids Elemente zurückgeht, bezieht sich direkt auf das geometrische Messen von Strecken mit tatsächlichen Messlatten. Er stellt eine gute Erinnerung daran dar, dass die griechische Mathematik unmittelbar auf der anschaulichen Geometrie beruhte, deren „Anschaulichkeit“ eben durch die Inkommensurabilität überschritten wurde.
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Der erste Beweis für die Existenz von inkommensurablen Strecken wird seit der Antike dem Pythagoreer Hippasos von Metapont zugeschrieben, der im späten 6. und frühen 5. Jahrhundert v. Chr. lebte. Diese Überlieferung entspricht möglicherweise den Tatsachen. Eine Erfindung ist jedoch die daran anknüpfende Legende, der zufolge die Pythagoreer die Inkommensurabilität als Geheimnis behandelten; Hippasos soll dieses Geheimnis verraten haben, was angeblich seinen Tod zur Folge hatte. Diese Erzählung ist aus einem Missverständnis entstanden. In Zusammenhang mit der Legende vom Geheimnisverrat wurde in älterer Forschungsliteratur die Hypothese vertreten, die Entdeckung der Inkommensurabilität habe die Pythagoreer schockiert und habe eine Grundlagenkrise der Mathematik bzw. der Philosophie der Mathematik ausgelöst. Die Annahme einer Grundlagenkrise wird jedoch ebenso wie der angebliche Geheimnisverrat von der neueren Forschung einhellig abgelehnt.[3] Die Entdeckung der Inkommensurabilität wurde als Errungenschaft und nicht als Problem oder Krise betrachtet.
- Teilerfremdheit bei natürlichen Zahlen
- Goldener Schnitt
- H. Vogt: Die Entdeckungsgeschichte des Irrationalen nach Plato und anderen Quellen des 4. Jahrhunderts. In: Bibliotheca Math., 1910, (3) 10, S. 97–155.
- E. Frank: Platon und die sogenannten Pythagoreer. Niemeyer, Halle 1923.
- B. L. van der Waerden: Zenon und die Grundlagenkrise der griechischen Mathematik. In: Math. Ann., 1940, 117, S. 141–161, doi:10.1007/BF01450015.
- K. v. Fritz: The discovery of incommensurability by Hippasus of Metapontum. In: Ann. of Math., 1945, (2) 46, S. 242–264. JSTOR:1969021.
- M. Caveing: The debate between H. G. Zeuthen and H. Vogt (1909–1915) on the historical source of the knowledge of irrational quantities. In: Centaurus, 1996, 38, no. 2–3, S. 277–292; doi:10.1111/j.1600-0498.1996.tb00611.x.
- ↑ Karl Ernst Georges: commensurabilis. In: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. 8., verbesserte und vermehrte Auflage. Band 1. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1913, Sp. 1302 (Digitalisat. zeno.org).
- ↑ Karl Ernst Georges: incommensurabilis. In: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. 8., verbesserte und vermehrte Auflage. Band 2. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1918, Sp. 160 (Digitalisat. zeno.org).
- ↑ David H. Fowler: The Mathematics of Plato’s Academy. A new reconstruction. Clarendon Press, Oxford 1987, ISBN 0-19-853912-6, S. 302–308. Hans-Joachim Waschkies: Anfänge der Arithmetik im Alten Orient und bei den Griechen. Verlag Grüner, Amsterdam 1989, ISBN 90-6032-036-0, S. 311 und Anm. 23. Walter Burkert: Weisheit und Wissenschaft. Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon. Verlag Carl, Nürnberg 1962, S. 431–440. Leonid Zhmud: Wissenschaft, Philosophie und Religion im frühen Pythagoreismus. Akademie-Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-05-003090-9, S. 170–175. Detlef Thiel: Die Philosophie des Xenokrates im Kontext der Alten Akademie. Saur, München 2006, ISBN 3-598-77843-0, S. 94 Anm. 65 (zugleich Habilitation, Universität Heidelberg 2005).