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Ernst-Hoferichter-Preis

  • ️Landeshauptstadt München, Stadtverwaltung

Josef Brustmann
An diesem Hoferichter-Preisträger verwundert eigentlich nur, dass er ihn nicht schon längst bekommen hat. Denn die einschlägigen Kriterien – Weltoffenheit, Originalität, Humor – treffen auf Josef Brustmanns wirklich große Kleinkunst uneingeschränkt zu.

Seine Familie war nach Krieg und Vertreibung aus Südmähren in Südbayern gelandet. Aufgewachsen ist Josef Brustmann in Waldram bei Wolfratshausen, einem Ort, an dem sich Geschichte wie im Zeitraffer ereignet hat: als „Lager Föhrenwald“ 1940 eine NS-Siedlung für deutsche Rüstungsarbeiter, ab 1945 Fluchtpunkt für befreite Zwangsarbeiter und Displaced Persons, ab 1956, nachdem die jüdischen Bewohner*innen teils gegen ihren Willen erneut umgesiedelt worden waren, umbenannt in Waldram und neue Heimstätte für katholische Heimatvertriebene. Wirklich aufgearbeitet wurde all das erst Jahrzehnte später, in einer ähnlich geduldig-detailgenauen Schürfarbeit, wie Josef Brustmann sie mit seinem 2024 erschienenen Buch Jeder ist wer. Menschenwege in Herzgegenden auch in seiner persönlichen Familiengeschichte geleistet hat.

Als achtes von neun Kindern, so die augenzwinkernde Selbstauskunft, hat er unter „ständigem Singen und Lärmen einer Unzahl größerer Geschwister – sozusagen aus Notwehr – eine kräftige Stimme entwickelt und zahlreiche möglichst laute Instrumente erlernt: Tuba, Kontrabass, Klavier, Cello“. Dennoch sind es die eher leisen Töne, die ihn als Musiker (unter anderem in Gruppierungen wie Bairisch Diatonischer Jodelwahnsinn, MonacoBagage, im brandneuen Drei Männer-Gesang Brustmann-Schäfer-Horn), seit 2004 als Solokabarettist und mit Jeder ist wer nun auch als Autorenstimme so einzigartig und unverwechselbar machen. Unter den sieben bis zehn Instrumenten („je nach Anspruchshaltung, und ob man Mundharmonika und Maultrommel noch dazuzählt“), die er virtuos beherrscht, ist sein eigentliches „Herzensinstrument“, bei aller Lust und dem Talent, es auch mal „krachen zu lassen“, eben doch die zartbesaitete Zither, die bei kaum einem seiner öffentlichen Auftritte fehlen darf.

Brustmann selbst bekennt: „Das Schreiben als Kabarettist, mit Blick aufs Publikum, zwingt, bei allem Tiefgang, zum Lustigsein und zur Pointe. Ein Buch zu schreiben ist anders, man schreibt erst einmal nur für sich.“ Und dann doch wieder für alle. Edgar Selge bringt das unbeschreibliche Leser*innenglück auf den Punkt: „Jeder ist wer ist ja was ganz besonders Schönes. So was hab ich noch nie gelesen. Wer so fast unmerklich, fast übergangslos von der Prosa in die Lyrik gleitet, und wieder zurück, erzählt auch eine Vertreibungs-Geschichte anders als wir sie zu kennen glauben.“ Und: Man ist mit Josef Brustmann immer mittendrin im „herrlich ergreifenden Lebensschlamassel“, wie Autorenkollege Johano Strasser schwärmt, und damit gebührt ihm, längst verdient, nun der Ernst-Hoferichter-Preis.

Gesche Piening
Gesche Piening ist als Theater-, Radio- und Kunstschaffende fest im Münchner Kulturleben verankert und wirft von dort aus immer wieder neue Anker aus. Als Regisseurin und Autorin eines umfangreichen Werks mit zahlreichen performativen Theaterinstallationen, preisgekrönten Radiofeatures und Hörspielen widmet sie sich seit über einem Jahrzehnt drängenden, oftmals tabuisierten gesellschaftspolitischen und sozialen Fragestellungen. Dabei hat sie eine einzigartige, höchst rechercheintensive Arbeitsweise und stilprägende Ästhetik entwickelt. So reicht etwa die Liste der Interviewpartner*innen für das inszenierte Hörspiel „Einsam stirbt öfter. Ein Requiem“ (2020) von Diakon, Sachgebietsleiterin, Friedhofsaufseher über Kommissarin, Gerichtsmediziner und Städtischer Wohnbau­gesellschaft bis hin zu BISS-Verkäufer und Wohngruppenleiterin.

Vom erweitert Dokumentarischen entwickeln sich Gesche Pienings Arbeiten sukzessive zum präzise und vielschichtig komponierten medienkünstlerischen Gesamtkunstwerk. Eine fortlaufende Öffnung hin zu anderen Kunstgattungen und Ästhetiken geht damit einher. Zuletzt vereinte sie im Sommer 2024 unterschiedliche Gewerke zu ihrer jüngsten Münchner Uraufführung: Für „Sei uns sicher“ arbeitete Gesche Piening mit einem Schauspieler, zwei Komponisten, mehreren Musikern, bildenden Künstler*innen, Video-, Licht- und Audio-Künstlern sowie einem Duftkünstler. Der sechs Räume umfassende Theaterparcours konfrontierte sein Publikum mit überlagerten, interagierenden Livedarbietungen, Tonspuren, Projektionen – und immer auch dem eigenen Sicherheitsempfinden.

Pienings sich mehr und mehr erweiternder Kunstbegriff schlägt sich nicht zuletzt in ihrem politischen Engagement für die Belange freischaffender Künstler*innen nieder: Sie ist Gründungsmitglied des Netzwerks Freie Szene München und baut derzeit ein transdisziplinäres Team auf, das in wechselnden Formationen neue ästhetische Formen und Kunstprojekte realisiert. Diese „Plattform“ soll im Zeitalter reduzierter oder gänzlich gestrichener Etats für nachhaltige Werkbiografien sorgen und einer Kunst jenseits von marktorientierter Produktion Wirkungsmacht verleihen.

Einfachen Antworten begegnet Gesche Piening grundsätzlich mit komplexen Fragen. Sie setzt mit ihren ästhetischen Mitteln nicht auf Illustration, sondern auf Irritation. Das ist ebenso herausfordernd wie erkenntnisreich – und macht Spaß! Denn bei aller Drastik und Tragik der gewählten Themen widmet Piening sich ihnen mit einem Humor, der vom kunstvollen Kalauer bis zum pointierten Witz reicht.

In Zeiten sich immer mehr verengender politischer Spielräume öffnet Gesche Piening nicht nur sich und ihren Kolleg*innen neue Kunst- und Handlungsräume, sondern arbeitet auch konsequent an der Horizonterweiterung ihres Publikums. Das ist gelebte und praktizierte Weltoffenheit im besten Sinne.