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  • ️Sun Jan 01 1899
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Berliner Architckturwcll 
schäftigung des Modellierens und der Stein 
arbeit, und die Gelegenheit dazu bot ihm 
der Neubau der Nationalgalerie, an deren 
plastischer Ausschmückung er mitzuhelfen 
hatte. Er hatte auch einen eigenen Raum 
zur Verfügung, in dem er während der 
Mussestunden und des Sonntags für sich 
arbeiten durfte, und hier entstand sein erstes 
selbständiges Werk von Bedeutung, die 
lebensgrosse Figur einer Loreley, die zwar 
bei einem Besuch des Kronprinzen Friedrich 
Wilhelm im Neubau dessen Beifall, nicht 
aber Gnade vor den Augen der Jury der 
akademischen Kunstausstellung fand. Eine 
solche Zurückweisung war damals für einen 
aufstrebenden Künstler ein weit härterer 
.Schlag als heute, wo sich den Zurückge 
wiesenen die Pforten anderer Ausstellungen 
bereitwillig öffnen und die Ablehnung eines 
Kunstwerkes durch die Jury schon als nicht 
unerwünschte Reklame ausgebeutet wird. 
Damals wurde ein solcher Schlag auch im 
Stillen verwunden, und im Stillen arbeitete 
LOCK an einem neuen Werke weiter, einer 
Gruppe aus der Sintflut, die, als sie nach 
heissem Bemühen vollendet war und der 
Jury vorgestellt wurde, kein besseres Schick 
sal fand. 
Auch dieser zweite Misserfolg entmutigte 
ihn nicht. Was er in Rom, Florenz und 
Venedig an Herrlichem gesehen, stand zu 
lebendig vor seiner Seele, als dass er sich 
in seinem hochfliegenden Idealismus hätte 
niederzwingen lassen, um so weniger, als 
jene ersten Arbeiten nicht ganz ungenutzt 
aus dem Gesichtskreis der Menschen ver 
schwanden. Sowohl die Loreley wie die 
.Sintflutgruppe sind durch Bronzeguss ver 
vielfältigt worden und haben ihrem Schöpfer 
wenigstens in dieserGestalt eine bescheidene 
Anerkennung gebracht. Am meisten tröstete 
ihn aber die . Arbeit für andere über seines 
eigenen Misserfolge hinweg. Besonders in 
EmIL Hundrieser hatte er einen zuver 
lässigen Freund gefunden, der ihm nicht 
nur die Ausführung seiner grösseren deko 
rativen Arbeiten in Sandstein u. s. w. über 
trug, sondern ihn auch gelegentlich als 
Mitarbeiter bei eigenen Entwürfen heranzog. 
So ist z. B. aus ihrer gemeinsamen Arbeit 
eine kolossale Berolina hervorgegangen, 
eine Augenblicksdekoration, die beim Ein 
züge des Königs von Italien in Berlin 1889 
auf dem Potsdamer Platz aufgestellt wurde 
und die die Anregung zu HundrieSEKs 
eigener, mehrfach veränderter .Statue der 
Berolina gegeben hat, die, in Kupfer ge 
trieben, jetzt als ein Wahrzeichen Berlins und 
der Kunstpflege der städtischen Behörden 
auf dem Alexanderplatz stellt. Seine eigene 
Idee hat Lock später allein in einer Statue 
der Berolina ausgestaltet, die er für die 
Jubelfeier des Vereins für die Geschichte 
Berlins entwarf. Eines der letzten Werke, 
das er nach einem Modelle Hundrieser s 
ausführte, war die sitzende Marmorstatue 
der Königin Luise in der Nationalgalerie. 
Sie ist ein beredtes Zeugnis für die voll 
endete Meisterschaft* mit der Lock auch 
die Technik der Marmorbearbeitung be 
herrschte. 
Erst imjahre 1884 gelang es dem Künstler, 
sich auch mit einem Werke eigenen Geistes 
und eigener Hand in Berlin allgemeine An 
erkennung zu erringen. Es war eine Gruppe 
des greisen Dädalos mit dem Leichnam 
seines Knaben Ikaros in den Armen, die auf 
der Kunstausstellung jenes Jahres erschien, 
nachdem sie schon vorher auf einer Aus 
stellung in Brüssel durch eine goldene 
Medaille ausgezeichnet worden war. Der 
Künstler, der von früh an gelernt hatte, in 
grossem Maassstabe zu arbeiten und grosse 
Massen zu bewältigen, hatte sich für seine 
mächtige, ausdrucksvolle Formensprache 
kein geringeres Vorbild als Michelangelo 
gewählt, und wenn auch Manchem vielleicht 
die Gewandfalten zu massig, der Körper 
des Alten zu übermächtig erschienen, so 
wurde doch dieser Uebcrschuss äusserer 
Kraft durch die edle Schönheit des Jüng 
lingskörpers und durch den ergreifendem 
Ausdruck des Schmerzes in dem Antlitz 
des Greises ausgeglichen, der mit dem 
Schmerze über den Verlust noch den tiefen 
Stachel in sich fühlt, diesen Verlust durch