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Berliner Architckturwcll
schäftigung des Modellierens und der Stein
arbeit, und die Gelegenheit dazu bot ihm
der Neubau der Nationalgalerie, an deren
plastischer Ausschmückung er mitzuhelfen
hatte. Er hatte auch einen eigenen Raum
zur Verfügung, in dem er während der
Mussestunden und des Sonntags für sich
arbeiten durfte, und hier entstand sein erstes
selbständiges Werk von Bedeutung, die
lebensgrosse Figur einer Loreley, die zwar
bei einem Besuch des Kronprinzen Friedrich
Wilhelm im Neubau dessen Beifall, nicht
aber Gnade vor den Augen der Jury der
akademischen Kunstausstellung fand. Eine
solche Zurückweisung war damals für einen
aufstrebenden Künstler ein weit härterer
.Schlag als heute, wo sich den Zurückge
wiesenen die Pforten anderer Ausstellungen
bereitwillig öffnen und die Ablehnung eines
Kunstwerkes durch die Jury schon als nicht
unerwünschte Reklame ausgebeutet wird.
Damals wurde ein solcher Schlag auch im
Stillen verwunden, und im Stillen arbeitete
LOCK an einem neuen Werke weiter, einer
Gruppe aus der Sintflut, die, als sie nach
heissem Bemühen vollendet war und der
Jury vorgestellt wurde, kein besseres Schick
sal fand.
Auch dieser zweite Misserfolg entmutigte
ihn nicht. Was er in Rom, Florenz und
Venedig an Herrlichem gesehen, stand zu
lebendig vor seiner Seele, als dass er sich
in seinem hochfliegenden Idealismus hätte
niederzwingen lassen, um so weniger, als
jene ersten Arbeiten nicht ganz ungenutzt
aus dem Gesichtskreis der Menschen ver
schwanden. Sowohl die Loreley wie die
.Sintflutgruppe sind durch Bronzeguss ver
vielfältigt worden und haben ihrem Schöpfer
wenigstens in dieserGestalt eine bescheidene
Anerkennung gebracht. Am meisten tröstete
ihn aber die . Arbeit für andere über seines
eigenen Misserfolge hinweg. Besonders in
EmIL Hundrieser hatte er einen zuver
lässigen Freund gefunden, der ihm nicht
nur die Ausführung seiner grösseren deko
rativen Arbeiten in Sandstein u. s. w. über
trug, sondern ihn auch gelegentlich als
Mitarbeiter bei eigenen Entwürfen heranzog.
So ist z. B. aus ihrer gemeinsamen Arbeit
eine kolossale Berolina hervorgegangen,
eine Augenblicksdekoration, die beim Ein
züge des Königs von Italien in Berlin 1889
auf dem Potsdamer Platz aufgestellt wurde
und die die Anregung zu HundrieSEKs
eigener, mehrfach veränderter .Statue der
Berolina gegeben hat, die, in Kupfer ge
trieben, jetzt als ein Wahrzeichen Berlins und
der Kunstpflege der städtischen Behörden
auf dem Alexanderplatz stellt. Seine eigene
Idee hat Lock später allein in einer Statue
der Berolina ausgestaltet, die er für die
Jubelfeier des Vereins für die Geschichte
Berlins entwarf. Eines der letzten Werke,
das er nach einem Modelle Hundrieser s
ausführte, war die sitzende Marmorstatue
der Königin Luise in der Nationalgalerie.
Sie ist ein beredtes Zeugnis für die voll
endete Meisterschaft* mit der Lock auch
die Technik der Marmorbearbeitung be
herrschte.
Erst imjahre 1884 gelang es dem Künstler,
sich auch mit einem Werke eigenen Geistes
und eigener Hand in Berlin allgemeine An
erkennung zu erringen. Es war eine Gruppe
des greisen Dädalos mit dem Leichnam
seines Knaben Ikaros in den Armen, die auf
der Kunstausstellung jenes Jahres erschien,
nachdem sie schon vorher auf einer Aus
stellung in Brüssel durch eine goldene
Medaille ausgezeichnet worden war. Der
Künstler, der von früh an gelernt hatte, in
grossem Maassstabe zu arbeiten und grosse
Massen zu bewältigen, hatte sich für seine
mächtige, ausdrucksvolle Formensprache
kein geringeres Vorbild als Michelangelo
gewählt, und wenn auch Manchem vielleicht
die Gewandfalten zu massig, der Körper
des Alten zu übermächtig erschienen, so
wurde doch dieser Uebcrschuss äusserer
Kraft durch die edle Schönheit des Jüng
lingskörpers und durch den ergreifendem
Ausdruck des Schmerzes in dem Antlitz
des Greises ausgeglichen, der mit dem
Schmerze über den Verlust noch den tiefen
Stachel in sich fühlt, diesen Verlust durch