Die Kuranlagen von Bad Pyrmont - Denkmalatlas und Objektportal des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege
Von Katrin Bohley-Zittlau und Rainer Schomann Das Jahr 1681 ging in die Geschichte Pyrmonts als Höhepunkt des Badelebens ein. Im bis heute gefeierten „Fürstensommer“ logierten hier zeitgleich 34 regierende Könige und Fürsten, unter ihnen die Königin von Dänemark, der Große Kurfürst von Brandenburg und Herzog Ernst August von Hannover. Was hatte sie nach Pyrmont geführt? Die kohlensauren Mineralquellen im Pyrmonter „Tal der sprudelnden Quellen“ waren schon seit römisch-germanischer Zeit bekannt und hatten Mitte des 16. Jahrhunderts beim sogenannten „Wundergeläuf“ einen Ansturm tausender Menschen erlebt. Das eisenhaltige Sauerwasser sollte wundersame Heilungen von diversen Hautkrankheiten über Katarrhe bis zur Gicht bewirken. Lahme sollten wieder gehen, Blinde wieder sehen und Taube wieder hören können. Eine Ortschaft mit dem Namen Pyrmont oder Kuranlagen gab es noch nicht. Der heutige Brunnenplatz mit der Pyrmonter Hauptquelle, dem „Hylligen Born“, ähnelte damals wohl eher einem Morast, und die Behandlungen fanden im Freien oder in Zelten statt. Die Besucher, die es sich leisten konnten, wohnten im nahegelegenen Lügde. Zwischen Unterkünften und Gesundbrunnen pendelten Kutschen. Der Ansturm der Heilsuchenden ebbte zunächst wieder ab. Doch 1667 legte Graf Georg Friedrich von Waldeck, bis 1657 Minister und Vertrauter des brandenburgischen Großen Kurfürsten, den Grundstein zum Aufstieg Pyrmonts zum europäischen Kur- und Fürstenbad. Natürlich nicht ganz uneigennützig, denn er erhoffte sich gute Einkünfte aus der Vermarktung der Mineralquellen. So ließ er 1667 über dem Hylligen Born ein steinernes Brunnenhaus errichten und in südlicher Richtung hangabwärts eine von vier Baumreihen gefasste Promenade, die heutige Hauptallee. Sie entwickelten sich zum Zentrum des Kurbades, hier spielte sich das gesellschaftliche Leben der Kurgäste ab. Denn zur Kur gehörte nicht nur das nach genauer Vorschrift einzunehmende Mineralbrunnenwasser, sondern auch der „Spatziergang“, vorzugsweise durch die Allee, zum Wohle von Herz und Kreislauf – gesellschaftliche Kommunikation samt Sehen und Gesehen-Werden natürlich eingeschlossen. Aber bis es soweit war, mussten Unterkunftsmöglichkeiten für die erhofft zahlreichen Kurgäste geschaffen werden. Vom Brunnenplatz nach Osten in Richtung Oesdorf ließ Georg Friedrich deshalb die heutige Brunnenstraße anlegen. Er ermunterte Einwohner und Staatsbedienstete dazu, hier neue Häuser zu errichten – möglichst zweigeschossig, traufständig und weiß gestrichen – damit Fremde und Brunnengäste in bequemer Nähe zu den Hauptquellen ein „Logis“ finden konnten. Bis 1720 standen fast zwanzig Häuser, die Siedlung bekam den Namen „Neustadt Pyrmont“ und damit das landesherrlich verliehene Stadtrecht. Die Kurgäste – eingeschlossen Könige und Fürsten – logierten zumeist in den schlichten Unterkünften der umliegenden Orte. Das muss gerade im „Fürstensommer“ 1681 eine logistische Herausforderung gewesen sein, bedenkt man, mit welch großem Gefolge der Adel zu reisen pflegte.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde das barocke Alleensystem mit seinen wohl gewählten Sichtachsen in die umgebende Hügellandschaft des Weserberglands weiter ausgebaut. Im Zusammenhang mit dem Schlossneubau unter Fürst Anton Ulrich entstand der beidseits mit Bäumen bestandene „Neue Canal“, die heutige Schlossallee, als Verbindung zwischen der Festungsgraft und der Hauptallee. In ihrem Schnittpunkt wurde 1720 ein Brunnenbecken für die etwa 7 Meter hohe Fontäne angelegt, die aus der gerade entdeckten, stark kohlensäurehaltigen Bergsäuerlingsquelle gespeist wurde. Pyrmont war um eine Attraktion reicher, und mit einer Gondel konnte man nun von der Hauptallee bis zur Graft fahren. In den seit 1666 namentlich geführten Pyrmonter Kur- und Badelisten fanden sich inzwischen auch der russische Zar Peter der Große, König Georg I. von England und der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz. Solch hohen Gästen musste etwas geboten werden, weshalb die Kur- und Flanieranlagen weiter ausgebaut wurden. Bis 1772 entstanden zunächst die von sechs Baumreihen gesäumte Ballhausallee (heute Springbrunnenallee) und die auf den Ort Lügde ausgerichtete Klosterallee, die um den Dreistrahl und den ovalen Äskulap-Platz komplettiert wurde. Hinzu kam die Hyllige-Born-Allee mit dem großen Fontainenbecken als Point de vue. Immer mehr teils stattliche Gebäude flankierten die Hauptallee. So wurde 1732 ein Ballhaus mit großem Tanz- und Theatersaal, Spiel- und Kaffeetischen erbaut. Schräg gegenüber lud seit 1750 ein großes Kaffeehaus zum Speisen und Spielen ein. Immer mehr Pensionshäuser und Verkaufsboutiquen öffneten ihre Türen für Kurgäste. Hier konnte man Waren aller Art von Porzellan über Seidenstoffe bis hin zu Perücken erstehen. Viele zeitgenössische Berichte, die den sommerlichen Kurbetrieb in Pyrmont detailliert schildern, sind überliefert. So beschrieb ein französischer Gast 1795 das gesellschaftliche Treiben in der Hauptallee: „Alle speisen dort zusammen an einem langen Tisch unter den Bäumen. Zwei ausgezeichnete Musikkapellen aus Hannover spielen dort die ganze Zeit, und in den Gebäuden gibt es Läden, die mit allem angefüllt sind, was man nur wünschen kann. In den Monaten Juni und Juli kommt dorthin eine große Anzahl von Prinzessinnen, Gräfinnen und Baroninnen, um sich von der Langeweile ihrer kleinen Höfe und traurigen Schlösser zu erholen.“ Was in einem Kurbad, in dem die Ärzte zu einem Verzehr von etwa 20 bis 50 Glas Mineralbrunnenwasser täglich rieten, natürlich nicht fehlen durfte, waren Toiletten. Zumal die Pyrmonter Säuerlinge nicht nur reinigend, sondern auch abführend wirkten. Unmittelbar südlich des Brunnenplatzes, etwa dort, wo heute der Lesesaal und das Kurhotel stehen, befanden sich in drei Reihen weit über 200 „Secreta“, und jeder Kurgast bekam gegen ein kleines Entgelt einen Schlüssel zu seinem eigenen stillen Örtchen. Inzwischen hatte sich ein neuer Geschäftszweig aufgetan. Das Pyrmonter Wasser wurde in Flaschen abgefüllt und überregional vermarket, zu großen Teilen sogar über Bremen nach England verschifft. Dort war es zeitweise beliebter als das berühmte Heilwasser aus dem belgischen Spa. Zusätzlich zur Trinkkur bot Pyrmont seit 1783 auch Stahlbadekuren an. Sie sollten nach neuesten medizinischen Erkenntnissen vorzugsweise bei Leiden des Nervensystems wirken. Solche Stahlbäder, also Bäder in stark eisenhaltigem Wasser, konnte man im 1777 erbauten Badelogierhaus nehmen, dem heutigen Hotel Fürstenhof. Es ist das älteste erhaltene Gebäude aus der Glanzzeit Pyrmonts. Bald reichten jedoch die 12 Badekabinen nicht mehr aus, so dass 1815 ein wesentlich größeres Stahlbadehaus errichtet wurde und der Fürstenhof reines Logierhaus wurde. Seit 1784 gab es an der Hauptallee ein Komödienhaus zur gebildeten Unterhaltung der Kurgäste, in dem auch Johann Wolfgang von Goethe 1801 bei seinem Aufenthalt in Pyrmont häufig zu Gast war. Nachdem dieses bald baufällig geworden war, begann Theaterdirektor August Pichler 1817 mit dem Neubau eines Schauspielhauses. 1818 konnte das nach Plänen G. Dalwigs erbaute klassizistische Kurtheater eröffnen. Es ist das einzige bis heute erhaltene Theatergebäude aus der Zeit des klassischen deutschen Theaters in ganz Niedersachsen. Auch der Brunnenplatz erlebte Veränderungen: seit etwa 1830 stand hier eine Wandelhalle, die den Kurgästen Schutz vor Regen bieten sollte. Gemeinsam mit dem alten Brunnentempel musste sie 1867 einem Neubau in moderner gusseiserner Konstruktion weichen. Doch nicht nur zeitgemäße Architektur veränderte damals das Gesicht der Bäderstadt. Innerhalb des Alleensystems aus der Zeit des Barock entstanden während des 19. Jahrhunderts nach und nach landschaftlich gestaltete Gartenpartien mit zahlreichen fremdländischen Gehölzen, geschwungenen Wegen, Pavillons und Skulpturen sowie Wiesen und schmückende Blumenbeete. Dabei blieben die barocken Alleen als Rahmen und Kulisse der neuen Gartenmode erhalten. Selbst Christian Cay Lorenz Hirschfeld, ordentlicher Professor und Verfechter der landschaftlichen Gartenmode, hatte in seinem Standardwerk zur „Theorie der Gartenkunst“ Alleen für „Gärten bey den Gesundbrunnen“ empfohlen, da sie von den Kurgästen als Spaziergang sehr geschätzt würden. Gartendirektor Friedrich Dirks ließ noch 1882 als Erweiterung des Alleensystems nach Norden die Bombergallee pflanzen, um eine direkte Verbindung mit dem Wald des Pyrmonter Berges zu ermöglichen. Ab 1903 entwickelte der Hannoversche Stadtgartendirektor Julius Trip in fürstlichem Auftrag Pläne für die östlich der Schlossgraft gelegenen “Französischen Anlagen“ mit Teppichbeeten und repräsentativem Blumenschmuck sowie die malerisch gestaltete Partie nördlich der Festung auf dem Gelände ehemaliger Erbzinsgärten, die später als Malerblick bezeichnet wird, da sich von hier aus ein sehenswertes Panorama in die Umgebung ergibt.
Bereits 1899 war das neue Kurhaus als Nachfolgebau des alten Ballhauses eröffnet worden. Dafür mussten sowohl der östliche Teil der Ballhausallee als auch die langen Reihen der „Secreta“ entfernt werden. Ein großer Teil des Kurparks wurde nun eingezäunt und somit noch exklusiver. Südlich des neuen Kurhauses gab es jetzt eine Konzertmuschel als Ersatz für den Musikpavillon auf der Hauptallee. Nahezu zeitgleich mit der Erweiterung und Neugestaltung des Kurparks errichtete man von 1905 bis 1907 das Kurhotel und das Heiligenangerbad und fasste diese mit dem Kurhaus zu einem Komplex zusammen. Von 1907 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war Werner Dirks Gartendirektor in Pyrmont und hat als solcher im Auftrag des Fürsten einen Generalplan für den Kurpark aufgestellt, um den Gartenanlagen ein harmonisches Gesamtbild zu geben. Ihm verdanken wir auch den bis heute berühmten Pyrmonter Palmengarten. 1912 stellte er in den erweiterten und um vier Springbrunnen ergänzten Französischen Anlagen die ersten in Italien bestellten Dattelpalmen auf. Um die kostbaren Bäume gut über den Winter zu bringen, ließ Dirks in der Folge westlich der Schlossgraft zwei Palmenhäuser errichten, die den Pflanzen bis heute in den Wintermonaten Schutz bieten. 1914 erhielt die Stadt endlich offiziell den Namen „Bad Pyrmont“. Ab 1922 verwaltete die Bad Pyrmont-AG die Bäder und gab sogleich den Bau der neuen Wandelhalle samt Brunnentempel als Nachfolgebau der Eisenkonstruktion von 1868 in Auftrag. Weitere einschneidende bauliche Veränderungen folgten 1926-28 mit dem Bau des Konzerthauses, der Arkaden und des Lesesaalgebäudes entlang der Heiligenangerstraße. Die Arkaden, die die kleinen Ladenboutiquen ersetzten, trennten den Kurpark von der Hauptallee. So entstanden zeitgemäß drei separate urbane Funktionsbereiche: der eingefriedete Kurpark als Erholungsareal und die Hauptallee südlich des Hylligen Borns mit dem Kurtheater, dem neuen Konzerthaus, Hotels und Cafés als Flaniermeile. Die Brunnenstraße entwickelte sich hingegen zur Wohn-, Geschäfts- und Administrationszone. Ab 1931 plante Werner Dirks die Erweiterung der Pyrmonter Parkanlagen nach Norden um den Bergkurpark. Im Stil der Gartenkunst jener Zeit wirkt die Anlage landschaftlich gestaltet, doch sind die Wege in ihrem Verlauf einfacher geführt und das Erleben ausgewählter und farblich wirkungsvoll in Szene gesetzter Baum- und Strauchpflanzungen auf ausgedehnten Wiesenflächen in den Vordergrund gestellt. Die Gehölzgruppen wurden so gepflanzt, dass sie jegliche Bebauung verdeckten und die Blicke in die umgebende Landschaft geleitet wurden. Die Pyrmonter Anlagen wurden somit nochmals deutlich ausgedehnt und mit der Umgebung nicht nur visuell verbunden. 1937 wurden die Pyrmonter Bäder nach Auflösung der Bad Pyrmont AG Preußisches Staatsbad, und der Zweite Weltkrieg hinterließ auch in dieser „Welt“ seine Spuren. Die Kurgäste blieben aus, Rasenflächen und Blumenbeete der Parkanlagen wandelte man in Kartoffel- und Gemüsefelder um, Hotels und Gästehäuser wurden für Lazarettzwecke beschlagnahmt. Einen Neustart erfuhr Bad Pyrmont 1947, als es Niedersächsisches Staatsbad wurde und zahlreiche Initiativen zur Modernisierung folgten, die sich zunächst weitgehend ins Gesamtbild der Kurstadt einfügten. 1950 eröffnete das Co2-Trockenbad westlich der Klosterallee, das mit seinen Pergolen, dem zentralen Kuppelbau und den vorgelagerten Freitreppen in den Dreistrahl eingefügt wurde und nun in die Anlagen des Kurparks überleitet. Drei Jahre später wurde die Helenenquelle als separater Garten neugestaltet und bekam ihre offene halbkreisförmige Überbauung. Nachdem 1956 das Land Niedersachsen Schloss und Schlossinsel Pyrmont erwarb, konnte auch dieser Bereich als Attraktion der Kuranlagen entwickelt werden. Fortan waren sie in die Erlebniswelt des Kurparks eingebunden und sind bis 1987 nach und nach aufwendig restauriert worden. Als ein lebendiges und vielfältiges Geschichtszeugnis stehen zahlreiche Gebäude und weite Teile der grünen Kuranlagen heute unter Denkmalschutz. Zwar stieg Bad Pyrmont im Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht in die Liga der mondänen Bäder Europas auf, bewahrte aber den Charme des gewachsenen Fürstenbades. Das Schloss, die Hauptallee, das Kurtheater sowie zahlreiche Hotels und Pensionen verweisen in diese Zeit und sind dennoch Teile eines gewachsenen Ganzen geworden, das gerade diese lange Entwicklungsgeschichte erleben lässt. Sicherlich sind darunter auch, zumindest aus denkmalpflegerischer Perspektive, Fehltritte und Entgleisungen baulicher Entwicklung zu finden, doch weist Bad Pyrmont immer noch ein historisches Potential auf, das zu bewahren nicht nur eine weitere Kulturleistung wäre, sondern ein gesellschaftliches Anliegen sein sollte.
Sehr geehrte Benutzer,
aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.
Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.
- Google Chrome
- Mozilla Firefox
- Windows-Nutzern empfehlen wir Windows 10 mit dem intergrierten Browser EDGE.
Vielen Dank für Ihr Verständnis.