Samy grüßt entspannt in Richtung Rio Reiser.
laut.de-Kritik
Samy grüßt entspannt in Richtung Rio Reiser.
Review vonSamy Deluxe galt einmal als der technisch versierteste Rapper, den dieses Land hervor gebracht hat. Die glorreiche Vergangenheit nimmt ihm keiner mehr, komme, was will. Die Bestürzung darob, in welch umfassender Weise das Feld mittlerweile an ihm vorbei gezogen ist, raubt mir angesichts von "Dis Wo Ich Herkomm" dann aber doch den Atem.
Raffinesse, Punktgenauigkeit und nicht zuletzt Tempo von weichen verschliffenen Zeilen, halbseidenen Gesangseinlagen und allgemeiner Behäbigkeit. Nee, nee. Das tönt nicht mehr, wie im "Intro" versprochen "fresher" oder "besser", und sollte Samy sich allen ernstes für den "allerletzten Rapper mit 'ner Message" halten, drängt sich die Frage auf, wer da eigentlich die letzten zehn Jahre verschlafen hat.
"Ich betrachte mich selbst mit gemischten Gefühlen", heißt es in "Wer Ich Bin". Möglicherweise liegt genau da der Hund begraben: Samy setzt sich zwischen alle Stühle. Einen Sinn fand er für sich selbst einst erst im Hip Hop. Damals konnte man das hören.
Heute ist der Hunger gestillt. Der Drang, vorne mitmischen zu wollen, bleibt gleich mit auf der Strecke. "Wir sind keine Kinder mehr, doch trauern immer noch den alten Zeiten hinterher." Schon habe ich mich von den Grübeleien anstecken lassen. Tu' ich das? Bin ich auch so ein Ewig-Gestriger?
Ich finde: Nö. Ich identifiziere mich viel eher mit einer Zeile aus "Blick Nach Vorn": "Ich denk' gern zurück, doch bin mir bewusst: Es war niemals besser." Deutschrap war, eine Flut mittelmäßiger bis völlig talentbefreiter Rapper ändert daran nichts, nie facettenreicher, ausgefeilter, unterhaltsamer und interessanter als heute. Deswegen wirkt Samy auch so gestrig.
Paradox jedoch: Gleichzeitig erscheint er in der Gelassenheit, mit der er auf Style-Diktate und Konventionen kackt, beinahe visionär. Gangsterrap ist angesagt? So what? Samy grüßt mit einer sonnigen Reggae-Nummer entspannt in Richtung Rio Reiser ("Bis Die Sonne Rauskommt").
Sein Dankeschön widmet er statt der inflationär gehuldigten Mama der Großmutter ("Oma Song"), und sinniert im abschließenden "Sprech Wie Ich Sprech" zu groovigen Klängen, die direkt aus dem nächsten Jazz-Keller auf die Straße dringen könnten, über die Rap-Tauglichkeit so schöner deutscher Wörter wie "Krapfen".
"Damals ging alles nur ums Kiffen, Schreiben und Rappen. Heute geht es darum, richtige Entscheidungen zu treffen." So rückständig seine Technik zuweilen klingt, so gereift, schlicht erwachsen gestaltet sich über weite Strecken die Themenwahl.
Liebeserklärungen an den Nachwuchs gibt es zwar wie Sand am Meer. Zu beobachten, wie Samy die Wiederholung des eigenen Schicksals als Außenseiter im Leben seines Sohnes hörbar nahe geht, eröffnet doch eine neue Dimension.
Ebenso mit-erlebbar gestaltet sich die unter einer mühsam beherrschten Oberfläche brodelnde Wut in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater ("Vatertag"), die ihre Entsprechung in der Musik findet. Der plötzliche Wechsel in der musikalischen Grundstimmung, von hallenden Bässen zu flächigen Elektro-Sound trägt überdeutlich die Handschrift Tuas.
Die alten Weggefährten Tropf und Dynamite sorgen in "Musik Um Durch Den Tag Zu Kommen" für die akustischen Synthie-Schaumstoff, in den man sich gerne fallen lässt. Dynamite alleine verpasst "Sowieso Schwer" den lässigen Reggae-Touch, der Bass zu "Stumm" passte in jede Dancehall.
Max Herre und Klanglandschaftsgärtner Samon Kawamura veredeln das fünfeinhalbminütige Schwelgen in angenehmen Kindheitserinnerungen im "Oma Song" mit eben so angenehmen, perlenden Klavierklängen, während DR Period für das übertrieben bescheiden zum Skit deklarierte "Übers Geld" einen Basslauf aus dem Hut zieht, der an Funkyness seinesgleichen sucht.
Ich persönlich verzeihe dafür eine gute Portion Kitsch, fluffige Melodieseligkeit und harmlose Nettigkeit, die insbesondere in den vielen Co-Produktionen von Samy Deluxe mit Instruments zutage tritt, und ich verzeihe eine Überdosis Selbstreflektion, auch wenn sie sich zuweilen quälend im Kreise dreht. Ich verzeihe jedoch keineswegs, dass Samy sich hat derart abhängen lassen. Das wäre nicht nötig gewesen.