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Alte Widmungen sind nicht einfach änderbar

  • ️Sat Nov 02 2024

Gemeindepolitik

Rund um die Hochwasserkatastrophe im September ist die Debatte entstanden, ob Baugrundstücke in Überflutungszonen nicht zurückgewidmet werden sollten. Das sei nicht so einfach, sagten die Präsidenten der Gemeindevertreter von ÖVP und SPÖ.

2. November 2024, 19.28 Uhr

Johannes Pressl ist Bürgermeister von Ardagger (Bezirk Amstetten). Er vertritt außerdem als Präsident des Gemeindebundes der ÖVP 452 der 573 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Niederösterreich und ist zugleich auch Präsident des überparteilichen Österreichischen Gemeindebundes.

In der Diskussion über mögliche Rückwidmungen von Baugrundstücken in Überflutungsgebieten verweist Pressl auf den vor einem halben Jahr vorgestellten Bodenschutzplan des Österreichischen Gemeindebundes. Es werde legistische Maßnahmen geben und auch Rückwidmungen und Reduktionen.

Johannes Pressl
ÖVP-Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl

Aber: „Wo wir nicht vorbeikommen, ist die Frage des Eigentums und der in der Verfassung begründeten Eigentumsrechte.“ Denn wenn ein Grundstück rückgewidmet wird, verliert es an Wert und der müsse den Besitzern ersetzt werden. Das gelte für alle Formen der Rückwidmung, nicht nur in Überflutungsgebieten.

Dem stimmt Andreas Kollross zu. Der Bürgermeister von Trumau (Bezirk Baden) ist Präsident der niederösterreichischen SPÖ-Gemeindevertreter und auch Vorsitzender der SPÖ-Gemeindevertreter Österreichs.

Andreas Kollross
SPÖ-GVV-Präsident Andreas Kollross

Kollross sieht es als „spannend, wenn die gesetzlichen Grundlagen geschaffen würden, damit die Gemeinden sagen können, wir widmen alles zurück. Dann diskutieren wir über die Entwicklung jeder einzelnen Gemeinde und schauen uns an, wie sie sich entwickelt hat und beginnen dann ein komplett neues Widmungsverfahren.“

Strengere Regeln für Bürgermeister/innen?

In den vergangenen Jahren kam es zu Diskussionen um die Glaubwürdigkeit der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, als Grundstücksdeals von Bürgermeistern bekannt wurden, die zwar strafrechtlich nicht relevant waren, aber zu Rücktritten führten. Braucht es strengere Regeln?

Multimedialer Schwerpunkt

In den Herbstferien widmet sich der ORF Niederösterreich in TV, Radio, online und auf Social Media der Gemeindepolitik.

Johannes Pressl: „Wir schwören ja als Kommunalpolitiker einen Eid, die Verfassung einzuhalten, alle gesetzlichen Grundlagen einzuhalten, zum Wohle der Menschen zu arbeiten, uneigennützig und unparteiisch zu arbeiten. Und dieses Regelwerk hat in all den Fällen – und es sind Einzelfälle – dazu geführt, dass es in einem demokratischen Prozess zu Rücktritten gekommen ist oder man sich als Politiker umorientiert hat. Ich glaube sehr wohl, dass unser System gut gestrickt ist.“

Andreas Kollross: „Bürgermeisterin oder Bürgermeister, ja sogar der gesamte Gemeinderat entscheidet nicht alleine über Umwidmungen. Es braucht auch immer die Zustimmung des Landes. Deshalb bin ich der Meinung, wenn es hier Verfehlungen gegeben hat, dann muss man das nicht nur aus Sicht der Gemeinde betrachten, sondern auch aus Sicht der zuständigen Abteilung im Land, die die Kontrolle ausübt.“

Verschiedene Positionen zur Leerstandsabgabe

Die Frage der Widmungen ist auch eine des Bodenverbrauchs, der ein Dauerthema in den Gemeinden ist. Wäre eine Leerstandsabgabe ein geeignetes Steuerungsinstrument?

Andreas Kollross: „Ich bin ein Befürworter der Leerstandsabgabe, weil ich glaube, dass man versuchen sollte, vorhandene Gebäude zu nützen, ehe man auf der grünen Wiese neue Gebäude baut.“

Johannes Pressl: „Die Leerstandsabgabe ist für mich nicht der Weisheit letzter Schluss, weil ich glaube, dass sie Bauland nicht mobilisiert. Wir haben uns das einmal ausgerechnet, die müsste so hoch sein, dass das in Österreich nicht anwendbar ist.“

Gemeindethema Gesundheits- und Spitalsreform

Viele Gemeinden befinden sich in finanzieller Schieflage. Auch weil Umlagen – unter anderem für Spitäler – zu bezahlen sind, die laufend steigen. So trifft die zuletzt heiß diskutierte Spitalsreform in Niederösterreich auch die Gemeinden.

Andreas Kollross: „Ich denke, dass man über Einsparungen schon diskutieren kann, was aber nicht heißen darf, dass man die Versorgungssicherheit in Frage stellt. Und was die Umlagen betrifft, wir müssen einfach einmal dorthin kommen, dass der, der anschafft, auch zahlt. Und das ist in diesem Fall das Land, nicht die Gemeinden.“

„Haus D“ Universitätsklinikum St. Pölten
Die Gemeinden bezahlen laufend steigende Umlagen, unter anderem für Spitäler

Johannes Pressl: „Die Umlagen steigen enorm und wir haben keine Möglichkeit, diese Zahlungen zu beeinflussen. Wollen wir keine Spitalsreform, dann werden wir diese Kosten immer weiter haben. Da sitzen wir in einem Boot und ich kann alle reformorientierten Kräfte nur auffordern, einen konstruktiven Dialog zu haben. Zum Beispiel über Medizin. Jeder will die beste Medizin, aber es muss eben nicht die nächstliegende Medizin sein.“

Aufwertung des Bürgermeisteramtes

Was sich beide vorstellen könnten, sind hauptberufliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, vordergründig streben beide aber eine soziale und finanzielle Besserstellung an – auch, um die besten Köpfe für dieses Amt zu bekommen.

Johannes Pressl: „Bürgermeister ist ja nicht nur Bürgermeister als Politiker. Wir sind als Bürgermeister Manager, mehrfache Geschäftsführer. Ich bin verantwortlich für die Wasserversorgung, bin ‚Lebensmittel-in-Verkehr-Bringer‘ und damit dem Lebensmittelinspektor verantwortlich, ich habe die Verantwortung, dass der Kanal funktioniert – in vielen Bereichen sind wir Geschäftsführer.“

Andreas Kollross: „Ich denke, wir sollten eine neue Debatte darüber beginnen, unter dem Motto ‚Bürgermeister ist auch in ein Dienstverhältnis zu stellen‘, denn derzeit gibt es keine rechtliche Absicherung und es ist eigentlich ein Fulltime-Job. Jemand, der in der Privatwirtschaft tätig ist, überlegt dreimal, ob er das tut, denn in fünf Jahren kann es wieder vorbei sein.“

Verhandlungen gibt es über ein Zweitwohnsitzabgabe in Niederösterreich, allerdings sind noch einige Details offen. Wien hat eine solche ja angekündigt. Wenn die komme, müsse man reagieren, dann wäre sie auch in Niederösterreich wohl unumgänglich, bestätigen Pressl und Kollross. Wien, Niederösterreich und das Burgenland sind derzeit die einzigen Bundesländer, die noch keine solche Abgabe haben.