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Utraquisten

Mehr als 452 böhmische Adlige kündigten dem Konzil nach Hussens Tod den Gehorsam auf – sein Tod wirkte in vielerlei Hinsicht katalytisch auf bestehende Spannungen und Entwicklungen. König Wenzel (1361–1419) duldete den Ungehorsam gegen Konzil und Kirche in Böhmen. Das 1415 verhängte Interdikt sorgte dafür, dass utraquistische Priester die verlassenen Kirchen übernehmen konnten. Ihr geistiger Führer war Jakob von Mies, der die tschechischsprachige Messe einführte. 1416 hatten die Utraquisten alle Prager Kirchen übernommen. Die Prager Universität sanktionierte 1417 die Kommunionspendung in beiderlei Gestalten und ebnete damit utraquistischen Priestern den Weg zu Anstellungen.

Radikalere Gruppen dagegen plünderten Kirchenbesitz und schritten gewaltsam gegen Ordensschwestern und -brüder sowie Priester ein. Diese schwersten Unruhen konnte auch Wenzel, unter starkem Druck des Kaisers und des Papstes, durch Ausweisung der Kelchpriester aus den königlichen Städten nicht besänftigen. Die Androhung eines Kreuzzugs durch Papst Martin V. (1368–1431) im Jahr 1418 schmiedete Utraquisten und die radikaleren Gruppen zusammen.

Die Zeit von 1419 bis 1437 wird allgemein als Zeit der Hussitischen Revolution verstanden. Fünf Aktionsgruppen prägten die Ereignisse: der Reformkreis im Magisterkollegium der Universität Prag, die Prager Nationalisten (eine akademisch oder politisch gebildete Führungselite des Bürgertums), die sogenannten kleinen Leute (Handwerker, Tagelöhner und Gesellen), in den Städten, besonders in der Prager Neustadt, die Gruppen von Tabor und Oreb sowie der Hochadel. Der Aufstand gegen König Wenzel brach 1419 aus, wobei es zur Besetzung von St. Stephan sowie zu Übergriffen auf Katholiken und Parteigänger des Königs kam und 13 katholische Ratsherren defenestriert und getötet wurden (Erster Prager Fenstersturz). Die Radikalen übernahmen die Macht in Prag und eigneten sich Kirchengut an. Wenzel erlitt einen Schlaganfall und verstarb. Es kam zu Vertreibungen der katholischen Geistlichkeit und besitzender deutschsprachiger Familien. Unter Jan Želivský/Johannes von Seelau (um 1380–1422) entwickelte sich, bis zu seinem Sturz 1422, in der Prager Neustadt eine religiös-soziale Diktatur.

Während die radikaleren Hussiten, chiliastisch und adventistisch gesinnt, die Stadt Tabor/Tabór gründeten, nicht ohne zuvor Gewalttaten an ihren Feinden verübt zu haben, setzten die gemäßigten Utraquisten dagegen zunächst auf eine Verständigung mit der Königinwitwe Sophie (1376–1425).

Im Anschluss an die Lehre von Hus hatte sich eine Volksbewegung in Böhmen gebildet, die ihre Forderungen 1420 in den Vier Prager Artikeln formulierte: freie Predigt, den Laienkelch, die Säkularisation des Kirchengutes sowie die strenge Kirchenzucht im Klerus. Diese Vier Artikel waren gemeinsame Grundlage der Utraquisten. Sie gingen aber den Taboriten nicht weit genug. Den Kompromiss zwischen dem Konzil von Basel und den böhmischen Ständen stellten die Prager Kompaktaten (Compactata religionis) von 1433 dar.

Die besondere Brisanz der utraquistisch-hussitischen Forderungen bestand in der Verbindung von reformatorischen und politischen Anliegen in Böhmen, die zunehmend sozialrevolutionären Charakter besaßen. Große Teile des kirchlichen Grundbesitzes gingen an den böhmischen Adel und hussitische Städte. Der Prager Kompromiss sah das Abendmahl in beiderlei Gestalten vor, erlaubte der Kirche – entgegen der früheren Forderung der Utraquisten – grundsätzlich ihren Besitz und die freie Predigt ordinierter Geistlicher. Die Utraquisten unterschrieben, ordneten sich damit formal wieder in die katholische Kirche ein und waren damit anerkannt. Die Taboriten wurden von den verbündeten utraquistischen und kaiserlichen Truppen in der Schlacht von Lipan/Lipany 1434 geschlagen.

Zum Ende der Hussitenkriege mit fünf Kreuzzügen (1419–1434) führten die sogenannten Iglauer Kompaktaten von 1436. Vertragspartner waren Kaiser Sigismund (1368–1437), zugleich König von Böhmen, und die Hussiten. Den Prager Bischofsstuhl besetzte danach ein Utraquist, Jan Rokyzana, das Abendmahl in beiderlei Gestalten wurde im gesamten Königreich gestattet, und die Utraquisten erkannten Sigismunds Herrschaft an.