Normalteiler – Wikipedia
Normalteiler sind im mathematischen Teilgebiet der Gruppentheorie betrachtete spezielle Untergruppen, sie heißen auch normale Untergruppen.
Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, dass sie genau die Kerne von Gruppenhomomorphismen sind. Diese Abbildungen zwischen Gruppen ermöglichen es, einzelne Aspekte der Struktur einer Gruppe zu isolieren, um sie an der Bildgruppe in Reinform leichter studieren zu können.
Die Bezeichnung „…teiler“ bezieht sich darauf, dass sich aus einer Gruppe und jedem ihrer Normalteiler
eine Faktorgruppe
bilden lässt. Diese Faktorgruppen sind homomorphe Bilder von
, und jedes homomorphe Bild von
ist zu einer solchen Faktorgruppe
isomorph.
Der französische Mathematiker Évariste Galois erkannte im 19. Jahrhundert als erster die Wichtigkeit des Konzeptes „Normalteiler“ für die Untersuchung nicht-kommutativer Gruppen. In seiner Theorie zur Lösung algebraischer Gleichungen, der so genannten Galoistheorie, ist die Existenz von Normalteilern einer Gruppe von Permutationen (Galoisgruppe) entscheidend für die Lösbarkeit der Gleichung durch Radikale.
Es sei eine Untergruppe der Gruppe
.
Ist
ein beliebiges Element von
, dann wird die Teilmenge
als linke Nebenklasse von
nach dem Element
von
bezeichnet.
Genauso erklärt man die rechte Nebenklasse von
nach dem Element
als
.
Für eine Untergruppe sind folgende acht Aussagen paarweise äquivalent:
- Für jedes
gilt
. (Man sagt auch:
ist invariant unter der Konjugation mit
.)
- Für jedes
und jedes
gilt
, das heißt
.
- Für jedes
stimmt die linke mit der rechten Nebenklasse von
überein:
.
- Jede Linksnebenklasse ist auch Rechtsnebenklasse.[1]
- Jede Rechtsnebenklasse ist auch Linksnebenklasse.[1]
- Es gilt
.[2]
ist eine Vereinigung von Konjugationsklassen der Gruppe
.
- Es existiert ein Gruppenhomomorphismus aus
, dessen Kern
ist.
Erfüllt eine Untergruppe eine und damit jede der oben genannten Eigenschaften, so nennt man die Untergruppe normal oder einen Normalteiler, die Begriffe Normalteiler und normale Untergruppe sind gleichbedeutend.
Die Notation
bedeutet „
ist Normalteiler von
“. Manche Autoren verwenden dafür auch
und reservieren die Bezeichnung
für den Fall, dass
.
- Jede Untergruppe einer abelschen Gruppe ist Normalteiler der Gruppe und viele Aussagen über Normalteiler sind für abelsche Gruppen trivial.
- Das Zentrum und die Kommutatorgruppe einer Gruppe sind stets Normalteiler.
- In einer topologischen Gruppe ist die Zusammenhangskomponente des neutralen Elementes ein abgeschlossener Normalteiler.
- Die Gruppe der inneren Automorphismen einer Gruppe ist stets ein Normalteiler in der vollen Automorphismengruppe.
Die Normalteilerrelation ist nicht transitiv, das heißt, aus und
folgt im Allgemeinen nicht
. Ein Beispiel für diese Tatsache ist die alternierende Gruppe A4, die einen zur kleinschen Vierergruppe
isomorphen Normalteiler hat. Jede darin enthaltene zweielementige Untergruppe ist Normalteiler in
, nicht aber in
.
Eine Untergruppe ist genau dann Normalteiler in , wenn ihr Normalisator ganz
ist. Eine Untergruppe ist immer Normalteiler in ihrem Normalisator.
Alle charakteristischen Untergruppen einer Gruppe sind Normalteiler der Gruppe, weil die Konjugation von Gruppenelementen ein Automorphismus ist. Die Umkehrung trifft im Allgemeinen nicht zu, so sind zum Beispiel die zweielementigen Untergruppen der kleinschen Vierergruppe normal, aber nicht charakteristisch.
Urbilder eines Normalteilers unter einem Gruppenhomomorphismus sind wieder Normalteiler. Bilder von Normalteilern sind im Allgemeinen nicht normal, wie etwa die Inklusionsabbildung einer Untergruppe, die nicht Normalteiler ist, zeigt. Die Bilder eines Normalteilers unter surjektiven Gruppenhomomorphismen sind aber wieder Normalteiler.
Eine Untergruppe von Index 2 ist immer ein Normalteiler.
Ist die Gruppe endlich, gilt: Ist
eine Untergruppe und ist der Index von
gleich der kleinsten Primzahl, welche die Ordnung von
teilt, so ist
ein Normalteiler.
Die Nebenklassen eines Normalteilers bilden mit dem Komplexprodukt eine Gruppe, die die Faktorgruppe
von
nach
heißt.
Die Faktorgruppe besteht also aus den Nebenklassen von , das heißt
, und das Produkt zweier Nebenklassen ist als Komplexprodukt
definiert. Für einen Normalteiler
von
und beliebige Elemente
von
ist nämlich das Komplexprodukt zweier Nebenklassen wieder eine Nebenklasse, und zwar
.
Dies folgt aus der Gleichheit von Rechts- und Linksnebenklassen (s. o.):
.
Für eine Untergruppe, die kein Normalteiler ist, ist das Komplexprodukt zweier Links- (oder Rechts-) Nebenklassen im Allgemeinen keine Links- bzw. Rechtsnebenklasse.
Ist ein Normalteiler, so ist die Abbildung
,
die jedes Gruppenelement auf die Nebenklasse
abbildet, ein Gruppenhomomorphismus von
in die Faktorgruppe
. Der Homomorphismus
ist surjektiv und der Kern ist gerade
. Man nennt diesen Gruppenhomomorphismus den kanonischen Homomorphismus
.
Der Kern eines beliebigen Gruppenhomomorphismus
ist stets ein Normalteiler der abgebildeten Gruppe.
Zur Verdeutlichung der Definitionen wird der Beweis hier ausgeführt. Sei
Dann ist für alle und
also und damit
ein Normalteiler in
nach Definition 2.
Zusammen mit den Überlegungen zum kanonischen Homomorphismus zeigen diese Überlegungen, dass die Normalteiler genau die Kerne von Gruppenhomomorphismen sind. Bei einer Gruppe entsprechen also Kongruenzrelationen genau den Normalteilern. Zu diesem Themenkreis siehe auch „Homomorphiesatz“.
Die Normalteiler einer Gruppe bilden ein Mengensystem, das sogar ein Hüllensystem ist. Dieses Hüllensystem ist ein vollständiger Verband, der Normalteilerverband. Hier bedeutet dies konkret:
- Die Schnittmenge von Normalteilern von
ist ein Normalteiler,
- Zu jeder Teilmenge
von
existiert ein eindeutig bestimmter kleinster Normalteiler
, der diese Menge enthält (Diese Operation
ist hier die Hüllenoperation). Spezialfälle: Der triviale Normalteiler
, der nur das neutrale Element
der Gruppe enthält, ist
,
selbst ist Normalteiler. Hieraus folgt die Vollständigkeit des Verbandes.
Wie das modulare Gesetz von Dedekind zeigt, ist der Normalteilerverband ein modularer Unterverband des Untergruppenverbandes. Letzterer ist im Allgemeinen nicht modular, siehe dazu „Modulare Gruppe (M-Gruppe)“.
Im Allgemeinen gibt es im Normalteilerverband keine Komplementärobjekte. Hat ein Normalteiler jedoch ein Komplementärobjekt
, das heißt, gilt für die Normalteiler
und
, dann ist die Gruppe
als (inneres) direktes Produkt dieser Normalteiler darstellbar:
, das heißt, jedes Gruppenelement
hat eine eindeutige Darstellung als Produkt
von Elementen
und
. Umgekehrt ist jeder Faktor
eines (äußeren) direkten Produktes
(isomorph zu einem) Normalteiler der Produktgruppe
und das Produkt aus den übrigen Faktoren ist isomorph zu einem dazu komplementären Normalteiler.
Eine Verallgemeinerung dieser Aussage: Für zwei Normalteiler, die eine triviale Schnittmenge haben, d. h. , gilt:
- Ihre Elemente kommutieren untereinander, ohne dass natürlich einer der beiden Normalteiler kommutativ sein müsste:
- Ihr Supremum im Verband der Normalteiler stimmt mit ihrem Komplexprodukt überein, das wiederum zu ihrem (äußeren) direkten Produkt isomorph ist:
Beide Aussagen treffen im Allgemeinen für Untergruppen, die keine Normalteiler sind, nicht zu. Zum Beispiel schneiden sich in der freien Gruppe über zwei Elementen die beiden unendlichen zyklischen Untergruppen
und
in der Einsgruppe. Die Gruppe
(äußeres direktes Produkt) ist aber zu keiner Untergruppe von
isomorph. Das Komplexprodukt
ist keine Untergruppe von
, da z. B.
ist, aber
.
Ist nur ein Normalteiler und
eine nicht notwendig normale Untergruppe der Gruppe
und schneiden sich die beiden in der Einsgruppe, gilt also
, dann gilt:
In der beschriebenen Situation () bezeichnet man das Komplexprodukt
als (inneres) semidirektes Produkt der Untergruppen
und
. Das äußere semidirekte Produkt besteht, wie in dem genannten Artikel ausgeführt, aus dem kartesischen Produkt zweier Gruppen (hier
und
) zusammen mit einem Homomorphismus
von
in die Gruppe der Automorphismen von
. Das äußere semidirekte Produkt wird dann häufig als
geschrieben. Von den technischen Details interessiert in unserem Zusammenhang nur, dass durch
die Rechenregel (Relation)
auf dem kartesischen Produkt eingeführt wird. Die Schreibweise
bedeutet hier, der Automorphismus
wird auf
angewandt, es gilt hier wie im Folgenden immer
. Diese Rechenregel ermöglicht es, alle Produkte (durch Durchschieben der Elemente von
nach rechts) auf die Standardform
zu bringen. In unserem Fall eines inneren Produkts entspricht dem die Rechenregel
,
das heißt, operiert auf
durch Konjugation,
ist der durch diese Konjugation definierte Automorphismus des Normalteilers
. Im Sinne dieser Überlegungen ist das Komplexprodukt
(hier ein inneres semidirektes Produkt) isomorph zu dem äußeren semidirekten Produkt
.
Jedes direkte Produkt ist auch ein spezielles semidirektes, wie hier beschrieben ist genau dann das (innere) direkte Produkt von
und
, wenn eine der folgenden, paarweise äquivalenten, Bedingungen zutrifft:
- Thomas W. Hungerford: Algebra. Chapter 5: Normality, Quotient Groups, and Homomorphisms. Springer-Verlag, 1989, ISBN 0-387-90518-9.
- O. A. Ivanova: Normal subgroup. In: Michiel Hazewinkel (Hrsg.): Encyclopedia of Mathematics. Springer-Verlag und EMS Press, Berlin 2002, ISBN 1-55608-010-7 (englisch, encyclopediaofmath.org).
- ↑ a b Gibt es nämlich zu jedem
ein
mit
, dann ist
. Also gibt es ein
mit
, und es ist
.
- ↑ Zur Notation
siehe Gruppentheorie#Nebenklassen.
Das Zeichen "" in "
" bedeutet Mengengleichheit (und niemals Isomorphie). Dann ist die Aussage
gleichwertig zu
(4.!) geschnitten mit
(5.!). Tatsächlich sind 4. und 5. aber schon einzeln äquivalent zur Normalteilereigenschaft.
- Normalteiler auf Mathepedia
- Eric W. Weisstein: Normal Subgroup. In: MathWorld (englisch).
- Robert Ash: Group Fundamentals. (PDF; 2,8 MB). In: Abstract Algebra. The Basic Graduate Year (englisch).