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Eine zweifelhafte Expertin fürs "Charakter-Profiling" | Übermedien

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  • ️Thu Jan 30 2020

Unter der Überschrift „Auch Menschen ohne Facebook-Konto haben ein Problem“ hat „Spiegel Online“ vor kurzem ein Interview mit der „Online-Profilerin“ Suzanne Grieger-Langer veröffentlicht. Sie berät „als Charakter-Profilerin auf Grundlage von Datensammlungen große Unternehmen bei der Einstellung neuer Bewerber“, schreibt „Spiegel Online“.

Die Autorin

Bärbel Schwertfeger ist Psychologin und freie Journalistin und hat bis 2016 mehr als 100 Artikel – etliche davon über Scharlatane im Personalbereich – für „Spiegel Online“ geschrieben.

Charakter-Profilerin? Einstellung von Bewerbern aufgrund von Datensammlungen? Spätestens da müsste jeder Redakteur aufhorchen. Mit einem Charakter-Profiling anhand von Datensammlungen würde sich jedes Unternehmen strafbar machen. Denn die Nutzung personenbezogener Daten ohne Zustimmung des Betroffenen ist nicht erlaubt.

Doch wer ist Suzanne Grieger-Langer? Ein detaillierter Lebenslauf lässt sich nicht finden. Laut ihrem Xing-Profil ist sie Diplom-Pädagogin mit Ausbildung in Transaktionsanalyse, einer wissenschaftlich nicht anerkannten Form der Psychotherapie.

Ich habe Grieger-Langer im vergangenen Jahr selbst erlebt. Auf der „Digital Mind Change“-Konferenz von Xing stellte sie sich als „Psychologin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin“ vor. Von einem Abschluss in Psychologie und einer Ausbildung in Psychoanalyse, die eigentlich nur Psychologen und Ärzten offensteht, findet man jedoch nichts; auch auf Anfrage gibt sie nicht an, ein Psychologiestudium abgeschlossen zu haben. Mit einer falschen Angabe könnte sich Grieger-Langer sogar strafbar machen. Denn die Bezeichnung Psychotherapeut ist geschützt und setzt ein Studium der Medizin oder Psychologie voraus.

Auf der Konferenz erklärte Grieger-Langer: „Seit der Jahrtausendwende können wir den psychogenetischen Code berechnen, ohne mit der Zielperson in Kontakt zu kommen.“ Dafür genügten schon Name, Geburtsdatum und ein Foto. Dann suche sie aus dem Internet alles, was es zu der Person gibt, und berechne mit Hilfe von Algorithmen das „Charakter-Profil“. Darin erkenne man zum Beispiel, wie jemand mit Geld umgeht oder ob er loyal gegenüber seinem Unternehmen sein kann. Damit wiederum wählt sie angeblich Führungskräfte für Unternehmen aus. Mehr Unsinn geht kaum.

Aufschlussreich ist auch ein Artikel aus der „Süddeutschen Zeitung“ aus dem Jahr 2009. „Manche Personen kann man in drei Minuten lesen“, behauptete Grieger-Langer dort. Das sei eben wie bei der DNA, wo auch schon eine Hautschuppe genüge. Manchmal sei auch ein 20 Jahre altes Foto ausschlaggebend. Aber auch Körperform, Frisur, Brillentyp und Stimme würden analysiert.

Falsche Lorbeeren

Bei ihren angeblichen Tätigkeiten für Hochschulen schmückte sich die Online-Profilerin nach meinen Recherchen mit falschen Lorbeeren. So behauptete sie, für die Frankfurt School of Finance and Management den Studiengang „Certified Profiler“ entwickelt zu haben. Das war falsch.

Sie habe lediglich ein eintägiges Wahlmodul im 22-tägigen Zertifikatsstudiengang „Certified Fraud Manager“ unterrichtet, schrieb die Hochschule und mahnte sie ab. Daraufhin wechselte sie die Hochschule aus und schrieb auf ihrer Website: „Für die Steinbeis University Berlin entwickelte sie den Studiengang ‚Certified Profiler'“. Doch auch das war falsch.

„Frau Suzanne Grieger-Langer ist keine Mitarbeiterin der Steinbeis-Hochschule und wurde von uns auch nicht beauftragt, einen Studiengang ‚Certified Profiler‘ zu entwickeln“, teilte Carsten Rasner mit, der Direktor der Steinbeis School of Management and Innovation an der Steinbeis-Hochschule Berlin. „Unsere Geschäftsführung hat Frau Grieger-Langer aufgefordert, diese Angabe unverzüglich zu entfernen.“

All diese Informationen sind im Netz leicht zu finden. Doch bei „Spiegel Online“ hat man offenbar nicht recherchiert, sondern der Interviewerin vertraut.

Auch weitere Hochschulen bestreiten inzwischen auf Anfrage die Verbindungen, die Grieger-Langer zu ihnen behauptet. Grieger-Langer lässt gegenüber Übermedien erklären, sie sei weder von der Frankfurt School of Finance and Mangement noch von der Steinbeis Hochschule abgemaht worden. Einen detaillierten Lebenslauf veröffentliche sie seit Jahren nicht mehr, „da wir in der Vergangenheit mehrfach sehr unangenehme Erfahrungen mit Stalkern machen mussten“.

Am Tag, als das Interview erschien, habe ich die Leiterin des Netzwelt-Ressorts, Judith Horchert, und Chefredakteurin Barbara Hans auf die Zweifel an der Seriosität der Interviewpartnerin aufmerksam gemacht und ihnen die entsprechenden Links geschickt. Es passierte nichts. Antwort bekam ich nicht – erst auf eine erneute Anfrage ausdrücklich für die Berichterstattung auf Übermedien.

Auch das Interview selbst ist peinlich. Grieger-Langer sagt darin:

„So, wie Cambridge Analytica psychometrische Methoden einsetzt, sind sie sehr mächtig. Die Nutzer müssten eigentlich wissen, was sie mit ihren Daten preisgeben. Sie wollen es aber nicht wissen und verhalten sich online so, als wären ihnen alle wohlgesonnen.“

Das ist im Zusammenhang mit dem Skandal um Cambridge Analytica Unsinn. Denn dabei wurden die Daten von bis zu 87 Millionen Facebook-Nutzern widerrechtlich genutzt. Entwickler einer App an der Cambridge University hatten Daten an Cambridge Analytica weitergereicht, wo man dann wiederum für das Wahlkampfteam von US-Präsident Donald Trump gearbeitet hatte. Einen guten Überblick über das ganze Vorgehen gibt ein Artikel im „Tagesanzeiger“.

An der Cambridge University wollte man damals herausfinden, ob sich aus den Facebook-Likes etwa zu Filmen, Stars oder Büchern – und damit aus an sich unverfänglichen Angaben – ein valides Persönlichkeitsprofil erstellen lässt. Die Aussage von Grieger-Langer, dass Nutzer eigentlich wissen, was sie mit ihren Likes preisgeben, ist daher unsinnig. Zudem lassen sich bisher heute aus den Daten keine validen Persönlichkeitsprofile erstellen. Aber man findet bestimmte Vorlieben und Verhaltensweisen, die für die gezielte Ansprache – wie im Wahlkampf – genutzt werden können.

SPIEGEL ONLINE: Sie beraten große Unternehmen bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter. Welche Rolle spielen Facebook-Profile in Ihrer Arbeit?

Grieger-Langer: Eine marginale. Neben den Daten, die ein Kandidat mit der Bewerbung abliefert, holen wir Daten aus dem offenen Internet. Vieles ist frei und ohne Passwortschutz zugänglich, auch auf Plattformen wie Facebook. Die Menschen sollten sorgsamer mit Daten umgehen. Auch Menschen ohne Facebook-Konto haben ein Problem.

Auch hier gilt: Unternehmen, die das tun, machen sich strafbar, wenn sie nicht die Berechtigung der Personen haben, die Daten zu nutzen.

Völlig wirr und in sich unschlüssig wird es bei der folgenden Antwort:

Daten können kein Eigenleben entwickeln. Algorithmen können aber schlecht berechnet sein und Relevantes auslassen, sodass die Maschine nur scheinbar ein Ergebnis liefert. Bei Beurteilungsverfahren in Assessment-Centern etwa wird oft gesagt, die Technik biete ein mogelfreies Verfahren. Aber die Maschine rechnet nicht damit, dass der Mensch über die Technik hinausdenkt und überlegt: „Der Arbeitgeber wünscht Teamfähigkeit. Ich bin nicht teamfähig, weiß aber, wie sie sich ausdrückt. Also klicke ich die Antwort an, die ein teamfähiger Mensch auswählen würde.“

Einmal geht es um Assessment Center (also einer Verhaltensbeobachtung von mehreren Bewerbern durch mehrere Beobachter), einmal offenbar um Fragebögen („dann klicke ich die Antwort an“) und ein anderes mal um Algorithmen. Doch was hat Verhaltensbeobachtung mit Algorithmen zu tun?

Algorithmen suchen nach Korrelationen zwischen verschiedenen Variablen. Sie können nicht „scheinbar ein Ergebnis liefern“. Sie liefern immer ein Ergebnis, das allerdings auf Scheinkorrelationen beruhen kann.

Das Interview erweckt an etlichen Stellen den Eindruck, dass weder Frau Grieger-Langer noch die Autorin noch die Redaktion wissen, um was es eigentlich geht.

Ist das Interview vielleicht im hektischen Tagesgeschäft durchgerutscht und wurde nicht mehr gegengelesen? „Spiegel Online“ bestreitet das auf Nachfrage. „Selbstverständlich ist das Interview vor der Veröffentlichung sowohl im Ressort als auch von einem Chef vom Dienst gründlich gegengelesen und redigiert worden. Zudem wurden die Antworten von Frau Grieger-Langer autorisiert“, erklärt Ressortleiterin Horchert.

Und die inhaltliche Kritik? „Wir konnten keine groben sachlichen Fehler entdecken, die einer Richtigstellung bedürften. Es mag sein, dass sich die Interviewpartnerin im Gespräch hier und da ungenau ausdrückt oder Dinge sagt, die polarisieren. Beides ist unserer Auffassung nach in einem Interview völlig normal.“

Immerhin gesteht „Spiegel Online“ ein, dass man sich nicht die Mühe gemacht hat, über die Online-Profilerin zu recherchieren. Meine Recherchen zur Arbeit von Frau Grieger-Langer seien der Redaktion nicht bekannt gewesen. „Wir haben sie aber zur Kenntnis genommen und werden sie ggf. zukünftig berücksichtigen.“

Besonders interessant ist natürlich das „ggf“. Vielleicht greift „Spiegel Online“ ja bald wieder auf die „Expertise“ dieser Dame zurück? So ändern sich die Zeiten. Früher wurden bei „Spiegel online“ häufiger Scharlatane entlarvt, heute werden sie promotet.

Nachtrag, 29. Mai. Bärbel Schwertfeger hat weitere Ungereimtheiten und Falschangaben von Grieger-Langer hier zusammengetragen.

Nachtrag, 16. Juli. Suzanne Grieger-Langer hat Übermedien abgemahnt und aufgefordert, mehrere Aussagen über sie zurückzunehmen. Wir haben das abgelehnt und bleiben bei unserer Darstellung.

Grieger-Langer ist auch gegen unsere Autorin Bärbel Schwertfeger juristisch vorgegangen. Sie wollte ihr unter anderem den Vorwurf untersagen, sie habe gelogen, was ihren Lebenslauf angeht. Das Landgericht Bielefeld hat den Antrag Grieger-Langers abgelehnt. Bei den „Ruhrbaronen“ gibt es einen ausführlichen Bericht über die Verhandlung.