μ-Rekursion – Wikipedia
Die Klasse Pr der μ-rekursiven Funktionen oder partiell-rekursiven Funktionen spielt in der Rekursionstheorie, einem Teilgebiet der theoretischen Informatik, eine wichtige Rolle (µ für griechisch μικρότατος ‚das kleinste‘). Nach der Church-Turing-These beschreibt sie die Menge aller Funktionen, die im intuitiven Sinn berechenbar sind. Eine wichtige echte Teilmenge der μ-rekursiven Funktionen sind die primitiv-rekursiven Funktionen.
Die Klasse der μ-rekursiven Funktionen stimmt überein mit der Klasse der Turing-berechenbaren Funktionen sowie weiteren gleich mächtigen Berechenbarkeitsmodellen, wie dem Lambda-Kalkül, Registermaschinen und WHILE-Programmen.
Die primitiv-rekursiven Funktionen sind aus einfachen Grundfunktionen (konstante 0-Funktion, Projektionen auf ein Argument und Nachfolgerfunktion) durch Komposition und primitive Rekursion aufgebaut. Dadurch erhält man immer totale Funktionen, also Funktionen im eigentlichen Sinn. Die μ-rekursiven Funktionen sind demgegenüber partielle Funktionen, die aus denselben Konstrukten und zusätzlich durch die Anwendung des μ-Operators gebildet werden können. Durch die Anwendung des μ-Operators wird Partialität eingeführt. Jedoch ist nicht jede μ-rekursive Funktion nicht-total. Beispielsweise sind alle primitiv-rekursiven Funktionen auch μ-rekursiv. Ein Beispiel für eine nicht primitiv-rekursive, totale, μ-rekursive Funktion ist die Ackermannfunktion.
Für eine partielle Funktion und natürliche Zahlen
sei die Menge
festgehalten, also die Gesamtheit aller derart, dass
an der Stelle
identisch 0 verschwindet und zusätzlich für alle Punkte
mit
definiert ist.
Zu beachten ist dabei, dass als Menge natürlicher Zahlen genau dann ein Minimum besitzt, wenn sie nicht leer ist. (vgl. Wohlordnung)
Durch Anwendung des -Operators auf
entstehe nun die partielle Funktion
definiert durch:
Insbesondere bildet der Operator also eine
-stellige partielle Funktion auf eine
-stellige partielle Funktion ab.
Für berechenbares kann das Programm zur Berechnung von
verstanden werden als eine While-Schleife, die nach oben zählt, und die deswegen nicht terminieren muss:
Parameter: .
Setze auf
;
Solange erhöhe
um
;
Ergebnis: .
Die Klasse der μ-rekursiven Funktionen (von
) umfasst die folgenden Grundfunktionen:
- konstante 0-Funktion:
- Projektion auf ein Argument:
,
- Nachfolgefunktion:
Die μ-rekursiven Funktionen erhält man als Abschluss der Grundfunktionen bezüglich der drei folgenden Operationen:
- Die Komposition:
, falls
- Die Primitive Rekursion:
und
, falls
- Der μ-Operator.
Es lässt sich beweisen, dass eine Turingmaschine (TM) durch μ-rekursive Funktionen simuliert werden kann. Es lässt sich auch beweisen, dass die Menge der μ-rekursiven Funktionen genau der Menge der Turing-berechenbaren Funktionen entspricht.
Beweis-Skizze für die Simulation der TM mit μ-rekursiven Funktionen
Man kann zeigen, dass sich die Konfiguration einer TM durch drei Zahlen ,
,
darstellen lässt.
Genau so kann eine Funktion (eine bijektive Abbildung
) definiert werden,
die eine geeignete Kodierung der TM ist.
Nehmen wir also eine primitiv-rekursive Funktion
,
die eine geeignete Kodierung der TM liefert für die Eingabe nach
Berechnungsschritten,
und eine zweite primitiv-rekursive Funktion
,
die für eine Kodierung als Ergebnis 0 liefert, falls
einen Endzustand der TM repräsentiert, und ansonsten 1.
Dann ergibt
die Anzahl der Schritte, die eine TM zur Berechnung bis zum Ende benötigt. Also bekommen wir mit
die Berechnung der TM in einem Endzustand bei der Eingabe .
- Die Berechenbarkeit einer μ-rekursiven Funktion bezieht sich auf Werte aus ihrem Definitionsbereich. Es existiert kein allgemeines Verfahren, das alle Werte liefert, die nicht zum Definitionsbereich einer μ-rekursiven Funktion gehören.
- Der μ-Operator realisiert einen Suchprozess, der genau dann abbricht, wenn der gesuchte Wert existiert.
- Alle primitiv-rekursiven Funktionen sind μ-rekursiv.
- Die Ackermannfunktion und die Sudanfunktion sind totale μ-rekursive Funktionen, die nicht primitiv-rekursiv sind.
- Die Funktion Fleißiger Biber (busy beaver) ist nicht μ-rekursiv.
- Die Folge der Ziffern der Halte-Wahrscheinlichkeit (Chaitinsche Konstante
) ist nicht μ-rekursiv. Die Halte-Wahrscheinlichkeit ist definiert durch
,
- wobei
ein haltendes Programm ist und
die Länge des Programms in Bit bezeichnet.
- Heinz-Dieter Ebbinghaus, Jörg Flum, Wolfgang Thomas: Einführung in die mathematische Logik (= Spektrum-Hochschultaschenbuch.). 4. Auflage. Spektrum – Akademischer Verlag, Heidelberg u. a. 1996, ISBN 3-8274-0130-5.
- Hans Hermes: Aufzählbarkeit, Entscheidbarkeit, Berechenbarkeit. Einführung in die Theorie der rekursiven Funktionen (= Heidelberger Taschenbücher. 87). 2. Auflage. Springer, Berlin u. a. 1971, ISBN 3-540-05334-4.
- Arnold Oberschelp: Rekursionstheorie. BI-Wissenschaftlicher-Verlag, Mannheim u. a. 1993, ISBN 3-411-16171-X.
- Wolfgang Rautenberg: Einführung in die Mathematische Logik. Ein Lehrbuch. 3., überarbeitete Auflage. Vieweg + Teubner, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-8348-0578-2.