GOTTSCHALK (Godescalc) der Sachse (G. von Orbais)
GOTTSCHALK (Godescalc) der Sachse (G. von Orbais), Theologe und Dichter, * um 803 als Sohn des sächsischen Grafen Bern, � um 869 in Hautvillers bei Espernay. - G. wurde noch sehr jung als �puer oblatus� dem Kloster Fulda übergeben und weilte auch längere Zeit auf der Reichenau. Durch Hrabanus Maurus (s. d.) und Wetti von Reichenau (s. d.) erhielt der vielseitig begabte Grafensohn eine ausgezeichnete Ausbildung. G. wollte nicht im Kloster bleiben; aber sein Abt Hrabanus Maurus zwang ihn gegen seinen Willen zur Tonsur. Das stand im Gegensatz zu den von Karl dem Großen (s. d.) erlassenen Gesetzen, in denen immer wieder auf die Freiwilligkeit des Eintritts in ein Kloster hingewiesen wurde. Mit Unterstützung seiner Verwandten wandte sich G. an den Erzbischof Otgar von Mainz. So wurde die Streitsache vor der Mainzer Synode im Juni 829 erörtert und G. zwar die Freiheit, aber nicht die Rückzahlung des väterlichen Erbes zugestanden. Gegen dieses Urteil protestierte Hrabanus Maurus, so daß Kaiser Ludwig die Sache im August 829 in Worms noch einmal verhandeln ließ. Das Urteil ist unbekannt; aber man darf annehmen, daß zuungunsten G.s entschieden wurde. 830 ist G. als Mönch im Kloster Corbie (Nordfrankreich) bezeugt. Er ging bald aus unbekannter Ursache in das nahe gelegene Kloster Orbais. Hier suchte er Trost für sein tragisches Geschick in der Beschäftigung mit den Wissenschaften. G. wurde als Mönch zum Priester geweiht und trat als Lehrer hervor. Er studierte eifrig die Schriften des Aurelius Augustinus (s. d.) und machte sich dessen Lehre von der doppelten Prädestination des Menschen zu eigen. 838/839 verließ G. das Kloster und verkündete überall seine Prädestinationslehre, zog nach Rom und hielt sich jahrelang in Oberitalien auf, besonders in der Grafschaft Friaul. Aus uns unbekannten Gründen war er zwei Jahre auf eine einsame Insel des Mittelmeers verbannt. 848 kehrte G. nach Deutschland zurück, als gerade die Mainzer Reichssynode tagte, und stellte sich ihr freiwillig. Er verteidigte seine Prädestinationslehre vor der Synode gegen Erzbischof Hrabanus Maurus, seinen früheren Abt, der in zwei Schriften sich gegen sie gewandt hatte. Doch die Synode, auf der Hrabanus Maurus Vorsitzender, Ankläger und Richter in einer Person war, sprach das Verdammungsurteil über G. aus und schob ihn zur Vollstreckung des Urteils an Erzbischof Hinkmar von Reims (s. d.) ab, zu dessen Diözese Orbais gehörte. G. wurde nach Orbais gebracht und 849 vor die Synode Quierzy gestellt. Da er trotz allen Zuredens von seiner Prädestinationslehre nicht abzubringen war, erklärte man ihn für einen unverbesserlichen Ketzer, nahm ihm die Priesterwürde und geißelte ihn fast zu Tode. G. kam zu lebenslanger Kerkerhaft in das Kloster Hautvillers bei Reims, wo er nach 20 Jahren ungebeugt, aber auch unversöhnt starb. In den letzten Jahren seines Lebens war sein Geist umnachtet. - G. war der beste Augustinuskenner des Frühmittelalters, ein ebenso kenntnisreicher wie selbständiger Grammatiker, Verfasser theologischer Traktate und Dichter lateinischer Hymnen in klassischen Versmaßen, zum Teil mit Reim. Außer einer Anzahl Einzelverse sind bisher 11 Gedichte G.s bekannt.
Werke: Opera omnia, in: MPL 121, 347-372. - Oeuvres théologiques et grammaticales, mit Einl. u. Anm. hrsg. v. Cyrille Lambot, Louvain 1945. - Ders., Lettre inédite de G. d'O., in: RBén 68, 1958, 41 ff. - Carmina, 7 hrsg. v. Ludwig Traube, in: MG PL III, 724 II.; - 1 hrsg. v. Karl Strecker, ebd. IV, 934 II.; 3 hrsg. v. Norbert Fickermann, ebd. VI, 89 ff. - Manitius I, 568 II.
Lit.: Victor Borrasch, Der Mönch G. v. O. Sein Leben u. seine Lehre. Eine hist.-dogmat. Abh., Thorn 1868; - Heinrich Schrörs, Hinkmar, EB v. Reims. Sein Leben u. seine Schrr., 1884, 88 II.; - Albert Freystedt,, Stud. zu G.s Leben u. Lehre. 1.: G.s Verurteilung u. Ende, in: ZKG 18, 1898, 1 ff.; 2.: Die Zeit der Propaganda, 161 ff.; 3.: G.s Schrr. u. Lehre, 529 II.; - Hans v. Schubert, Gesch. der christl. Kirche im Früh-MA, 1921, 451 II.; -Germain Morin, G. retrouvé, in: RBén 43, 1931, 303 ff.; - Giuseppe Ludovico Perugi, G., Rom 1931; - Benoît Lavaud, Précurseur de Calvin ou témoin de l'augustinisme? Le cas de G., in: RThom NS 15, 1932, 71 II.; - Norbert Fickermann, Wiedererkannte Dichtungen G.s, in: RBén 44, 1932, 314 ff.; - Walter Elliger, Gottes- u. Schicksalsglauben im frühdt. Christentum, 1935; - Erich Dinkler, G. d. S. Btr. z. Frage nach Germanentum u. Christentum. Mit lat. Hymnen G.s u. einer Übertr. ins Dt. von Erwin Wißmann, 1936; - H. Grabert, Der sächs. Edeling G., in: ARW 33, 1936, 215 ff.; - Emmanuel Aegerter, G. et le probléme de la prédestination au IXe siècle, in: RHR 116, 1937, 187 ff.; - Walter Kagerah, G. d. S. (Diss. Greifswald, 1938), Bordesholm/Holstein 1937; - Hermann Dörries, G. ein christl. Zeuge der dt. Frühzeit, in: JK 5, 1937, 670 ff.; - Ders., Sächs. G.fragen, in: JGNKG 48, 1950, 29 ff.; - D. Kadner, Aus den neuentdeckten Traktaten des Mönches G., in: ZKG 61, 1942, 348 ff.; - Otto Herding, Über die Dichtungen G.s v. Fulda, in: Festschr. Paul Kluckhohn u. Hermann Schneider, 1948, 46 ff.; - F. Chatilion, Augustine in G. and Peter the Venerable, in: RMAL 3, 1949, 234 ff.; - Julius Groß, Die Erbsünde in der Theol. G.s d. S., in: ZSTh 22, 1953, 352 ff.; - Jörg Erb, Die Wolke der Zeugen II, 1954, 109 ff.; - Ingeborg Schröbler, Glossen eines Germanisten zu G. v. O., in: BGDSL 77, 1955, 89 ff.; - Friedrich Hauß, Väter der Christenheit I, 1956, 90 f.; - Klaus Vielhaber, G. d. S. (Diss. Bonn, 1954), 1956; - Maria Christine Mitterauer, G. d. S. u. seine Gegner im Prädestinationsstreit (Diss. Wien), 1956; - Jean Jolivet, Godeseale d'O. et la Trinité. La Méthode de la théologie à l'époque carolingienne, Paris 1958; -Josef Szövérffy, Die Annalen der lat. Hymnendichtung I, 1964, 235 ff.; - Siegfried Epperlein, Herrschaft u. Volk im karoling. Imperium. Stud. über soziale Konflikte u. dogmat.-polit. Kontroversen im fränk. Reich (Hab.-Schr., Berlin Humboldt Univ.), 1969; - Peter v. Moos, G.s Gedicht O mi custos - eine confessio, in: Früh-ma. Stud. Jb. des Instituts Früh-MAforsch. der Univ. Münster 4, 1970, 201 ff.; 5, 1971, 317 ff.; - Biogr. Wb. z. dt. Gesch. I2, 1973, 933 f.; - Hauck II, 668 ff.; - VerfLex V, 288 II.; - Wilpert I2, 606; - ADB IX, 493 ff. (Gothschalk); - NDB VI, 684 f.; - RE VII, 39 ff.; - EKL I, 1696; - RGG II, 1813; - DThC VI, 1500 ff.; XII, 2901 ff.; - EC VI, 888 f.; - LThK IV, 1144 f.; - NCE VI, 648; - ODCC2 584 f.
Letzte Änderung: 15.09.2001